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Full text of "Parzival und Titurel Rittergedichte von Wolfram von Eschenbach. Uebersetzt und erläutert von Dr. K. Simrock. Zweiter Band. Zweite, wohlfeilere Ausgabe"

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Bayer. Staatsbibliothek 


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Parzival. 


Andere Hälfte. 


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Parzival und Citurel 


Rittergedichte 


von 


Wolfram von Eſchenbach. 


Ueberſetzt und erläutert 


. von + 


Dr. K. Simrock. 


Zweiter Band. 


Zweite, wohlfeilere Ausgabe. 


Stuttgart und Tübingen. 
J. G. Cotta ſcher Verlag. 


1849. 
20. . 


BIBLIOTHECA 
BEGIA 


MONACENSIS.| IJ. 


1 


— 


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Staa se: nttolneK 
Muncne“ 


Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart. 


IX. 


F Trevrezent. 


Parzival und Titurel. II. ö 


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Inhalt. 


— 


Die Aventüre begehrt Einlaß in des Dichters Herz, um ihm weiter von Par: 
zival zu ſagen. Sie übergeht Manches, Anderes deutet ſie nur an, wie das 
Abenteuer von dem zerſprungenen, in dem Brunnen Lach bei Karnant wieder 
ganz gewordenen Gralsſchwerte. Es folgt eine neue Begegnung mit Sigu— 
nen, die jetzt im häärenen Hemde eine Klauſe uber dem Grabe des Geliebten 
bewohnt. Sie verzeiht ihm, in Betracht, daß er hart genug geſtraft ſei, die 
unterlaßene Frage, und räth ihm, Kondrien, welche ihr alle Samſtag Nacht 
Speiſe brächte, und fie erſt vor Kurzem verlaßen hätte, nachzureiten. Par: 
zival ſolgt der friſchen Spur, hat ſie aber wieder verloren, als ein Gralsritter 
ihm Kampf bietet, weil er es gewagt habe, Monſalväſch ſo nahe zu reiten. 
Der Templeiſe wird beſiegt, entkommt aber lebend; ſein Roſs mit der Turtel⸗ 
taube, dem Wappen des Grals, am Puge beſteigt Parzival ſtatt des ihm er: 
ſchlagenen. Lange Zeit darnach begegnet ihm ein grauer Ritter, der mit ſeinem 
Weib, zweien Töchtern und fürſtlichem Gefolge barfuß, obgleich Schnee ge: 
fallen war, feine jährliche Buß- und Bittſahrt durch den Wald zu einem Ein: 
ſiedel unternommen hat, und es herzlich beklagt, daß Parzival im Harniſch 
die heilige Zeit nicht begehe, indem heute Karfreitag ſei; er räth ihm, gleich⸗ 
falls bei dem Einſiedel zu beichten und Buße zu thun. Die Sungfrauen laden 
ihn zu Gaſte; er will aber nicht neben ihnen reiten, während Sie zu Fuße 
gehen, Den zu verehren, welchen er haßt, beurlaubt ſich und reitet weiter. 
Darauf aber wird er reuig, gedenkt zum Erſtenmal ſeines Schöpferd, und 
überläßt, deſſen hülfreiche Führung zu verſuchen, dem Roſs die Zügel. Da 
bringt es ihn gen Fontain⸗ſauvaſche, wo Trevrezent als Einſiedel ein ſtrenges 
Bußleben führt. Hier erfährt er die Märe von dem Gral, welche der Dichter 
bisher abſichtlich verſchwiegen hat. Parzival erkennt die Stelle, wo er Orilus 
durch einen Eid über Jeſchutens Treue beruhigt hat. Er ſteigt vom Pferde, 
und erzählt dem Klausner von dem Ritter, der ihn hieher gewieſen habe, ſeine 
Sünden zu beichten. Trevrezent führt ſein Roſs an einen Felſenbrunnen, 
ihn ſelbſt zu einem Feuer in einer Gruft, wo der Held ſich wärmt, entwapp: 
net und einen Rock des Einſiedels anlegt. In einer zweiten Höhle findet er 
auf dem Altar die Heilthumskapſel, der er bel jenem Schwur die Hand auf: 
gelegt hat. Er fragt, wie lange das her ſei, und erfährt, daß fünftehalb 
Jahre ſeitdem verfloßen ſind. Er bekennt, in all dieſer Zeit kein Gotteshaus 
beſucht zu haben, indem er Haß zu Gott im Herzen trage. Der Klausner be: 
lehrt ihn über Gottes hülfreiche Barmherzigkeit und Güte, warnt ihn vor 
Vermeßenheit an Lucifers, Evas und Kains VBeiſpiele, und fragt, welcher 
Kummer ihn beſchwere. Als ihm Parzival ſeine Sorgen um den Gral und 


4 IX. Trevrezent. 


fein Weib klagt, lobt er letztere, und nennt die andere thöricht, well den 
Gral nur der vom Himmel dazu Benannte gewinnen könne. Nun erzählt er 
von deſſen himmliſchem Urſprung, von der Taube mit der Oblate, von der er⸗ 
ſcheinenden und verſchwindenden Schrift u. fe w. Als Parzival ihn mit dem 
Wunſch unterbricht, durch die Schrift zum Gral benannt zu werden, warnt 
er ihn vor Hochfahrt an dem Beiſpiele des Anfortas, und fährt fort zu be: 
richten, wie die Templeiſen die Grenzen des Gralreiches ſchützen; gleichwohl 
ſei Lähelein bis an den See Brumbane vorgedrungen, wo er einen Grals⸗ 
ritter getödtet und deſſen Roſs erbeutet habe. Für Lähelein hält der Einſiedel 
feinen Saft wegen ſeines Pferdes, doch bekennt ſich dieſer für den Sohn Gah— 
murets und Ithers Sieger. Trevrezent erſchrickt als er hört, daß ſein Neffe 
den nahen Blutöfreund (Ither war mit Lamiren, der Tochter Gandeins, ver: 
mält) erſchlagen, wie er denn auch ſcheidend ſeine Mutter, Trevrezents 
Schweſter, getödtet habe. Er erzählt nun von ſeinen übrigen Geſchwiſtern, 
Tſchoiſtanen, der Mutter Sigunens, Repanſen de Schole, die den Gral zu 
tragen gewürdigt wird, und Anfortad, dem König des Grals; dann des letzten 
Verirrung im Minnedienſt, ſeine Verwundung mit dem vergifteten Sper des 
Heiden, die vergeblichen Heilungsverſuche, und wie zuletzt die Schrift am Gral 
einen Ritter gemeldet habe, deſſen Frage Erlöſung brächte, der aber dann 
keine Frage gethan habe. Dann gehen Beide Gras und Laub für das Roſs, 
ſich ſelber Wurzeln und Kräuter ſuchen. Nach dem kargen Mal geſteht Par: 
zival, daß Er jener Ritter geweſen ſei. Sein Oheim beklagt ihn, hofft aber, 
ihm werde noch Heil blühen, wenn er ſein Herz ſo erkühnen könne, daß er 
an Gott nicht mehr verzweifle. Darauf erklärt er ihm Alles, was er zu 
Monſalväſche geſehen hat, die blutige Lanze, die Meßer mit den Silberklingen, 
Anfortas Frieren und Lehnen, ſein Fiſchen auf dem See Brumbane, und die 
dienenden Frauen; ſchildert ihm dann der Templeiſen Leben, wie der Gral 
aus feiner Schar den herrenloſen Ländern Fürſten heimlich ſchicke, die Jung⸗ 
frauen aber, wie Parzivals Mutter, öffentlich vermäle, und wie alle Grals⸗ 
ritter, außer dem Könige, Frauenminne verſchwören müſten, eine Vorſchriſt, 
die auch Er in feiner Jugend unbeachtet gelaßen, wie feine Erzählung ergiebt. 
Nach ſolchen und ähnlichen Geſprächen gehen ſie zur Ruhe. Vierzehn Tage 
bleibt Parzival bel dem Einſiedel; beim Abſchied ermahnt ihn dieſer, Frauen 
und Prieſter zu ehren und ſpricht ihn frei von Sünden. 


IDEE Be a2 50.» aE 2 270 5 


433. „Thut auf!“ Wem? Wer feid ihr? 
„Ich will ins Herz hinein zu dir.“ 
So begehrt ihr engen Raum. 

„Was thut es, faßt er mich auch kaum: 
5 Ueber Druck wirſt du nicht klagen, 
Ich will dir nun viel Wunder ſagen.“ 
Ja ſeid Ihrs, Frau Abenteuer? 
Was macht der Degen theuer? 
Ich meine den werthen Parzival, 
10 Den Kondrie nach dem Gral 
Mit unſüßen Worten jagte; 
Manch ſchoͤnes Weib beklagte, 
Daß unerlaͤßlich wär fein Reifen. 
Von Artus dem Bretaneiſen 
15 Schied er da: wo iſt er nun? 
Die Märe eilt uns kund zu thun: 
Ob er an Freuden ganz verzagte, 
Oder hohen Preis erjagte. 
Blieb heut ihm feine Wurdigkeit 
20 Noch ganz wie ſonſt, ſo lang und breit, 
Oder ward ſie kurz und ſchmal? 
Sagt uns Alles auch zumal 
Was noch von ſeiner Hand geſchah; 
Ob er Monſalväſch nun ſah 
25 Und Anfortas den klagenswerthen, 
Dem Seufzer das Herz beſchwerten? 
Gebt Troſt uns aus Barmherzigkeit, 


6 IX. Trevrezent. 


Ob er des Jammers ward befreit. 
Laßt uns hören, gebt uns Kunde, 
Iſt Parzival bei ihm zur Stunde, 
434 Der uns beiden zu gebieten hat? 
Nun erhellt mir ſeinen Pfad: 
Gahmurets Sohn, was beginnt 
Der ſüßen Herzeleide Kind, | 
5 Seit er von Artus Abſchied nahm? 
Hat er Freude, hat er Gram 
Seitdem erkämpft im Streite? 
Stürmt er noch in die Weite, 
Oder liebt er ſich zu ruhn? 
10 Sagt mir ſein Ueben und ſein Thun. 


Aventüre macht uns nun bekannt, 

Erkundet hab er manches Land 

Zu Roſs, in Schiffen auch zu Meer; 

Landsmann, Blutsfreund, oder Wer 
15 Sich ihm tjoſtierend ſtellte, 

Daß er den ſiegreich faͤllte. 

So kann ſich ſeine Schale neigen, 

So weiß ſein Preis empor zu ſteigen 

Und der andern Preis zu dämpfen. 
20 Er hatt in harten Kämpfen 

Der Niederlage ſich erwehrt, 

Sich ſo verſucht mit Lanz und Schwert, 

Wer Preis von ihm zu borgen ö 

Gedachte, thats mit Sorgen. 
25 Das ihm Anfortas verehrt 

Bei dem Grale jenes Schwert, 

Da ers im Streite ſchwang, zerbrach: 

Bei Karnant der Brunnen Lach 


dl — 


IX. Trevrczent. 


Macht' es dann ihm wieder ganz; 
Stäts mehrt' es feines Ruhmes Glanz. 


435 Wer es nicht glaubt verfündigt fich. 
Die Aventür belehrte mich, = 
Daß Parzival der kuͤhne Held 
Geritten kam in ein Gewäld, 

5 Zu welcher Stunde, weiß ich nicht: 
Da ſtand vor ſeinem Angeſicht 
Eine neuerbaute Klauſe: 
Eine Quelle lief hindurch mit Brauſe: 
Sie war darüber ausgehöhlt. 
10 Der junge Degen muthbeſeelt 
Suchte Abenteuer dort: 
Da kam er zu der Gnade Port. 
Er fand da eine Klausnerin: 
Gott zu Liebe gab ſie hin 
15 Magdthum und alle Erdenluſt. 
Ihrer weiblichen Bruſt 
Entblühte Trauer, ewig neue, 
Doch aus der Wurzel alter Treue. 


Schionatulander 

20 Und Sigunen fand er. 
Begraben lag der Held und todt; 
Sie erlebt' auf ſeinem Sarge Noth. 
Sigune la Düſcheſſe 
Hoͤrte ſelten Meſſe; 

25 Doch all ihr Leben war Gebet. 
Ihr rother Mund von Gluth gebläht, 
Nun war er blaß, ſo ganz erblichen 
Seit alle Weltluſt ihr gewichen. 


IX. Trevrezent. 


Keine Maid litt je fo hohe Pein: 
Um zu trauern will ſie einſam ſein. 


436 Da ſie der Fuͤrſt nicht erwarb, 
An ihm die Minne ihr erſtarb, 
Sie minnte ſeinen todten Leib. 

Wär ſie wirklich jetzt ſein Weib, 
5 Ihr hätte Frau Lunet im Leben 
Solchen Rath wohl nie gegeben 
Wie ſie gab ihrer Frauen. | 

Man mag noch Frauen ſchauen, 
Bei denen eine üble Statt 

10 Fände Frau Lunetens Rath. 

Ein Weib, die um des Lieben willen, 
Und der Zucht Gebot zu erfüllen, 
Sich enthält fremder Minne, 
Täuſcht mir kein Trug die Sinne, 

15 Läßt ſie's bei ihres Mannes Leben, 
Dem ward an ihr ein Heil gegeben. 
Kein Faſten kleidet ſie ſo wohl: 
Das beeid ich wenn ich ſoll. 

Hernach mag ſie beliebig ſchalten; 

20 Kann ſie auch dann noch ſich enthalten, 
Das ziert fie, keinen fchönern Kranz 
Trägt ſie je beim Freudentanz. 


Vergleich ich Freude mit der Noth, 
Die Sigunen ihre Treu gebot? 
25 Das ſollt ich lieber laßen. 
Ueber Blöde ſonder Straßen 
Ritt Parzival dem Fenſterlein 
Allzunah: das ſchuf ihm Pein. 
Er wollte nach dem Walde fragen 


IX. Trevrezent. 


Und wohin der Weg ihn werde tragen. 
437 Beſcheid zu finden hofft’ er da. 

„Iſt Jemand drin?“ Da ſprach ſie: „Ja.“ 

Als er die Frauenſtimm erkannte, 

Auf unzertretnen Raſen wandte 

5 Der Held zurück das Roͤſſelein; 

Schon daͤucht es ihn zu ſpät zu fein: 

Daß er nicht gleich war abgeſtiegen, 

Fühlt' er Scham ſich überfliegen. 


An des gefällten Baumes Aſt 

10 Band ſein Roſs alsbald der Gaſt 
Und hieng des Schildes Scherben dran. 
Der beſcheidne kühne Mann 
Das Schwert auch von der Seite band: 
So trat er zu des Fenſters Rand 

15 Nachzufragen wo er wär. 
Die Klaus war aller Freuden leer 
Und aller Kurzweil bar und bloß: 
Nur Jammer fand er, der war groß. 
Er bat, daß ſie ans Fenſter trete. 

20 Da erhob ſich vom Gebete 
Mit Zucht die Jungfrau bleich und fahl. 
Noch immer war ihm dazumal 
Wer ſie waͤre voͤllig fremde. 
Sie trug ein häären Hemde 

25 Unter grauem Rock zunäͤchſt der Haut. 
Großem Jammer war ſie angetraut: 
Der hatt ihr hohen Muth geſenkt, 
Ihrem Herzen Seufzer viel geſchenkt. 


Mit Zucht die Magd zum Fenſter gieng, 
Wo ſie den Fremdling wohl empfieng. 


2 ——— ——üũ— 


10 IX. Trevrezent. 


438 Den Pſalter trug fie in der Hand. 
Parzival der Weigand 
Sah ſie ein kleines Ringlein tragen, 
Dem ſie im Leid nicht mocht entſagen: 
5 Sie behielts nach treuer Minne Rath. 
Das Steinlein war ein Granat; 
Das ſah man aus dem Dunkel glühn, 
Recht wie Feuer Funken ſprühn. 
Sie trug ums Haupt ein ſchwarzes Band. 
10 Sie ſprach: „Da draußen bei der Wand 
Seht ihr eine Bank geſtellt: 
Setzt euch, wenn es euch gefällt 
Und vergönnt die Muße. 
Daß ich zu euerm Gruße 
15 Kommen durfte, lohn euch Gott; 
Der hilft getreulich in der Noth.“ 


Der Degen folgte gern dem Rath; 
Vors Fenſter ſetzt' er ſich und bat: 
„Sitzet Ihr da drinnen auch.“ 

20 Sie ſprach: „Gar ſelten wars mein Brauch, 
Daß ich hier ſaß bei einem Mann.“ 
Da hub der Held zu fragen an, 

Was ſie er Sitte pflege, 
„Daß Ihr ſo fern dem Wege 
25 Wohnet in der Wildniſs hier. 
Große Unbill ſcheint es mir, 
Herrin, was ihr hier begeht, 
Da rings kein Haus euch nahe ſteht.“ 


Sie ſprach zu ihm: „Mir wird vom Gral 
Der Koſt genug geſandt zum Mal. 


IX. Trevrezent. 11 


439 Kondrie la Sorzier 
Bringet mir von dorten her 
Jeden Samſtag in der Nacht 
(Den Vorſatz hat ſie ſich gemacht) 
5 Was ich die Woche haben ſoll.“ 
Sie ſprach: „Wär mir nur anders wohl, 
Um die Nahrung würd ich wenig ſorgen; 
In dieſem Stück bin ich geborgen.“ 


Da wähnte Parzival, fie löge, 

10 Und daß ſie ſonſt ihn gern betroͤge. 
Er ſprach im Spott zu ihr hinein: 
„Von Wem habt ihr dieß Ringelein? 
Stäts hab ich ſagen hören, 
Liebſchaft müſten verſchwören 

15 Klausner und Klausnerinnen.“ 
„An der Rede werd ich innen, 
Ihr zeihtet mich der Falſchheit gerne. 
Wenn ich jemals Falſchheit lerne, 
Merkt ſie wohl, ſeid ihr dabei; 

20 Wills Gott, ich bin der Falſchheit frei: 
Aller Fehltritt widert mir.“ 

Noch ſprach ſie: „Dieſen Malſchatz hier 
Trag ich um einen lieben Mann. 
Seine Minne nie gewann . 

25 Ich zwar mit menſchlicher That. 
Magdthumlichen Herzens Rath 
Rieth mir zu ſeiner Minne.“ 

Sie ſprach: „Er iſt hier drinne, 
Deſſen Kleinod ich trug, 
Seit ihn Orilus im Kampf erſchlug. 


12 IX. Trevrezent. 


440 „Ich will ihm Minne geben 

All mein jammerreiches Leben. 

Rechte Minne muß ich ihm gewähren, 
Da er mit Schwert, Schild und Speren 

5 Um meine Minne wehrlich warb, 
Bis er in meinem Dienſt erſtarb. 
Reines Magdthum blieb mir noch; 
Er iſt vor Gott mein Mann jedoch. 
Rechnet Gott Gedanken an 

10 Für That, fo find wir Weib und Mann 
Verbunden in der rechten Ehe. 
Sein Tod that meinem Leben wehe. 
Vor Gott ſoll dieſes Ringelein 
Uns wahrer Ehe Zeugniſs fein. 

15 Es bindet meine Treue feſt, 
Mit Herzensthränen oft genäßt. 


„Hier bin ich ſelbander: 
Schionatulander 
Und die andere bin Ich.“ 

20 Nun erft überzeugt? er ſich, 

Daß es Sigune war, die Maid. 
Ihr Kummer ſchuf ihm Herzeleid. 
Eh er weiter ſprach zu ihr, 

Zog er herab das Haͤrſenier, 

25 Daß ſie ſein bloßes Haupt erſchaue. 
Da. ſah an ihm die Jungfraue 
Durch Eiſenroſt die Haut ſo licht. 
Da erkennt ſie ihn und ſpricht: 
„Wie, ſeid Ihrs, Herr Parzival? 
Sagt an, wie ſteht ihr mit dem Gral? 


IX. Trevrezent. 13 


441 Habt ihr nun feine Kraft erkannt? 
Wie iſts um eure Fahrt bewandt?“ 


Er ſprach zur Jungfrau wohlgeboren: 
„Ich habe Freud und Glück verloren, 

5 Der Gral giebt Sorgen mir genug. 
Das Land, wo ich die Krone trug, 
Ließ ich, dazu das fchönfte Weib. 
Geboren ward ſo ſchoͤner Leib 
Auf Erden nimmer ſicherlich. 

10 Nach ihrer Reinheit ſehn ich mich, 

Um ihre Minne traur ich viel; 

Doch mehr noch nach dem hohen Ziel, 

Wie ich Monſalväſche mög erſehn 

und den Gral: das iſt noch ungeſchehn. 
15 Baſe, du vergehſt dich ſchwer, 

Sigun, an mir: ich leide ſehr, 

Und doch feindeſt du mich an.“ 

Da ſprach ſie: „All mein Zorn fortan, 

Vetter, ſei auf dich verſchworen. 
20 Du haſt doch Freude viel verloren, 

Da die Frage unterließ 

Dein Mund, die dir ſo viel verhieß, 

Als dir der edle Anfortas 

Dein Wirth, dein Glück, zur Seite ſaß. 
25 Da hätt dir Fragen Heil erjagt; 

Doch nun iſt Freude dir verſagt 

Und all dein hoher Muth gelaͤhmt. 

Dein Herz hat Sorge nun gezähmt, 

Die ſtäts dir fremde wäre, 

Erfrugſt du dort die Mare.“ 


IX. Trevrezent. 


442 „Ich that wie der ſich ſchaden ſoll. 
Nun, liebe Baſe, rath mir wohl: 
Nahverwandt ja biſt du mir; 

Und ſag mir auch, wie ſtehts mit dir? 

5 Dein Leid ſollt ich beklagen, 

Müſt ich nicht groͤßres tragen, 
Als je war eines Mannes Looß: 
Meine Noth iſt allzugroß.“ 


Sie ſprach: „Dir helfe Deſſen Hand, 

10 Dem aller Kummer iſt bekannt. 
Vielleicht, daß es dir noch gelingt, 
Daß ein Pfad dahin dich bringt, 

Wo du Monſalväſch erſiehſt 
Und deinem Herzen Troſt entſprießt. 

15 Kondrie la Sorzier ritt noch 
Nicht lange fort: hätt ich ſie doch 
Gefragt, ob ſie dahin will ziehn, 

Oder anderswohin. 
Ihr Maul pflegt immer dort zu halten, 

20 Wo der Brunnen fließt aus Felſenſpalten. 
Mach dich auf und folg ihr: 

Sie eilt vielleicht nicht ſehr vor dir: 
So holſt du fie in Kurzem ein.“ 
Da durfte nicht gezögert ſein: 

25 Mit Sigunens Urlaub folgt' er bald 
Den friſchen Stapfen durch den Wald. 
Doch ritt ihr Maulthier ſolche Wege, 
Daß bald im dichten Waldgehege 
Die Spur verſchwand, die er erkoren. 
So war der Gral aufs Neu verloren. 


443 Da vergaß er Freud und Luſt. 


—— — 


IX. Trevrezent. 15 


Beßer hätt er jetzt gewuſt 
Zu fragen, wär er hingekommen, 
Als damals, wie ihr habt vernommen. 


5 Nun laßt ihn reiten, doch wohin? 
Dort ſieht er ſich entgegen ziehn 
Barhaupt einen Rittersmann. 

Ein koſtbar Kleid hatt er an, 
Der Harniſch drunter ſtralt von Glanz, 

10 Denn ſonſt iſt er gewappnet ganz. 

Der ritt gen Parzival daher 

Und ſprach: „Ich zürn euch, Herr, gar ſehr, 
Daß ihr dringt in meines Herren Wald. 
Weicht, ſonſt muß ich euch alsbald 

15 So ermahnen, daß ihr ſtöhnt. 

Monſalväſch iſt nicht gewoͤhnt, 
Daß ihm wer ſo nahe ritt, 
Es ſei denn daß er ſiegreich ſtritt, 
Oder ſolche Buße bot, | 
20 Die fie vor dem Walde heißen Tod.“ 


Der Degen trug in ſeiner Hand 

Einen Helm, deſſen Band 

War von ſtarken Seidenſchnüren; 

Einen ſcharfen Sper ſah man ihn führen; 

25 Von friſchem Holz war ſein Schaft. 

Der Held band mit Zorneskraft 

Sich den Helmhut feſt aufs Haupt; 

Man hätt es gerne geglaubt, 

Er wolle zu den Zeiten 

Nicht vergebens dräun mit Streiten. 
444 So ſchickt er zu der Tjoſt ſich an. 

Oft ſchönre Spere noch verthan 


16 IX. Trevrezent. 


Hatte Parzival als dieſe hier: 
Er gedacht: „Ich waͤr des Todes ſchier, 
5 Ritt ich dem Manne durch ſein Korn: 
Wie gerieth er dann wohl erſt in Zorn? 
7 Hier tret ich nur auf wilde Haide. 
Verſagt ihr Arme mir nicht beide, 
So löſ ich mich mit ſolchem Pfand, 
10 Daß mich nicht bindet ſeine Hand. 


Sie brachten ihre Pferde drauf 
Beiderſeits in vollen Lauf 
Und trieben ſie mit Sporenſchlägen 
Einander pfeilgeſchwind entgegen. 
15 Sie kamen herrlich angerannt: 
Mancher Tjoſt that Widerſtand 
Parzivals hohe Bruſt. 
Den lehrte Kunſt und ein Geluſt, 
Daß ſeine Lanzenſpitze fuhr 
20 Recht in den Strick der Helmſchnur. 
Er traf ihn, wo man hängt den Schild, 
Wenn es Tioſtieren gilt, 
Daß der Templer von dem Gral 
Vom Roſs herabfiel in ein Thal 
25 Und ſank die Hald hinab gar tief: 
Wohl ſcheint es, daß der Held nicht ſchlief. 


Der Sieger folgt des Schwungs Gewalt; 
Umſonſt gebot dem Roſs er Halt: 
Es fiel hinab, zerbrach im Fall. 
Den Aſt ergriff noch Parzival 
445 Einer Ceder mit den Händen. 
Es wird ihn wohl nicht ſchänden, 
Daß er ſich ohne Schergen hängte. 


IX. Trevrezent. 17 


Doch bald herab die Füße ſenkte 
5 Der Held auf feſten Felſengrund. 
Im unerreichbaren Schlund 
Lag ſein Roſs da unten todt. 
Der Templer aus der Lebensnoth 
Floh zu der andern Thalwand hin. 
10 War er ſtolz auf den Gewinn, 
Den er erwarb an Parzival, 
So frommt' ihm mehr daheim der Gral. 


Da ſich Parzival zurück begab, 
Des Templers Zügel hieng herab 
15 Vom Roſs, das ſich darin verfangen: 
Drum war es weiter nicht gegangen, 
Seit es der Ritter dort vergaß. 
Da Parzival im Sattel ſaß, 
Hatt er den Sper nur eingebüßt: 
20 Der Verluſt war durch den Fund verſüßt. 
Gewiſs, der ftarfe Lähelein, 
Noch der ſtolze Kingriſein, 
Noch der König Gramoflanz, 
Noch Komte Laskoit Fils Gurnemans, 
25 Hatten nimmer beßre Tjoſt geritten, 
Als womit er dieſes Roſs erſtritten. 
Da ritt er weglos immerdar, 
Und der Monſalväſcher Schar 
Bot ihm weiter keinen Streit. 
Ihm gebrach der Gral, das war ſein Leid. 


446 Wers hören will dem geb ich Kunde 
Was ihm widerfuhr nach dieſer Stunde. 
Doch weiß ich nicht der Wochen Zahl, 
Wie lang hernach noch Parzival 


Parzival und Titurel. II. 2 


18 


IX. Trevrezent. 


5 Auf Abenteuer ritt wie eh. 
Eines Morgens war ein dünner Schnee, 
Doch wohl ſo dicht herabgeſchneit, 
Daß Froſt daraus ward prophezeit. 
Es war in einem tiefen Wald: 

10 Da begegnei' ihm ein Ritter alt. N 
Dem war ergraut des Bartes Haar, 
Jedoch das Antlitz licht und Harz; ud: 

Klar und licht auch war ſein Weib. | 
Die Beiden auf dem bloßen Leib 

15 Trugen Roͤcke rauhbehaart 
Auf ihrer Buß⸗ und Bittefahrt. 
Ihre Kinder, zwei Jungfrauen, 
Die man gerne mochte ſchauen, 
Giengen auch in ſolchem Kleid. 

20 Ihnen rieth Beſcheidenheit, 

Sie waren alle barfuß. 

Parzival bot ſeinen Gruß 

Dem grauen Ritter der da gieng, 
Von dem er ſelgen Rath empfieng. 

25 Er mocht ein Landes fuͤrſt wohl fein. 
Den Frauen folgten Hündelein. 
Demüthig giengen, nicht zu hehr, 
Ritter noch und Knappen mehr 
Sittig auf der Gottesfahrt, 

Noch Mancher jung und ohne Bart. 


447 Parzival der Weigand 


Trug am Leibe ſolch Gewand, 

Daß ſein reiches Ritterkleid 

Ihm herrlich ſtand wie allezeit. 
5 Er führt ſo ſtolz geruͤſtet, 


IX. Trevrezent. 


Daß er ſich anders brüftet 
Als jener graue Mann ſich trug. 
Aus dem Wege früh genug 
Wandt er mit dem Zaum ſein Pferd. 
10 Gern haͤtt er fragend ſich belehrt 
Ueber der frommen Leute Fahrt: 
Sie beſchieden ihn mit guter Art. 
Da war des grauen Ritters Klage, 
Daß er die heiligen Tage 
15 Nicht alſo ehrte nach der Sitte, 
Daß er ungewappnet ritte, 
Oder daß er barfuß gienge 
Und des Tages Feſt begienge. 


Da gab ihm Parzival Beſcheid: 
20 „Herr, ich weiß zu keiner Zeit 
An welchem Ziel das Jahr nun ſteht 
und wie der Wochen Zahl vergeht. 
Wie die Tage ſind benannt, 
Das iſt mir Alles unbekannt. 
25 Ich diente Einem, der heißt Gott, 
Eh ſeine Ungunſt ſolchen Spott 
Mir gab und ſolchen Ungewinn, 


Da doch nie von Ihm gewankt mein Sinn. 


- 


Man fagte mir, er helfe gern; 
Doch bleibt mir feine Huͤlfe fern.“ 


448 Da ſprach der Ritter grau von Haar: 
„Meint ihr Gott, den eine Magd gebar? 
Glaubt ihr, daß er Menſch geworden 
Und heut für uns am Krenz geftorben, 

5 Weshalb wir dieſen Tag begehn, 

So muß ſolch Kleid euch übel ſtehn. 


19 


IX. Trevrezeut. 


Denn es iſt Karfreitag heut, 
Des alle Welt ſich billig freut 
Und doch in Leid befangen iſt. 
10 Sprecht ob ihr hoͤhre Treue wißt, 
Als die Gott an uns begieng, 
Da man für uns ans Kreuz ihn hieng? 
Habt ihr die Tauf empfangen, 
So muß euch Leid umfangen; 
15 Er hat fein heiliges Leben | 
um unſre Schuld dahingegeben; 
Sonſt wär der Menſch verloren 
Zu der Hölle Pein erkoren. 
Wofern ihr nicht ein Heide ſeid, 
20 Herr, ſo heiligt dieſe Zeit. 
Reitet eures Weges fort: 
Nicht ferne wohnt von dieſem Ort 
Ein heilger Mann: der giebt euch Rath, 
Wie ihr büßet eure Miſſethat. 
25 Wollt ihr ihm Reue künden, 
Er ſpricht euch los von Sünden.“ 


Seine Toͤchter huben an zu ſprechen: 
„Was willſt du, Vater, an ihm rächen? 
So böfes Wetter wie nun iſt, 

Was räthſt du ihm zu ſolcher Friſt? 
449 Hilf ihm vielmehr, daß er erwarme. 

Seine geharniſchten Arme, 

Wie ritterlich und ſtark ſie ſind, 

Doch iſt die Kälte nicht gelind: 

5 Er erfrör und wär er feiner drei. 
Haſt du doch hier nahe bei 
Dein Gezelt und Schlafhaus ſtehn; 


IX. Trevrezent. 21 


Käm Artus und ſein ganzes Lehn, 
Dir gebräche doch die Speiſe nicht. 
10 Wohlan, ſo thu des Wirthes Pflicht 

Und nimm dich dieſes Ritters an.“ 

Da ſprach alsbald der graue Mann: 
„Herr, meine Töchter ſprechen wahr. 
Mit Zelt und Hütten jedes Jahr 
15 Fahr ich durch dieſen wilden Wald 
Ob es warm ſei oder kalt, 
Naht uns Deſſen Marterzeit; 
Der ſtäten Lohn für Dienſt verleiht: 
Was ich Gott zu Liebe hergebracht, 
20 Das iſt euch willig zugedacht.“ 


Die beiden Jungfrauen 
Ließen guten Willen ſchauen. 
Sie baten ihn zu bleiben; 
Ihn ſolle nichts vertreiben, 
25 Sprachen ſie mit holden Mienen. 
Parzival erſah an ihnen, 
Obgleich das Wetter Froſt nur bot, 
Munde heiß und voll und roth. 
Sie hatte Trauer nicht entſtellt 
um den Heiland der Welt. 
450 Hätt ich mit ihnen mich entzweit, 
Ich nützte die Gelegenheit 
Den Kufd der Sühne zu empfahn, 
Nähmen ſie die Sühne an. 

5 Frauen ſind doch immer Fraun: 
Wo ſie den tapfern Mann erſchaun 
Da ſind ſie bald bezwungen; | 
Das bezeugen taufend Zungen. 


22 


IX. Trevrezent. 


Mit ſüßem Wort, mit holden Sitten 


10 Horte Parzival fie bitten, 
Kinder und Aeltern beide. 
Er gedachte: „Wenn ich bleibe, 
Gern zieh ich nicht in dieſer Schar. 
Die Mädchen find fo ſchoͤn fuͤrwahr, 
15 Mein Reiten würde übel ſtehn, 
Da Mann und Weib zu Fuße gehn. 
Es fügt ſich beßer, daß wir ſcheiden, 
Da Haß mir Jenen muß verleiden, 
Den Sie von Herzen minnen 
20 Und auf ſeine Hülfe ſinnen. 
Mir hat er Hülfe ſtats verwehrt, 
Nur meiner Sorgen Zahl gemehrt.“ 


„Herr und Frau,“ hub er an, 
„Laßt euern Urlaub mich empfahn. 
25 Das Glück verleih euch volles Heil, 
Und Freude werd euch ftäts zu Theil. 
Ihr ſüßen Jungfraun beide, 
Eure Zucht euch Lohn beſcheide, 
Daß ihrs ſo gut gemeint mit mir. 
Nun gebt mir euern Urlaub hier.“ 
451 Da neigt er ſich und Jene neigen; 
Sie konnten Klage nicht verſchweigen. 


Hin reitet Herzeleidens Frucht. 
Den lehrte mannliche Zucht 
5 Demuth und Barmherzigkeit. 
Dem die junge Herzeleid 
Angeboren Treu und Güte, 


IX. Trevrezent. 23 


Traurig ward ſein Gemuͤthe. 
Jetzt zuerſt gedacht er Seiner Macht, 
10 Der die Welt aus Nichts gemacht, 
Der ihn erſchaffen und erhalten, 
Wie Der gewaltig müße walten: 
„Wie, wenn Gott doch ſendete f 
Was meinen Jammer wendet? 
15 Ward er jemals einem Ritter hold, 
Erwarb Ein Ritter ſeinen Sold, 
Hält er feiner Hülfe werty 
Die da führen Schild und Schwert 
Unverzagt und mannhaft, ' 
20 So löf er mich aus Sorgenhaft: 
Iſt heute ſeiner Hülfe Tag, 
So helf er wenn er helfen mag.“ 
Er ritt zurück daher er kam. 
Noch ſtanden jene, wie im Gram, 
25 Daß er ſo von ihnen ſchied. 
Wie ihr getreuer Sinn es rieth, 
Blickten ihm die Jungfraun nach. 
Doch auch das Herz des Ritters ſprach, 
Daß er fie gerne möge ſehn, 
Denn fie waren hold und ſchoͤn. 

452 Er ſprach: „Iſt Gottes Kraft ſo groß, 
Daß fie beiden, Mann und Roſs, 
Mag die rechten Wege weiſen, 

So will ich ſeine Hülfe preifen. 

5 Kann von Gott uns Hülfe nahn, 
So weiſ er dieſes Kaſtilian, 
Daß meine Reiſe glücklich ſei: 


IX. Trevrezent. 


Seine Güte ſteh mir hülfreich bei. 

Nun geh nach goͤttlichem Beſcheide.“ 
10 Zaum und Zügel legt?’ er beide 

Frei zu des Roſſes Ohren 

Und trieb es mit den Sporen. 


Gen Fontän ſauvaſch es gieng, 
Wo Orilus den Eid empfieng. 
15 Der fromme Trevrezent dort ſaß, 
Der manchen Montag wenig aß 
Und auch den Reſt der Wochen. 
Er hatte ſich abgebrochen 
Moraß, Wein, dazu das Brot. 
20 Strenger war noch ſein Gebot: 
Fiſch und Fleiſch, und was nur Blut 
Trüge, mied ſein keuſcher Muth. 
So war ſein heiliges Leben. 
Gott hatt ihm ſolchen Sinn gegeben. 
25 Zu des Himmels Herrlichkeit 
Macht' er übend ſich bereit, 
Indem er faſtend Noth erlitt, 
Der Freud entſagend widerſtritt. 


Von Dem erfaͤhrt nun Parzival 
Die verhohlne Märe von dem Gral. 
453 Wer mich früher drum gefragt 
Hätt, und weil ichs nicht geſagt, 
Mit Haß mir dräuen wollen, 
Verſchwendet wär ſein Grollen. 
5 Zu hehlen bat michs Kiot, 
Wie ihm die Aventür gebot 


IX. Trevrezent. 


Geheimes zu bewahren: 

Niemand ſollt es erfahren 

Bis im Verlauf der Märe 
10 Zeit davon zu ſprechen wäre. 


Kiot, der Meiſter wohlbekannt, 

Zu Toled verworfen liegen fand, 

Und in arabiſcher Schrift, | 

Die Märe, die den Gral betrifft. 
15 Der Karakter A BC 

Muſt er innehaben eh 

Ohne nigromantiſche Kunſt. 

Ihm half dabet der Taufe Gunſt, 

Sonſt wär die Mär noch unvernommen. 
20 Heidenkunſt mag nimmer frommen 

Zu künden was uns offenbart 

Iſt von des Grales Kraft und Art. 


Ein Heide, Flegetanis, 
Den man um ſeltne Künſte pries, 
25 Hatte manche Viſion. 
Er ſtammte von Salomon, 
Aus iſraéliſchem Geſchlecht erzielt 
Von Alters her, eh unſer Schild 
Die Taufe ward vor Höllenqual. 
Der ſchrieb der Exſte von dem Gral. 
454 Ein Heide war er vaterhalb, 
Flegetanis, der noch ein Kalb 
Anbetete, als wär es Gott. 
Wie darf der Teufel ſolchen Spott 
5 Doch an fo weiſen Völkern thun? 
Will ſie zu wahren nicht geruhn 


46 


26 


IX. Trevrezeut. 


Davor des Allerhöchften Hand, 
Dem alle Wunder ſind bekannt? 


Flegetanis den Heiden 
10 Mochte ſeine Kunſt beſcheiden 
Von dem Lauf aller Sterne 
und ihrer Heimkehr aus der Ferne, 
Wie lang ein jeder hat zu gehn, 
Bis wir am alten Ziel ihn ſehn. 
15 Menſchliches Geſchick und Weſen 
Iſt in der Sterne Gang zu leſen. 
Flegetanis der Heid erkannte, 
Wenn er den Blick zum Himmel wandte, 
Geheimniſsvolle Kunde. 
20 Er ſprach mit ſcheuem Munde 
Davon: Ein Ding wird Gral genannt; 
Im Geſtirn geſchrieben fand 
Er den Namen, wie es hieß. 
„Eine Schar ihn auf der Erde ließ, 
25 Die zu den Sternen wieder flog, 
Ob Gnad ob Unſchuld heim ſie zog. 
Dann pflegte ſein getaufte Frucht 
Mit Demuth und reiner Zucht. 
Die Menſchheit trägt den hoͤchſten Werth, 
Die zum Dienſt des Grales wird begehrt.“ 


455 So ſchrieb davon Flegetanis. 


Kiot der Meiſter, den ich pries, 
Suchte dann aus Wißensdrang 
In lateinſchen Büchern lang, 

5 Wo ein Volk der Ehre 
Je werth geweſen wäre, 


IX. Trevor ezent. 


Daß es des Grales pflege, 
Demuth im Herzen hege. 
Er las der Lande Chronika 

10 In Irland und Britannia, 

In Frankreich und manch anderm Land, 
Bis er die Mär in Anſchau fand. 

Da mocht er leſen ſonder Wahn 

Vom erſten Ahnherrn Mazadan, 

15 Und Die von ihm den Urſprung nahmen 
Fand er geſchrieben all mit Namen. 
Und weiterhin, wie Titurel 
Und ſein Sohn Frimutel 
Den Gral Anfortas uͤberwies, 

20 Des Schweſter Herzeleide hieß, 

Die Gahmureten trug den Helden, 
Von welchem dieſe Maͤre melden. 
Der ritt nun auf der neuen Fährte, 
Von der der graue Ritter kehrte. 


25 Er erkennt die Statt, RE nun Schnee 

Da liegt, wo Blumen blühten eh: 
Es war vor jener Bergeswand, 
Wo ſeine mannliche Hand 
Einſt Jeſchuten Huld erwarb, 
Und ihres Gatten Zorn“ verdarb. 

456 Doch nicht verlor der Weg ſich dort: 
Fontän ſauvaſche hieß der Ort, 
Zu welchem feine Reiſe gienge 
Er fand den Wirth, der ihn empfieng. 


5 Da ſprach der Einſiedel gut: 
„O weh, Herr, daß ihr alſo thut 


IX. Trevrezent. 


In dieſer heiligen Zeit! 
Hat euch fährlicher Streit 
In dieſen Harniſch getrieben, 
10 Oder ſeid ihr ohne Streit geblieben? 
Euch ſtuͤnde beßer ſonſt ein Kleid, 
Ließet ihr Vermeßenheit. 
Geruht nun, Herr, und ſteigt vom Pferde 
(Mich dünkt, daß es euch wohlthun werde) 
15 Und erwarmt bei einem Feuer. 
Seid ihr auf Abenteuer; 
Ausgeſandt um Minneſold, 
Seid ihr rechter Minne hold, 
So minnt wie nun die Minne will, 
20 Dieſes Tages Minne nehmt zum Ziel; 
Ein andermal dient Frauen wieder. 
Ich bitte, ſteigt vom Pferde nieder. 0 


Parzival der Weigand 
Stieg vom Pferde gleich zur Hand; 
25 Mit großer Zucht er vor ihm ſtund. 
Er that ihm von den Leuten kund, 
Die ihn dahin gewieſen, 
Seinen Rath ihm angeprieſen. 
Da ſprach er: „Herr, nun gebt mir Rath: 
Ich bin ein Mann der Sünde that.“ 


457 Als dieſe Rede geſchah, 


Wieder ſprach der Gute da: 
„Euch zu rathen bin ich wohl geneigt; 
Nun ſagt mir, Wer euch hergezeigt.“ 
5 „Herr, im Wald begegnet' ich 
Einem Greiſen; wohl empfieng der mich, 


IX. Trevrezent. 29 


Und Die da mit ihm waren. 
Der, in Falſchheit unerfahren, 
Wars, der mich euch finden lehrte: 
10 Ich ritt hieher auf feiner Faͤhrte.“ 
Der Wirth ſprach: Das war Kahenis, 
Den man um Tugend immer pries. 
Der Fürft iſt ein Punturteis: | 
Es hat der König von Kareis 
15 Seine Schweſter zum Gemal erkoren. 
Reinre Frucht ward nie geboren 
Als ſeine Toͤchter beide, 
Die ihr fandet auf der Haide. 
Er ſtammt aus königlichem Hauſe; 
20 Jährlich beſucht er meine Klauſe.“ 


Zum Wirthe ſprach der Fremdling da: 
„Als ich euch vor mir ſtehen ſah, 
Hat euch Furcht da übernommen? 
Erſchrakt ihr, als ich angekommen?“ 

25 Das ſprach der Alte: „Glaubt mir, Herr, 
Vor dem Hirſch erſchreck ich und dem Bär 
Oefter als vor einem Mann. 

Mit Wahrheit ich euch ſagen kann, 
Ich fürchte nicht was menſchlich iſt: 
Ich hab auch Menſchenkunſt und Liſt. 

458 Selbſtruhm ſei fern; doch in dieß Leben 
Hätt ich aus Furcht mich nicht begeben. ö 
Nie iſt mir ſo das Herz erkrankt, 

Daß ich vor tapfrer Wehr gewankt. 
5 In meiner wehrlichen Zeit, 

War ich ein Ritter wie ihr ſeid, 

Der auch nach hoher Minne rang. 


30 


IX. Trevregent. 


Manch fündiger Gedanke ſchlang 
Sich durch mein keuſches Leben. 
10 Es war mein höchfted Streben, 
Daß ein Weib mir gnädig wär; 
Daran denk ich jetzt nicht mehr. 


„Gebt den Zaum in meine Hand. 
Dort unter jener Felſenwand 
15 Soll euer Roſs ſich ruhend ſtehn. 
Nach einer Weile laßt uns gehn 
Und brechen Gras und Farrnkraut ab, 
Da ich kein ander Futter hab; 
Ich hoffe doch, daß wirs ernähren.“ 
20 Da wollte Parzival ſich wehren, 
Daß er den Zaum nicht ſollt empfangen. 
„Die Zucht kann nicht von euch verlangen 
Wider euern Wirth zu ſtreiten: 
Laßt Unfug nicht die Zucht verleiten.“ 
25 Alſo ſprach der gute Mann: 
Da ließ er ihn den Zaum empfahn. 
Der zog das Roſs nun vor den Stein, 
Den ſelten traf der Sonne Schein: 
Das war ein wilder Marſtall; 
Hindurch gieng einer Quelle Fall. 


459 Parzival ſtand auf dem Schnee: 


Einem kranken Manne thät es weh, 
Wenn er Harniſch trüge | 
Und der Froſt fo an ihn fchläge. 

5 Ihn fuͤhrt der Wirth in eine Gruft, 
Die nie durchwehten Wind und Luft; 
Hier lagen gluͤhende Kohlen, 


IX. Trevrezent. 


Da mochte ſich der Saft erholen. 
Eine Kerze ward auch angebrannt: 

10 Da entwappnete ſich der Weigand. 
Unter ihm lag Reis und Stroh. 
Da erwarmten ihm die Glieder ſo, 
Daß ſeine Haut gab lichten Schein. 
Er mochte wohl waldmüde fein: 

15 Lang war er allen Straßen ferne 
Geritten, nur die lichten Sterne 
Sein Obdach, Nachts umher geirrt: 
Hier fand er nun getreuen Wirth. 


Da lag ein Rock, den zog ihm an 

20 Der Wirth, und fuͤhrt' ihn mit ſich dann 
Zu einer zweiten Gruft, wo aufgeſchlagen 
Des Einſiedels Bücher lagen. 
Entblößt ſtand nach des Tages Brauch 
Der Altar: jene Kapſel auch 

25 Darauf, die ihm gar wohl bekannt; 
Sie wars, auf der einſt ſeine Hand 
Schwur den ungefälfchten Eid, 
Der Jeſchutens langes Leid 
In Freude verkehrte 
Und ihr neues Gluͤck gewährte. 


460 Zum Wirthe ſprach der Held ſofort: 
„Herr, die Heilthumskapſel dort 
Erkenn ich, weil ich einſt drauf ſchwur, 
Da ich hier voruͤber fuhr. 
5 Einen farbgen Sper, der bei ihr ſtand, 
Herr, den nahm hier meine Hand; 
Viel Preis hab ich damit erjagt, 


31 


32 IX. Trevrezeut. 


Zum mindften ward es mir geſagt. 

Der Gedanke wars an mein Gemal, 
10 Der mir die Beſinnung ſtahl; 

Zwei Tjoſte rannt ich doch damit, 

Die unbewuſt ich beide ſtritt. 

Gleichwohl fand ich Sieg und Ehr; 

Ach, jetzt hab ich der Sorgen mehr 
15 Als wohl je zuvor ein Mann. 

Bei eurer Zucht ſagt mir an, 

Von jener Zeit wie lang iſts her, 

Daß ich hinwegnahm jenen Sper?“ 


Da ſprach zu ihm der gute Mann: 
20 „Den Sper vergaß hier Taurian; 
Mein Freund erhob darum auch Klage. 
Fünfthalb Jahr iſts und drei Tage 
Seit ihr den Sper euch nahmt zu eigen: 
Glaubt ihrs nicht, ich wills euch zeigen.“ 
25 Da las er ihm im Pſalter all 
Der Wochen und der Jahre Zahl, 
Die ſeitdem vergangen waren. 
Er ſprach: „Nun hab ich erſt erfahren, 
Wie lang ich irre weiſungslos 
Und aller Freuden bar und bloß. 
461 Mir iſt Freude wie ein Traum: 
Ich trage Kummers ſchweren Saum. 


„Herr, ich thu euch mehr noch kund. 
Wo Münſter oder Kirche ſtund, 
5 Darin Gott Ehre ſoll geſchehn, 
Da hat kein Auge mich geſehn 
Je in aller dieſer Zeit: 


IX. Trevregent. 


Ich ſuchte nichts als Kampf und Streit. 
Zu Gott auch trag ich Haß und Zorn, 
10 Denn Er iſt meiner Sorgen Born, 
Er hat ſie allzuhoch erhaben; 
Lebendig iſt mein Gluck begraben. 
Wollte Gott mir Hülfe leihn, 
So ankerte die Freude mein 
15 So tief nicht in des Kummers Grund. 
Mir iſt mein mannlich Herz ſo wund! 
Wie wär es wohl auch heil und ganz, 
Da Trübfal ihren Dornenkranz 
Mir drückt auf alle Würdigkeit, 
20 Die mir Schildesamt erſtritt im Streit 
Wider wehrliche Degen. 
Das darf ich Dem zu Laſt wohl legen, 
Der aller Hülfe mächtig iſt 
Und hülfreich Hülfe nie vergißt; 
25 Mir alleine half er nicht, 
Was man von ſeiner Hülf auch ſpricht.“ 


Mit Seufzen ſah der Wirth ihn an. 
„Herr,“ ſprach er, „laßt von ſolchem Wahn: 
Lernet beßer Gott vertrauen: 

Ihr ſollt noch ſeine Hülfe ſchauen. 
462 Gott mög uns helfen beiden. 

Herr, wollet mich beſcheiden, 

(Aber ſetzt euch doch dabei) 

Und ſagt mir unumwunden frei, 

5 Wie dieſer Zwieſpalt ſich entſpann, 

Da Gott euern Haß gewann. 

Bei eurer Zucht, hoͤrt mit Geduld 

Von Mir erſt ſeine Unſchuld, 


Parzival und Titurel. Il, 3 


31 IX, Trevrezent. 


Eh ihr über ihn mir klagt: 
10 Seine Hülf iſt Allen unverſagt. 


W,. „Ob ich gleich ein Laie bin, 
Mir blieb wahrhafter Bücher Sinn 
Darum nicht fremd, die Alle ſchreiben, 
Wie ſtäts der Menſch getreu ſoll bleiben 

15 In deſſen Dienſt, des Hülfe groß 
Stäter Hülfe nie verdroß, 

Daß unſre Seele nicht verſank. 
Seid getreu ohn allen Wank, 
Da Gott ſelbſt die Treue iſt. 

20 Verhaßt war ſtäts ihm falſche Liſt: 
Das ſoll bei uns zu Gut ihm kommen 
Und was er that zu unſerm Frommen, 
Da der Allerhöchfte mild 
Uns zu Liebe ward zum Menſchenbild. 

25 Gott heißt und iſt die Wahrheit, 
Drum bleibt ihm Falſchheit ewig leid: 
Das bedenket immerdar. 

Er verläßt uns nicht fürwahr: 
Nun lehrt auch Eure Gedanken 
Nimmermehr von Ihm zu wanken. 


463 „Gotte zürnen, das ſei fern. 


Wer da ſieht, ihr haßet Gott den Herrn, 


Wähnt euch gewiſs am Hirne krank. 

Bedenkt, wie Lucifern gelang 
5 Und ſeinen Genoßen alle. 

Sie waren doch ohne Galle: 

Wo nahmen ſie die Bitterkeit, 

Für die ihr endloſer Streit 


IX. Trevresent. 35 


Erwirbt der Hölle bittern Lohn? 
10 Aſtiroth und Belcimon, 
Belet und Radamant, 
Und andre, die mir wohl bekannt: 
Das lichte himmliſche Geleit 
Ward hoͤllenſchwarz durch Zorn und Neid. 


15 „Da Lucifer zur Hoͤlle ſank, 

Da nahm der Menſch den Anfang. 
Gott bildete von Erdenthon 
Adamen, ſeiner Hände Sohn. 

Aus Adams Fleiſch er Even brach, 

20 Von der uns kommt das Ungemach, 
Die den Schoͤpfer überhoͤrte 
Und unſer Heil zerſtörte. 

Von Beiden kam gezweite Frucht: 
Dem Einen rieth die Eigenſucht, 

25 Daß er in blinder Leidenſchaft 
Seiner Ahnfrau nahm die Jungfrauſchaft. 
Hier hebt nun mancher an zu fragen, 
Wird dieſe Mär ihm vorgetragen, 
Wie das moͤglich koͤnne ſein? 

Durch Sünde moͤglich wars allein.“ 


464 Parzival verſetzte da: 

„Herr, ich zweifle doch, ob das geſchah. 
Wer hat den Vater ihm geboren, 

Von dem die Ahnfrau hat verloren 

5 Die Jungfrauſchaft, wie Ihr gewähnt? 
Ihr hättets beßer nicht erwähnt.“ 
Der Wirth entgegnete ſogleich: 
„Aus dieſem Zweifel nehm ich euch. 
Wenn ich nicht Wahrheit ſage, 


IX. Trevrezent. 


10 Führt über Trug dann Klage. 

Die Erde Adams Mutter war: 

Gott bildet' ihn aus Erde zwar; 

Dennoch blieb die Erde Magd. 

Nun hab ich euch noch nicht geſagt, 
15 Wer das Magdthum ihr benahm. 
Den Kain zeugte Adam, 

Deer Abeln ſchlug um eitel Gut. 
Als auf die reine Erde Blut 
Fiel, ihr Magdthum war entflohn: 
20 Das benahm ihr Adams Sohn. 
Da hub ſich Menſchenzorn und Neid; 
Sie währen fort von jener Zeit. | 


„Nichts Reinres doch auf Erden ift 
Als die Jungfrau ſonder arge Liſt. 

25 Nun ſeht wie rein die Maide ſind: 
Gott ſelber war der Jungfrau Kind. 
Von Maiden ſind zwei Menſchen kommen: 
Gott ſelber hat Geſtalt genommen 
Nach der Frucht der erſten Maid: 

So erwies er hohe Mildigkeit. 
465 Unheil und Freude kamen 

Uns aus Adams Samen. 

Er will geſippt uns angehoͤren, 

Des Lob erklingt von Engelschoͤren; 

5 Doch muſt aus Sipp uns Sünde blüͤhn, 
Daß wir der Sünde nie entfliehn. 
Erbarme drob ſich deſſen Kraft, 

In dem Erbarmen wirkt und ſchafft, 
Der im Menſchenbild Unbilde litt 
10 Und getreulich wider Untreu ſtritt. 


IX. Trevrezent. 


„Ihr ſollt den Zorn vergeßen: 

Ihr verwirkt das Heil vermeßen. 
Für Sünde ſollt ihr Buße thun 
Und laßt verwegne Rede ruhn. 

15 Wer ſein Leid will raͤchen 
Mit ungezaͤhmtem Sprechen, 
Von deſſen Lohne ſei euch kund, 
Ihn richtet der eigne Mund. 
Nehmt zur neuen alte Märe, 

20 Daß ſie euch Treue lehre. 
Jener Redner Platon 
Sprach zu ſeinen Zeiten ſchon 
Und Sibylle hat, die Seherin 
Mit untrüglichem Sinn, 

25 Vorausgeſagt ſo manches Jahr, 
Uns werde kommen fürwahr 
Für die Schuld ein hohes Pfand. 
Aus der Hoͤlle nahm uns Gottes Hand 
Und die göttliche Minne; 
Die Frevler ließ ſie drinne. 


466 „Aus des wahren Minners Mund 
Ward uns frohe Botſchaft kund. 
Der iſt ein durchleuchtig Licht 
Und wankt in ſeiner Minne nicht. 

5 Wem er Minn erzeigen ſoll, 
Dem wird mit ſeiner Minne wohl. 
Die Botſchaft kündet zweierlei: 
Aller Welt zu kaufen ſei 
Gottes Haß und Gottes Minne: 
10 Welches wählt ihr zum Gewinne? 
Der Suͤnder ohne Reue 


37 


II. Trevrezent. 


Flieht die göttliche Treue; 
Wer aber büßet ſeine Schuld, 
Der verdient des Höchſten Huld. 


15 „Dem Hoͤchſten wehrt keine Schranke. 
Dem Blick der Sonne wehrt Gedanke: 
Gedank iſt ohne Schloß verſteckt, 

Vor aller Kreatur verdeckt, 
Gedank iſt finſter ohne Schein; 

0 Doch Gottes Klarheit blitzt hinein. 
Sie leuchtet durch die finſtre Wand, 
Sie kommt verhohlnen Sprungs gerannt, 
Der nicht toſet, der nicht klingt, 
Wenn er in die Herzen dringt. 

25 Sei Gedanke noch ſo ſchnelle, 
Eh er vor des Herzens Schwelle 
Kommt, iſt er durchgründet: 
Gott wählt, die er würdig findet. 
Da Gott Gedanken ſelbſt durchſpäht, 
Weh Dem, der fündge That begeht! 

467 Wer mit Werken ſeinen Gruß | 

Verwirkt, daß Gott fih ſchämen muß, 
Was hilft dem weltliche Zucht?! 
Wo iſt ſeiner Seele Zuflucht? 

5 Wenn ihr Gott entgegen ſeid, 
Der zu beidem iſt bereit, 
Zur Minne wie zum Zorne, 
So ſeid ihr der Verlorne. 
Nun wendet eur Gemuͤthe, 

10 Daß er euch dankt, zur Güte,” 


Parzival verſetzte ſo: 
„Herr, von Herzen bin ich froh, 


IX. Trevrezent. 39 


Daß Ihr mich über Den beſchieden, 
Der nichts läßt ungelohnt hienieden, 
15 Nicht das Laſter noch die Tugend. 
Mit Sorgen hab ich meine Jugend 
Noch bis dieſen Tag durchlebt, 
Mit Treue Jammer nur erſtrebt.“ 


Der Wirth ſprach zu dem jungen Herrn: 

20 „Verhehlt ihrs nicht, fo hört ich gern 

Was euch fuͤr Sorgen drücken. 

Entdeckt ſie meinen Blicken, 

Vielleicht daß ihr dann guten Rath, 

Den ihr nicht habt, von mir empfaht.“ 
25 Wieder ſprach da Parzival: 

„Meine höchſte Noth iſt um den Gral, 

Und dann um mein ehlich Weib: 

Auf Erden lebt kein ſchoͤnrer Leib, 

Der jemals ſog der Mutter Bruſt: 

Nach den Beiden ſehnt ſich mein Geluſt.“ 


468 Der Wirth ſprach: „Herr, ihr ſprechet wohl 
Und thut nicht anders denn man ſoll, 
Wenn ihr um euer Ehgemal ö 
Im Herzen tragt der Sehnſucht Qual. 

5 Lebt ihr in rechter Ehe, 
Träf euch der Hoͤlle Wehe, 
Zu Ende wäre bald die Pein 
Aus ſolcher Banden Noth befrein 
Würd euch Gottes Hülfe gleich. 
10 Doch nach dem Gral auch ſehnt ihr euch: 
Ihr dummer Mann, das muß ich klagen. 
Den Gral kann Niemand erjagen 


40 IX. Treprezent. 


Als der im Himmel wird ernannt ö 
und in den Dienſt des Grals geſandt: 
15 Das laßt vom Gral euch offenbaren; 
Ich weiß es, hab es ſelbſt erfahren.“ 
Parzival ſprach: „Wart ihr da?“ 
„Herr,“ gab der Wirth zur Antwort, „ja!“ 
Parzival verſchwieg ihm gar, 
20 Daß auch Er einſt bei ihm war: 
Er frug ihn um die Märe, 
Wie es mit dem Grale wäre? 


Der Wirth ſprach: „Mir iſt wohl bekannt, 
Es wohnt manch wehrliche Hand 
25 Zu Monſalväſche bei dem Gral. 
Auch pflegen über Berg und Thal 
Dieſelben Templeiſen 
Auf Abenteuer auszureiſen, 
Die ſie als Sündenbuße tragen, 
Ob ſie da Leid, ob Preis erjagen. 


469 „Die wehrliche Ritterſchaft, 

Hoͤret, was ihr Nahrung ſchafft: 
Sie leben von einem Stein, 
Deſſen Art muß edel ſein. 

5 Iſt euch der noch unbekannt, 
Sein Name wird euch hier genannt: 
Er heißet Lapis exilis. 
Von feiner Kraft der Phönir 
Verbrennt, daß er zu Aſche wird 

10 Und dann der Gluth verjüngt entſchwirrt. 
Der Phönix ſchüttelt fein Gefieder 
Und gewinnt ſo lichten Schimmer wieder, 


IX. Trevrezent. 


Daß er ſchoͤner wird als eh. 
Wär einem Menſchen noch ſo weh, 

15 Doch ſtirbt er nicht denſelben Tag, 
Da er den Stein erſchauen mag, 
Und noch die naͤchſte Woche nicht; 
Auch entſtellt ſich nicht ſein Angeſicht: 
Die Farbe bleibt ihm klar und rein, 

20 Wenn er täglich ſchaut den Stein, 
Wie in ſeiner beſten Zeit 
Einſt als Juͤngling oder Maid. 

Säh er den Stein zweihundert Jahr, 
Ergrauen wurd ihm nicht fein Haar. 

25 Solche Kraft dem Menſchen giebt der Stein, 
Daß ihm Fleiſch und Gebein 
Wieder jung wird gleich zur Hand: 
Dieſer Stein iſt Gral genannt. 


„Dem kommt heut eine Botſchaft., 
In der liegt feine gröfte Kraft; 
470 Denn heut iſt der Karfreitag, 
Da man der Sendung warten mag: 
Eine Taube ſich vom Himmel ſchwingt, 
Die dem Stein hernieder bringt | 
5 Eine Oblat weiß und Hein. | 
Die Gabe legt fie auf den Stein: 
Dann hebt mit glänzendem Gefieder 
Die Taube ſich zum Himmel wieder. 
Immer am Karfreitage 
10 Bringt ſie das wie ich euch ſage. 
Davon empfängt der Stein genug, 
Was Gutes je die Erde trug 
Von Eßen und von Trinken, 


41 


Ka 
1 


IX. Trevrezent. 


Was im Paradies mag winken, 
15 Was die Erde mag gebären. 
Ihnen ſoll der Stein gewähren 
Was Wildes unterm Himmel lebt, 
Was läuft, fliegt oder ſchwebt: 
Die Pfründe giebt des Grales Kraft 
20 Der ritterlichen Bruderſchaft. 


„Doch Die zum Grale ſind benannt, 
Hört wie ihr Name wird bekannt. 
An dem Grale ringsherum 
Erſcheint ein Epitaphium, 

25 Das ſie und ihr Geſchlecht benennt, 
Denen Gott die ſelge Fahrt vergoͤnnt, 
Ob es Mägdlein ſind ob Knaben. 

Hinweg läßt ſich die Schrift nicht ſchaben; 
Doch wenn der Name geleſen iſt 
Verſchwindet ſie zur ſelben Friſt. 

471 Sie kamen all dahin als Kind, 
Die nun dort erwachſne Leute find. 
Wohl der Mutter, die das Kind geboren, 
Das zum Dienſt des Grales wird erkoren! 

5 Ob ſie arm ſind oder reich, 

Darüber freun ſich Alle gleich, 

Wenn ſie ihr Kind zu rufen kommen, 
Das in die Schar wird aufgenommen. 
Man holt ſie her aus manchen Landen; 

10 Sie find vor fündlichen Schanden 
Dort immerdar behütet 
Und im Himmel wirds vergütet. 
Scheiden ſie aus dieſem Leben 
Wird ihnen dort das Heil gegeben. 


‚IX. Tredrezent. 43 


15 „die ſich nicht entſcheiden mochten, 
Als der Kampf ward gefochten 
Zwiſchen Trinitas und Lucifer, 
All das himmliſche Heer 
Mit leuchtendem Gefieder, 

20 Zu dem Steine muſt es nieder 
Dort zu dienen dieſem Stein: 
Wohl muß der hehr und edel ſein. 
Ob ihnen Gott die Schuld erließ, 
Ob er fie fpäter ganz verſtieß — 

25 Er mochte thun was ihm genehm. 
Dem Steine dienen ſeitdem 
Die Gott dazu benannte, 

Seinen Engel ihnen ſandte. 
Herr, ſo ſteht es um den Gral.“ 
Wieder ſprach da Parzival: 


472 „Da Ritterſchaft des Leibes Preis 
Und doch der Seele Paradeis 
Erwerben mag mit Schild und Sper, 
So war mir Ritterſchaft Begehr. 

5 Ich ſtritt wo ich nur Streiten fand, 
Und meine wehrliche Hand 
Näherte ſich oft dem Preis. 
Wenn Gott nun Kampf zu würdgen weiß, 
So ſoll er Mich zum Gral benennen, 
10 Der, ſie werdens bald erkennen, 
Sich nie dem Kampf entziehen wird.“ 
Demüthig ſprach jedoch fein Wirth: 
„Erſt müſtet ihr vor Hochfahrt 
Behütet ſein und wohlbewahrt. 
15 Euch verfuͤhrte leicht die Jugend, 


44 IX. Trevbrezeut. 


Daß ihr bracht der Demuth Tugend. 
Immer muſte Hochmuth fallen.“ 
Man ſah ihm beide Augen wallen 
— Beim Gedanken an die Kunde, 
20 Die da gieng aus ſeinem Munde: 


„Herr, ein König einſt den Gral beſaß, 
Der hieß und heißt noch Anfortas. 
Immerdar erbarmen 
Soll Euch und mich Armen 
25 Seine bittre Herzensnoth, 
Die Hochfahrt ihm zu Lohne bot. 
Seine Jugend und ſein reiches Gut 
Verlockten ihn zum Uebermuth, 
So daß er warb um Minne 
Mit ungezaͤh mtem Sinne. 


473 „Dem Gral iſt ſolcher Brauch nicht recht: 
Da muß der Ritter und der Knecht 
Behütet fein vor Leichtſinn; 

Demuth giebt beßern Gewinn. 
5 Des Grales werthe Bruderſchaft 
Hält mit wehrlicher Kraft 
Das Volk aus allem Land umher 
Stäts ſo fern durch ſeine Wehr, 
Daß Keinem wird der Gral bekannt, 
10 Den er nicht ſelbſt dazu ernannt 
In Monſalväſch dem Gral zu dienen. 
Unbenannt kam Einer doch zu ihnen: 
Das war ein einfältger Mann 
Und ſchied mit Sünden auch hindann, 
15 Daß er nicht zum Wirthe ſprach 
Und frug nach ſeinem Ungemach. 


II. Trevrezent. 


Ich ſollte Niemanden ſchelten; 

Doch Dieſer muß der Suͤnd entgelten, 

Daß er nicht erfrug des Wirthes Schaden. 
20 Er war mit Leid doch ſo beladen, 

Die Erde kennt nicht hoͤhre Pein. 

Vor Ihm ſchon war Roi Lähelein 

An den See Brumban geritten. 

Eine Tjoſt hat da mit ihm geſtritten 
25 Libbeals der werthe Held, 

Auch ward er in der Tjoſt gefällt; 

Er war geboren von Prienlaskroſs. 

Lählein zog des Helden Roſs 

An ſeiner Hand als Beute fort: 

So begieng er Raub zugleich und Mord. 


474 „Herr, ſeid Ihr nicht Laͤhelein? 
Ihr brachtet zu dem Stalle mein 
Ein Roſs, den Roſſen völlig gleich, 
Die ſie reiten in des Grales Reich. 

5 Auf dem Sattel ſeht die Turteltaube: 
Es kommt von Monſalväſch, ich glaube. 
Anfortas gab das Wappen ihnen, 

Als ihm noch alle Freuden ſchienen. 

Sie fuͤhrtens früher ſchon im Schilde: 
10 Titurel bracht es, der milde, 

Auf ſeinen Sohn Frimutel. 

Unter ihm verlor der Degen ſchnell 

Auch von einer Tjoſt das Leben. 

Seinem Weibe war Der ſo ergeben, 
15 Daß wohl von keinem Manne mehr 

Geminnet ward ein Weib ſo ſehr; 

Ich mein' in rechten Treuen. 


2 


46 IX, Trevrezent. 


Den Brauch ſollt Ihr erneuen 
Und minnt von Herzen eur Gemal. 
20 Befleißt euch ſeiner Sitten all; 
Ihr ſeht von Angeſicht ihm gleich. 
Einſt war er Herr im Gralesreich. 
Ach Herr, wie iſt doch Eur Geſchlecht? 
Wo ſtammt ihr her? Das ſagt mir recht.“ 


25 Einer ſah den andern an, 
Zum Wirthe Parzival begann: 
„Ich ward einem Mann geboren, 
Der im Kampf das Leben hat verloren 
Durch ſein ritterlich Gemüthe. 
Schließt ihn, Herr, bei eurer Güte, 
475 Künftig ein in eur Gebet. 
Mein Vater hieß Gahmuret, 
Von Geſchlecht ein Anſchewein. 
Herr, ich bin nicht Lahelein: 

5 Hab ich den Mordraub je genommen, 
Wars eh ich zu Verſtand gekommen. 
Es iſt jedoch von mir geſchehn, 
Die Sünde muß ich eingeſtehn: 
Ithern von Kukumerland 

10 Schlug meine fündhafte Hand: 

Ich ſtreckt ihn todt dahin aufs Gras 
Und nahm ihm was er nur beſaß.“ 


„Weh dir, Welt, wie thuſt du ſo!“ 


Sprach der Wirth; er wär der Mär nicht froh. 


15 „Du giebſt uns Trübfal und Beſchwer, 
Kummer und Sorge mehr 
Als wahrer Luſt: was iſt dein Lohn? 


II. Tredrezenut. 


So endet deines Liedes Ton!“ 

»Da ſprach er: „Lieber Neffe mein, 
20 Wie mag dir nun zu rathen ſein? 

Du haſt dein eigen Fleiſch erſchlagen. 

Willſt du vor Gott die Blutſchuld tragen 

(Ihr ſtammet beid aus Einem Blut), 

Wenn Gott gerecht als Richter thut, 
25 So koſtet es dein eigen Leben. 

Was willſt du zum Erſatze geben 

Für Ithern von Gahevieß? 

Der nie der Ehre Pfad verließ. 

Gott ſchuf an Ihm was höhre Zier 

Dem Leben leiht auf Erden hier. 

476 Nur Andrer Freude mocht ihn freuen, 
Der ein Balſam war der Treuen. 
Alle Schande floh ihn weit, 

Sein Herz bewohnte Wurdigkeit. 

5 Nie ſolltens werthe Fraun vergeben, 
Daß du nahmſt ſein holdes Leben. 
Er ergab ſich ihrem Dienſt ſo ganz, 
Der Frauen Augen ſtralten Glanz, 
Wenn ſie ihn ſahn, von ſeiner Suͤße. 

10 Daß es Gott erbarmen müße! 
Warum ſchufſt du ſolche Noth? 


Meiner Schweſter gabſt du auch den Tod, 


Herzeleid der Mutter dein.“ 

„Nicht doch, guter Herr, ach nein! 
15 Was ſagt ihr da,“ ſprach Parzival. 

„Und wenn ich Koͤnig wär vom Gral, 

Das Leid vergüten möcht es nicht, 

Davon mir euer Mund nun ſpricht. 

Bin ich eurer Schweſter Kind, 


47 


48 IX. Trevrezent. 


20 So zeigt, daß Ihr mir treu gefinnt 
Und macht mir wahrhaft offenbar: 
Sind dieſe Dinge beide wahr?“ 


Dawider ſprach der gute Mann: 

„Ich bin es nicht, der trügen kann. 
25 Deine Mutter, da du ſchiedeſt, ſtarb; 

Die Treu ihr ſolches Looß erwarb. 

Du warſt das Thier, das ſie da ſog, 

Der Drache, der da von ihr flog. 

Im Traum es ihr beſchieden war 

Eh noch die Süße dich gebar. 


477 „Meiner Geſchwiſter zwei noch ſind. 
Meiner Schweſter Tſchoiſian' ein Kind 
Gebar: die Frucht gab ihr den Tod. 
Der Herzoge Kiot 

5 Von Katelangen war ihr Mann; 
Keine Freud er auch ſeitdem gewann. 
Sigunen, beider Toöͤchterlein, 

Befahl man der Mutter dein. 
Mitten in meinem Herzen 

10 Muß mich Tſchoiſiane ſchmerzen: 
Ihr weiblich Herz war ſo gut, 

Ein Wehr vor aller Sünden Flut. 
Meine andre Schweſter lebt; die Magd 
Hat aller Eitelkeit entſagt. 

15 Repans de Schoie pflegt den Gral: 
Ihr iſt er leicht, ein Federball; 
Doch nimmer von der Stelle tragt 
Ihn Wer im Herzen Falſchheit hegt. 
Unſer Bruder iſt Anfortas, 


IX. Trevresent. 49 


20 Der nun beſitzt und längft beſaß 
Des Grals ererbte Herrlichkeit. 
Von dem iſt leider Freude weit, 
Nur daß er von der Hoffnung zehrt, 
Sein Kummer werde dort verkehrt 

25 In Wonne ſonder End und Ziel. 
Wie ich dir, Neffe, künden will 
Iſt es wunderbar ergangen, 

Daß ihn Jammer hält befangen: 
Hegſt du dann Treu un Herzen, 
So muß ſein Leid dich ſchmerzen. 


478. „Meinen Vater Frimutel verloren 
Wir früh: Da ward nach ihm erkoren 
Der feiner Söhne ältſter war 
Zum Vogt des Grals und ſeiner Schar. 

5 Anfortas wars, der Bruder mein: 
Ihm ziemte wohl der Krone Schein, 
Obgleich wir Kinder waren. 

Als mein Bruder zu den Jahren 
Kam, daß ihm der Bart entſprang, 

10 Solcher Jugend thut die Minne Zwang. 
Sie pflegt ſie allzuſehr zu plagen: 
Das muß man ihr zum Tadel ſagen. 
Als Herr des Grals nach Minne ſtreben, 

Die ihm die Schrift nicht nachgegeben, 

15 Iſt ſträfliche Vermeßenheit, 

Die Seufzer bringt und Herzeleid. 


„Mein Herr und Bruder wählte fich 
Eine Freundin minniglich 


Parzival und Titurel. II. 4 


IX. Trevrezent. 


Und hehrer Sitten, däucht es ihn 
20 Wer ſie war, das ſteh dahin. 

In ihrem Dienſt hielt er ſich ſo, 

Daß ihn alle Zagheit floh. 

Da ward von ſeiner ſtarken Hand 

Zerbrochen mancher Schildes rand. 
25 Zu manchem Abenteuer 

Trieb ihn Liebesfeuer: 

Ward Einer oͤfter noch beſtanden 

In allen ritterlichen Landen, 

Solches Willens war er frei. 

Amor war ſein Feldgeſchrei: 

479 Der Feldruf iſt zur Demuth 
Eben auch nicht allzugut. 


„Einſt ritt der König allein 
(Den Seinen allen ſchuf es Pein) 
5 Aus nach Abenteuern, 
Daß Minn ihm Freude moͤchte ſteuern, 
Denn noch zwang ihn Minne ſehr. 
Mit einem giftigen Sper 
Ward er in einer Tjoſt ſo wund, 
10 Daß er nimmermehr geſund 
Wird, der ſuͤße Oheim dein. 
Getroffen war ſein Schambein. 
Ein Heide wars, der mit ihm ſtritt, 
Wider ihn tjoſtirend ritt, 
15 Geboren von Ethniſe, 
Wo aus dem Paradieſe 
Gefloßen kommt die Tigris. 
Der Heide meinte für gewiſs, 
Den Gral ſollt er gewonnen haben. 


IX. Trevrezeur. 51 


20 In den Sper ſein Name ſtand gegraben. 
Er ſuchte ferne Ritterſchaft: 
Einzig um des Grales Kraft 
Strich er über Meer und Land. 
Von ſeinem Streit uns Freude ſchwand. 


25 „Man muſt als tapfer preifen 
Deines Oheims Kampf; des Speres Eiſen 
Führt' er in ſeinem Leib hindann. 

Da der junge werthe Mann 
Heimkam zu den Seinen, 
Da ſah man kläglich Weinen. 

480 Den Heiden hatt er dort erſchlagen; 
Den wollen wir mit Maßen klagen. 


„Als der König kam, erblichen, 
Und alle Kraft von ihm gewichen, 

5 Da griff ein Arzt ihm in die Wunde 
Und fand das Eiſen dort zur Stunde. 
Die Spitze war von innen hohl: 
Draus floß das Gift zur Wunde wohl, 
Der Arzt gewann die Splitter wieder. 

10 Da fiel ich zum Gebete nieder 
Und gelobte Gott aus Herzenskraft, 
Daß ich aller Ritterſchaft 
Hinfort entſagen wollte, 

Daß Gott doch helfen ſollte 

15 Meinem Bruder aus der Noth. 
Fleiſch verſchwur ich, Wein und Brot, 
Und was man blutger Speiſen wüfte, 
Daß ihrer nimmer mich gelüfte. 
Da hub das Volk erſt an zu klagen, 


IX. Trevrezent. 


20 Lieber Neffe, laß dir ſagen, 
Daß ich des Schwerts mich abgethan. 
Sie ſprachen: „Wer wird fortan 
Dem Gral zum Schirmer taugen?“ 
Da weinten lichte Augen. 


25 „Man trug den, König vor den Gral, 
Ob Gott ihm hülfe von der Qual. 
Da den Gral der König ſah, 

Ein neuer Jammer wars ihm da, 
Daß er nicht konnt erſterben. 
Tod durft er nicht erwerben, 

481 Da Ich mich hatt ergeben 
In dieſes arme Leben, 

Und des Grales Herrſchaft 

Ruht' auf Seiner ſchwachen Kraft. 
5 Von Gift war ſeine Wunde naß. 

Was man Arzneibücer las, 

Die gaben keiner Hülfe Lohn. 

Wider Aspis, Ecidemon, 

Ehkontius und Liſis, 

10 Jecis und Meatris, 

Der argen Schlangen heißes Gift, 
Was man dafür verſchrieben trifft, 
Und für andre giftge Würme, 

Was ein Arzt dafür zum Schirme 

15 An Kräutern weiß und Wurzen 
(Laß den Bericht dir kuͤrzen), 
Nichts ſollte helfen können: 

Gott wollt es nicht vergoͤnnen. 


„Da ſchickten wir zum Geon 
20 Boten, und zum Fiſon, 


IX. Trevrezent. 


Zum Euphrates und Tigris, 
Den vier Flüßen aus dem Paradies, 
So nah ihm, daß ihr Ruch ſo fein 
Noch nicht verflogen konnte ſein: 

25 Ob nicht ein Kraut geſchwommen kame, 
Das uns aus der Trauer nähme. 
Das war verlorne Arbeit: 
Erneut war unſer Herzeleid. 


„Wir verſuchtens noch in mancher Weiſe. 
Da griffen wir zu jenem Reiſe, 
482 Das Sibylle dem Aeneas bot 

Wider alle Höllennoth, 
Wider des Phlegetons Dunſt und Rauch, 
Und andrer Hoͤllenfluͤße auch: 

5 Mit Muͤhn und Sorgen mancherlei 
Schafften wir das Reis herbei, 
Ob der grauſame Sper 
Vielleicht im Hoͤllenfeuer wär 
Vergiftet und geloͤthet, 

10 Der uns viel Freud ertoͤdtet. 


„So war es nicht mit ihm bewandt. 
Ein Vogel, Pelikan genannt, 
Wenn er junge Brut gewinnt, 
Allzuſehr die Kleinen minnt: 
15 Wie ihn ſeiner Treu Geluſt 
Zwingt, durchbeißt er ſich die Bruſt, 
Läßt das Blut den Jungen in den Mund; 
Er aber ſtirbt zur ſelben Stund. 
Da. nahmen wir des Vogels Blut, 
20 Ob ſeine Treu uns kaͤm zu gut, 


54 IX. Trevrezent. 


Und ſtrichens auf die Wunden 
So gut als wirs verſtunden: 


„Das half uns keine taube Nuß. 
Ein Thier heißt Monicirus: 

25 Das dünkt der Jungfrau Reinheit groß: 
Es ſchlummert ein auf ihrem Schoß. 
Wir verſchafften uns des Thieres Herz 
Wider des Königes Schmerz; 
Wir nahmen den Karfunkelſtein 

Aus des Thieres Hirnbein, 

483 Der da wächſet unter ſeinem Horn. 
Wir beſtrichen die Wunde vorn, 
Tauchten drein den Stein ſogar; 

Doch blieb ſie giftig wie ſie war. 


5 „Das that uns mit den: König weh. 
Wir nahmen ein Kraut, heißt Trachonte 
(Von dem Kraute hört man ſagen, 

Wo ein Drache werd erſchlagen, 
Aus dem Blute wachſ ses auf. 

10 Das Kraut hat zu der Sterne Lauf 
Unerforſchlichen Bezug), 
Ob uns vielleicht des Drachen Flug 
Noch im Kraute moͤchte frommen 
Bei der Sterne Wiederkommen 

15 Und des Mondes Wandeltag, 

Der der Wunde Schmerz zu mehren pflag: 
Des Krautes edle Eigenſchaft 
Erwies mit Nichten ihre Kraft. 


„Wir knieten betend vor dem Gral. 
20 Da ſtand daran mit Einem Mal 5 


IX. Trevrezeut. 55 


Geſchrieben, daß ein Ritter. fäme: 
Wenn deſſen Frage man vernaͤhme, 
So wär das Uebel abgethan; 
Hatt aber Kind, Magd oder Mann 
25 Ihn gewarnt, der Frage zu gedenken, 
So möge fie nicht Hülfe ſchenken: 
Der Schade währe fort wie eh: 
Und brächte nur noch ſchaͤrfres Weh. 
Die Schrift ſprach: „Habt ihr das vernommen? 
Aus Warnung kann nur Schaden kommen. 
484 Auch frag er in der erſten Nacht; 
Hernach zergeht der Frage Macht. 
Hoͤrt man zur rechten Zeit ihn fragen, 
Soll Er des Grales Krone tragen 
5 Und ſich der Kummer enden: 
Die Hülfe will Gott ſenden. 
Des mag Anfortas Heil verleihn; 
Doch fol er nicht mehr König fein.“ | 


„Alſo laſen wir am Gral, 
10 Daß Anfortaſens Qual 
Damit ein Ende nähme, 
Wenn uns die Frage käme. 
Wir brachten an die Wunden, 
Wovon wir Lindrung oft empfunden, 
15 Nardenſalben, Theriak 
Und was von ihm empfieng den Schmack, 
Nebſt dem Rauch von lignum Aloe: 
Ihm war doch allewege weh. 
Damals zog ich hieher; 
20 Ich finde wenig Freude mehr. 
Der Ritter iſt ſeitdem gekommen: 


56 


IX. Trevrezent. 


Daraus erwuchs uns wenig Frommen; 
Schon hab ich dir von ihm geſagt. 
Nur Unpreis hat er dort erjagt, 

25 Daß er das bittre Ungemach 
Erſah, und zu dem Wirth nicht ſprach: 
„Herr, wie ſtehts um eure Noth?“ 
Da ſeine Einfalt ihm gebot, 
Daß er ſolche Frage mied, 
Wie großes Heil darum ihn flieht!“ 


485 Sie klagten lange ſich ihr Leid. 
Inzwiſchen ward es Mittagszeit. 
Der Wirth ſprach: „Gehn wir Nahrung holen; 
Dein Roſs iſt übelm Stall befohlen: 

5 Ich weiß uns ſelber nicht zu ſpeiſen, 
Will uns nicht Gott die Mittel weiſen. 
Meine Küche rauchet ſelten: 

Des muſt du heut entgelten, 
Und ſo lang du willſt bei mir verkehren. 

10 Viel Wurzeln zwar dich kennen lehren 
Wollt ich, ließ es zu der Schnee; 

Gott gebe, daß der bald zergeh. 
Nun brechen wir ihm Laub und Gras; 
Zu Monſalväſche ſicher aß 

15 Dein Roſs ſich ſatter oft als hie; 
Gleichwohl trefft ihr beide nie 
Den Wirth, der es euch lieber gönnte, 
Wenn man es hier nur haben könnte.“ 


Sie giengen aus, der Nahrung nach. 
20 Parzival des Futters pflag; 
Wurzeln grub der Wirth, der weiſe: 


IX. Trevrezent. 


Das war ihre befte Speiſe. 

Seiner Regel nicht vergaß 

Der Wirth: wie viel er grub, er aß 
25 Kein Würzlein vor der None. 

Um der nächſten Stauden Krone 

Hieng ers und ſuchte mehre. 

Manchen Tag zu Gottes Ehre 

War er nuͤchtern gegangen, 

Fand er nirgend Wurzeln hangen. 


486 Die zwei Geſellen nicht verdroß, 
Sie giengen wo der Brunnen floß, 


Und wuſchen Wurzeln rein und Kraut. 


Ihr Mund ward ſelten Lachens laut. 
5 Dann wuſchen fie die Hande ſich. 

An einem Stricke fäuberlich 

Trug Eibenzweige Parzival 

Fürs Roſs. So giengen ſie zumal 

Zu ihrem Sitz heim vor die Kohlen. 


10 Mehr Speiſe ſah man Niemand holen: 


Da war geſotten noch gebraten; 
Ihre Küche war gar unberathen. 
Parzival in ſeinem Sinne, 
Bei der herzlichen Minne, 
15 Die er zu ſeinem Wirthe trug, 
Meinte doch, es waͤr genug 
Und fo gut, als einſt bei Gurnemans, 
Und da zu Monſalväſch im Glanz 
Schöner Jungfraun Zug vorübergieng 
20 Und er die Koſt vom Gral empfieng. 


Sein getreuer Wirth, der greiſe, 
Sprach zu ihm: „Sieh dieſe Speiſe, 


57 


58 IX. Trevrezent. 


Lieber Neffe, nicht verſchmaͤhe: 

Du triffſt den Wirth nicht in der Nähe, 
25 Der dirs fo gerne gönnte, 

Wenn er dich laben konnte.“ 

„Herr,“ ſprach Parzival dawider, 

„Gott ſeh nie huldreich auf mich nieder, 

Wenn je mich beßer hat geletzt 

Was ein Wirth mir vorgeſetzt.“ 


487 Die Speiſe die man auftrug hier, 
Wuſchen ſie ſich nicht nach ihr, 
Das ſchadet' ihren Augen nicht, 
Wie man von fiſchigen Händen ſpricht. 
5 Man könnte mit mir beizen 
Ohne mich viel zu reizen 
(Wenn ich Habicht oder Sperber hieße), 
Daß ich auf die Beute ſtieße, 
Hätt ich keinen vollern Kropf; 
10 Der Hunger blaͤhte mir den Schopf. 


Was ſpott ich der Getreuen hier? 

Meine alte Unart rieth es mir. 
Ihr wißt doch was den Frommen 
Den Reichthum hat benommen, 

15 Warum ſie waren freudenarm, 
Oftmals kalt und ſelten warm. 
Aus gottgetreuem Herzen 
Trugen ſie die Schmerzen 
In erwählter Armut Stand. 

20 Von des Allerhoͤchſten Hand 
Empfiengen fie dafür den Sold; 
Gott war und ward noch Beiden hold. 


IX. Tre vrezeut. 59 


Zum Stall gieng nach dem kargen Mal 

Mit dem guten Manne Parzival, 
25 Der nach dem Roſs noch nicht geſchaut. 

Mit betrübter Stimme Laut 
Der Wirth zum Roſs ſprach: „Mir iſt leid 
Deines Kummers Bitterkeit 
Des Sattels wegen, der dich ziert, 
und der Anfortas Wappen führt.“ 


488 Da dem Roſs geſchehen war fein Recht, 
Da hub ſich erſt der Jammer recht. 
Parzival zum Wirth begann: 

„Herr und Oheim, hört mich an. 

5 Dürft ichs vor Beſchämung fagen, 

So wollt ich euch mein Unglück klagen. 
Doch eure Güte wird verzeihn: 

Zu Euch muß meine Zuflucht ſein. 
Solche Schuld hab ich mir aufgebürdet, 

10 Wenn Ihr darum mich haßen würdet, 
Müſt ich dem Troſt entſagen, 
In allen meinen Tagen 
Unerlöft von Reue. 

Ihr font mit Rath der Treue 
15 Beklagen meine Thorheit. 
Der auf Monſalväſch zu jener Zeit 
Sah des Koͤnigs Ungemach 
Und doch keine Frage ſprach, 
Das bin Ich unſelger Mann! 
20 So hab ich Armer miſsgethan.“ 


* 


Der Wirth ſprach: „Neffe, was ſagſt Du? 
Wir müßen alle beide zu 


IX. Trevrezeut. 


Herzlicher Trauer greifen, 
Die Freude laßen ſchweifen, 
25 Da dich Einfalt ſo ums Heil betrog. 
Gab dir Gott fünf Sinne doch: 
Die haben übel dich berathen. 
Sprich, welchen Beiſtand ſie dir thaten 
In der entſcheidenden Stunde 
Dort bei Anfortaſens Wunde? 


489 „Doch will ich Rath dir nicht verſagen: 
Auch zu tiefes Leid ſollſt du nicht tragen. 
Du ſollſt in rechten Maßen | 
Klagen und Klage laßen. 

5 In der Menſchheit iſt ein wilder Zug! 
Oft wird zu früh die Jugend klug; 
Will dann das Alter Thorheit üben 
Und ſeine lautre Sitte trüben, 

So wird das Weiße ſchwarz zumal, 
10 Wird die grüne Jugend fahl, 
Und weder hier noch dort gedeiht 
Rechter Sinn und Würdigkeit. 
Koͤnnt ich dich noch ergrünen, 
Und das Herz dir ſo erkühnen, 
15 Daß du Den Preis erjagteſt, N 
An Gott nicht mehr verzagteſt, 
So möcht es dir gelingen 
Solche Wurde zu erſchwingen, 
Daß es Erſatz wohl hieße. 
20 Gott ſelbſt dich nicht verließe. 


„Gott will dich durch Mich belehren. 
Lieber Neffe, laß mich hören, 


IX. Trevrezent. 


Sahſt du zu Monſalvaſch die Lanze? 
Wenn ſich der Stern Saturn im Glanze 
25 An ſein Ziel zurückgefunden, 

Das war zu fpüren an den Wunden 

Und an dem ſpäten Frühlingsſchnee. 

Dann that der Froſt ihm grimmig weh, 

Dem ſüßen Oheime dein. 

Der Sper muß’ in die Wund hinein, 
490 Daß Eine Noth der andern Noth. 

Half: der Sper ward blutigroth. 


| „Singer Sterne Rückkehrtage 
Brachte Monſalväſch in Klage: 

5 Wenn ſie ob einander ſtehn, 
Feindſelig ſich vorübergehn. 
Auch bleibt die Wunde nicht verſchont 
Wenn im Wechſel ſteht der Mond. 

In der jetzt benannten Zeit 

10 Faßt den König grimmes Leid: 

Ihm thut der ſcharfe Froſt ſo weh, 
Sein Fleiſch wird kälter als der Schnee. 
Da man ein Gift nun, glühendheiß, 
An der Sperſpitze weiß, 

15 So wirds den Wunden aufgelegt: 

Der Froſt gleich aus der Wunde fchlägt 
Und legt wie Glas ſich um den Sper; 
Das alsdann nur Niemand mehr 

Von dem Eiſen löfen kann. 

20 Trebüchet wars, der weiſe Mann, 
Der zwei Meßer ſchuf mit Silberklingen: 
Mit denen läßt es ſich vollbringen. 

Die Kunſt hatt ihn ein Spruch gelehrt 


61 


IX. Trevregent-. 


An unſres Koͤniges Schwert. 

25 Man hoͤrt wohl ſagen vom Asbeſt 
Daß er ſich nicht verbrennen läßt; 
Doch fiel von jenem Glas darauf, 
Gleich ſchlugen helle Flammen auf 
Und der Asbeſt verbrannte gar: 
Wie iſt dieß Gift ſo wunderbar! 


491 „Er kann nicht reiten, kann nicht gehn, 


Der Koͤnig, liegen nicht noch ſtehn, 
Nicht ſitzen: er muß lehnen 
Mit Seufzern, unter Thränen. 


5 Beim Mondeswechſel wird ihm weh. 


Brumbane heißt ein naher See: 
Da tragen ſie ihn hin: beim Fiſchen 
Soll ihn da milde Luft erfriſchen. 
Das nennt er feinen Waldetag; 

10 Doch was er dort erbeuten mag 
Bei ſo ſchmerzlicher Beſchwer, 
Er bedarf zu Hauſe mehr. 
Davon erſcholl die Märe, 
Daß er ein Fiſcher wäre. 

15 Das Märchen läßt er walten. 
Er hat doch feilgehalten 
Nie Salmen noch Lampreten; 
Koͤnnt er vor Schmerz ſich retten!“ 


Da unterbrach ihn Parzival: 
20 „Ich fand den Koͤnig auch einmal 
Ankern auf den Wellen, 
Den Fiſchen nachzuſtellen 
Oder zur Kurzweile. 


\ 


IX, Trevrezent. 


Ich ritt manche Meile 

25 Den Tag auf waldgen Straßen. 
Pelrapaͤr hatt ich verlaßen 
Erſt um den mitten Morgen. 
Am Abend trug ich Sorgen 
Wo meine Herderg möchte fein: 
Da bot ſie mir mein Oheim.“ 


492 „Nicht gefahrlos war die Fahrt,“ 
Sprach der Wirth, „denn wohlverwahrt 
Von den Templeiſen wird der Wald. 
Weder Liſt noch Gewalt 

5 Mag da den Reiſenden frommen. 
Mit Schrecken hat das oft vernommen 
Wer da den Tod empfieng im Streit: 
Sie nehmen Niemands Sicherheit, 
Sie ſetzen Leben gegen Leben. 

10 Zur Buß iſts ihnen aufgegeben.“ 


„Dennoch kam ich ohne Streit 

Durch den Wald zu jener Zeit, 
Wo ich am See,“ ſprach Parzival, 
„Den König fand. Deſſen Saal 

15 Sah ich am Abend Jammers voll. 
O wie laut der Wehruf ſcholl! 
Ein Knapp herein zur Thüre ſprang: 
Von Jammer gleich der Saal erklang. 
Der trug in ſeinen Händen 

20 Einen Schaft zu den vier Wänden; 
Der Sper daran war blutig roth: 
Das ſchuf dem Volke Jammers Noth.“ 


4 


63 


64 II. Erevrezent. 


Der Wirth ſprach: „Heftiger als je 
War dazumal des Koͤnigs Weh, 
25 Denn ſo kündigte ſein Nahn 
Uns der Stern Saturnus an. 
Der pflegt mit großem Froſt zu kommen. 
Drauf legen mochte da nicht frommen, 
Wovon wir Lindrung ſonſt empfunden: 
Man ſtach den Sper ihm in die Wunden. 
493 Saturnus ſteigt ſo hoch empor; 
Die Wund empfand den Froſt zuvor: 
Die Kälte kam erſt hinterdrein. 
Es eilte ſich nicht ſo zu ſchnein, 
5 Die andre Nacht erſt fieng es an, 
Obgleich mit ihr der Lenz begann. 
Groß Leid das Volk beſchwerte, 
Da man ſo dem Froſt des Königs wehrte.“ 


Da ſprach der fromme Trevrezent: 
10 „Ihres Jammers war kein End, 
Als den Sper die Wunde heiſchte, 
Der ihr eigen Herz zerfleiſchte; 
Ihrer Klage Jammerton 
Glich einer neuen Paſſion.“ 


15 Zum Wirthe ſprach da Parzival: 
„Fünf und zwanzig an der Zahl 
Sah ich Maide vor dem König ſtehn, 
Mit großer Zucht den Dienſt begehn.“ 
Der Wirth ſprach: „Mägdlein ſollen pflegen 
20 (Das Recht verlieh ihm Gottes Segen) 
Des Grals, ihm dienen für und für. 
Der Gral iſt ſtreng in ſeiner Kür; 


IX. Trevrezent. 


Sein ſollen Ritter hüten 
Mit entſagenden Gemüthen. 

25 Wenn dann die hohen Sterne kehren, 
Muß Jammer all dieß Volk beſchweren, 
Die Jungen wie die Alten. 

Gott ließ den Ingrimm walten 
Allzulange wider ſie: 
Wird ihnen Troſt und Freude nie? 


494 „Neffe, nun bericht ich dir, 
Ich weiß, du zweifelſt nicht an mir, 
Von der Templeiſen Leben. M 
Sie empfangen und fie geben. 
5 Sie nehmen junge Kinder an 
Von hoher Art und wohlgethan, 
Auserwählt von Gottes Hand. 
Wird dann herrenlos ein Land, 
Dias eines Königes begehrt 
10 Aus der Schar des Grals, das wird gewährt. 
Wohl wird des Volks ein Solcher pflegen, 
\ Denn Ihn begleitet Gottes Segen. 
„Gott ſchafft die Männer heimlich fort; 
Die Jungfraun giebt man offen dort. 
15 Darum war kein Hinderniſs, 
Als der König Kaſtis 
Herzeleidens hat begehrt: 
Mit Freuden ward ſie ihm gewährt. 
Deine Mutter ward ihm angetraut; 
20 Doch nicht genoß er ſeiner Braut: 
Es kam der Tod und grub ſein Grab. 
Zuvor er deiner Mutter gab 


Parzival und Titurel. II. 5 


66 IX. Trevrezent. 


Waleis und Norgals 
Mit Kanvoleis und Kingrivals: 

25 Das ward ihr öffentlich gegeben. 
Der König ſollt unlange leben: 
Zu ſeiner Heimat fuhr er wieder; 
Da legt' er ſich zum Sterben nieder. 
Die Köngin und ihr Doppelland 
Erwarb da Gahmuretens Hand. 


495 „Der Gral giebt Jungfraun unverſtohlen, 
Die Männer giebt er hin verhohlen. 
Ihre Frucht dereinſt nimmt er zurück, 
Bluͤht ihren Kindern auch das Glück 
5 Des Grales Schar zu mehren: 
Das wird die Schrift dann lehren. 


„Frauenminne muß verſchwoͤren 
Wer zur Schar des Grales will e 
Nur dem König allein | 
10 Gebührt ein Weib, an Tugend rein, 
Und jenen, welche Gott gefandt 
Zu Herren herrenloſem Land. 
Die Vorſchrift ließ ich unbeachtet, 
Da das Herz nach Minne mir getrachtet. 
15 Mir rieth die blühende Jugend 
Und eines werthen Weibes Tugend, 
Daß ich in ihrem Dienſte ritt 
Und oft in blutgem Kampfe ſtritt. 
Mich däuchten ſo geheuer 
20 Die wilden Abenteuer, 
Daß ich nicht mehr turnierte. 
Ihre Minne führte 
Mir ins Herz der Freude Schein: 


IX. Trevrezent. 


Da wollt ich ernften Kampf nicht ſcheun. 
25 Zu ferner wilder Ritterſchaft 

Zwang mich ihrer Minne Kraft, 

Daß ich ihre Gunſt erkaufte. 

Der Heid und der Getaufte 

Galten mir im Streite gleich: 

Ich dachte, Sie war lohnesreich. 


496 „So trug ich Ihrethalb Beſchwerde 
In dreien Theilen der Erde, 
In Europa und in Aſia, 
Und im fernen Afrika. 
5 Wollt ich ſchöͤne Tjoſte reiten, 
So muſt' ich vor Gaurivon ſtreiten; 
Auch hab ich manche Tjoſt gethan 
Vor dem Berge Feimorgan. 
Manch ſchoͤne Tjoſt ward mir verliehn 
10 Vor dem Berg Agremontin. 
Wer der Aeußern Trotz will dampfen, 
Der muß mit feurgen Männern kämpfen; 
Die innern Völker brennen nicht 
Wie Mancher dort den Sper auch bricht. 
15 Als ich an des Rohas Strand 
Abenteuer ſucht' und fand, 
Da kamen tapfre windſche Männer 
Entgegen mir als Lanzenrenner. 


„Ich fuhr von Sevilla 
20 Auf dem Meere gen Sicilia, 
Durch Friaul bis gen Aglei. 
Weh, o weh und heia heil 
Daß ich jemals deinen Vater ſah 


68 IX. Trevrezent. 


Denn ich fand und ſah ihn da. 
25 Zu Sevilla zog ich ein 

Als der werthe Anſchewein 
Eben Herberg genommen. 
Seine Fahrt macht mir das Herz beklommen, 
Die er that gen Baldag, 
Wo er in einer Tjoſt erlag, 

497 Wie ich dich ſelber hoͤrte ſagen. 
Ewig muß ich ihn beklagen. 


„Mein Bruder iſt ein reicher Mann. 
Er ſah die Koſten nicht an, 

5 Wenn er mich heimlich von ſich ſandte. 
Wenn ich von Monſalväſch mich wandte, 
Sein Inſiegel nahm ich da 
Und führt' es gegen Karkobra: 

Da fällt ins Meer der Plimizöl, 

10 In dem Bisthum Barbigoͤl. 
Auf ſeinen Siegelring berieth 
Mich da der Burggraf, eh ich ſchied, 
Mit Gefolg, und was ich nöthig fand 
Zu einem Zug ins Heidenland, 

15 Oder anderm Ritterabenteuer; 

Nichts war zu koſtbar noch zu theuer. 

Ich kam allein gen Karkobra; 

Bei der Heimkehr ließ ich wieder da 

Das Geſind und alle andern Stücke 
20 Und ritt gen Monſalväſch zurücke. 


„Nun höre, lieber Neffe mein: 
Da der werthe Vater dein 
Zuerſt mich in Sevilla ſah, 
Anſprach er mich als Bruder da 


IX. Trevrezent. 69 


25 Seines Weibes Herzeleid, 
Und hatte doch zu keiner Zeit 
Mein Angeſicht zuvor geſehn. 
Auch war ich, muſte man geſtehn, 
Schoͤn wie kein Mann geſehn noch ward; 
Noch hatt ich damals keinen Bart. 
498 Als er in meine Herberg fuhr, 
Da verneint' ich es und ſchwur 
Manchen ungeſtabten Eid. 
Er hielt ſich drauf mit Sicherheit; 
5 Zuletzt geſtand ichs insgeheim. 
Mit großen Freuden fuhr er heim. 


„Sein Kleinod verehrt' er mir; 
Was Ich gab, nahm er mit Begier. 
Du ſaheſt meine Kapſel hie; 
10 Grüner als der Klee iſt ſie: 
Ich ließ ſie aus dem Steine 
Bilden, den mir gab der Reine. 
Zum Knappen ließ er mir Itheren: 
Das Herz gab ſeinem Neffen Lehren, 
15 Daß aller Falſch an ihm verſchwand, 
Dem König von Kukumerland. 
Wir durften Fahrt nicht laͤnger meiden 
Und muſten von einander ſcheiden. 
Da zog er in des Baruchs Land 
20 Und Ich zog an des Rohas Strand. 


„Von Sicilien kam ich hingeritten. 
Drei Wochen hatt ich dort geſtritten, 
Da ſchien es mir genug gethan. 
Zunächſt von Rohas ritt ich dann 


70 | IX. Trevorezent. 


25 In die weite Stadt Gandein: 

Sie iſts, nach der der Ahnherr dein 
Einſt Gandein ward genannt. 
Dieſe Stadt liegt dort genau, 
Wo die Greian in die Drau, 

499 Ein goldreich Waßer, rinnet. 
Da ward Ither geminnet, 
Als er deine Muhme fand. 
Sie beherrſchte dieſes Land; 

5 Ihr Vater, Gandein von Anſchau, 
Gab ſie dieſem Land zur Frau. 
Lammire wurde ſie genannt; 

Aber Steier heißt das Land. 
Durchſtreifen muß der Lande viel 
10 Was Schildesamt verwalten will. 


„Nun dauert mich mein Knappe roth, 
Um Den ſie mir viel Ehre bot. 
Ither ward dir nah verwandt; 
Vergaß der Sippe deine Hand, 
15 Gott hat ihrer nicht vergeßen; 
Er kann ſie wohl nach Gliedern meßen. 
Willſt du mit Gott in Frieden leben, 
Sollſt du dafuͤr ihm Buße geben. 
Ich muß dir jammernd künden: 
20 Du traͤgſt zwei Tod ſünden. 
Itheren haſt du erſchlagen; 
Auch ſollſt du deine Mutter klagen, 
Der ihre große Treue rieth, 
Daß ſie aus dieſem Leben ſchied, 
25 Da Du von ihr geſchieden. 


IX. Trevrezent. 


Nun folge mir, hienieden 

Buͤße deine Miſſethat, 

Daß wenn einſt dein Ende naht, 

Irdſche Drangſal dir erwirbt, 

Daß dort die Seele nicht verdirbt.“ 

Dr 

500 Weiter ohne Zornes Haft 

Frug der Wirth ſeinen Gaſt: 

„Noch hab ich, Neffe, nicht vernommen: 

Wie biſt du an dieß Roſs gekommen?“ 

5 „Herr, dieß Roſs hab ich erſtritten, 

Da ich von Sigunen kam geritten, 

Die ich vor ihrer Klauſe ſprach. 

Einen Ritter flüglings ſtach 

Ich dann herab und zogs hindann; 

10 Von Monſalvaͤſche war der Mann.“ 
Der Wirth ſprach: „Blieb er denn am Leben, 
Dem es Anfortas hat gegeben?“ 

„Herr, ich ſah ihn heil entgehn 
Und fand dieß Roſs mir nahe ſtehn.“ 

15 „Des Grales Volk berauben 
Und dabei doch glauben 
Seine Freundſchaft zu gewinnen, 

Das iſt thörichtes Beginnen.“ 
„Herr, ich nahms in offnem Streit. 

20 Wer deshalb mich der Suͤnde zeiht, 
Der prüf erſt näher, wie es kam: 

Er erſchlug das meine, dem ichs nahm.“ 


Wieder ſprach da Parzival: 
„Wer war die Jungfrau, die den Gral 
25 Trug? den Mantel lieh ſie mir.“ 


IX. Trevrezent. 


Der Wirth ſprach: „Neffe, war er ihr 

(Sie iſt auch deine Muhme), 

Sie lieh ihn nicht zu eitelm Ruhme: 

Du ſollteſt dort Gebieter ſein 

Des Grals und ihr, nicht minder mein. 
501 Dein Oheim gab dir auch ein Schwert, 

Das dir mit Sünden nun gehoͤrt, 

Da leider keine Frage kund 

That dein wohlberedter Mund. 

5 Doch laß die Suͤnde bei den andern; 
Zeit iſts, daß wir zur Ruhe wandern.“ 
Nicht Bett noch Kiſſen ward gebracht: 
Sie lagen auf dem Stein zu Nacht; 
Ihrem herrlichen Geſchlecht 

10 War ſolch ein Lager nicht gerecht. 


So blieb er bei ihm vierzehn Tage. 
Sein pflag der Wirth wie ich euch ſage: 
Kraut und Wurzeln allein 
Muſten ihre Speiſe ſein. 

15 Gern trug der Waleis die Beſchwerde, 
Nur daß fein füßer Troſt ihm werde, 
Da ihn der Wirth von Sünde ſchied, 

Mit gutem Rath ihn wohl berieth. 


„Wer wars,“ ſo frug einſt Parzival, 


20 „Der in der Kammer lag beim Gral, 
Grau von Haar, von Antlitz hell?“ 
Der Wirth ſprach: „Das war Titurel. 
Der iſt deiner Mutter Ahne: 

Es ward zuerſt des Grales Fahne 

25 Zum Schutz befohlen ſeiner Hand. 


IX. Trevrezent. 73 


Ein Siechthum, Podagra genannt, 
Hat ihn gelaͤhmt, ans Bett gebunden. 
Seine Farb iſt nimmer doch geſchwunden. 
Den Gral erblickt ſein Angeſicht; 
Drum mag er auch erſterben nicht. 
502 Der Greis giebt ihnen guten Rath. 
In ſeiner Jugend manchen Pfad 
Ritt er um zu tioſtieren. 
Willſt du dein Leben zieren 
5 Und immer wuͤrdiglich gebahren, 
Die Fraun zu haßen muſt du ſparen. 
Fraun und Pfaffen, wie bekannt, 
Unbewehrt iſt beider Hand; 
Doch ſchirmt die Pfaffen Gottes Segen. 
10 Dein Dienſt ſoll ihrer treulich pflegen, 
So wird dereinſt dein Ende gut. 
Der Pfaffheit zeige holden Muth: 
Was auf Erden ſieht dein Angeſicht, 
Das vergleicht ſich doch dem Prieſter nicht. 
15 Sein Mund verkündet uns das Wort, 
Das unſer Heil und unſer Hort; 
Auch greift er mit geweihter Hand 
An das allerhoͤchſte Pfand, 
Das je für Schuld verliehen ward. 
20 Ein Prieſter, der ſich ſo bewahrt, 
Der er ſich ganz ihm hat ergeben, 
Wer konnte heiliger leben?“ 


Das war der Beiden Scheidetag. 
Ihn küſste Trevrezent und ſprach: 
25 „Deine Sünden laß mir hier: 
Gottes Huld erfleh ich dir. 


74 


II. Trevrezent. 


Leiſte, was ich dir geſagt: 

Halte feſt dran unverzagt!“ 
Von einander ſchieden ſie; 

Ihr moͤgt euch ſelber denken wie. 


X. 


Orgeluſe. 


Inhalt. 


— 


Gawan, aus deffen Zweikampf mit Kingrimurſel auch zu Barbigöl nichts ge; 
worden iſt, weil ſich feine Unſchuld und nahe Verwandtſchaft mit Vergulacht 
herausgeſtellt hatte, begegnet, indem er nach dem Grale ſorſcht, einem ver⸗ 
wundeten Ritter, lehrt deſſen Freundin das Blut durch ein Rohr aus der 
Bruſtwunde ziehn, verfolgt den Sieger nach Logrols, findet dort Orgeluſen, 
die Herzogin des Landes und wirbt um ihre Minne. Da er troß ihrer ſchnö⸗ 
den Antworten darauf beſteht, ihr zu dienen, ſo heißt ſie ihn, ihr Pferd aus 
einem nahen Baumgarten holen, wo ihn alle Leute vor der Herzogin warnen. 
Er bringt ihr gleichwobl das Pferd, fie beſteigt es ohne feine Hülfe und heißt 
ihn vorausreiten. Unterwegs pflückt er ein Heilkraut für jenen Wunden, 
worüber Orgeluſe ſpottet. Ein miſsgeſchaffner Knappe der Herzogin, Mal⸗ 
kreatüre, Kondriens Bruder, reitet ihr auf elender Mähre nach, und beleidigt 
Gawan, der ihn züchtigt und zu Boden wirft. Sie kommen zu dem verwun⸗ 
deten Ritter, der erſt vor Orgeluſen warnt, dem Gawan durch Lift fein Pferd 
entführt, und ſich als Ur jan zu erkennen giebt, dem Artus auf Gawans 
Fürbitte die verwirkte Todesſtrafe in eine Ehrenſtrafe verwandelt hat. Für 
Gawan bleibt nur jene elende Mähre übrig, die er unter den Spottreden der 
Herzogin zuletzt doch beſteigt. Sie kommen endlich an das Ziel, wo ihm der 
Kämpe der Herzogin, Liſchois Giwelllus, der ſchon Urjan beſiegt hat, auf 
ſtattlichem Pferde entgegenreitet, indeſs Orgeluſe ſich von einem Fährmann 
über Waßer ſetzen läßt. Jenſeits ſehen über vierhundert Frauen aus den Fen⸗ 
ſtern eines herrlichen Schloßes dem ungleichen Kampfe zu. Liſchois wird beſiegt; 
fein Pferd aber, das Gawan für das ihm von Urjan entführte Roſs Gringul⸗ 
jet erkennt, nimmt Plippalinot, der Fährmann, als Zins des Kampfſeldes 
in Anſpruch. Er überläßt ihm dafür den Beſiegten, wird von dem Fährmann 
bewirthet und von Benen, deſſen Tochter, gepflegt. 


503 Wir nahen ſeltſamen Maͤren, 
Die wohl der Freude koͤnnen wehren 
Und wieder Hochgemuͤthe bringen: 
Sie ſchwanken zwiſchen beiden Dingen. 


5 Gekommen war des Jahres Friſt, 
Auf den der Zweikampf, wie ihr wißt, 
Vertagt ward, den am Plimizoͤl 
Gawan erwarb. Gen Barbigöl 
War der von Schampfenzon geſprochen. 

10 Doch auch jetzt blieb ungerochen 
Kingriſins des Königs Mord., 

Wohl hatte ſich Gawanen dort 
Vergulacht, ſein Sohn, geſtellt. 
Ihre Sipp erkannte da die Welt 

15 Und den Kampf verbot der Sippe Macht, 
Zumal der Graf Eckunacht 
Die große Schuld begieng allein, 

Der Gawan ſchuldig ſollte ſein. 
Da ward verſöhnt Kingrimurſel 
20 Mit Gawan dem Degen ſchnell. 


Geſchieden ritten ſie hindann, 
Vergulacht und Gawan. 
Beide wollten nun zumal 
Geſondert forſchen nach dem Gral. 
25 Da muſten mit den Händen 


X. Orgelufe. 


Sie Tjoſte viel verfenden. 
Wer des Grals begehrte, 
Der muſte mit dem Schwerte 
Sich hohen Preis erſchwingen. 
So ſoll man Preis erringen. 


504 Wie es Gawan ergangen ſei, 
Ihm der alles Tadels frei, 
Seit von Schampfenzon er ſchied: 
Ob er unterwegs auf Streit gerieth, 
5 Das fraget, die es ſahen; 
Jetzt ſoll ihm Streiten nahen. 


Eines Morgens kam Herr Gawan 
Geritten auf einen grünen Plan: 
Einen Schild mit lichtem Glanze 
10 Sah er durchbohrt von einer Lanze, 
Und ein Pferd, das Frauenreitzeug trug; 
Zaum und Sattel reich genug. 
Gebunden zu dem Schilde 
War das Roſs an eine Linde. 
15 Da dacht er: „Wer dieß Weib wohl iſt, 
Die ſolcher Kühnheit ſich vermißt, 
Daß ein Schildesrand ihr frommt? 
Wenn ſie mit mir zu ſtreiten kommt, 
Wie ſoll ich da mich ſchützen? 
20 Mir moͤcht ein Fußkampf nützen. 
Will ſie mit mir ringen, 
Sie mag zu Falle mich bringen. 
Auf einen Fußkampf will ich ſinnen, 
Ob es mir Haß bringt oder Minnen. 
25 Und wenn es Frau Kamille war, 


X. Orgeluſe. 


Die mit ritterlicher Wehr 

Vor Laurentum Preis erſtritt, 
Wär ſie ſtark, wie Die dort ritt, 
Ich verſucht es doch mit ihr, 
Bote fie mir Kampf allhier.“ 


505 Der Schild war auch zerhauen: 
Gawan begann ihn zu beſchauen, 
Als er naͤher kam geritten. 

Der Tjoſte Fenſter war geſchnitten 

5 Mit dem Lanzeneiſen weit. 

Alſo malet ſie der Streit; 

Den Schildrern wuͤrd es nicht vergolten, 
Die ſie alſo malen wollten. | 
Hinter der Linde breitem Stamm 

10 Saß eine Frau, an Freuden lahm, 
Auf dem gruͤnenden Klee. 

Der that groß Herzeleid ſo weh, 
Keinem Troſte gab ſie Raum. 
Gawan ritt zu ihr um den Baum: 

15 Da lag ein Ritter ihr im Schoß, 

Um den ihr Jammer war fo groß. 


Er gruͤßte ſie gar minniglich: 
Da dankte ſie und neigte ſich. 
Heiſer war ihre Stimme, 

20 Harſch von des Schmerzens Grimme. 
Vom Roſſe ſprang Herr Gawan: 
Dem durchſtochenen Mann 
Lief das Blut in den Leib. 

Gawan frug des Ritters Weib, 

25 Ob der Ritter lebe, 


Parzival und Titurel. II. 6 


8 


82 


X. Orgeluſe. 


Ob er ſchon im Tode ſchwebe? 
Da ſprach ſie: „Herr, er lebt wohl noch; 
Unlange, dünkt mich, währts jedoch. | 
Mir zum Troſte ſandt euch Gott: 
Nun rathet treulich, ſonder Spott; 
506 Ihr habt ſolch Leid ſchon mehr geſehn. 
Laßt die Wohlthat mir geſchehn, 
Daß ich eure Hülfe ſchaue.“ 
„Gerne,“ ſprach er, „Fraue. 


* 


„Dieſem Ritter ſpart' ich Sterben, 
Ich moͤcht ihm Heilung wohl erwerben, 
Hätt ich eine Rohre; 
Sehen und hoͤren 
Möchtet ihr ihn noch geſund. 
10 Er iſt nicht ſo gefährlich wund, 
Das Blut iſt ſeines Herzens Laſt.“ 
Da riß er von dem Lindenaſt 
Ein Zweiglein nieder wie ein Rohr 
(Er war der Heilkunſt nicht ein Thor), 
15 Und ſchobs dem Wunden in den Leib. 
Zu ſaugen bat er dann das Weib, 
Bis ihr das Blut entgegen floß 
Und dem Ritter neue Stärke ſproß, 
Ihm auch die Sprache wieder ward. 
20 Als er Gawanens Gegenwart 
Bemerkte, dankt' er ſehr dem Degen, 
Und ſprach, es brächt ihm Gottes Segen, 
Daß er ihn ſchied von Unkraft. 
Er frug, ob er um Ritterſchaft 
25 Gekommen wär gen Logrois? 
„Ich kam auch fern von Punturtois 


X. Orgeluſe. 


Hier Aventüre zu erjagen. 

Nun muß ichs immerdar beklagen, 
Daß ich ſo nah geritten bin. 

Ihr ſollts auch meiden, habt ihr Sinn. 


507 „Ich dachte mir nicht ſolchen Schluß. 

Es war Liſchois Giwellius, 
Der mich ſo übel hat verletzt. 
Er hat mich hinters Roſs geſetzt 

5 Mit einer Tjoſt untadelig. 
Die ſauſte mir gar hurtiglich 
Durch den Schild und durch den Leib. 
Doch half mir dieſes gute Weib 
Auf ihrem Pferd an dieſe Statt.“ 

10 Gawanen er zu bleiben bat; 
Doch Gawan ſprach, er wolle ſehn 
Wo ihm der Schade wär geſchehn: 
„Erreich ich Logrois Thor, 
Oder ereil ich ihn davor, 

15 So ſteht er Rede mir dafür. 
Ich frag ihn, Was er rächt an dir.“ 
„Das thu nicht,“ ſprach der wunde Mann: 
„In Wahrheit ich dir ſagen kann, 
Kein Kinderſpiel iſt ſolch Erkecken, 

20 Es mag wohl heißen Angſt und Schrecken.“ 


Gawan die Wunde verband 
Mit der Frauen Kopfgewand; 
Er ſprach zur Wunde. Wundenſegen. 
Und bat der Beiden Gott zu pflegen. 
25 Mit Blut war ihre Spur begoßen, 
Als ob ein Hirſch da wär geſchoßen; 


X. Orge luſe. 


Das ließ nicht irr ihn reiten. 
Er ſah in kurzen Zeiten 

Logrois die ſtolze Veſte; 

Die lobten Heimiſche und Gäfte. 


508 Die Veſte ſchien ein loͤblich Werk. 
Schraubenartig war ihr Berg: 
Die ſie aus der Ferne ſehn, 
Denen ſcheint ſie ſich im Kreiß zu drehn. 
5 Der Burg läßt man noch heut die Ehre, 

Daß Sturm auf ſie vergeblich wäre. 
Ihr bangte nicht vor ſolcher Noth, 
Wer immer ihr ſein Haßen bot. 
Den Berg umgab ein Gartenhag, 

10 Darin man edle Bäume pflag: 
Granaten, Feigen, Oel und Wein, 
Und andre Fruͤchte ſüß und fein, 
Zog man in der Fülle drin; 
Da Gawan aufritt, kreuzt' er ihn. 

15 Da ſah er unter ſich zumal 
Seines Herzens Freud und Qual. 


Ein Brunnen aus dem Felſen ſchoß: 

Da fand er, was ihn nicht verdroß, 

Eine Frau ſo ſchoͤn und klar, 
20 Daß er entzückt vom Anblick war, 

Aller Frauenſchoͤne Blüthenflor. 

Außer Kondwiramor 

Sah nie die Welt ſo ſchoͤnen Leib. 

Klar, füß und lauter war das Weib, 
25 Dazu gefüg und kurtois: 

Orgeluſe hieß ſie de Logrois. 


— 


X. Orgeluſe. 


Die Maͤre ſagt, man ſah an ihr 
Reizung ſehnender Begier, 
Augenweide ſonder Schmerzen, 
Einen Spannerv aller Herzen. 


509 Gawan grüßte ſie mit Neigen. 
Er ſprach: „Wenn ich vom Pferde ſteigen 
Darf mit euern Hulden, Fraue, 
Wenn ich euch ſo geſonnen ſchaue, 

5 Daß Ihr mich gerne bei euch habt, 
So hat mich Freude reich begabt; 
Mehr mag kein Mann erwerben. 

Ich will damit erſterben, 
Daß mir kein Weib fo wohl gefällt.“ 

10 „Nun weiß ich wie's mit euch beſtellt,“ 
Sprach ſie zu ihm und ſah ihn an. 

Ihr ſuͤßer Mund darauf begann: 


„Mit euerm Lobe haltet ein; 
. Zu Schanden moͤcht es euch gedeihn. 

15 Ich will nicht, daß ein jeder Mund 
Mir ſein Loben mache kund. 

Wär Jeglichem mein Lob gemein, 
Die Würde daͤuchte mich gar klein — 
Den Weiſen wie den Dummen, 

20 Den Geraden wie den Krummen: 
Wo blieb' ihm wohl zu trachten Zeit 
Nach dem Lob der Wuͤrdigkeit? 

Ich will mein Lob behalten, 
Daß die Weiſen ſein nur walten. 

25 Ich weiß nicht, Herre, wer ihr ſeid; 
Doch daß ihr reitet, duͤnkt mich Zeit. 


86 


X. Orgelu fe. 


„Mein Urtheil läßt euch drum nicht frei: 
Ihr wohnet meinem Herzen bei 
Weit davor, nicht darinne. 
Begehrt ihr meiner Minne, 
510 Was macht' euch Minnelohns gewiſs? 

Mancher ſeine Augen ſchmiß, 
Auf einer Schleuder moͤchts gelingen 
Sie zu fanfterm Wurf zu bringen, 

5 Wenn er zu ſehn nicht meidet, 
Was ihm das Herz zerſchneidet. 
Laßt walzen eure tolle Gier 
Nach andrer Minne denn zu mir. 
Dient nach Minne eure Hand, 

10 Hat euch Aventür geſandt 
Nach Minnelohn für Ritterthat, 
Den Lohn ihr nicht von mir empfaht; 
Ihr moͤgt wohl Schande hier erjagen, 
Soll euch die Wahrheit ſagen.“ 


15 Da ſprach er: „Frau, ihr redet wahr: 
Die Augen bringen mir Gefahr. 
Sie haben ſo viel an Euch erſehn, 

Daß ich mit Wahrheit muß geſtehn, 
Daß ich eur Gefangner bin. 

20 Nun zeigt mir weiblichen Sinn. 

War es nicht euer Wille, 
Ihr fiengt mich in der Stille. 
Nun löſet oder bindet, 

Da ihr mich willig findet, 

25 Hätt ich euch, wo ich wollte, 

Daß ich Alles gern erdulden ſollte.“ 


X. Orgeluſe. 87 


Sie ſprach: „Wohlan, fo führt mich“ hin. 
Rechnet ihr auf den Gewinn, 
Den ihr bei mir erwürbt mit Minne, 
Mit Schanden würdet ihr das inne. 
511 Ich wüſte gern ob Ihr der ſeid, 

Der meinethalb ſich wagt in Streit; 
Thut es nicht, es frommt euch ſehr. 
Wollt ihr meines Raths noch mehr, 

5 Und will mir folgen euer Herz, 
So ſuch es Minne anderwärts. 
Wenn ihr meine Minne wollt, 
Entgeht euch Freud und Minneſold. 
Wollt ihr mich von hinnen führen, 

10 So wird euch Angſt das Herz umſchnüren.“ 


Da ſprach mein Herr Gawan: 
„Ohne Dienſt wer moͤchte Minn empfahn? 
Das will ich euch verkünden, 
Der erwürbe fie mit Sünden. 
15 Zu edler Minne Gewinnft 
Gehoͤrt vorher und nachher Dienſt.“ 
Da ſprach ſie: „Wollt ihr Dienſt mir geben, 
So müßt ihr wehrlich leben, 
Und mögt doch Schande wohl erjagen; 
20 Mein Dienſt bedarf keines Zagen., 
Nehmt jenen Pfad (es iſt kein Weg) 
Dort über jenen hohen Steg, 
In jenen Baumgarten 
Da ſollt ihr meines Pferdes warten. 
25 Ihr ſeht und hoͤrt da Leute viel, 
Tanz, Geſang und Saitenſpiel, 
Floͤt und Trommel nimmer ruhn. 


X. Orgelufe 


Geht hindurch, was fie auch thun, 
Zu meinem Pferde, das da ſteht 
Und loͤſt es, daß es mit euch geht.“ 


512 Gawan von dem Roſſe ſprang. 

Bei ſich erwog der Degen lang, 
Wo er bleibe mit dem Pferd die Zeit. 
Der Born gab nicht Gelegenheit 

5 Es anzuheften mit dem Riemen: 
Ob ihm die Bitte wohl geziemen 
Möchte, daß ſie's übernähme, 
Bis er mit dem Ihren kame. 
„Ich ſehe wohl was euch beſchwert,“ 

10 Sprach ſie: „laßt mir hier ſtehn das Pferd; 
Ich verwahr es bis ihr wieder kommt; 
Obgleich der Dienſt euch wenig frommt.“ 


Da bot mein Herr Gawan 
Ihr ſeines Roſſes Zügel an: 
15 „Nun haltet mir es, Fraue.“ 
„Wie thoͤricht ich euch ſchaue!“ 
Sprach ſie: „wo eure Hand geruht, 
Griff Ich dahin, das ziemte gut!“ 
Da ſprach der minnegehrende Mann: 
20 „Dieß Ende griff ich niemals an.“ 
„Will ich es empfangen; 
Erfüllt nun mein Verlangen, 
Und holt mir ſchnell hieher mein Pferd: 
So reit ich mit, wie ihr hegehrt.“ 
25 Das ſchien ihm freudiger Gewinn. 
Eilends gieng er von ihr hin 
Ueber den Steg hinein zur Pforten. 


X. Orgeluſe. 


Viel ſchoͤner Frauen ſah er dorten, 
Und der jungen Ritter viel 
Bei Tanz, Geſang und Saitenſpiel. 


513 Nun hatte mein Herr Gawan 
So reichen Helm und Harniſch an, 
Daß ſein Kommen Niemand freute, 
Denn es waren treue Leute, 
5 Die des Baumgartens pflagen: 
Ob ſie ſtanden oder lagen, 
Oder ſaßen in Gezelten, 
Da vergaß doch Einer ſelten, 
Sein nahes Unglück zu betrauern; 


10 Man hört’ es Mann und Weib bedauern. 


Auch ſprachen ihrer genug: 
„Unſrer Herrin liſtger Trug 
Will dieſen Mann verleiten 
In große Fährlichkeiten: 

15 O weh, daß er ihr folgen will 
Zu ſo kummervollem Ziel!“ 


Manch Edler ihm entgegen gieng, 
Der mit Armen ihn umfieng 
Um ihn freundlich zu empfahen. 

20 Man ſah ihn einem Oelbaum nahen 
Und dem daran gebundnen Pferd. 
Auch war wohl tauſend Marken werth 
Das Reitzeug ſammt dem Zaume. 
Mit breitem Barte am Baume, 

25 Wohl geflochtenem und grauen, 
Mocht er einen Ritter ſchauen 
Auf einer Kruͤcke lehnen: 


89 


90 j X. Orgeluſe. 


Dem entſchoßen helle Thränen, 
Daß Gawan zu dem Pferde gieng; 
Obwohl er freundlich ihn empfieng. 


514 Er ſprach: „Iſt guter Rath euch werth, 
So laßet ab von dieſem Pferd. 
Hier wills euch Niemand vorenthalten; 
Doch laßt ihr gerne Klugheit walten, 
5 So begebt euch ſelber ſein. ö 

Verflucht ſoll unſre Herrin ſein, 
Daß ſie ſo manchen werthen Mann 
Um ſein Leben bringen kann.“ 
Gawan ſprach, er ließ' es nicht. 

10 „Weh, ſo ergeht ein Schreckgericht!“ 
Sprach der graue Ritter werth. 
Die Halfter löſt er von dem Pferd 
Und ſprach: „Ihr ſollt nicht länger ſtehn: 
Laßt dieß Pferd denn mit euch gehn. 

15 Der das Meer geſalzen hat, 
Der geb in eurer Noth euch Rath. 
Seht zu, daß euch nicht hoͤhne 
Meiner Herrin Schöne 
Die iſt bei der Süße ſauer 

20 Wie bei Sonnenſchein ein Regenſchauer.“ 


„Nun walt' es Gott,“ ſprach Gawan 
Und nahm Urlaub von dem grauen Mann 
Und den übrigen all; 
Sie beklagten ihn zumal. 
25 Das Roſs gieng einen ſchmalen Weg 
Zum Thor aus über jenen Steg. 
Seines Herzens Herrin fand 


X. Orgeluſe. 


Er dort; ihr diente dieſes Land. 
Wie ihr ſein Herz entgegenflog, 
Viel Leid fie doch ihm drin erzog. 


515 Unterm Kinne das Band 

Hatte ſie mit der Hand 
Geloͤſt und auf das Haupt gelegt. 
Wenn ein Weib ſich alſo trägt, 

5 So hat ſie Schalkheit im Sinne 
Und denkt nur wie ſie Streit beginne. 
Wie ſie ſonſt gekleidet war? 
Macht' ich das euch offenbar, 
Und nennte jedes Kleidungsſtück — 

10 Das erläßt mir wohl ihr lichter Blick. 


Da Gawan zu der Frauen gieng, 
Ihr ſüßer Mund ihn ſo empfieng: 
Sie ſprach: „Willkommen denn, ihr Gans! 
Eure Thorheit zeigte ſich im Glanz, 
15 Da ihr durchaus mir dienen wolltet: 
Ihr miedets gern, wenn ihr nicht tolltet!“ 
Er ſprach: „Wie hart ihr euch gebehrdet, 
Ich weiß, daß ihrs vergüten werdet. 
Es ehrt euch, einſt dieß Schelten 
20 Mit Güte zu vergelten. 
So lange dien euch meine Hand, 
Bis ihrs zu lohnen Muth gewannt. 
Wollt ihr, ich heb euch auf das Pferd.“ 
Sie ſprach: „Das hab ich nicht begehrt: 
25 Eure ungeſchworne Hand 
Greife nach geringerm Pfand.“ 
Sie wandte ſich, ergriff den Zügel, 


91 


92 X. Orgeluſe. 


Aus den Blumen fprang fie in die Bügel. 
Sie bat ihn: „Reitet vor im Trab: 
Es wäre Schade, kam ich ab 
516 Von ſo würdigem Geſellen“ 
* Sprach fie; „Gott mög euch fällen.“ 


Wer meinem Rathe folgen will, 

Mit ihrem Tadel ſchweig er ſtill, 

5 Daß er ſich nicht verſpreche, 
Bis er weiß, was ſie verbreche, 
Und bis er wahrhaft hat erkannt, 
Wie es um ihr Herz bewandt. 
Rache nehmen konnt auch ich 

10 An der Frauen minniglich 
Für Alles was fie an Gawan 
In ihrem Zorn hat miſsgethan, 
Oder was ſie künftig noch verbricht; 
Ungerochen laß ichs nicht. 


15 Da gehabte ungeſelliglich 
Die reiche Orgeluſe ſich: 
Auf Gawan kam ſie angeritten 
Mit ſo zornigen Sitten, 
Daß Ich vom gleichen Fall betroffen 
20 Wenig Troſt mir würd erhoffen. 
Von dannen ritten beide 
Alsbald auf lichte Haide. 
Gawan nahm eines Krautes wahr, 
Des Wurzel Wunden heilſam war. 
25 Eilends von ſeinem Pferde 
Schwang er ſich zur Erde; 
Er grub ſie, ſtieg dann wieder auf 


X. Orgeluſe. 93 


Sie ließ dem Spotte freien Lauf 
Und ſprach: „Kann der Geſelle mein 
Arzt zugleich und Ritter ſein, 

517 Er mag ſich Nahrung wohl erjagen, 
Erlernt' er, Buͤchſen feil zu tragen.“ 
Da ſprach zu ihr Gawanens Mund: 
„Einen Ritter fand ich wund 

5 Unter einer Linde. 
Wenn ich ihn wieder finde, 
Soll ihn die Wurzel heilen 
Sein Uebel all zertheilen.“ 
Sie ſprach: „Das ſeh ich gerne: 
10 Vielleicht, daß ich die Kunſt erlerne.“ 


Ein Knapp ritt hinter ihnen her; 
Der Botſchaft willen eilt' er ſehr, 
Die er beſtellen ſollte. 

Gawan ſein harren wollte; 

15 Nicht ganz geheuer ſchien er ihm. 

Malkreatuͤr hieß das Ungethuͤm, 
Dieſer Knappe, der Fiere. 
Kondrie la Sorziere 

War ſein ſchoͤnes Schweſterlein. 

20 Ihr Ebenbild auch wuͤrd er ſein, 

Wär er nicht männlichen Geſchlechts. 
Hauzaͤhne trug er links und rechts 
Wie der Eber hat, der wilde, 
Ungleich einem Menſchenbilde. 

25 Auch war das Haar ihm minder lang — 
Das Kondrien auf das Maulthier ſank — 
Gleich Igelsborſten, ſcharf wie Glas. 
Bei dem Waßer Gangas, 


94 X. Orgeluſe. 


Zu Tribalibot im Land der Inden, 
Sind ſolcher Leute mehr zu finden. 


518 Unſer Vater Adam, 
Dem von Gott die Einſicht kam, 
Gab allen Thieren Namen, 
So den wilden als den zahmen. 
5 Auch kannt er eines Jeden Art, 
Dazu der Himmelsſterne Fahrt, 
Der Planeten all, der ſieben, 
Und welchen Einfluß fie üben, 
Und wuſte aller Wurzeln Kraft 
10 Und einer jeden Eigenſchaft. 
Da ſeine Kinder zu den Jahren 
Kamen, daß ſie ſelbſt gebahren 
Und erzeugten Menſchenfrucht, 
Vor Unmaß warnt' er ſie mit Zucht. 
15 Wenn ſeiner Töchter Eine trug, 
Die ermahnt er oft genug: 
Den Rath er ſelten unterließ, 
Daß er ſie Kräuter meiden hieß, 
Die Menſchenfrucht verkehrten 
20 (Einft fein Geſchlecht entehrten): 
„Anders denn uns Gott erſonnen, 
Da er mich zu bilden hat begonnen,“ 
Sprach er: „Darum, liebes Kind, 
5 Sei zum eignen Heil nicht blind.“ 
X u 
25 Die Frauen waren Frauen halt: 
Etliche muſten mit Gewalt ö 
Das Verbotene vollbringen; 
Sie konnten ihr Geluſt nicht zwingen. 


X. Orgeluſe. 95 


So ward entſtellt die Menſchheit: 
Adam war es ſchmerzlich leid; 
519 Doch rein verblieb ſein Wille. 

Die Köngin Sekundille, 

Die Feirefiß mit Rittershand 

Erwarb, ihr Herz und auch ihr Land, 
5 Die hatt in ihrem Koͤnigreich, 

Die lautre Wahrheit meld ich euch, 

Der Leute viel ſeit alten Tagen, 

Die ſo entſtellt das Antlitz tragen 

Von manchem fremdem Muttermal. 
10 Da ſagte man ihr von dem Gral 

In Anfortas Königreiche, 

Daß ſich ſeinem Reichthum nichts vergleiche. 

Das ſchien ihr wunderbar genug. 

Mancher Strom in ihrem Lande trug 
15 Statt Sand und Kieſel, edle Steine. 

Gebirge hatte ſie, nicht kleine, 

Von lauterm Goldgeſtein darin. 

Da ſprach die edle Königin: 

„Wie gewinn ich Kunde von dem Mann, 
20 Dem der Gral iſt unterthan?“ 

Geſchenke ſchickte ſie alsbald, 

Zwei Menſchen ſeltſam von Geſtalt, 

Kondrien und ihren Bruder, dar. 

Sie ſandt' ihm Andres noch fürwahr, 
25 Das Niemand wüfte zu vergelten; 

Zu Kaufe findet man es ſelten. 

Da ſandte Anfortas der gute, 

Der immer war von mildem Muthe, 

Orgeluſen de Logrois 

Dieſen Knappen kurtois; 


96 X. Orgeluſe. 


520 Weiblicher Gelüſte Mal 
Schied ihn aus der Menſchheit Zahl. 


Der Wurzeln und der Sterne Sohn 

Bot Gawanen Schmach und Hohn, 

5 Der ſein geharrt mit holden Sitten. 
Malkreatüre kam geritten 
Auf einer Mähre ſchwach und krank, 
An allen Vieren lahm von Gang: 
Sie ſtrauchelte ſo oft zur Erde, 

10 Daß wahrlich noch auf beßerm Pferde 
Damals Frau Jeſchute ritt, 
Da ihr Parzival erſtritt 
Von Orilus die alte Huld, 
Die ſie verloren ſonder Schuld. 


15 Der Knappe blickte Gawan an, 
Malkreatür im Zorn begann: 
„Seid ihr, Herr, von Ritters Art, 
So ließt ihr kluͤglich dieſe Fahrt. 

Ihr dünket mich ein dummer Mann, 
20 Daß ihr meine Herrin führt hindann. 
Man wird euch ſo die Wege weiſen, 
Daß ihr hoͤchlich wärt zu preiſen, 

Führet ihr dabei nicht ſchlecht. 
Doch ſeid ihr ein gemeiner Knecht, 

25 Klopft man euch fo den Rüden aus, 

Daß ihr gerne miedet ſolchen Strauß.“ 


Gawan ſprach: „Wohl nie empfand 
Solche Zuͤchtigung mein Ritterſtand. 
» So ſoll man dumme Jungen bldun, 
— Die vor tapferm Kampf ſich ſcheun; 


X. Orgeluſe. 


521 Mir erläßt man ſolche Pein. 
Wollt Ihr und die Herrin mein 
Mit ſchnoͤden Worten mir begegnen, 
So ſoll euch Antwort niederreguen, 

5 Die euch wohl für Zürnen gilt. 

Wie ſcheuslich Ihr auch ſeid und wild, 
Mir zu drohen mögt ihr ſparen.“ 

Da griff ihn bei den Haaren 

Gawan und ſchwang ihn unters Roſs. 

10 Der Knappe, den ſein Fall verdroß, 
Warf Blicke grimm und fürchterlich. 
Seine Igelborſten rächten ſich 
Und verſchnitten Gawan ſo die Hand, 
Daß er ſie blutigroth befand. 

15 Perlacht drum ward er von der Frauen: 
„Gerne,“ ſprach ſie, „mag ichs ſchauen, 
Thut ihr Zwei euch alle Schmach.“ 

Sie ritten fort; das Pferd lief nach. 


Sie kamen hin, wo er den wunden 

20 Ritter kurz zuvor gefunden. 

Getreulich auf die Wunde band 

Ihm die Wurzel Gawans Hand. 

Der Wunde ſprach: „Wie gieng es dir 
Seit du geſchieden biſt von mir? 

25 Die Frau iſt, die du mitgebracht, 
Auf deinen Schaden nur bedacht: 
Durch ihre Schuld iſt mir ſo weh. 

In aive étroite malvoiée 

Half ſie mir zu ſcharfen Tjoſten, 

Die mich Blut und Leben koſten. 
522 Behältft du Leben gern und Leib, 


Parzival und Titurel. II. 7 


„„ 2 


C 
** 8 5 1 
151121. FEN 


97 


X. Orgeluſe. 


So laß dieß trügeriſche Weib 
Und wende dich hinweg von ihr. 
Ein warnend Beiſpiel ſchau an mir. 

5 Doch naͤhm es noch ein gutes Ende 
Mit mir, wenn ich wo Ruhe fände: 
Hilf mir dazu, getreuer Mann.“ 

Da ſprach mein Herr Gawan: 

„Gern helf ich dir, nach deiner Wahl.“ 
10 „In der Nähe ſteht ein Hospital,“ 

Fuhr der wunde Ritter fort: 

„Wär ich in wenig Stunden dort, 

Da faͤnd ich Ruhe lange Zeit. 

Meiner Freundin Roſs ſteht dort bereit, 
15 Das uns Beiden wohl den Rücken lieh': 

Heb fie drauf, mich hinter fte.“ 


— 


Da band der wohlgeborne Gaſt 

Dieſer Frauen Pferd vom Aſt 
Und zog es näher hin zu ihr. 

20 Der Wunde rief: „Hinweg von mir! 
Ihr tretet mich, o Ungemach!“ 
Er zogs ihr fern: Die Frau gieng nach, 
Sanft und mit gemeßnem Schritt; 
Sie war im Einverſtändniſs mit. 

25 Gawan auf das Pferd ſie ſchwang, 
Derweil der wunde Ritter ſprang 
Auf Gawanens Kaſtilian: | 
Wohl dünkt mich, das war miſsgethan. 
So ritt er mit der Frauen hin: 
Das war ein fündlicher Gewinn. 


523 Darüber klagte Gawan ſehr; 
Die Frau jedoch belacht' es mehr 


X. Orgeiuje 


Als der Scherz ihn dauchte werth. 
Da ihm benommen war das Pferd, 

5 Ihr ſuͤßer Mund verſetzte da: 
„Als ich euch zuerſt erſah, 
Schient ihr vom Ritterorden; 
Dann ſeid ihr Arzt geworden, 
Und ein Fußknecht gar zuletzt. 

10 Doch nicht verzweifeln dürft ihr jetzt: 
Ihr habt der Kuͤnſte ſo viel inne. 
Geluͤſtet euch noch meiner Minne?“ 


„Ja Herrin,“ ſprach Herr Gawan: 


„Eure Minne, moͤcht ich die empfahn, 
15 Nichts Liebres wüſt' ich auf der Welt. 

Sei Einer noch ſo hoch geſtellt, 

Er möge Kron und Scepter tragen, 

Der Erde hoͤchſtes Gluck erjagen, 


Bot er zum Tauſch mir Den Gewinn: 


20 So räth mir meines Herzens Sinn, 
Daß ich ihm Alles laßen wollte, 
Wenn mir Eure Minne blühen ſollte. 
Kann ich ſie nicht erwerben, 
So muß ein bittres Sterben 

25 Sich bald an mir erzeigen. 
Ihr verwuͤſtet euer Eigen: 
Bin ich gleich ein freier Mann, 
Für euer Eigen ſeht mich an: 
Das iſt eur wohlerworben Recht. 
Nennt mich Ritter oder Knecht, 

524 Garzon oder Vilan. 

Es iſt fürwahr nicht wohlgethan, 


Verſchmäht ihr meinen Dienſt mit Spott: 


99 


100 


X. Orgeluſe. 


Ihr verſündigt euch vor Gott. 
5 Käme mir mein Dienſt zu gut, 
Ihr ließet ſpoͤttiſchen Muth. 
Geſetzt, er thäte mir nicht leid, 
Er ſchmäht doch eure Würdigkeit.“ 


Nun ritt zurück der wunde Mann 

10 Und ſprach: „Biſt dus, Gawan? 

Was ich dir noch ſchuldig war, 

Das iſt dir nun vergolten gar: 

Da deine mannliche Kraft 

Mich fieng in harter Ritterſchaft, 
15 Und mich gefangen brachte heim 

Zu Artus, Deinem Oheim: 

Vier Wochen, noch iſts unvergeßen, 

Muſt ich da mit den Hunden eßen.“ 


„Du biſt es,“ ſprach er, „Urjan? 

20 Jetzt wuͤnſcheſt du mir Schaden an; 

Den trüg ich ſonder alle Schuld: 

Ich erwarb dir noch des Königs Huld. 

Dein ſchnoͤder Sinn dich fo berieth, 

Daß man von Schildes amt dich ſchied; 
25 Man nahm dir das gemeine Recht, 

Weil du eine Magd geſchwächt 

Friedbrüchig durch verruchten Zwang. 

König Artus mit dem Strang 

Hätt es ſicherlich gerochen, 

Hatt ich nicht für dich geſprochen.“ 


525 „Was dort geſchah, du ſtehſt nun hier. 
Kund iſt wohl das Sprichwort dir: 
Wer dem Andern rettete das Leben, 


X. Orgeluſe. 101 


Nie wird es Jener ihm vergeben: 
5 Dem folg ich, weil ich kluggeſinnt. 
Es ſchickt ſich beßer, weint ein Kind 
Als ein vollbaͤrtger Mann. 
Dieß Roſs behalt ich, weil ich kann.“ 
Spornſtreichs ritt er ſo von hinnen; 
10 Leid war Gawanen ſein Beginnen. u 
„Herrin, dieß war der Verlauf: 
Der König Artus hielt ſich auf 
In der Stadt Dianasdron 
Und mit ihm mancher Breton. 
15 Da ward als Botin ſeinem Land 
Eine Jungfrau zugeſandt. 
Da kam auf Abenteuer auch 
Daher geritten dieſer Gauch: 
Er war hier fremd und ſie nicht minder. 
20 Da rieth fein wüſter Sinn dem Sünder, 
Daß er mit der Jungfrau rang 
Und ſie zu ſeinem Willen zwang. 
Am Hof vernahm man das Geſchrei: 
Laut rief der König: heiahei! 
25 Es war geſchehn vor einem Wald; 
Wir eilten Alle hin alsbald. 
Der ich voraus den Andern fuhr, 
Ich fand des Miſſethäters Spur: 
Gefangen fuͤhrt' ich ihn alsdann 
Vor den König, dieſen Mann. 


526 „Mit uns geritten kam die Maid. 
Ungebärdig war ihr Herzeleid, 
Daß ihr mit Gewalt entrißen, 


102 X. Orgelufe 


Der fich nie in ihrem Dienſt beflißen, 
5 Das unbefleckte Magdthum. 
Auch erwarb er kleinen Ruhm, 
Denn wehrlos iſt der Frauen Hand. 
Zum Zorne war mein Herr entbrannt, 
Artus der getreue Mann: f 
10 „Die ganze Welt,“ ſo hub er an, 
„Muß die verruchte That beklagen. 
Weh, daß der Tag je muſte tagen, 
Bei deſſen Licht ſie ward vollführt; 
Weh, daß das Urtheil Mir gebührt 
15 Und daß ich heute Richter bin.“ 
Er ſprach zur Jungfrau: „Habt ihr Sinn, 
So nehmt Fürſprechen an und klagt.“ 
Das war der Jungfrau leicht geſagt, 
Sie that wie ihr gerathen war; 
20 Da ſtand der Ritter große Schar. 


„Urjan der Fürſt aus Punturtois 
Stand da vor dem Bretanois 
Angeklagt auf Ehr und Leben: 
Da kam ſie Klage zu erheben, 

25 Daß es Alle mochten hoͤren. 
Sie begann den König zu beſchwören, 
Daß ihm aller Frauen wegen 
Ihre Schande moͤcht bewegen, 
Und aller Jungfraun Ehre willen. 
Auch bat ſie ihn ihr Leid zu ſtillen 
527 Bei allem Ruhm der Tafelrunde 

Und bei der Botſchaft, deren Kunde 
Sie als Geſandtin überbracht: 
Hätt er hier zu richten Macht, 


X. Orgeluſe. 103 


5 Daß er mit Gerechtigkeit 
Richten möge dieß ihr Leid. 
Sie bat der Tafelrunder Schar: 
„Nehmt meines Rechtes wahr,“ 
Da was der Räuber ihr genommen 
10 Nimmer möge wieder kommen, 
Unbefleckte Jungfrauſchaft: 
Daß ſie All aus Herzenskraft 
Um Recht den Koͤnig bäten 
Und mit Worten fie vertraten. 


15 Einen Anwald nahm der ſchuldge Mann, 
Den ich erſt jetzt recht würdgen kaun; 
Der ſprach zu ſeinen Gunſten viel, 
Es half ihm aber nicht zum Ziel. 
Man ſprach ihm Leben ab und Preis, 

20 Und daß man winden ſollt ein Reis: 
Ohne blutige Hand 
Ward der Tod ihm zuerkannt. 

Er ſchrie zu mir in ſeinem Leid: 
Ich hab ihm doch für Sicherheit 

25 Das Leben wollen ſchenken. 

Da ſchiens die Ehre mir zu kränken, 

Verlör er Leben dort und Leib. 

Ich bat das klaghafte Weib, 

Da ſie geſehn, wie im Gefecht 

Ich mannlich ihre Schmach gerächt, 
528 Daß ſie mit Weibesgüte 

Möchte fänften ihr Gemüthe: 

Es ſei doch ihre Liebeshuld, 

Die ihn verleitet zu der Schuld, 

5 Und ihr wonniglicher Leib. 


104 


X. Orgeluſe. 


Wenn je ein Mann von einem Weib 
Gekommen fei in Herzensnoth, 
„Die dann ihm gnaͤdig Hülfe bot: 
Der Hülfe thuts zu Ehren, 

10 Laßt euerm Zorne wehren.“ 


„Ich bat den Koͤnig und die Seinen, 
Jetzo möcht er mirs beſcheinen, 
Ob ich je ihm Dienſt gethan, 
Indem er aus der Schande Bann 
15 Mich durch feine Hülfe nahme, 
Und dem Ritter zu Hülfe kame. 
Ich bat ſein Weib, die Koͤnigin, 
Der ich nah befreundet bin, 
(Da mich der König hat erzogen, 

20 Sie ſtäts mir treulich war gewogen), 
Daß Sie mir hülfe: das geſchah. 
Beiſeit zog Sie die Jungfrau da: 

Das Leben dankt' er Ginoveren; 
Doch ſollt ihn bittre Schmach beſchweren. 

25 Für ſein verwirktes Leben 
Ward Buß ihm aufgegeben: 

Aus Einem Troge aß ſein Mund 
Mit dem Bracken und dem e 
Vier volle Wochen: 

So ward die Maid gerochen. 


529 „Frau, das iſt ſein Zorn auf mich.“ 


„Es beſchimpft ihn,“ ſprach fie, „ſicherlich. 
Werd ich euch auch nimmer hold, 
Er empfängt dafür doch ſolchen Sold, 

5 Eh er kommt aus meinem Lande, 


X. Orgelufe 105 


Daß ihn nicht freuen ſoll die Schande. 
Da es der Koͤnig nicht gerochen 

Was er an der Maid verbrochen, 

So iſt das Urtheil billig mein; 

10 Euer Beider Richter will ich ſein, 
Weiß ich gleich nicht, Wer ihr Beide ſeid. 
Ich ſtraf ihn drum zu ſeiner Zeit, 
Der Jungfrau Herzenspein zu ſtillen: 
Keineswegs um Euretwillen. 

15 Mit Schlagen und mit Stechen 
Soll man ſolchen Unfug rächen.” 


Gawan zu der Mähre gieng, 
Die er mit leichter Mühe fieng. 
Da kam der Knappe hinten nach, 
20 Zu dem ſie auf arabiſch ſprach 
Was ſie zu melden ihm gebot. 
Nun nahet bald Gawanens Noth. 


Der Knappe lief zu Fuß hindann. 
Da ſah ſich Gawan näher an 
25 Des Knappen Roſs: Mit Spat und Dampf 

War es zu ſchwach für einen Kampf. 
Der Knappe hatt es dort genommen, 
Eh er den Berg herab gekommen, 
Einem armen Vilan; 
Nun ſollt es aber Gawan 

530 Für ſein Roſs behalten; 
Solchen Tauſches muſt er walten. 


Sie ſprach zu ihm mit Spott und Haß: 
„Nun ſagt mir, wollt ihr fürbaß?“ 


106 


X. Orgeluſe. 


5 Da ſprach mein Herr Gawan: 
„Meine Fahrt von hinnen wird gethan 
Wie es euer Mund mir räth.“ 
Sie ſprach: „Mein Rath, der kommt euch ſpät.“ 
„Nun, ſo dien ich doch darum.“ 

10 „Daran thut ihr eben dumm. 
Wollt ihr das nicht meiden, 
Müßt ihr von Freude ſcheiden 
Und euch zur Trübſal kehren, 
Euer Kummer muß ſich mehren.“ 

15 Da ſprach der Minnegehrende: 
„Ich bin in euerm Dienſt der währende 
Ob es mir Freude bringt, ob Noth. 
Seit eure Minne mir gebot, 
Muß ich euch zu Gebote ſtehn, 

20 Ich möge reiten, möge gehn.“ 


So ſtand er bei der Frauen, 

Sich das Roſs zu beſchauen. 

Wohl ſchien es ihm zu raſchen Tjoſten 

Allzuwenig Geld zu koſten: N 
25 Steigriemen hiengen dran von Baſt; 

Dieſer herrliche Gaſt 

War beßer Sattelzeug gewohnt. 

Mit Reiten hätt ers gern verſchont, 

Denn er ſorgte, daß dabei 

Riem und Sattel brach entzwei. 


531 Der Mähre war der Rücken jung: 


Hätt er darauf gethan den Sprung, 
Zerbrochen wär er ſicherlich; 
Darum enthielt er deſſen ſich. 


X. Orgeluſe. 107 


5 Er hätt es ſonſt nicht leicht gethan: 
Er zogs am Zaum und ſchritt voran, 
Den Schildrand tragend und den Sper. 
Seiner peinlichen Beſchwer 
Begann die Frau zu lachen, 

10 Die ihm wollt Kummer machen. 
Den Schild er auf die Mähre band. 
Da ſprach ſie: „Führt ihr Kramgewand 
Hier in meinem Lande feil? 
Ei, wie ward mir nur zu Theil 

15 Zur Begleitung Arzt und Krämer! 
Bedenkt den Zolleinnehmer, 

Daß euch nicht auf dieſen Wegen 
Das Handwerk meine Zöllner legen!“ 


Wie ſcharf ihm auch ihr Spotten ſchien, 

20 So nahm er doch es willig hin 

Und kehrte ſich nicht weiter dran. 

Sah er ſie dann wieder an, 

So war verſchwunden all ſein Leid. 

Sie war ihm eine Maienzeit, 
25 Ein Blüthenflor vor ſeinen Blicken, 

Ein herzenbittres Augerquicken. 

Stäts war ein Fund hier beim Verluft, 

Davon gengs die kranke Luſt: 

So ward er immer wieder frei 

Und blieb gebunden doch dabei. 


532 Mich lehrte mancher Meiſter ſo: 
Amor und Kupido 
Und Venus, Mutter dieſer zwein, 
Pflegten Minne zu verleihn 


108 X. Orgelufe. 


5 Mit Geſchoßen und mit Feuer. 
Solche Minne dünkt mich nicht geheuer. 
Hat ein Herz getreue Sinne, 
So wird es nimmer frei von Minne, 
Seis zur Wonne, ſeis zur Pein; 
10 Wahre Minn iſt Treu allein. 
Kupido, nimmer trifft 
Mich deines flüchtgen Pfeiles Gift; 
Stäts verfehlt mich Amors Sper. 
Seid ihr beiden über Minne hehr, 
15 Und Venus mit der Fackel Brand, 
Solcher Kummer iſt mir unbekannt. 
Soll ich in wahrer Minne glühn, 
So muß ſie mir aus Treue blühn. 


Koͤnnt ich mit klugem Sinne 
20 Wem helfen wider Minne, 
Herrn Gawan wär ich wohl ſo hold, 
Ich wollt ihm helfen ohne Sold. 
Zwar bringt es ihm nicht Schande, 
Halten ihn der Minne Bande, 
25 Wenn ihn Minne überwindet, 
Vor der die ſtaͤrkſte Wehre ſchwindet. 
Er war ſo wehrlich doch fürwahr, 
Der Wehr ſo mächtig immerdar, 
Daß nicht bezwingen ſollt ein Weib 
Seinen wehrlichen Leib. N 


533 Laßt euch beſchaun, Herr Minnezwang! 
Die Freude rauft ihr uns ſo lang, 
Bis dünn die Saat der Freude ſteht, 
und der Weg des Kummers drüber geht. 


X. Orgeluſe. 


5 Allmählich geht da Kummers mehr; 
Wenn fein Ziel ein andres war 
Als in des Herzens hohen Muth, 
Das käm der Freude noch zu gut. 
Zu leichtfertgem Sinne 

10 Dünkt mich zu alt die Minne. 

Oder ſchiebt ſie's auf die jungen Jahre, 
Daß ſie mit Unart gebahre? 

Der Unart gönnt ich lieber Jugend, 

Als wenn das Alter miſste Tugend. 

15 Uebels hat ſie viel gethan; 

Wem von beiden rechn ichs an? 
Will ſie mit jungen Streichen 

Von den alten Sitten weichen, 

Das wird ihren Preis nicht mehren; 

20 Eines Beßern ſoll man ſie belehren. 
Nur lautre Minne preiſen 
Mag ich, und auch die Weiſen: 
Weib und Mann, insgemein 
Stimmen alle mit mir ein: 

25 Wo Herz dem Herzen Minne giebt, 
So lautre, daß kein Hauch ſie trübt, 
Und der Herzen keins verdrießt, 
Wenn ſie der Minne Schlüßel ſchließt 
In unwandelbarem Sinne, 
Die Minn iſt über alle Minne. 


534 So gern ich ihn befreite, 
Herr Gawan kann doch heute 
Der Minne nicht verwehren, 
Sie muß ſein Herzleid mehren. 
5 Was frommte mein Vermitteln dann 


109 


110 | X Orgeluſe. 


Und was ich drüber ſprechen kann? 
Es wehre ſich kein Mann der Minne: 
Sie hilft ihm erſt zum rechten Sinne. 
Gawanen gab ſie dieſe Buße: 

10 Seine Herrin ritt, er gieng zu Fuße. 


Orgeluſe mit dem Degen kühn 
Kam zu einem Walde grün. 
Da zog der unberittne Mann 
Sein Pferd zu einem Block heran: 
15 Seinen Schild, den er darauf gelegt, 
Des er kraft Schildesamtes pflegt, 
kahm er zu Hals und ſtieg zu Pferde; 
Die Mähre trug ihn mit Beſchwerde 
Wieder auf gebautes Land. | 
20 Bald hatt er eine Burg erkannt, 
So ſtattlich, daß er nie geſehn, 
Wohl muſt es Aug und Herz geſtehn, 
Eine Veſte, die ihr glich. 
Ringsum war ſie ritterlich. 
25 Sie zählte manchen Saal, vor Sturm 
Schützte ſie manch feſter Thurm; 
Auch mocht er viel der Frauen 
Sehn aus den Fenſtern ſchauenn, 
Wohl vierhundert oder mehr; 
Vier ſchienen vor den andern hehr. 


535 Eine vielbefahrne Straße trug 
An ein Waßer, breit genug, 
Schiffbar, mit raſchen Wellen, 
Die Frau und den Geſellen. 

5 Eine blühnde Wieſe lag daran; 


X Orgeluſe. 


Auf der ward mancher Sper verthan. 
Jenſeits ragte das Kaſtell. 
Da ſah Gawan, der Degen ſchnell, 
Einen Ritter ſich entgegen fahren, 
10 Der Schild und Sper nicht wollte ſparen. 
Orgelus die Königin 
Begann zu ihm mit ſtolzem Sinn: 
„Ob es euer Mund auch ſpricht, 
Ich breche meine Treue nicht: 
15 Ich hab es euch voraus geſagt, 
Daß ihr hier Schande nur erjagt. 
Wehrt euch, wenn ihr euch wehren könnt, 
Kein ander Heil iſt euch vergönnt. 
Der hier einherſprengt, in den Sand 
20 Setzt euch unſanft ſeine Hand. 
platzt euch dabei das Niederkleid, 
Das ſei euch um die Frauen leid, 
Die droben ſitzend nieder ſpähn: 
Wie wenn die eure Schande fähn?“ 


25 Ein Schiffmann fuhr von drüben her 
Auf der Herzogin Begehr; 
Daß der ſie in den Nachen nahm, 
Das war Gawanen neuer Gram. 
Orgelus die Wohlgeborne 
Sprach aus dem Kahn zu ihm mit 8 8 
536 „Ich nehm euch nicht zu mir hinein; 
Ihr müßt zu Pfand hier hüben fein.“ 
Nach rief der Held ihr trauriglich: 
„Frau, warum verlaßt ihr mich? 
5 Soll ich euch nie mehr wiederſehn?“ 
Sie ſprach: „Das koͤnnte noch geſchehn: 


111 


112 X. Orgeluſe. 


Wenn ihr ſiegt, ſollt ihr mich ſchauen; 
Doch das iſt euch nicht zuzutrauen.“ 


Sie ſchied von ihm der breite Fluß; 

10 Da kam Liſchois Giwellius. 

Ich weiß wohl, daß ich euch betröge, 

Wenn ich ſagte, daß er floͤge: 

Doch berührt' er kaum die Erde, 

Zum Ruhme ſag ichs ſeinem Pferde: 
15 Das bewies Geſchwindigkeit 

Auf dem grünen Anger breit. 

Da gedachte Herr Gawan: 

„Wie erharr ich dieſen Mann? 

Welches mag gerathner ſein? 
20 Zu Fuß oder auf dem Roͤſſelein? 

Will er ſein Roſs nicht ſparen, 

Kommt er ſpornſtreichs angefahren, 

Zu Boden ſtürz ich ſicherlich; 

Doch auch Sein Roſs, wie hält es ſich, 
25 Daß es über meins nicht fällt? 

Wenn er dann auf blumgem Feld 

Mit mir kämpfen will zu Fuß, 

Und erwürb ich nimmer ihren Gruß, 

Die mich verlockt' in. dieſen Streit, 

Ich biet ihm willig Kampf und Streit.“ 


537 Der Kampf war unvermeidlich: 
Doch kämpft der Nahnde weidlich, 
Wie auch der Harrende ſtreitet; 
Schon hat er ſich zur Tjoſt bereitet. 

5 Er ſetzte ſeiner Lanze Knauf 
Dem Filzbeſatz des Sattels auf; 


X. Orgeluſe. 113 


So hatt er ſich es ausgedacht. 
Als ihre Tjoſt nun ward gebracht, 
Da ſah man beider Lanzen brechen 
10 Und beide Helden niederſtechen. 
Der beßer berittene Mann 
Strauchelte, daß er mit Gawan 
Auf die Blumen kam zu liegen. 
Wie ſollten ſie nun weiter kriegen? 
15 Aufſpringend griffen zu den Schwerten 
Die noch beide Kampf begehrten. 
Die Schilde hatten viel zu leiden: 
Zerſchnitten wurden ſie, daß beiden 
Kaum ein Span blieb vor der Hand, 
20 Denn der Schild iſt ſtäts des Kampfes Pfand. 


Da blitzt das Schwert, der Helm ſprüht Feuer. 

Er beſtand ein glücklich Abenteuer, 

Der den Sieg davon ſoll tragen; 

Doch muß er erſt ſich weidlich ſchlagen. 
25 Alſo lange währt' ihr Streit 

Auf dem blumgen Anger breit, 

Es würden wohl zwei Schmiede, 

Wie ſtark fie wären, müde 

Von all den mächtigen Schlägen: 

So rangen um den Preis die Degen. 

538 Wer aber wird ſie preiſen 

Darum, die unweiſen, 

Die ſich ohne Feindſchaft ſchlagen 

Nur um Preis zu erjagen? 
5 Keiner hatt am Andern Theil: 

Was boten ſie ihr Leben feil? 


Parzival und Titurel. II. 8 


114 | X. Orgeluſe. 


Sie thaten nie ſich was zu Leide; 
Das muſten ſie geſtehen beide. 


Ein ſtarker Ringer war Gawan, 
10 Zu Boden warf er Jedermann, 
Konnt er unters Schwert ihm ſpringen: 
Den feine Arme beſiengen | 
Zwang er wozu er wollte. 
Nun er ſich wehren follte, 
15 So wollt er wehrlich gebahren. 
Der muthge Mann, im Kampf erfahren, 
Ergriff den Jüngling mit Gewalt, 
Der auch mit Kraft die Kraft vergalt, 
und zwang ihn hurtig unter ſich. 
20 Da ſprach er zu ihm: „Held, nun ſprich 
Sicherheit, willſt du noch leben.“ 
Doch wollte ſich ihm nicht ergeben 
Liſchois noch; bisher war auch 
Sicherheit zu bieten nicht ſein Brauch. 
25 Es däucht ihn wunderlich genug, 
Daß ein Mann die Stärke trug, 
Die ihn zwänge zu bedingen, 
Was er noch nie ſich ließ entringen: 
Abgedrungne Sicherheit, 
Die er nur ſelbſt erzwang im Streit. 
539 Hier wars ihm ſchlimm ergangen; 
Oft hatt er ſonſt empfangen 
Was er nicht weiter mochte geben: 
Statt Sicherheit bot er ſein Leben 
5 Und ſprach: Geſchäh, was immer, 
Fianze böt er nimmer: 


X. Orgelufe. 115 


Er hab es auch nicht noͤthig, 
Er ſei zum Tod erbötig. N 


Da ſprach der Unterliegende: 
10 „Biſt Du nun, Held, der Siegende? 
Ich wars, ſo lang Gott wollte, 
Daß Preis mir bleiben ſollte. 
Nun hat mein Preis ein Ende 
Durch die Kraft deiner Hände. 
15 Hört nun Mann und Maͤnnin, 
Daß ich überwunden bin, 
Des Preis ſo ſiegreich ſtrebt' empor, 
Den Tod zu ſterben zieh ich vor 
Eh meine Freunde, meine Lieben 
20 Solche Botſchaft ſoll betrüben.“ 
Ihm zu ſichern, mahnte Gawan ihn; 
Doch ſtand ſein Wunſch und all ſein Sinn 
tur auf des Leibs Verderben 
Oder auf ein jähes Sterben. 
25 Da dachte mein Herr Gawan: 
„Was ſoll ich tödten dieſen Mann? 
Wollt er mir zu Gebote ſtehn, 
Gern ließ ich ihn geſund entgehn.“ 
Er macht' ihm ſolch Gedinge kund; 
Doch nicht gelobt' es Jenes Mund. 


540 Auf ließ er doch den Weigand 
Ohne ſichernde Hand. 
Sie ſetzten Beide ſich aufs Gras. 
Gawan des Leides nicht vergaß, 

5 Daß ſein Pferd ſo elend ſei. 
Da fiel ihm der Gedanke bei, 


116 X. Orgelufe. 


Mit Sporn und Schenkel zu erproben, 
Ob des Beſiegten Roſs zu loben. 
Wohlgewappnet wars zum Streit; 
10 Der Kovertüre Ueberkleid 
War aus Sammt und Pfellel zugeſchnitten. 
Da ers im Kampfe hatt erſtritten 
Was ſollt er es nicht reiten? 
Sein Recht wer kanns beſtreiten? 
15 Der Held beſtiegs: da gieng es ſo, 
Seiner weiten Sprünge ward er froh. 


„Gringuljet,“ rief Gawan, 
„Biſt du's? das mit Verrath Urjan, 
Er weiß wohl wie, von mir erwarb 
20 Und ſeinen Preis damit verdarb. 
Wer hat dich nun gewappnet ſo? 
Gewiſs du biſts, Gott macht mich froh, 
Der mir ſo ſchoͤn dich wiederſendet, 
Wie er ſo manchen Kummer wendet.“. 
25 Der Degen ſtieg herab und fand 
Des Grales Wappen eingebrannt, 
Eine Turteltaube, ſeinem Bug. 
Lählein gewanns, denn er erſchlug 
Tjoſtierend Den von Prienlaskroſs. 
Oriluſen gab er dieſes Ross, 
541 Der es dann Gawanen gab 
An des Plimizoͤls Geſtad. 


Darob gewann der Degen gut 
Wieder einen frohen Muth; 
5 Doch Minne zwang ihn bald aufs Neue 
Und die dienſtbare Treue, ö 


X. Orgelufe. 117 


Die er zu feiner Herrin trug, 
Nach der, that fie ifin gleich genug 
Zu Leid, all ſein Gedanke rang. 

10 Liſchois indeſs, der Stolze, ſprang 
und hob vom Boden auf ſein Schwert, 
Das Gawan der Degen werth 
Ihm entwunden. Viel der Frauen 

Wollten ihr ander Kampfſpiel ſchauen. 


15 Die Schilde waren ſo zerſchlagen, 
Man ließ ſie liegen wo ſie lagen 
Und eilte bloß in den Streit. 
Jedweder lief bei guter Zeit 
Heran zu herzhafter Wehr. 

20 Ob ihnen ſaß ein Frauenheer 
In den Fenſtern auf dem Saal: 
Sie wollten ſchaun den Kampf zumal. 
Da hob ſich erſt ein grimmer Zorn. 
Jedweder war fo hochgeborn, 

25 Daß ſein Preis es ungern litte, 
Wenn ihn der Andre niederſtritte. 
Da kamen Helm und Schwert in Noth, 
Die allein ſie ſchirmten vor dem Tod. 
Wer da ſah, wie ſie die Hiebe ſchnellten, 
Der ließ es gern für Arbeit gelten. 


542 Liſchois Giwelljus wehrte ſich, 
Der ſchoͤne Juͤngling, ritterlich: 
Kühnheit und vermeßne That 
War ſeines hohen Herzens Rath. 
5 Er ſchlug manch ſchnellen Schwertesſchwang, 
Indem er bald von Gawan ſprang, 


118 


X. Orgeluſe. 


Bald wieder heftig ein auf ihn. 

Gawan hielt es feſt im Sinn, 

Er dachte: „Krieg ich dich zu faßen, 
10 Ich will es dich ſchon büßen laßen.“ 


Da ſah man Funken ſpruͤhen 

Und geſchwungne Schwerter glühen 

In der ſtarken Männer Hand. 

Sie trieben ſich von ihrem Stand 
15 Vorwärts, rückwärts und zur Seite. 

Rache rief ſie nicht zum Streite, 

Auch trieb ſie keine Feindſchaft an. 

Da ergriff ihn Herr Gawan 

Und warf ihn unter ſich mit Kraft: 
20 So möcht ich ungern Brüderſchaft 

Mit Umhalſung ſchließen; 

Sie würd auch euch verdrießen. 


Gawan heiſchte Sicherheit: 
Dazu war jetzt ſo unbereit 
25 Liſchois, den er niederhält, 
Als da er ihn zuerſt gefällt. 
Er ſprach: „Du ſäumſt dich ohne Noth: 
Statt Sicherheit biet ich den Tod. 
Aller Preis, den je ich fand, 
Nun tilg ihn deine werthe Hand. 


543 Da ich in Gottes Haß verfiel, 


Damit hat doch mein Preis ein Ziel. 
Seit ich um Minne dienſtbar bin 
Orgelus, der edeln Herzogin, 

5 Muſte mancher werthe Degen 
Seinen Preis in meine Hände legen: 


X. Orgeluſe. 


Kannſt du mich nun erſterben, 
Du magſt viel Preis ererben.“ 


Da dachte Koͤnig Lotens Kind: 
10 „Nein, das bin ich nicht geſinnt, 
Denn ich verlor des Preiſes Huld, 
Erſchlüg ich ohne feine Schuld 
Den unverzagten Helden jetzt. 
Sie hat ihn ja auf mich gehetzt, 
15 Deren Minne mich auch zwingt 
Und mir ſo viel Kummer bringt: 
Ihr zu Lieb will ich ihn ſchonen. 
Soll ſie mir noch künftig lohnen, 
Er kann es doch nicht wehren, 
20 Will mirs das Gluck gewähren. 
Hat ſie unſern Kampf geſehn, 
So muß ſie mir wohl eingeſtehn, 
Daß ich um Minne dienen kann. 
Da ſprach mein Herr Gawan: 
25 „Wohlan, der Herzogin zu Ehren, 
Will ich dich nicht Sterben lehren. 


Sie waren müd, nicht wunderts mich. 


Er ließ ihn auf; ſie ſetzten ſich 

Beide von einander fern. 

Da ſahen ſie des Kahnes Herrn 
544 Vom Waßer ſteigen auf das Land. 

Er gieng und trug auf ſeiner Hand 

Einen jährgen Falken grau. 

Dieß Recht beſaß er an der Au 

5 Zu Lehen: wenn man da tjoftierte, 
Daß ihm deſſen Roſs gebührte, 


119 


120 - 4 X. Orgeluſe. 


Der da den Unſieg fande; 
Und der ihn überwän de, 
Dem ſollt er dankend neigen, 

10 Seinen Preis nicht verſchweigen. 
Oft hatt er ſolchen Zins genommen; 
Es war ſein einzig Einkommen, 
Wenn einer Lerche nicht etwa 
Von feinem Falken Leid geſchah. 

15 Ihm gieng zu Feld kein andrer Pflug; 
Doch däucht ihn dieß Beſitz genug. 
Er war zum Ritterſtand geboren 
Und früh zu edler Zucht erkoren. 


Nun trat er hin zu Gawan: 
20 um den Zins von feinem Plan 
Bat er mit Beſcheidenheit. 
Da ſprach der Degen kühn im Streit: 
„Herr, ich bin kein Kaufmann, 
Daß ich euch Zoll entrichten kann.“ 
25 Der Herr des Schiffs verſetzte da: 
„Herr, der Fraun ſo manche ſah 
Euch den Preis hier erlangen; 
Nun laßt auch mich mein Recht empfangen: 
Mein Recht nur ſei mir zuerkannt. 
In rechter Tjoſt hat eure Hand 
545 Mir dieſes Roſs erworben. 
Euer Preis iſt nicht verdorben, 
Denn eure Hand hat Ihn gefällt, 
Dem den hoͤchſten Preis die Welt 
5 Mit Wahrheit gab bis dieſen Tag. 
Euer Preis und des Geſchickes Schlag 


X. Orgeluſe. 


Hat ihm des Sieges Luſt genommen; 
Doch Euch iſt großes Heil gekommen.“ 


Gawan ſprach: „Er ſtach mich nieder; 

10 Erholt ich auch hernach mich wieder. 

Wenn euch Zins gebührt von Tjoſten, 

So geht der Zins auf feine Koſten. 

Hier ſeht ihr „Herr, feine Mähre, 

Die billig fein, des Siegers, wäre. 
15 Nehmt fie, wenn es euch gefällt; 

Der dieſes Roſs für ſich behält, 

Bin Ich: es muß mich binnen tragen, 

Solltet ihr nie ein Roſs erjagen. 


Ihr ſpracht von Recht; ſoll Recht entſcheiden, 


20 So bürft ihr ſelber es nicht leiden, 
Daß Ich zu Fuß von hinnen geh. 
Gewiſs, es thaͤte mir zu weh, 

Sollte Dieß Roſs euer fein. 
Es war ganz unbeſtritten mein 

25 Noch heute Morgen in der Fruͤhe. 
Glaubt ihr, ihr naͤhmt es ohne Mühe, 
So rittet ihr ſanfter einen Stab. 
Der mir dieß Roſs zu eigen gab 
War Oxilus, der Burgondois. 
ürjan, der Fürſt aus Punturtois 

546 Hat es mir dann geſtohlen. 

Eines Mauleſels Fohlen 
Moͤchtet eher ihr gewinnen. 
Doch will ich auf Erſatz euch ſinnen; 

5 Ihr haltet jenen Mann ſo werth: 

Statt des Pferds, das ihr begehrt, 
Nehmt Ihn, der's ritt in dieſem Streit. 


121 


122 


X. Orgeluſe. 


Ob es ihm lieb iſt oder leid, 
Ich kehre wenig mich daran.“ 
10 Da freute ſich der Schiffmann. 


Er ſprach mit lachendem Mund: 
„Nie ward mir reichre Gabe kund, 
Wenn das Glück nur wollte, 

Daß ich fie haben ſollte. 

15 Wenn Ihr fie, Herr, im Ernſt gewährt, 
Das iſt weit mehr als ich begehrt. 
Fürwahr, ſtäts klang ſein Lob ſo hell, 
Fünfhundert Roſſe ſtark und ſchnell 

cähm ich ſicher nicht für Ihn; 


20 Auch wärs mein großer Ungewinn. 


Ihr macht mich zum reichen Mann. 

Nur um eins noch halt ich an, 

Genügt euch anders die Kraft: 

Daß Ihr in meinen Kahn ihn ſchafft; 
25 So ſeid ihr mild und hochgeſinnt.“ 

Da ſprach König Lotens Kind: 

„In den Kahn und hinaus 

Und hinein in euer Haus 

Schaff ich ihn euch gefangen.“ 

„So werdet Ihr da wohl empfangen,“ 


547 Sprach der Schiffmann. Nicht verſchweigen 


Wollt er großen Dank mit Neigen. 


Da ſprach er: „Lieber Herre mein, 
Geruhet auch mein Gaſt zu ſein 
5 In meinem Hauſe dieſe Nacht. 
Groͤßre Ehre zugedacht 
Ward keinem Ferjen je wie ich. 


X. Orgeluſe. 123 


Gluͤcklich preiſt mich männiglich, 
Bewirth ich ſolchen werthen Mann.“ 

10 Da ſprach mein Herr Gawan: 

„Ich wollt euch ſelber ſchon drum bitten. 
So müde hab ich mich geſtritten, 

Daß mir wohl Ruhe wäre Noth. 

Die mir dieß Ungemach gebot, 

15 Weiß ihre Süße wohl zu fäuern, 
Dem Herzen Freude zu vertheuern; 
An Sorgen macht ihr Dienſt es reich: 
So iſt ihr Lohn ſich ſelbſt nicht gleich. 
O weh dir, Fund, du biſt Verluſt: 

20 Du ſenkeſt mir die Eine Bruſt, 

Die ſonſt empor begehrte, 

Da mir Freude Gott gewährte. 
Da ward ein Herz gefunden: 
Das, fürcht ich, iſt verſchwunden. 

25 Wie ſoll ich Troſt nun finden, 
Muß ich mich unterwinden 
Solcher Sehnſucht nach Minne? 

Folgt ſie weiblichem Sinne, 
Sie ſoll mir Freude ſchenken, 
Statt mich in Leid zu ſenken.“ 


548 Der Schiffmann hörte, daß er rang 
Mit Sorg und daß ihn Minne zwang. 
„Das iſt hier Brauch, Herr,“ hub er an, 
„In dem Forſt und auf dem Plan, 

5 Soweit Klinſchor Gebieter iſt. 
Ob ihr Muth habt oder miſst, 
Anders geht es nicht als ſo, 
Heute traurig, morgen froh. 


124 X. Orgeluſe. 


Euch iſts vielleicht noch unbekannt: 
10 Nichts als Wunder iſt dieß Land, 
Das waͤhrt hier immer, Nacht und Tag; 
Nur Gluͤck bei Mannheit helfen mag. 
Die Sonne ſeh ich niedrig ſtehn: 
Laßt uns, Herr, zu Schiffe gehn.“ 
15 Alſo bat der Schiffmann. 
Liſchoiſen führte Gawan 
Mit ſich an des Schiffes Bord. 
Da folgte ſonder Widerwort 
Ihm der Held geduldiglich. 
20 Der Schiffmann zog das Roſs mit ſich. 


Sie fuhren über. Am Geſtad 
Der Fährmann Gawanen bat: 
„Seid ſelber Wirth in meinem Haus.“ 
Das war fo herrlich überaus, 

25 Daß kaum zu Nantes, wo Artus faß, 
Sich ſein Haus mit dieſem maß. 
Liſchoiſen führte Gawan ein. 

Der Wirth und das Geſinde ſein 
Nahmen ſich des Gaſtes an. 
Zu ſeinem Toͤchterlein begann 
549 Der Wirth und ſprach zur holden Maid: 

„Gut Gemach und frohe Zeit 
Schaff meinem Herren, der hier ſteht; 
Mir iſt lieb, wenn ihr beiſammen geht. 

5 Nun dien ihm unverdroßen: 
Heil iſt durch Ihn uns zugefloßen.“ 


Seinem Sohn befahl er Gringuljeten. 
Was er das Mägdlein gebeten, 


X. Orgeluſe. 125 


Das ward mit großer Zucht gethan. 
10 Mit der Maid darauf Gawan 
Zu einer Kemenaten gieng, 
Wo den Eſtrich überfieng 
Binſ und Blumen friſch geſchnitten 
Als Gefträufel nach des Landes Sitten. 
15 Da entwappnete ſie ihn. 
„Würd euch von Gott der Dank verliehn!“ 
Sprach Gawan. „Frau, es ſchafft mir Noth; 
Es iſt des Vaters Gebot, 
Sonſt dientet ihr mir allzuſehr.“ 
20 Da ſprach ſie: „Ich dien euch mehr, 
Daß ich eure Huld erringe, 
Herr, als um andre Dinge.“ 


Des Wirthes Sohn, ein Knappe, trug 
Weicher Betten genug 
25 An die Wand der Thuͤr entgegen, 
Und gieng dann einen Teppich legen: 
Da ſollte ſitzen Gawan. 
Der Knappe gieng und brachte dann 
Ein Kiſſen von lichtem Glanz, 
Aus rothem Zindal war es ganz; 

550 Auch ward dem Wirth ein Sitz gelegt. 
Ein andrer Knappe kommt und trägt 
Linnen auf den Tiſch und Brot; 

Beides nach des Wirths Gebot. 
5 Die Hausfrau kam um nachzuſehn: 
Als ſie den Gaſt ſah vor ſich ſtehn, 
Herzlich willkommen hieß ſie ihn. 
Sie ſprach: „Ihr habt uns viel verliehn; 


126 X. Orgeluſe. 


Die Gabe hat uns reich gemacht: 
10 Ich ſeh, daß unſer Glück noch wacht.“ 


Da nun der Wirth war gekommen 

Und das Waßer Gawan angenommen, 
Da that er eine Bitte kund 
Seinem Wirth mit holdem Mund: 

15 „Laßt mit mir eßen dieſe Magd.“ 
„Herr, es iſt ihr unterſagt, 
Daß fie mit Herren aße 
Und ſo nah bei ihnen ſäße: 
Sie überhebt ſich ſonſt zu ſehr. 

20 Doch gilt mir euer Wunſch noch mehr: 
Tochter, thu all ſein Verlangen; 
Es ſei dir im Voraus verhangen.“ 


Wohl ward vor Scham die Süße roth; 

Doch that ſie was der Wirth gebot. 

25 Da ſaß bei Gawan Bene. 
Starker Söhne zweene 
Hatt außer ihr der Wirth erzogen. 
Sein jährger Falke hatt erflogen 
Am Abend drei Galander: 
Die ließ er miteinander 

551 Gawanen bringen alle drei, 
und Eingemachtes dabei. 
Mit Anſtand legt' ihm vor die Maid. 
Sie wuſt ihm auch mit Freundlichkeit 
5 Die beſten Bißen auszuſuchen: 

Die reichte ſie auf weißem Kuchen 
Ihm dar mit klaren Händen. 
„Wollt ihr nicht meiner Mutter ſenden 


X. Orgeluſe. 


Der gebratnen Voͤgel einen? 
10 Sie bekommt ſonſt heute keinen.“ 
Sprach die Jungfrau zu Gawan. 
Er ſprach zum Mägdlein wohlgethan, 
Daß er ihren Willen thäte 
Hierin, und Was ſie ſonſt ihn bäte. 
15 Ein Galander ward geſandt 
Der Wirthin. Seiner milden Hand 
Ließ ſie großen Dank vermelden, 
Und Dank entbot der Wirth dem Helden. 
Da wurde noch in Eſſig 
20 Portulack und Lattich 
Von einem Sohn des Wirths gebracht. 
Nicht hilft zu großer Leibes macht 
Auf die Länge ſolche Nahrung; 
Auch macht ſie bleich, lehrt die Erfahrung. 
25 Solche Farbe thut mit Wahrheit kund 
Was genoßen hat der Mund; 
Doch falſch ſind aufgelegte Farben: 
Die müßen alles Lobes darben. 
Ergiebt der Treu ein Weib ſich ganz, 


ne 
Die dünkt mich, trägt den fi fhönften Glanz. 


552 Genügte Gawan guter Willen, 
So mocht er hier den Hunger ſtillen: 
Keine Mutter goͤnnt dem Kind das Brot 
So gern, als ihm der Wirth es bot. 

5 Die Tiſche wurden weggebracht; 

Die Wirthin wünſcht' ihm gute Nacht. 
Zur Stelle trug man manches Bette 
Zu des Helden Ruheſtaͤtte: 


127 


128 


X. Orgeluſe. 


Von Flaum das Eine ganz und gar, 
10 Ein grüner Sammt die Zieche war; 
Kein Sammt zwar von der hoͤchſten Art, 
Es war ein Sammer: DBaflard. 
Dann wurde zu Gawans Gemach 
Eine geſteppte Decke des Bettes Dach, 
15 Mit einem Pfellet, edles Gold, 
Fern aus der Heidenſchaft geholt, 
Geſteppt auf Palmenſeide. 
Man zog, zu lindem Ueberkleide, 
Zwei weiße Leilachen auf. 
20 Dann kam ein Ohrkiſſen drauf, 
Und ein neuer Mantel, ihm geliehn 
Von der Magd, aus reinem Härmelin. 


Urlaub nahm von ſeinem Gaſt 

Der Wirth, bevor er gieng zur Raſt; 
25 Gawan verblieb, ward mir geſagt, 

Allein zurück, mit ihm die Magd. 

Hätt er mehr von ihr begehrt, 

Sie haͤtt es ihm vielleicht gewährt. 

Doch ſchlaf auch Er, wenn ers vermag; 

Gott hüte ſein bis an den Tag. 


XI. 


Parzival und Titurel. II. 


Inhalt. 


Vor Tag erwacht ſieht Gawan die ſchon geftern yewahrten Frauen noch 
aus den Fenſtern des Schloßes niederblicken. Als Bene zu ihm kommt, 
fragt er ſie, welche Bewandtniſs es mit ihnen babe. Sie bittet ihn, dar⸗ 
nach nicht zu forfchen und bricht in Thränen aus, als er die Frage wieder: 
holt. Ihr Vater, der hinzukommt, will ihm erſt auch nicht Rede ſtehen, 
um ihn nicht in neuen Kampf zu verlocken; als er aber darauf beſteht, es 
zu erfahren, entdeckt er ihm, daß er zu Terre merveille in Klinſchors Lande 
ſei, daß ſich im Schloß das Lit merveil befinde, wo, Wer das Abenteuer 
beſtehe, die vler Königinnen und fünfhundert Frauen erlöſe, von welchen er 
fhon am Plimizöl aus Kondriens Munde vernommen hat. Zugleich erfährt 
er, daß Parzival geſtern in Plippalinotd Kahne übergeſahren iſt, nach dem 
Abenteuer auf Chatel merveil aber nicht gefragt hat. Von dem Fährmann 
audgeriftet und unterrichtet, reitet Gawan nach dem Schloße. Ein Krämer, 
der vor dem Thor köſtliche Schätze feil hält, übernimmt es, fein Roſs zu 
hüten. Er tritt in den Saal, den die Frauen eben verlaßen haben, und von 
da in ein Gemach, über deſſen ſpiegelglatten, von Edelſteinen getäſelten 
Eſtrich das Wunderbette auf vier rubinenen Scheiben vor ihm hin und her 
rollt. Er ſpringt glücklich hinein: Da prallt es mit ihm unter furchtbarem 
Getöſe gegen die vier Wände. Als endlich das Bette ſtille ſteht, ſchleudern 
fünfhundert Wurſſchwingen Steine, ſchießen fünfhundert Armbrüſte Pfeile 
gegen ihn, die ibn durch den harten Schild des Fährmanns vielfach verwun⸗ 
den. Ein wilder Mann mit einer Keule tritt ein, und als er ſieht, daß der 
Ritter noch lebt, läßt er einen Löwen gegen ihn los, den Gawan zwar er: 
ſchlägt, aber bewuſtlos auf ihn niederfällt. Die alte Königin Arnive, die 
er mit drei andern Königinnen von Klin ſchors Zauberbanne erlöſt hat, ſchickt 
ihm zwei Jungfrauen zu Hülfe und übernimmt dann ſelbſt feine Heilung. 


553 Die Augen zog ihm Müde zu, 
Er genoß bis an den Morgen Ruh: 
Da war erwacht der Weigand. 
Viel Fenſter ſah er an der Wand 

5 Des Zimmers, lichtes Glas dafuͤr; 
Auch fand er eine offne Thür 
Nach einem Baumgarten gehn: 

Er trat hinein, ſich umzuſehn; 
Auch wohl um Luft und Vogellieder. 

10 Da ſah er bald die Veſte wieder, 

Die er ſchon Tags zuvor ſah prangen, 
Vor der ſein Kampfſpiel war ergangen. 
Viel Frauen ſah er auf dem Saal, 
Und manche ſchoͤne in der Zahl. 

15 Es wundert' ihn, daß auf dem Schloß 
Die Fraun des Wachens nicht verdroß, 
Denn er ſah, ſie ſchliefen nicht, 

Da kaum noch ſchien des Tages Licht. 


Er dachte: „Daß ſie ſchlafen mögen 

20 Will ich mich auch noch ſchlafen legen.“ 

Wieder an ſein Bett er gieng. 

Der Jungfrau Mantel überfieng 

Ihn; als ſeine Decke. 

Ob ihn nicht Jemand wecke? 
25 Nein: das wär dem Wirthe leid. 

Da dachte ſein die junge Maid, 


134 XI. Arnive. 


Die an der Mutter Seite lag. 

Die Gute ſich des Schlafs entbrach 

Und gieng hinauf zu ihrem Gaſt, 

Der wieder ſchlief in ſüßer Raſt. 
554 Weil ſie gern bedient ihn hätte, 

Auf den Teppich vor ſein Bette 

Setzte ſich die Jungfrau klar. 

Nicht oft geſchieht es mir fürwahr, 

5 Daß mir Abends oder frühe 
Solch Abenteuer blühe. 


Als drauf Gawan erwachte, 

Sah er fie an und lachte: 

„Gott lohn euch,“ ſprach er, „Fräulein, 
10 Daß ihr ſo von wegen mein 

Euern Schlaf unterbrecht, 

Und es an euch ſelber rächt, 

Daß ich euch niemals Dienſt gethan.“ 

Da ſprach die Jungfrau wohlgethan: 
15 „Euern Dienſt entbehr ich gern, 

Wär mir nur eure Huld nicht fern. 

Herr, gebietet über mich: 

Was ihr gebietet, thu ich. 

All die bei meinem Vater ſind, 
20 Die Mutter und ein jedes Kind, 

Wir ſehn als unſern Herrn euch an, 

So Liebes habt ihr uns gethan.“ 


Er ſprach: „Seid ihr ſchon lang gekommen? 
Hätt ich es eher nur vernommen, 
25 Eine Frage hätt ich euch geſtellt, 
Wenn es euch anders gefällt 


XI. Arnive. 135 


Mir Beſcheid darauf zu ſagen. 
Ich ſah in dieſen beiden Tagen 
Viel Fraun auf mich hernieder blicken. 
Seid ſo gut, wenn es ſich ſchicken 
555 Will, und ſagt mir, wer ſie ſein?“ 
Da erſchrack das Mägdelein: 
„Ach, Herr,“ begann ſie, „fragt das nicht, 
Denn ich geb euch nicht Bericht. 

5 Ihr werdets nicht von mir erfragen; 
Weiß ich es gleich, ich darfs nicht ſagen. 
Ihr dürft es mir nicht übel nehmen: 

Ich laß euch Alles gern vernehmen, 
Nur ſchweigt hievon, folgt meinem Rath.“ 

10 Doch Gawan neue Frage that 
Und forſchte nach der Mare, 

Wie es mit den Frauen wäre, 
Die er auf dem Saale ſitzen ſah. 
Das treue Mägdlein weinte da, 

15 In helle Thraͤnen brach fie aus, 

Ihr Jammer ſcholl durchs ganze Haus. 


Es war noch früh an der Zeit: 
Da kam der Vater der Maid. 
Der ließ es ohne Zorn bewenden, 
20 Ob er mit uͤberſtarken Händen 
Sein Töchterlein bezwungen 
Oder doch mit ihr gerungen. 
Das züchtge Mädchen wohlgethan 
Stellte ſich nicht anders an, 
25 Zumal ſie vor dem Bette ſaß; 
Das ließ der Vater ohne Haß. 
„Tochter,“ ſprach er, „weine nicht: 


136 XI. Arnive. 


Was man wohl ſcherzweis thut und ſpricht, 
Setzt das auch Anfangs böfes Blut, 
Hernach iſt Alles wieder gut.“ 


556 Gawan ſprach: „Hier iſt nichts geſchehn, 

Das wir nicht offen eingeſtehn. 
Ich frug das Kind nach Einem Theil: 
Das 3 ſie mein Unheil 

5 Und bat, daß ich die Frage ließe. 
Wenn ich nun Euch nicht auch verdrieße, 
Und euch mein Dienſt bewegen kann, 
So geruht, Herr Wirth, und ſagt mir an, 
Wie iſt es mit den Frauen dort? 

10 Ich weiß in aller Welt den Ort 
Nicht, wo man ſchoͤner Frauen 
So viel möchte ſchauen, 
Mit fo lichtem Gebände.“ 
Da rang der Wirth die Hände 

15 Und ſprach: „Herr, fragt das nicht, um Gott, 
Denn hier iſt Noth über alle Noth!“ 


„So will ich ihren Kummer klagen,“ 
Sprach Gawan. „Wirth, ihr ſollt mir ſagen, 
Warum iſt euch mein Fragen leid?“ 

20 „Herr, wegen eurer Mannheit. 
Koͤnnt ihr der Frage nicht entbehren, 
So werdet ihr auch Kampf begehren. 
Der bringt euch toͤdtliche Gefahr, 
Und macht uns aller Freude bar, 
25 Mich, und alle meine Kinder, 
Die euch zu Dienſten ſind, nicht minder.“ 
N „Ihr follt mirs ſagen,“ ſprach Gawan; 


XI. Yrnipve. 137 


„Wenn ich es hier nicht hören kann, 
Daß Eure Kunde mir entgeht, 
Ich erfahre doch wohl wie es ſteht.“ 


557 Da ſprach der Wirth mit Treuen: 
„Daß ihr die Frage nicht wollt ſcheuen, 
Herr, des muß ich traurig ſein. 

Einen Schild will ich euch leihn: 

5 Wappnet euch zu neuem Streit. 
Zu Terre merveille iſts, wo ihr ſeid, 
Denn das Lit merveil iſt hie. 
Herr, beſtanden ward noch nie 
Auf Schatel merveil die Noth: 

10 Euer Leben will in den Tod. 
Wieviel auch ſtritt eure Hand, 
Wieviel ſie Abenteuer fand, 
Das war noch Alles Kinderſpiel: 
Hier trefft ihr Angſt und Schreckens viel.“ 


15 Gawan ſprach: „Es wär mir leid, 
Ritt ich aus Gemächlichkeit 
Unthätig hin von dieſen Frauen, 
Ohne recht die Sache zu beſchauen. 
Ich hatte laͤngſt davon vernommen; 
20 Nun ich ſo nah ihr bin gekommen, 
So darf ich nicht verzagen, 
Für die Frauen mich zu wagen.“ 
Der Wirth beklagt' ihn, der getreue. 
Er ſprach zu ſeinem Gaſt aufs Neue 
25 „Alle Noth iſt Kleinigkeit, 
Die man finden mag im Streit, 
Gegen dieſes Abenteuer: 


138 XI. Brnive. 


Das iſt ſcharf und ungeheuer 
Fürwahr und ſonder Luͤgen: 
Glaubts, Herr, ich kann nicht trügen.“ 


558 An Furcht und Schrecken kehrte 
Sich Gawan nicht, der Kampfbewährte. 
Er ſprach: „Nun gebt zum Kampf mir Rath: 
Wenn ihrs erlaubet, Rittersthat 

5 Werd ich hier leiſten, will es Gott. 
Euern Rath und eur Gebot 
Nehm ich immer willig an. 
Herr Wirth, ich thäte übel dran, 
Wollt ich ſo von hinnen ſcheiden: 

10 Die Lieben und die Leiden 
Hielten mich für einen Zagen.“ 
Nun erſt begann der Wirth zu klagen, 
Dem größer Leid wohl nie geſchah. 
Zu ſeinem Gaſte ſprach er da: 

15 „Wenn es Gottes Willen iſt, 
Daß ihr den Tod nicht leiden muͤßt, 
So wird zu Theil euch dieſes Land. 
Viel Frauen ſtehen hier zu Pfand, 
Die Zauberei gefeßelt hält 

20 (Erloͤſen mochte ſie kein Held), 
Dazu viel edle Ritterſchaft: 
Kann ſie befreien Eure Kraft, 
So iſt euch Preiſes viel gewährt, 
Euern Namen hat Gott hoch geehrt: 

25 Das Glück läßt euch gewaltig ſein 
Ueber Schönheit, lichten Schein, 
Fraun aus manchen Landen. 
Es gereicht' euch nicht zu Schanden, 


XI. Arnive. 


Wär zu ſcheiden eur Entſchluß, 
Da Liſchois Giwellius 

559 Seinen Preis an euch verloren hat, 
Der manche ritterliche That 
Zuvor vollbracht, der holde Mann, 
Wie ich wohl ihn nennen kann. 

5 Kühn war ſeine Ritterſchaft: 

So manche Tugend Gottes Kraft 
Noch aus Keinem Herzen blühen ließ, 
Nehm ich Ithern aus von Gahevieß. 


„Mein Schiff Ihn geſtern über trug, 

10 Der Ithern vor Nantes ſchlug. 

Fünf Roſſe hat er mir gegeben 

(Laß ihn Gott mit Freuden leben), 

Die Fürſten ſonſt und Kön’ge ritten. 

Sie müßen wie ſie mit ihm ſtritten 
15 Nun ſelbſt zu Pelrapär vermelden: 

Das gelobten ſie dem Helden. 

Sein Schild trägt mancher Tjoſte Mal; 

Er ritt hier forſchen nach dem Gral.“ 


„Herr Wirth, wo iſt er hingekommen? 


139 


20 Und hat er,“ ſprach der Gaſt, „vernommen, 


Als er ſo nahe ritt vorbei, 

Wie es mit dieſen Frauen ſei?“ 

„Herr, er hat es nicht erfahren. 

Ich konnte wohl die Rede ſparen, 
25 Ihn Deſſen zu beſcheiden: 

Den Unfug wollt ich meiden. 

Hättet Ihr die Frage nicht erdacht, 

Ich hätt euch nicht darauf gebracht 


140 XI. Arnive. 


Was hier beſtanden werden ſoll, 
Ein Abenteuer ſchreckenvoll. 

560 Laßt ihr euch keine Bitte hindern, 
So iſt mir und meinen Kindern 
Wohl nimmer leider geſchehn, 
Wenn ihr fallen müßt und untergehn. 

5 Sollt ihr den Sieg behalten, 
Dieſes Landes künftig walten, 
So muß ſich meine Armut enden, 
Denn ich getrau es euern Händen, 
Daß ihr mir Reichthum verleiht. 
10 Mit Freuden Lieb ohne Leid 
Mag euer Preis hier erben, 
Müßt ihr nicht erſterben. 


„Nun wappnet euch zu ſcharfem Streit.“ 
Noch trug Gawan kein Eiſenkleid: 
15 Er ſprach: Bringt mir die Rüſtung her.“ 
Der Wirth erfüllte fein Begehr. 
Von Fuß auf wappnet' ihn alsbald 
Das ſüße Mägdlein wohlgeſtalt, 
Da nach dem Roſs der Vater gieng. 

20 An ſeiner Wand ein Schildrand hieng, 

Der war dick und alſo hart, 

Daß er Gawans Erretter ward: 

Ihm wurden Schild und Roſs gebracht. 
Nun hatte ſich der Wirth bedacht, 

25 Und als er wieder vor ihm ſtund, 
Begann er: „Herr, ich thu euch kund, 
Wie ihr ſollt verfahren, 

Euer Leben zu bewahren. 


XI. Arnive. 141 


„Meinen Schild ſollt ihr tragen: 
Er iſt nicht durchſtochen noch zerſchlagen, 
561 Denn ich kämpfe nur ſelten: 
Wes ſollte denn mein Schild entgelten? 
Herr, wenn ihr vor das Burgthor kommt, 
Ich weiß was euerm Roſſe frommt: 

5 Es ſitzt ein Krämer an dem Thor, 

Dem übergebt das Roſs davor. 
Kauft von ihm was euch gefallt, 
Nur daß er euch das Roſs behält, 

Wenn ihr es ihm zu Pfande ſetzt. 

10 Bleibt ihr im Kampf dann unverletzt, 
Moͤgt ihr das Roſs zurück empfahn.“ 
Da ſprach mein Herr Gawan: 

„Reit ich nicht zu Roſs hinein?“ 

„Nein, Herr. All jener Frauen Schein 
15 Bleibt vor euch verborgen. 

Es naht nun Angſt und Sorgen. 


„Im Saale ſeht ihr euch allein: 

Ihr findet weder Groß noch Klein, 
Das da leb und Athem habe. 

20 Nun ſtärk euch Gottes Gabe, 
Wenn ihr in die Kammer geht, 
Darin das Lit merveil ſteht. 
Das Bett und die vier Rollen ſein, 
Von Marokko der Mahmumelein, 

25 Wollte Der mit allen Schätzen 
Kron und Reich dagegen ſetzen, 
Das reichte nicht an ſeinen Werth. 
An dieſem Bette widerfaͤhrt 
Euch dann was Gott euch zugedacht: 


142 Xl. Arn ive. 


Lenk es gnädig ſeine Macht. 
562 Merkt euch Herr, und ſeid belehrt: 
Dieſen Schild und euer Schwert, 
Laßt fie nimmer aus den Händen. 
Wähnt ihr ſchon, es wolle enden 
5 Eure ſchreckhafte Pein, 
Dann bricht die Noth erſt recht herein.“ 


Als Gawan ſich zu Roſſe ſchwang, 

Da ward dem armen Mägdlein bang. 
Alle klagten, die da waren; 

10 Man ſah ſie ängſtlich gebahren. 
Er ſprach zum Wirth: „Gott goͤnne nur, 
Was mir hier Gutes widerfuhr 
Durch eure treuliche Pflege, 
Daß ich es einſt vergelten möge.“ 

15 Urlaub nahm er von der Maid, 
Die er zurüdließ im Leid. 
Dort ritt er hin; hier ward geklagt. 
Wenn euch zu hören nun behagt, 
Was ſich mit Gawan zugetragen, 

20 Deſto lieber will ichs ſagen. 


Ich ſag es, wie ich es vernahm: 
Als er vor die Pforte kam, 
Er fand davor den Krämer wohl, 
Und ſeinen Kram der Schätze voll. 
25 Feil lag darinne ſolches Gut, 
Immer hätt ich frohen Muth, 
Wär ſolcher Reichthum mir beſchert. 
Da ſchwang ſich Gawan ab vom Pferd. 
Nie hatt er reichern Markt geſehn, 


XI. Arni ve. 


Als er hier ſah vor ſich ſtehn. 

563 Die Bude war ein ſammtnes Zelt, 
Im Viereck hoch und weit geſtellt. 
Was da feil war und zu Kauf? 

So leicht wohl wög es Niemand auf. 
5 Der Baruch von Baldag 

Bezahlt' es nicht was drinne lag; 

Noch thät es wohl von Rankulat 

Der Katholiko. Der Griechenſtaat, 

Als man in Dem noch Schätze fand, 
10 Da bezahlt' es doch des Kaiſers Hand 

Nicht mit Hülfe jener zween: 

So koͤſtlich Gut war hier zu ſehn. 


Den Krämer gruͤßte Gawan 
Und als er ſah, was der Mann 
15 Feil bot für Wunderdinge, 
Er erwies ihm nicht geringe 
Ehre, ſondern ließ mit Neigen 
Sich Gürtel oder Spange zeigen. 
Der Krämer ſprach: „Hab ich fürwahr 
20 Doch hier geſeßen manches Jahr, 
Daß es kein Mann gewagt, zu ſchauen 
(Es ſahns nur edle Frauen), 
Was mein Kram für Schätze beut. 
Nährt euer Herz nun Mannheit, 
25 So iſt euch Alles zugedacht. 
Es ward aus fernem Land gebracht. 
Wenn ihr den Sieg errungen habt 
(Kommt ihr zum Kampf hieher getrabt, 
Herr, und ſoll euch hier gelingen), 
So iſt leicht mit mir dingen, 


143 


144 JI. Arn ive. 


564 Denn was in meinem Krame liegt, 
Das gehoͤrt euch Alles, wenn ihr ſiegt. 
Zieht weiter und vertraut auf Gott. 
Hat euch Plippalinot, 

5 Der Fährmann, hergewieſen? 
Noch von mancher Frau geprieſen 
Wird euer Kommen in dieß Land, 
Wenn fie erlöft eure Hand. 


„Wollt ihr das Abenteur beftehn, 
10 So laßt das Roſs hier bei mir ſtehn: 
Ich hut es, traut ihr mir es an.“ 
Da ſprach mein Herr Gawan: 
„Wüſt ich nur, wenn ichs euch ließe 
Daß ich nicht wider euch verſtieße! 
15 Doch ſchreckt mich euer Föftlih Gut: 
In ſo reichen Marſchalls Hut 
Kam es nie, ſeit Ichs geritten.“ 
Der Krämer ſprach mit holden Sitten: 
„Herr, Ich ſelbſt mit allen Schägen 
20 (Was ſoll ichs auseinanderſetzen ?) 
Bin euer, wenn das Glück euch lacht. 
Wem wär ich anders zugedacht?“ 


Gawan war ſo verwegen, 
Daß er zu Fuß der Noth entgegen 
25 Mannlich gieng und unverzagt. 
Wie ich euch voraus geſagt, 
Er fand das Schloß geraumer Weite; 
Von den vieren jede Seite 
Stand mit Gebäuden wohl zur Wehre. 
Um Feindesſturm nicht eine Beere 


XI. Arnive. 145 


565 Gäb es wohl in dreißig Jahren, 
So wenig hätt es zu befahren. 
In der Mitte lag ein Anger; 
Das Lechfeld. iſt langer. 

5 Viel Thürme ragten hoch empor. 
Die Mare meldet uns: als vor 
Dem Saale Gawan draußen ſtand, 
Du war das Dach bis an den Rand 
Bunt wie der Pfaun Gefieder: 

10 So ſchillernd, blickt' es nieder. 
Weder Regen noch der Schnee 
That dem Glanz des Daches weh. 


Innen war der Saal geziert, 
Mit allem Reichthum ausſtaffiert; 
15 Die Fenfterfäulen wohl zu loben, 
Ein hoch Gewölbe drauf erhoben. 
Ruhebetten ohne Zahl 
An den Wänden überall; 
Steppdecken drauf von mancher Art, 
20 Wie man ſie ſchoͤner nie gewahrt. 
Die Frauen hatten da geſeßen; 
Jetzt hatt es keine vergeßen, 
Sie waren All hinausgegangen. 
Er ward von ihnen nicht empfangen, 
25 Der doch Heil und Freiheit brachte, 
Wie Gawan zu thun gedachte. 
Sie hatten ihn doch wohl geſehn: 
Konnt ihnen Lieberes geſchehn? 
Unrecht dünkt es mich von Allen: 
Er kam ja ihnen zu Gefallen. 
566 Doch hatten ſie nicht Schuld daran. 


Parzival and Titurel. IT. 10 


146 XI. Arnivde 


Nun gieng mein Herr Gawan 
In dem Saale hin und her, 
Zu ſchaun was da zu ſchauen wär. 

5 Da ſah er dort an jener Wand — 
Ob zur rechten oder linken Hand — 
Eine Thür weit aufgethan: 

Da ſollt ihm die Entſcheidung nahn, 
Ob er hohen Preis erwürbe, 
10 Oder um den Preis erſtürbe. 


Nun trat er zu dem Zimmer ein: 
Dem war des Eſtriches Schein 
Wie Glas fo fhlüpfrig und fo klar. 
Das Lit merveil darinne war, 
15 Das wunderbare Bette. 
Dem liefen auf der Glätte 
Von Rubin vier Scheiben rund und hell; 
Selbſt der Wind war nicht ſo ſchnell 
Als die Rollen wurden fortgeſchoben. 
20 Den Eſtrich muß ich euch loben: 
Von Sardinen, Jaspis, Chryſolith 
Getäfelt, wie es Klinſchor rieth, 
Der dieſes Werk hatt erdacht, 
Und durch weiſe Zaubermacht 
25 Herbeigeholt aus manchen Landen 
Die Steine, die da leuchtend ſtanden. 


So ſchluͤpfrig war der Eſtrich, 
Auf den Füßen konnte ſich 
Kaum erhalten Herr Gawan. 
Nun wollt er auf gut Glück ihm nahn, 
567 Doch ſo oft er zu ihm trat, 


XI. Aruive. 147 


Fuhr das Bette von der Statt, 
Wo es eben Platz genommen. 
Wohl fühlt da Gawan ſich beklommen, 
5 Zumal der Schild ihm läftig wird, 
Den ſo dringend ihm empfahl der Wirth. 
„Wie komm ich, „dacht er, „denn zu dir? 
Springſt du hin und her vor mir, 
Ich will dich innen bringen, 
10 Daß ich auch weiß zu ſpringen.“ 
Eben ſtand vor ihm das Bette: 
Zum Sprunge hob er ſich zur Wette 
Und ſprang auch glücklich mittendrein. 
Der Schnelle mag kein Gleichniſs ſein, 
15 Wie das Bette fuhr bald rechts bald links. 
Wider die vier Wande giengs, 
Hier ein Stoß, dort wieder Stoͤße, 
Die Burg erſcholl von dem Getöfe. 


So ritt er manchen Ritt, der Ritter. 
20 Furchtbarer donnert kein Gewitter; 
Die Poſauner aller Welt zumal, 
Fehlte Keiner an der Zahl, 
Und blieſen ſie aus Hungersnoth 
Um das letzte Stückchen Brot, 
25 Nicht ärger könnt es krachen. 
Gawan muſte wachen, 
Wenn er gleich im Bette lag. 
Wie ſich der Held bewahren mag? 
Er hätte gern den Lärm geſtillt; 
Doch zog er über ſich den Schild: 
568 So lag er da und ließ Ihn walten, 
Der Hülfe ſich hat vorbehalten, 


148 xl. Arnive. 


Und Den der Hülfe nie verdroß, 
Wenn ihm fromm das Herz erſchloß, 

5 Der feiner Hülfe Noth gewann. 

Der weiſe herzhafte Mann, 
Wird dem Kummer bekannt, 
Zu Hülfe ruft er Gottes Hand, 

Denn die ift der Hülfe reich, 

10 Und der Helfer hilft ihm gleich. 
Das ward an Gawan neu bewährt: 
Der ſeinen Preis noch ſtäts gemehrt 
Durch ſeine Kraft und Güte, 

Den bat er, daß er ihn behüte. 


15 Endlich muß das Krachen enden. 
Von allen vier Wänden 
Gleich entfernt war die Stätte, 
Wo das wundervolle Bette 
Blieb auf dem Eſtriche ſtehn. 

20 Noch ſollt er größre Noth beſtehn: 
Fünfhundert Wurfſchwingen, 
Die an verborgnen Federn hiengen, 
Wurden plotzlich angezogen. 
Da kamen Steine geflogen 

25 Auf das Bette wo er lag: 
Der Schild, dem Härte nicht gebrach, 
Schützte deckend ſein Gebeine. 
Es waren Waßerſteine, 
Hart genug, ſchwer und rund; 
Der Schild ward hier und da doch wund. 


569 Die Steine waren auch verthan. 
Nie empfunden hatt er bisheran 
So ſcharfe Würfe wie da flogen. 


XI. Aruive. 149 


Nun waren auch zum Schuße Bogen 

5 Geſpannt, fünfhundert oder mehr. 
Die zielten allzumalen her 
Auf das Bette wo er lag. 

Wer ſolche Noth beſtand, der mag 
Wohl wißen, was Pfeile ſind. 

10 Voruͤber giengs jedoch geſchwind: 
Die Schüße waren bald verſtoben. 
Wer ſich Gemächlichkeit mag loben, 
Gerath' in ſolches Bette nicht, 

Das ihm nicht viel Gemach verſpricht. 


15 Jugend möchte wohl ergrauen, 
Muͤſte ſie die Ruhe ſchauen, 
Die Gawan in dem Bette fand. 
Doch fuͤhlt' er noch in Herz und Hand 
Sich keine Schwache regen. 

20 Der Stein und Pfeile Regen 
War nicht gänzlich. an ihm abgeglitten: 
Gequetſcht und hier und da geſchnitten 
War er durch die Panzerringe. 
Schon wähnt' er, hiermit gienge 

25 Nun ſeine Noth zu Ende: 
Da muſten ſeine Hände 
Noch Preis erwerben im Streit. 
Denn ſiehe, zu derſelben Zeit 
Erſchloß ſich vor ihm eine Thür: 
Ein ſtarker Bauer trat herfuͤr, 

570 Ein entſetzlicher Mann. 

Von Fifhhäuten hatt er an 
Eine Mütze und ein Oberkleid, 
Und deſſelben Stoffs zwei Hoſen weit. 


150 


XI. Urnive, 


5 Einen Kolben in der Hand er trug, 
Die Keule dicker als ein Krug. 


Der ſchritt gerad auf ihn daher; 
Nicht war es eben ſein Begehr: 
Seines Kommens ihn verdroß. 

10 Gawan dachte: „Der iſt bloß; 

Da hab ich beßre Wehr und Hut.“ 
Er richtete ſich auf ſo gut 

Als ſeine Muͤdigkeit es litt. 
Zurück trat Jener einen Schritt 

15 Als wollt er fliehen aus dem Haus, 
Und rief in ſeinem Zorn doch aus: 
„Von Mir ſoll euch kein Leid geſchehn; 
Doch will ich gleich zu ſorgen gehn, 
Daß ihr zu Pfand das Leben gebt. 

20 Der Teufel weiß, wie ihr noch lebt: 
Hat der euch vor dem Tod bewahrt, 
Doch bleibt euch Sterben ungefpart: 
Das bring ich euch wohl innen; 
Laßt mich nur erſt von hinnen.“ 

25 So trat der Bauer aus dem Haus. 
Mit dem Schwerte ſchlug im Saus 
Gawan vom Schilde ſich die Schäfte. 
Die Pfeile waren durch die Kräfte 
Des Schußes meiſt hindurch gegangen, 
So daß ſie in den Schienen klangen. 


571 Gebrülle füllte jetzt die Hallen, 


Wie wenn zwanzig Trommeln ſchallen 
Zum Tanz bei einem Feſte. 
Sein kühner Muth, der feſte, 


Kl. Arnive. 


5 Den niemals noch der Zagheit Schwert 
Verwundet hatte noch verſehrt, 
Dachte: „Was ſoll jetzt geſchebn? 

Hier koͤnnt es übel wohl ergehn. 
Will ſich mein Leid noch mehren? 

10 Hier gilt es ſich zu wehren.“ 

Er blickte nach des Bauern Thür: 
Ein ſtarker Löwe ſprang herfuͤr, 
Einem Roſſe gleich an Höhe. _ 
Gawan, der ungern floͤhe, 

15 Den Schild ergriff er bei dem Riemen, 
Wie es zur Wehr ihm mochte ziemen, 
Indem er auf den Eſtrich ſprang. 

Der ſtarke Loͤwe hatte lang 
Gefaſtet, Hunger macht ihn grimm; 

20 Und doch ergieng es hier ihm ſchlimm. 
Zornig ſprang er auf den Mann: 

Zur Wehre ſtellte ſich Gawan. 


151 


Er hätt ihm ſchier den Schild entrungen; 


Durch den Schild war gedrungen 
25 Beim erſten Griff ſeine Tatze. 

Den Griff hat ſelten eine Kaze 

Durch ſolche Härte gethan. 

Mit Zucken wehrte ſich Gawan, 

Der ihm ein Bein vom Leibe ſchwang: 

Der Leu auf dreien Füßen ſprang; 
572 Im Schilde blieb ſein vierter Fuß. 

Niederſchoß des Blutes Guß, 

Daß es den ganzen Eſtrich näß te: 

Nun ſtand er auf dem Boden feſte. 
5 Oft ſprang der Leu empor an ihm, 


152 Xl. Ar nive. 


Seine Naſe ſchnaubte ungeftüm, 
Als er zähnebleckend ſtoͤhnte. 
Wenn man ihn ſo gewoͤhnte, 
Gute Leute zu verſchmauſen, 

10 So moͤcht ich ungern mit ihm hauſen. 
Im Kampf um Tod und Leben auch 
Miſsfiel Gawanen ſolcher Brauch. 


Er hatt ihn ſchon ſo ſchwer verletzt, 

Allenthalben war benetzt 

15 Das Gemach mit ſeinem Blut. 
Aufſprang der Leu mit zorngem Muth 
Und wollt ihn zucken unter ſich: 
Gawan gab ihm einen Stich 
Durch die Bruſt bis an die Hand, 

20 Davon des Loͤwen Zorn verſchwand: 
Er ſtürzte nieder und war todt. 
So hat Gawan die große Noth 
Ueberwunden im Streit. 
Nun gedacht' er um die Zeit 

25 Bei ſich: „Was wäre mir nun gut? 
Ich ſaß nicht gern in dieſem Blut; 
Auch will ich vor dem Bett mich wahren: 
Es weiß ſo toll umher zu fahren, 
Ich lege mich nicht wieder drein: 
Da müſt' ich wahrlich unklug ſein.“ 


573 Doch fo betäubt und ſinnberaubt 
Von den Würfen war ſein Haupt, 
Auch war ihm durch die Wunden 
Des Bluts ſo viel geſchwunden, 
5 Daß ſeine trotzige Kraft 


XI. Arnive. 153 


Jetzt allmählich ihm erſchlafft, 
Bis er ſchwindelnd zuſammenbrach. 
Das Haupt ihm auf dem Loͤwen lag, 
Der Schild fiel nieder unter ihn. 

10 Beſaß er jemals Kraft und Sinn, 
Jetzt ſind ihm beide weit entführt: 
Wer hat ſo unſanft ihn berührt? 


Der Sinn verließ ihn völliglich. 
Seinem Kopfkiſſen glich 
15 Jenes nicht, das Gimele 
Von Monte Ribele, 
Die in Liedern wird geprieſen, 
Unter ſchob Kaheniſen, 
Daß er den Preis verſchlief in Ruh: 
20 Der Preis lief dieſem Manne zu. 
Denn Ihr habt ja wohl vernommen, 
Wie er von Sinnen iſt gekommen, 
Daß er dalag ohne Leben, 
Wie ſich das Alles hat begeben. 


25 Heimlich lauſchend wards beſchaut, 
Wie mit Blut war überthaut 
Der Kemenaten Eſtrich, 
Und Jedweder Leichen glich, 
Der Loͤwe und Herr Gawan. 
| Eine Jungfrau wohlgethan 
574 Lugte ſcheu von oben ein: 
Da erblich ihr lichter Schein. 
Da die Junge ſo verzagte, 
Wars Wunder, daß die Alte klagte, 
5 Arnive die weiſe? 


154 


XI. Ar nive. 


Noch gereicht es ihr zum Preiſe, 
Daß ſie dem Ritter Hülfe bot 
Und ihn ſchützte vor dem Tod. 


Nun gieng ſie ſelbſt, hinab zu ſchauen. 

10 Da ward auch von der Frauen 

Durch das Fenſterlein geblickt. | 

Was iſt es, daß der Himmel ſchickt? 

Sinds künftge Freudentage, 

Iſts immerwährende Klage? 
15 Der Ritter, ſorgte ſie, iſt todt, 

Der Gedanke ſchuf ihr Noth, 

Da er ſo auf dem Löwen liegt 

Und auf kein ander Bett ſich ſchmiegt. 

Sie ſprach: „Mir iſt von Herzen leid, 
25 Wenn deine treue Mannheit 

Dein werthes Leben hat verloren: 

Haſt du den Tod allhier erkoren 

Für uns arme Heimathloſe, 

Gab dir die Treue das zum Looße, 


25 So erbarmt mich deine Tugend, 


Du habeſt Alter oder Jugend.“ 

Zu allen Frauen ſprach ſie da, 

Da ſie ſo den Helden liegen ſah: 

„Ihr Frauen, die die Tauf empfiengen, 
Fleht Gott, ihm Hülfe noch zu bringen.“ 


575 Sie ſandte zwei Jungfrauen 


Hinab, und bat ſie zuzuſchauen; 

Daß ſie leis ſich zu ihm ſchlichen 

und nicht eher von ihm wichen, 
5 Bis fie wuͤſten ſichre Märe, 


XI. Arnive. 155 


Ob er am Leben wäre, 

Ob verfallen ſchon dem Tod; 
Beiden gab ſie dieß Gebot. 
Die reinen fügen Maide, 

10 Ob ſie nicht weinten beide? 
Ja, Jedwede weinte, 
Jedwede Jammer peinte, 
Als ſie ihn ſo gefunden, 
Daß von ſeinen Wunden 

15 Der Schild im Blute ſchwebte. 
Sie beſahn ihn ob er lebte? 


Die Eine jetzt mit klarer Hand 
Den Helm von ſeinem Haupte band 
Und entſchnuͤrt' ihm die Fintalen fein. 
20 Sie ſah ein kleines Schäumelein 
Vor ſeinem rothen Munde ſtehn. 
Sie begann zu lauſchen und zu ſpähn, 
Ob ſie ſeinen Athem ſpuͤre, 
Kein Lebenszeichen mehr ſich ruͤhre: 
25 Noch lag er mit dem Tod im Streit. 
Von Zobel ſtand auf ſeinem Kleid 
Ein gedoppelt Gampilon, 
Wie Ilinot der Breton 
Mit großem Preis das Wappen trug. 
Der brachte Würdigkeit genug, 
576 Ein Jüngling, an fein frühes Ende. 
Des Zobels rauften ihre Hände 
Ein wenig aus, dann hielt ſie's dar 
Vor ſeine Naſe, ob das Haar 
5 Vielleicht ſein Athem regte, 
Daß es leiſe ſich bewegte. 


156 Xi. Arnive. 


Da fand ſich Athem genug. 
Nun hieß ſie ohne Verzug 
Nach dem Hofe ſpringen 

10 Und ein lautres Waßer bringen: 
Ihr Geſpiel wohlgethaen 
Bracht es eilends heran. 

Da ſchob ſie ſacht ihr Ringelein 
Zwiſchen ſeiner Zähne Reihn: 

15 Sie wuſt' es gar geſchickt zu thun. 
Des Waßer goß die Holde uun 
Ein wenig nach, und mählich mehr: 
Zu gießen brauchte ſie nicht ſehr 
Bis er die Augen aufſchwang. 

20 Da bot er Dienſt und ſagte Dank 
Den holden Jungfrauen: 

„Daß Ihr mich muſtet ſchauen, 
Hier ſo ungezogen liegen! 
Wird das von euch verſchwiegen, 

25 Für Güte rechn ich das euch an: 
Eure Zucht bewährt ihr dran.“ 


Da ſprach ſie: „Ihr lagt und liegt 
Wie Der den höchſten Preis erſiegt. 
Ihr habt den Preis hier ſo behalten, 
Daß ihr mit Freuden möget alten: 
577 Der Sieg iſt eure Beute. 

Nun tröſtet auch uns arme Leute: 
Steht es um eure Wunden ſo, 
Daß wir mit euch werden froh? 

5 Er ſprach: „Säht ihr mich gerne leben, 
So ſollt ihr mir Hülfe geben“ 
Alſo bat er die Frauen: 


IXI. Arnive. 


„Laßt meine Wunden Einen ſchauen, 
Der ſich auf Heilung mag verſtehn. 

10 Soll ich noch Kampfe mehr beſtehn, 

So geht und reicht den Helm mir her; 
Mein Leben ſchütz ich gern mit Wehr. 
Sie ſprachen: „Kampfes ſeid ihr ledig. 
Herr, laßt uns bleiben, ſeid fo gnädig. 

15 Nur Eine gehe ſich gewinnen 
Bei vier Koͤniginnen 
Das Botenbrot, daß ihr am Leben. 
Auch wird euch gut Gemach gegeben 
und Arzneien wunderbar; 

20 Mit Salben nimmt man euer wahr 
Getreulich, die ſo heilſam ſind, 

Und ſo ſanft und gelind, 
Daß ihr von Quetſchungen und Wunden 
Müßt in kurzer Zeit geſunden.“ 


25 Die Eine ſchnell von dannen fprang, 
Nicht mit lahmendem Gang: 
Zu Hofe brachte ſie die Märe, 
Daß er am Leben wäre, 
„So den Lebendigen gleich, 
Daß er uns noch freudenreich 

578 Mit Freuden macht, geliebt es Gott. 

Nur iſt ihm guter Hülfe Noth.“ 
„Dieu merzi“ ſprachen ſie zumal. 
Die alte Königin befahl 

5 Gleich ein Bette zu bereiten, 
Und Teppiche davor zu ſpreiten 
Bei einem guten Feuer. 
Heilſame Salben theuer, 


— 


Lew 


158 


XI. Arn ive. 


Gemiſcht mit kundigem Sinn, 

10 Bracht herbei die Koͤnigin, 

Daß ſie ſeine Wunden heile. 
Auch gebot ſie in Eile 

Vier Frauen, daß ſie giengen 
Und ſeinen Harniſch empfiengen; 

15 Doch ſollten fie ihn leis entkleiden, * 
und das Eiſen ſo vom Roſte ſcheiden, 
„Daß er ſich nicht braucht zu ſchämen. 
Einen Pfellel ſollt ihr um euch nehmen; 
Alsdann entwappnet ihn im Schatten. 

20 Wenn ſeine Wunden es verſtatten, 
So geht er, oder tragt ihr ihn 
Zu Bette, wo ich bei ihm bin; 

Ich ſorge, daß er ſanft mag liegen. 
Wuſt er ſo im Kampf zu kriegen, 

25 Daß er nicht ward von Herzen wund, 
So mach ich ihn wohl bald geſund. 
Trüg er eine Wund im Herzen, 
Die wurd uns Alle ſchmerzen: 

So wären wir mit ihm erſchlagen, 
Müſten den Tod lebendig tragen.“ 


579 Nun, dieß Alles ward gethan. 


Ent wappnet wurde Gawan, 
Alsdann zu Bett geleitet 
Und ihm Beiſtand bereitet 
5 Von ſolchen, die 's verſtunden. 
Da waren feiner Wunden 
An funfzig oder gar noch mehr. 
Doch fand man durch des Panzers Wehr 
Die Pfeile nicht gar tief gedrückt, 


XI. Arnive. 159 


10 Weil er den Schild davor gerüdt. 
Die alte Königin nahm 
Warmen Wein und Diktam: 
Mit einem blauen Zindal ſtrich 
Sie aus den Wunden ſäuberlich 
15 Das geronnene Blut, und verband 
Sie ſo, daß bald ſein Leid verſchwand. 
Wo der Helm war eingebogen, 
Das Haupt mit Beulen überzogen 
Von den Würfen und Schüßen: 

20 Dieſe Quetſchungen müßen 
Weichen vor der Salbe Kraft 
Und der Aerztin Meiſterſchaft. 


„Ich ſchaff euch Lindrung,“ ſprach die Hehre. 
„Kondrie la Sorziere 
25 Beſucht mich hier zuweilen: 
Was Arznei vermag zu heilen, 
Das lehrt fie mich. Seit Anfortas 
So ſchwer verwundet wurde, daß 
Man auf Hülfe für ihn ſann, 
Hat dieſe Salb ihm wohlgethan; 

580 Von Monſalväſche kommt fie her.“ 
Da Gawan der Degen hehr 
Monſalväſch aus ihrem Mund 
Vernahm, da ward ihm Freude kund. 

5 Er wähnt', es wäre nahebei. 
Da ſprach der Degen falſchesfrei, 
Gawan zu der Koͤnigin: f 
„Bewuſtſein, Herrin, und Sinn, 
Die ich beide ſchon verloren, 

10 Die habt Ihr zurückbeſchworen 


160 XI. Arni ve. 


In mein Herz mit Einem Mal; 
Auch lindert ſchon ſich meine Qual. 
Hab ich Kraft nun und Sinn, 
So dankt euch ihren Gewinn 
15 Euer Dienſtmann ganz allein.“ 
Sie ſprach: „Euch dankbar zu ſein 
Müßen Wir wohl alle ſtreben 
Und uns getreulich Mühe geben. 
Folgt mir nur, und ſprecht nicht viel. 
20 Eine Wurzel ich euch geben will, 
Daß ihr erquicklich ſchlafen müßt. 
Eßens, Trinkens kein Gelüft 
Sollt ihr haben vor der Nacht. 
Kehrt euch dann wieder Leibesmacht, 
25 So trag ich fo viel Speif euch zu, 
Daß ihr wohl harrt bis Morgen fruh.“ 


Da legte ſie in ſeinen Mund 
Eine Wurzel: er entſchlief zur Stund. 
In Decken hüllte ſie ihn tief, 
Daß er des Tages Reſt verſchlief. 

581 Der Ehrenreiche, Schandenarme 

Lag ſanft und warm in Schlafesarme; 
Nur fiel zuweilen Froſt ihn an, 
Daß er zu nieſen begann: 

5 Das war der edeln Salbe Wirken. 
Viel Frauen ſah man ihn umzirken; 
Sie giengen aus und wieder ein 
Und trugen lichter Schoͤnheit Schein. 
Doch muſten ſie der alten 

10 Arnive Rath in Ehre halten, 
Daß keine ſpräche oder riefe, 


XI. Arnive. 


So lang der Held da ſchliefe. 
Verſchließen ließ ſie auch den Saal, 
Daß die Ritter allzumal, 

15 Die Bürger und die Knechte, 
Vom beſtandenen Gefechte 
Nichts erführen vor dem andern Tage. 
Da kam den Frauen neue Klage. 


So ſchlief der Held bis an die Nacht. 
20 Da war die Königin bedacht 
Ihm die Wurzel aus dem Mund zu thun. 
Er erwachte: trinken ſollt er nun; 
Getränk und ſüße Speiſe 
Schaffte bald die weiſe. 
25 Er richtete ſich auf und ſaß; 
Auch ſchmeckt' ihm wohl was er aß. 
Manch ſchoͤne Frau da vor ihm ſtand: 
Nie ward ihm beßrer Dienſt bekannt; 
Er ward mit großer Zucht gethan. 
Da ſpähte mein Herr Gawan 
582 Bald nach dieſen bald nach jenen; 
Doch muſt er immer noch ſich ſehnen 
Nach Orgeluſen, der klaren. 
Ihm war in ſeines Lebens Jahren 
5 Noch kein Weib ſo nah gegangen, 
Ob er Minne hatt empfangen, 
Ob ihm Minne blieb verſagt. 
Da ſprach der Held unverzagt 
Zu der alten Königin, 
10 Arniven, ſeiner Aerztin: 


„Frau, es kraͤnkt mir meine Zucht 
Und ſchiene meines Hochmuths Frucht, 


Parzival und Titurel. II. 11 


161 


162 XI. Arnive. 


Wenn dieſe Frauen vor mir ſtehn: 
Gebietet, daß ſie ſitzen gehn; 

15 Oder laßt ſie mit mir eßen.“ 
„Herr, hier wird nicht geſeßen 
Von ihrer Einer bis auf mich: 
Schämen müſten Alle ſich, 
Dienten ſie euch nicht ſo gern, 

20 Denn Ihr ſeid unfrer Freude Stern. 
Jedoch was ihr gebieten wollt, 
Das leiſten ſie, ſie ſind euch hold.“ 
Die edeln hochgebornen Frauen 
Ließen ihre Zucht wohl ſchauen, 

25 Denn ſie baten ihn zumal 
Mit holdem Mund, daß er beim Mal, 
Wenn es ihn nicht verdrieße, 
Sie vor ihm ſtehen ließe. 
Nun das vorbei iſt, gehn ſie wieder; 
Zum Schlafe legt ſich Gawan nieder. 


Inhalt. 


Gawan, den Minnenoth nicht ſchlaſen läßt, ſpringt vom Lager und be: 
ſchaut ſich die Wunderburg. Auf dem Warthaus ſteht eine hohe Säule, die 
Alles abſpiegelt, was ſich im Umkreiß von ſechs Meilen begiebt. Darin ſieht 
er Orgeluſen mit einem Ritter, dem Türkowlten, nach der Kampfwieſe reiten. 
Er hält dieß, wie es in der That gemeint iſt, für eine Herausforderung, wapp⸗ 
net ſich, reitet hin, und ſticht auch dieſen Kämpen der Herzogin ab. Diefe 
reizt ihn wieder durch höhniſche Reden, verheißt ihm aber Minne, wenn er 
ihr aus dem Klinſchorwalde einen Kranz von dem Baume bringe, den König 
Gram oflanz hege. Dieſen zu holen will er bei dem Waßer Sabins über die 
gefährliche Furt Ligweiß Prellius ſprengen, ſtürzt aber mit dem Pferde in die 
reißende Flut und erreicht nur mit großer Noth das Geſtade. Als er den Kranz 
bricht, erſcheint Gramoflanz unbewaffnet, verſchmäht aber den Kampf mit 
ihm, weil er nur mit Zweien zugleich zu kämpfen gewohnt ſei. Gramoflanz 
hat Orgeluſens Gemal Cidegaſt erſchlagen und fie ſelbſt entführt, ohne fie ge: 
winnen zu können; aus Rache ſtellt ſie ihm jetzt nach dem Leben. Er liebt 
nun eine der vier Königinnen auf Schatelmerveil, die junge Itonja, Gawans 
Schweſter, deren Vater Lot jedoch feinen Vater Jrot im Gruß erfchlagen haben 
ſoll, weshalb er mit Lots Sohne Gawan ausnahmsweiſe zum Einzelkampfe 
bereit ſei. Als ſich Gawan zu erkennen giebt und für feinen Vater ein zuſtehen 
erbietet, wird ein Zweikampf auf dem Plan vor Joflanze verabredet, zu dem 
ſich beide Theile mit großem Geſolge von Rittern und Frauen, namentlich 
Gawan mit Artus und ſeiner Maſſenie (Ingeſinde), einfinden ſollen. Darauf 
ſprengt Gawan, obwohl eine Brücke in der Nähe iſt, über den Strom zurück 
und bringt Orgeluſen den Kranz. Dieſe bittet ihm fußfällig ihre bisherige 
Härte ab, die ihn nur verſuchen und für den Kampf mit Gramoflanz gewinnen 
ſollte. Um an dieſem Cidegaſts Tod zu rächen, hat ſie eine große Schar von 
Rittern, worunter Herjoge und Könige, um Sold und Minnelobn geworben 
(nur Parziwal hatte fie verſchmäht), und den reichen Kram (den Sekundille 
mit Kondrien la Sorziere und Malkreatüre dem Anfortas, und dieſer Orge⸗ 
luſen, ſeiner Geliebten geſchenkt) mit Klinſchors Bewilligung vor das Thor des 
Schloßes geſetzt, damit Gramoflanz, weil ihr Beſitz daran hleng, zu dem 
Abenteuer gereizt würde und umkäme. Die Herzogin begleitet nun Gawan 
nach dem Schloße, von deſſen Zinne ſie erkannt und von Klinſchors Ritterſchaft 
eingeholt werden. Nach der Ueberfahrt, bei welcher ſie Vene bewirthet, be⸗ 
dingt ſich Plippalinot als Lifchoifend Löſegeld aus Sekundillens Goldkram elne 
Harſe, Schwalbe genannt. Gawan ſchickt Artuſen Brief und Voten nach 
Bems an der Korka im Lande Löver wegen ſeines Zweikampſs mit Gramoflanz. 
Arnive, der Gawan feinen Namen und nahe Verwandtſchaft verheimlicht, ver: 
ſucht vergebens den Voten auszuforſchen. 


583 Wer ihm nun Schlummer nahme, 

Wenn ihm der Schlummer käme, 
Der würde ſich verfündigen. 
Wir hoͤrten uns verkuͤndigen 

5 Welche Drangſal er beſtanden, 
Wie ſeinen Preis allen Landen 
Kund that ſeines Kampfes Noth. 
Was der werthe Lanzelot 
Auf der Schwertbrücke litt 

10 Und als er Meljakanz beſtritt, 
Das vergleicht ſich dieſen Schrecken niche, 
Noch was man von Garelle ſpricht, 
Dem reichen Koͤnig unverzagt, 
Der es ritterlich gewagt, 

15 Den Leu zu werfen vor den Saal 
Zu Nantes, vor den Herren all. 
Das Meßer holte auch Garell, 
Doch büßt' es ſchwer der Degen ſchnell 
In der marmornen Säule. 

20 Trüg ein Maulthier die Pfeile, 
Es wär ihm allzuſchwere Laſt, 
Die Gawan der muthge Gaft 
Auf ſein Herz abſchnurren ließ, 
Wie ſein kühnes Herz ihn hieß. 

25 Ligweiß Prellius die Furt, 
Und Erecks Noth, der Schoidelakurt 
Von Mabonagrein erſtritt, 


168 XII. Cibegaſt. 


Schuf nicht ſolch Leid, wie Gawan litt, 
Auch Iweins nicht (der ſtolze Degen 
Ließ den Guß nicht unterwegen 

584 Auf der Aventüre Stein): 
Fügt in Eins all dieſe Pein, 
Doch groͤßre Noth beſtand Gawan, 
Wer Ungemach ermeßen kann. 


Welche Noth nun mag ich meinen? 
Wills euch nicht zu zeitig ſcheinen, 
So mach ich euch bekannt damit. 
Orgeluſe kam mit ſchnellem Schritt 
In Gawanens Herz gegangen, 

5 Der Zagheit nie darin empfangen, 
Nur hohen Muth und kühnen Sinn. 
„Wie geſchahs, wie barg ſich drin 
Die große Frau in kleiner Statt? 
Sie kam ſo einen engen Pfad 

15 In Gawans beklommnes Herz, 

Daß all ſein übriger Schmerz 
Neben dieſer Noth verſchwand. 
Es war doch eine niedre Wand, 
Die ein ſo hohes Weib verdeckte, 

20 Der zu dienen nichts erſchreckte 
Sein treues dienſtliches Wachen. 
Niemand ſoll darüber lachen, 

Daß alſo wehrhaften Mann 
Ein Weib ſo überwinden kann. 

25 Alle Welt, was ſoll das ſein? 

Nun lehrt der Minne Zorn ihn Pein, 
Der hohen Preis ſich hat erjagt. 
Wehrlich und unverzagt | 


XII. Eidegaft. 169 


Hat fie ihn doch befunden. 
Gewalt zu thun dem Wunden, 
585 Kann es ihrer Ehre frommen? 
Sollt es ihm nicht zu Gute kommen, 
Daß ſie ihn bei voller Kraft 
Wider Willen zwang in ihre Haft? 


5 Frau Minne, wollt ihr Preis erjagen, 
So laßt beſcheidentlich euch ſagen, 
Dieß kann euch nimmer Ehre bringen. 
Gawan hat ſtäts in allen Dingen 
Gethan nach eurer Huld Gebot, 

10 Desgleichen auch ſein Vater Lot, 

Und all fein mütterlih Geſchlecht 
War euch zu Dienſten ſtäts gerecht 
Schon ſeit jenem Mazadan, 
Welchen gegen Feimorgan 

15 Terredelaſchoi entfuͤhrte, 

Da eure Macht fein Herz berührte. 

Von Mazadans Nachkommen, 

Hat man immerdar vernommen, 

Daß Keiner jemals von euch ließ. 
20 Ither auch von Gahevieß 

Hat euer Wappenkleid getragen: 

Hört’ eine Frau nur von ihm fagen, 

Die bedachte ſich nicht lang, 

Auf ſeines Namens bloßen Klang 
25 Sich überwunden zu geſtehn: 

Wie Jene denn, die ihn geſehn? 

Der war frohe Zeit gekommen. 

An dem ward euch viel Dienſt benommen. 


170 XIl. Eidegaft. 


Nun gebt Gawanen auch den Tod 
Wie ſeinem Vetter Ilinot, 
586 Den eure Macht ſo lange zwang, 
Bis der Junge, Süße rang 
Nach der Liebſten günſtgem Blick; 
Florie wars von Kanedick. 
5 Früh muſt er ſeine Heimat fliehn; 
Ihn erzog die Koͤnigin; 
Er ſah Brittannien nicht mehr. 
Mit Minne lud ſie ihn ſo ſchwer, 
Es trieb ihn auch aus Ihrem Land. 
10 Zuletzt in ihrem Dienſte fand 
Man ihn todt; ihr habts vernommen. 
Gawans Geſchlecht iſt oft gekommen 
Durch Minn in herzliche Beſchwer. 
Ich nenn euch ſeiner Vettern mehr, 
15 Denen auch von Minne wurde weh. 
Wie zwang der blutige Schnee 
Parzivals getreuen Sinn? 
Das ſchuf ſein Weib, die Koͤnigin. 
Galoes und Gahmureten 
20 Habt ihr zu Boden ſo getreten, 
Daß ſie auf der Bahre lagen. 
Itonjé die junge muſte tragen, 
Die ſchoͤne Schweſter Gawans, 
Mit Treuen um Roi Gramoflanz 
25 Der Minne peinlichen Streit. 
Frau Minne, ſchuft ihr nicht auch Leid 
Sürdamur um Alexandern? 
Dem Einen wie dem Andern, 
Die Gawanen zum Verwandten hatten, 
Wolltet ihr es nie geſtatten 


XII. Eidegaft. 171 


587 Eure Feßel nicht zu tragen: 
Nun wollt ihr Preis an Ihm erjagen. 


Ihr ſolltet Kraft der Kraft erwiedern 

Und ließet Gawan frei, den Biedern. 

5 Ihn ſchmerzen noch zu ſehr die Wunden; 
Derweil bezwinget die Geſunden. 
Schon Mancher viel von Minne ſang, 
Den Minne nie ſo ſehr bezwang; 
Ich möcht es in Geduld ertragen: 

10 Verliebte Herzen ſolltens klagen 
Wie ihr den von Norweg ſchlagt in Banden; 
Die Aventür hatt er beſtanden, 
Da traf den Armen allzubitter 
Der Minne ſchauriges Gewitter. 


15 „Weh,“ ſprach er, „daß zur Ruheſtätte 
Mir ward dieß ruheloſe Bette! 
Das eine hat mich wund gemacht, 
„Das andre quält mir über Nacht 
Mit Liebesſehnen Herz und En 

20 Orgelus die Herzogin 
Muß Genad an mir begehn, 

Soll ich noch frohe Tage ſehn.“ 
Wie er vor Ungeduld ſich wand, 
Zerriß ihm mancher Wundverband. 

25 In ſolchem Ungemache lag 
Der Held, bis ihn beſchien der Tag: 
Den hatt er unſanft erharrt. 

Ich weiß, daß oft ihm wohler ward 
In manchem ſcharfen Schwerterſtreit, 
Als heut in ſeiner Ruhezeit. 


172 XII. Eidegaft. 


588 Soll ein Leid an feines reichen, 
Will ſeins ein Minner ihm vergleichen, 
Von Minne werd er erſt geſund, 
Und dann wie Er von. Pfeilen wund: 
5 Das ſchmerzt vielleicht ihn ſchon ſo ſehr 
Als all ſein men vorher. 


Gawan trug Minn und andre Noth. 

Da ſchien des Tages Morgenroth, 
Daß ſeiner großen Kerzen Schein 

10 Schier verdunkelt muſte ſein. 
Vom Bette ſprang der Weigand: 
Da war all ſeine Leinewand 
Von Blut und Eiſenroſt befleckt. 
Doch war ein Stuhl für ihn bedeckt 

15 Mit Hof und Hemd von Buckeram: 
Dem Wechſel war er gar nicht gram. 
Dann war ein Marderhut bereit, 
Von gleichem Pelz ein Unterkleid; 
Darüber kam ein weit Gewand 

20 Von Zeuch aus Arras hergeſandt. 
Zwei Stiefeln ſtanden auch dabei, 
Nicht zu eng, doch fhön und neu. 


Die neuen Kleider legt' er an: 

Da ſchritt mein Herr Gawan 

25 Zu des Zimmers Thuͤr hinaus. 
Nun gieng er hin und her im Haus, 
Bis er den Saal, den reichen, fand. 
Sein Auge hatt in keinem Land 
Solche Pracht noch erſchaut, 
Wie hier verwandt war und verbaut. 


XII. Cibegaſt. 


589 Auf des Saales Einer Seite 
Stand ein Gebäude maͤßger Weite; 
Stufen führten in der Runde 
Zu der herrlichen Rotunde. 

5 Darin ſtand eine Säule ſtolz, 
Nicht etwa aus faulem Holz, 
Nein ſchoͤn und licht, dabei fo ſtark 
Und groß, der Frau Kamille Sarg 
Hätte wohl darauf geſtanden. 

10 Aus Feirefißens Landen 

Brachte Klinſchor der weiſe 
Was er hier prangen ſah im Kreiſe. 


Runder ſah man Zelte nie. 
Ein Meiſter der Geometrie, 
15 Hätte der es ſchaffen wollen, 
Dem hätte Kunſt gebrechen ſollen: 
Geſchaffen hatt es Zauberliſt. 
Diamant und Amethiſt 
(Die Märe hat es uns verrathen), 
20 Dazu Topaſen und Granaten, 
Chryſolithen und Rubinen, 
Smaragden und Sardinen 
Schmückten alle Fenſter reich. 
Weit und hoch, den Säulen gleich, 
25 Die ſich zwiſchen den Fenſtern hoben, 
War verziert die Decke droben. 


Doch keine Säule zeigte ſich, 
Die der großen Säule glich, 
Die in des Raumes Mitte ſtund: 
Die Aventuüre thut uns kund, 


173 


174 NM. Side gaſt. 


590 Viel Wunder zeigte ſich daran. 
Schauluſtig flieg Herr Gawan 
Auf das Warthaus allein 
Zu manchem koſtbaren Stein. 
5 Da fand er Wunder übergroß, 
Daß ihn des Schauens nicht verdroß. 
Ihn däuchte, daß er Fern und Nähe 
In der großen Säule gefpiegelt fähe. 
Die Länder drehten ſich im Kreiſe, 
10 Es drängten wie in Kampfesweiſe 
Die großen Berge einander. 
In der Säule fand er 
Leute reiten, Leute gehn, 
Dieſen laufen, jenen ſtehn: 
15 In ein Fenſter ſetzte ſich Gawan 
Und ſah das Wunder ſtaunend an. 


Da kam die alte Arnive 
Mit ihrer Tochter Sangive 
Und ihren beiden Enkelinnen: 
20 Ihm nahten die vier Königinnen. 
»Gawan ſprang auf, als er ſie ſah. 
Arnive ſprach, die alte, da: 
„Herr, ihr ſolltet noch der Ruhe pflegen. 
Wollt ihr der Ruh euch ſchon begeben, 
25 Ihr ſeid dazu noch allzuſchwach; 
Ihr braucht nicht neues Ungemach.“ 
Da ſprach er: „Frau und Meiſterin, 
Mir hat ſo viel Kraft und Sinn 
Eure Kunſt zurückgegeben, 
Ich wills euch danken all mein Leben.“ 


XI. Eidegaft. 175 


591 Die Koͤngin ſprach: „War es nicht Tand, 
Daß ihr mich Meiſterin habt genannt, 
So laßt es durch die That mich ſchauen, 
Indem ihr küſſet dieſe Frauen. 

5 Nicht bringt euch Schande ſolch Beginnen: 
Sie find geborne Königinnen.“ 
Dieſer Bitte freut' er ſich, 

Er kuͤſste die Frauen minniglich, 
Sangiven erſt, dann Itonjé 

10 Und die ſüße Kondrie; 
Selbfuͤnfter ſetzt' er dann ſich nieder; 
Prüfend blickt' er hin und wieder 
Auf der Jungfraun klaren Leib. 
Doch bewirkte das ein Weib, 

15 Die in ſeinem Herzen lag, 
Daß all ihr Glanz ein Nebeltag 
Ihm gegen Orgeluſe war. 
Ihm ſchien ſo minniglich und klar 
Von Logrois die Herzogin, 

20 Sie benahm ihm Herz und Sinn. 


Nun auch dieß war abgethan: 
Mit Kuſs empfangen war Gawan 
Von den Frauen allen drei'n. 
Die trugen ſo lichten Schein, 

25 Es mochte wohl ein Herz verwunden, 
Das nicht für Andre ſchon empfunden. 
Seine Meiſterin frug er da, 

Nach der Säule, die er vor ſich ſah, 
Daß ſie ihm ſagte Märe, 
Wie es damit wäre. 


176 XII. Eidegaft. 


592 Da ſprach fie: „Herr, diefer Stein 
Warf bei Tag und Nacht den Schein, 
Seit er zuerſt mir ward bekannt, 
Sechs Meilen weit umher im Land, 

5 So daß man drin geſpiegelt ſag 
Was binnen dieſem Raum geſchah 
Auf dem Waßer, auf dem Felde: 
Von allem giebt er Melde. 
Den Vogel wie das Säugethier, 

10 Den Gaſt wie den vom Waldrevier, 
In ſeinem Spiegel ſchauet man 
Den heimſchen wie den fremden Mann. 
Sein Schimmer reicht ſechs Meilen weit; 
Er hat auch ſolche Feſtigkeit, 

15 Daß ihn von der Stelle ruͤckte, 
Wie er Hau und Hammer zuckte, 
Nicht der allerſtärkſte Schmied. 
Er ward geraubt zu Thabronit 
Der Koͤnigin Sekundille, 

20 Denn gewiſs wars nicht ihr Wille.“ 


Indem ſie ſprach, ſah Gawan 
In der Säule, daß heran 
Ein Ritter ritt mit einer Frauen; 
Er mochte deutlich beide ſchauen. 
25 Die Frau bedaäͤucht' ihn ſchöͤn und klar, 
Mann und Roſs gewappnet war, 
Und der Helm ſchoͤn verziert. 
Sie kamen haſtig galoppiert 
Durch den Hohlweg auf den Plan: 
Seintwegen ward ihr Ritt gethan. 


XII. Eidegait. 177 


393 Die beiden ritten aus dem Holze 
Die Straße, wie Liſchois, der ſtolze, 
Den er vom Roſs tjoftierte. 

Die ſchöne Fraue führte 
5 Den Ritter an dem Zaume her: 
Tioſtieren wollt auch Er. 
Betroffen kehrt ſich Gawan um, 
dicht mindert ſich fein Schreck darum. 
Die Säule hatt ihn nicht betrogen: 
10 Denn dort ſieht er ungelogen 
Drgelufen de Logrois 
und einen Ritter kurtois 
Reiten auf den Kampfeswafen. 
Wie die Nieswurz in der Naſen 
15 Scharf wirkt und ſtrenge, 
So fuhr ihm in des Herzens Enge 
Die Herzogin mit jäher Pein 
Durch die Augen oben ein. 


Weh, ein hilfloſer Mann 

20 Iſt gegen Minne Herr Gawan. 
Als er den Ritter kommen ſah, 

Zu ſeiner Meiſterin ſprach er da: 
„Dort fährt ein Ritter einher, 
Herrin, mit gezücktem Sper. 

25 Er will ſich Suchens unterwinden: 
So ſoll er was er ſucht hier finden. 
Da er Ritterſchaft begehrt 
So ſei ihm Streit von mir gewährt. 
Doch welche Frau geleitet ihn?“ 
Sie ſprach: „Das iſt die Herzogin 

594 Von Logrois, das fchöne Weib. 


Parzival und Titurel. II. 12 


178 XII. Eidegaft. 


Wem will fie feindlich an den Leib? 
Den Tuͤrken ſeh ich mit ihr kommen, 
Von dem man immer hat vernommen, 
5 Sein Herz ſei kühn und unverzagt. 
Er hat mit Speren Preis erjagt: 
Es zierte dreifach wohl ein Land. 
Wider ſeine ſtarke Hand 
Sollt ihr noch Kampf vermeiden: 
10 Ihr mögt nicht Kampf erleiden, 
Ihr ſeid zum Kampf noch allzuwund. 
Und wärt ihr völlig auch geſund, 
Ich rieth' euch Kampf mit Ihm nicht an.“ 
Da ſprach mein Herr Gawan: 


15 „Ihr ſagt mir, daß ich Herr hier waͤre: 
Wer denn wider meine Ehre 
Ritterſchaft hier ſuchen kommt, 
Heraus, wofern ihm Kämpfen frommt! 
Frau, laßt mich meine Ruͤſtung ſehn.“ 

20 Groß Weinen ſah man da geſchehn 
Von den Frauen allen vieren. 

Sie ſprachen: „Wollt ihr zieren 
Euern Ruhm mit neuem Preiſe, 
So kämpfet nicht, in keiner Weiſe. 

25 Fändet ihr vor ihm den Tod, 
Schrecklich wüchſ erſt unſre Noth. 
und ob ihr Ihm das Leben nähmt, 
Wenn ihr in den Harniſch kämt, 
Stürbt ihr an den alten Wunden: 
Uns würde nimmer Heil gefunden.“ 


595 Gawan mit großem Kummer rang, 
Ihr hoͤrt wohl ſelber was ihn zwang. 


—̃ͤ u — — 


XII. Eidegaft. 179 


Als Beſchimpfung hatt er aufgenommen 
Des kühnen Türkowiten Kommen; 

5 Ihn ſchmerzten auch die Wunden ſehr 
Und die Minne noch viel mehr, 
Dazu der Jammer dieſer Frauen; 
Denn ihre Güte war zu ſchauen. 
Er bat, daß ſie das Weinen mieden; 

10 Sein Mund begehrte doch entſchieden 
Harniſch, Roſs und Schild und Schwert. 
Die vier klaren Frauen werth 
Wollten in den Saal ihn bringen. 

Er bat ſie, daß ſie vor ihm giengen 

15 Hinunter, wo die andern waren, 
Die ſüßen und die klaren. 


Als Gawan zu ſeiner Fahrt 
Von den Fraun gewappnet ward, 
Lichte Augen weinten da; 
20 Obwohl es fo geheim geſchah, 
Daß es Niemand erfuhr 
Als der gute Krämer nur, 
Der ſein Roſs befahl zu ſtreichen. 
Hinaus ſah man den Helden ſchleichen, 
25 Wo Gringuljet das Roſs ihm ſtund. 
Doch war er noch ſo ſchwach und wund, 
Daß er den Schild mit Mühe trug; 
Durchlöchert war der auch genug. 


Da ſchwang ſich Herr Gawan zu Roſs 
Und wandte ſich von dem Schloß 
596 Zu ſeines treuen Wirthes Haus, 
Der ihm willig überaus 


180 Xu. Eidegaft. 


Alles gab was fein Begehr. 
Von ihm empfieng er einen Sper 
5 Unbeſchabt und wohl zu loben. 
Er hatte manchen aufgehoben 
Jenſeits auf ſeinem Wieſenplan. 
Da bat ihn mein Herr Gawan: 
„Schafft mich hinüber balde.“ 
10 In einer breiten Schalde 
Fuhr der ihn über an den Strand, 
Wo er den Türkowiten fand, 
Den werthen Helden hochgemuth. 
Der war vor Schand in ſolcher Hut, 
15 Daß Niemand Tadel an ihm fand; 
Auch ward der Preis ihm zuerkannt: 
Wer eine Lanze mit ihm brach, 
Daß der hinterm Roſſe lag 
Von feiner Tjoſt mit jähem Fall. 
20 Alſo hatt er ſie noch all, 
Die jemals wider ihn geritten, 
Zu Boden in der Tjoſt geſtritten. 
Auch gab ſich aus der Degen werth, 
Daß er mit Lanzen, ſonder Schwert, 
25 Hohen Preis wollt erwerben 
Oder ſeinen Preis verderben: 
Und wer den Preis erränge, 
Daß er vom Roſs ihn ſchwänge, 
Dem wollt er ſich nicht weiter wehren, 
Er wollt ihm Sicherheit gewähren. 


597 Das erfuhr Herr Gawan 
Von dem, der manches Pfand gewann. 
Plippalinot nahm alſo Pfand:- 


XII. Eidegaft. 181 


Ward ihm bei der Tjoſt bekannt, 

5 Daß Einer fiel, der Andre ſaß, 
So empfieng er ohne Veider Haß 
Des Einen Verluſt, des Andern Gewinn: 
Das iſt das Roſs, das zog er hin 
Gleichviel, ob ſie ſich ſatt geſtritten. 

10 Wer ſich Preis, wer Schmach erſtritten, 
Das entſchieden ihm die Frauen; 

Die mochten manchen Zweikampf ſchauen. 
Den Held er feſt zu ſitzen bat, 
Er zog das Roſs ihm ans Geſtad, 

15 Er bot den Schild ihm und den Sper. 
Nun fuhr der Türkowit einher 
Galoppierend wie ein Mann, 

Der ſeine Tjoſt wohl meßen kann, 
Nicht zu hoch und nicht zu tief. 

20 Hurtig ihm entgegen lief 

Von Monſalväſche Gringuljet, 
Das nach Gawans Willen thät, 
Wie der Zaum ihm Weiſung gab: 

So lief es auf den Plan im Trab. 


2⁵ Hurtig, tioſtiert geſchwind! 
Einher faͤhrt König Lotens Kind 
Kühn und unerſchrocken itzt. 
Wißt ihr, wo die Helmſchnur ſitzt? 
Da traf ihn hin der Tuürkowite. 
Gawan lehrt' ihn andre Sitte, 

598 Er traf ihn durch des Helms Viſier. 

Offenkundig ward es ſchier 
Wer der Beſiegte wäre. 
An dem kurzen ſtarken Spere 


182 XII. Eidegaft. 


5 Empfieng den Helm Herr Gawan: 
Fort ritt der Helm, dort lag der Mann, 
So lang der Mannheit eine Blume, 
Bis er hier zu Gawans Ruhme 
Das Gras bedeckt mit jähem Fall, 

10 Daß ſeines Helmſchmucks Zierden all 
Im Thaue mit den Blumen ſtritten. 
Gawan kam hin zu ihm geritten, 

Wo er Sicherheit von ihm gewann. 
Da ſprach das Roſs der Faͤhrmann an: 

15 Das war ſein Recht: wer ſtreitet drum? 
„Ihr freut euch (wißt ihr auch warum?)“ 
Sprach Orgeluſe die ſchoͤne, 

Bedacht wie ſie Gawanen hoͤhne, 
„Weil des ſtarken Löwen Fuß 

20 Euch im Schilde folgen muß; 
und wollt hier neuen Preis empfahn, 
Da dieſe Frauen alle fahn 
Wie ihr tioſtieren könnt: 

Sei euch die Freude denn gegönnt. 

25 Wohl dankt ihrs billig euerm Heil, 
Daß ſich an Euch das Lit merveil 
So wenig hat gerochen. 

Zwar iſt eur Schild zerbrochen, 
Als wär euch doch was Streit heißt kund. 
Ihr ſeid gewiſs auch ſchon zu wund 
599 Der Lanzen mehr zu brechen: 

Blutlaßen möcht euch ſchwächen. 
Gleicht euer Schild nun einem Sieb, 
So iſts euch rühmens halber lieb, 

5 Daß ihn ſo mancher Pfeil zerbrach. 
Flieht klüglich neues Ungemach 


XII. Eidegaft. 183 


Nach fo viel Schüßen, fo viel Pfeilen: 
Laßt euch erft den Finger heilen. 
Reitet wieder zu den Frauen: 

10 Wie dürftet ihr euch wohl getrauen 
Neuen Kampf noch zu beſtehn, 
Wär euch ſelbſt zum Lohn erſehn 
Meiner Minne Gewinn?“ 
Da ſprach er zu der Herzogin: 


15 „Herrin, meine Wunden 
Haben Hülfe ſchon gefunden. 
Wenn Ihr mir nun zu Hülfe kämt, 
Daß ihr meine Minne nähmt, 
So kennt' ich nicht ſo große Noͤthe, 
20 Darin ich euch nicht Dienſte boͤte.“ 
Sie ſprach zu ihm: „Ich laß euch reiten 
(Neuen Preis zu erſtreiten) 
Neben mir, geliebt es euch.“ 
Aller Freuden ward da reich 
25 Der ſtolze werthe Gawan. 
Den Türken ſandt er gleich hindann 
Mit ſeinem Wirth Plippalinot, 
Durch den er auf der Burg entbot, 
Es möchten gütig feiner wahr 
Nehmen dort die Frauen klar. 


600 Gawans Sper war ganz geblieben, 
Wie heftig ſie zum Kampf getrieben 
Die Roſſe mit der Schenkel Kraft. 
In ſeiner Hand führt' er den Schaft 
5 Von der blühenden Aue. 
Wohl weinte manche Fraue, 


184 XII. Eidegaft. 


Die ihn von dannen reiten ſah. 
Arnive ſprach, die Königin, da: 
„Unſer Troſt traf eine Wahl 
10 Den Augen füß, des Herzens Qual. 
Wir ſehn ihn folgen mit Verdruß 
Gen Ligweiß Prelljus 
Orgeluſen der Herzogin. 
Seinen Wunden bringt es Ungewinn.“ 
15 Vierhundert Frauen ſah man klagen; 
Hin ritt er, neuen Preis erjagen. 


Wie ſchwer er noch verwundet war, 
Der Noth vergaß er ganz und gar 
Ueber Orgeluſens lichten Glanz. 
20 Sie ſprach: „Ihr ſollt mir einen Kranz 
Von eines Baumes Reiſe holen. 
Den Preis geb ich euch unverhohlen, 
Moͤgt ihr die Bitte mir gewähren: 
Meine Minne dürft ihr dann begehren.“ 
25 Da ſprach er: „Herrin, wo das Reis 

Auch ſtehe, das ſo hohen Preis 
Mir ſoll, und ſolche Wonne tragen, 
Daß ich euch, Herrin, dürfe klagen 
Erhörung hoffend meine Noth, 
Ich brech es, wehrt mirs nicht der Tod.“ 

601 Wohl ſtanden da viel Blumen licht, 
Doch glichen ſie der Farbe nicht, 
Die er an Orgeluſen ſah. 
Gedacht' er ihrer, ihm geſchah 

5 So wohl, ſein altes Ungemach 

Ließ mit allen Schmerzen nach. 
So ritt ſie mit dem Gaſte 


} 
4 


XII. Cidegaſt. 


Von der Burg wohl eine Raſte, 
Grad war die Straß und geraum, 
10 Vor eines grünen Waldes Saum. 
Tämris und Prifin ö 
Waren all die Bäume drin; 
Man nannt ihn nur den Klinſchors Tann. 
Da ſprach der kühne Held Gawan: 
15 „Wo brech ich, Herrin, nun den Kranz, 
Von dem mein wundes Herz wird ganz?“ 


Was ſtieß er ſie nicht nieder, 

Wie es wohl hin und wieder 
Geſchehn iſt ſchönen Frauen? 

20 Sie ſprach: „Ich laß euch ſchauen 
Wo ihr Preis erwerbt zur Stunde.“ 
ueber Feld zu tiefem Schlunde 
Ritten ſie ſo nah heran, 
Daß ſie den Baum des Kranzes ſahn. 

25 Sie ſprach zu ihm: „Herr, jenen Stamm, 
Den heget der mir Freude nahm: 
Bringt ihr mir davon ein Reis, 
So ward um Minne höhrer Preis 
Nie einem Ritter zum Gewinn.“ 
Alſo ſprach die Herzogin. | 

602 „Ich kann nicht weiter mit euch reiten; 

Wollt ihr fürbaß, mog euch Gott geleiten: 
So dürft ihrs länger nicht verhängen: 
Das Roſs von dieſer Höhe ſprengen 

5 Müßt ihr nach kühnen Herzens Schluß 
ueber Ligweiß Prellius . 


Stille hielt ſie auf dem Plan, 
Weiter ritt Herr Gawan. 


185 


186 


xIl. Eidegaft. 


Da vernahm er jaͤhen Waßers Fall: 
10 Durchbrochen hatt es ſich ein Thal 
Weit, tief und unzugänglich. 
Da nahm Gawan nicht bänglich 
Das Roſs mit Schenkeln und mit Sporen: 
So triebs der Degen wohlgeboren, 
15 Daß es jenſeits das Geſtad 
Mit zweien Fuͤßen betrat. 


Nach dem Sprunge ſtürzte Roſs und Mann; 


Die Herzogin ſahs weinend an. 
Voll und reißend gieng die Flut; 

20 Gawanen kam die Kraft zu gut, 
Doch drückt' ihn feiner Rüftung Laſt. 
Da ſah er eines Baumes Aſt 
Ragen zwiſchen Felſenriffen: 

Der Starke hatt ihn bald ergriffen, 

25 Denn er lebte gern noch mehr. 

An ſeiner Seite ſchwamm ſein Sper: 
Den ergriff der Weigand 
Und ſtieg hinauf an das Land. 


Gringuljet ſchwamm auf und nieder: 
Ihm huͤlfe gern der Degen bieder; 


603 Doch wie der Strom es mit ſich riß 


Folgt' er nicht ohne Hinderniſs. 
Schwer drückt der Harniſch, den er trug, 
Wunden hat er auch genug. 
5 Nun trieb es ihm ein Wirbel her, 
Daß ers erreichte mit dem Sper 
Wo der Regen weiten Fluß 
Gebrochen hatte ſeinem Guß 
Durch einer tiefen Halde Saum. 


XII. Eidegaft. 187 


10 Des geſpaltnen Ufers Raum 
Kam dem armen Roſs zu gut: 
Mit dem Spere zog ers aus der Flut 
So nahe zu ſich an den Strand, 
Daß den Zaum ergriff des Helden Hand. 


15 So zog mein Herr Gawan 
Das Roſs hinaus auf den Plan. 
Es ſchüttelte ſich: der Schild glitt nieder. 
Er gürtete dem Roſſe wieder 
Und nahm den Schild an ſeinen Arm. 

20 Wen nicht grämen will fein Harm, 
Den tadl ich nicht; doch hatt er Noth: 
Das ſchuf der Minne ſtreng Gebot. 
Der ſchönen Orgeluſe Glanz 
Trieb den Degen nach dem Kranz. 

25 Doch verwegen war die Fahrt: 
Der Baum war alſo bewahrt, 
Es müſten um den Kranz ihr Leben 
Seinesgleichen Zwei wohl geben: 
Ihn hegte König Gramoflanz. 
Gawan brach jedoch den Kranz. 

604 Jenes Waßer hieß Sabins. 

Gawan holte bittern Zins 
Als er drein fiel mit dem Pferde. 
Wie hold ſich Orgelus gebehrde, 
So räng ich nicht nach ihrer Minne, 
Ich weiß zu wohl was ich beginne. 


Als das Reis ſich Gawan brach, 
Und der Kranz ward ſeines Helmes Dach, 
Da ritt zu ihm ein Ritter kühn: 
10 Den ſah er in den Jahren blühn, 


188 III. Eibegan. 


Nicht zu jungen, noch zu alten. 

Ihn lehrte Hockmuth ſolch Verhalten; 

Wieviel zu Leid ihm ward gethan, 

Doch ſtritt er nicht mit Einem Mann: 
15 Es muſten Zwei ſein oder mehr. 

Sein ſtol zes Herz war ſo hehr, 

Was ihm Einer that zu Leid, 

Darum erhob er keinen Streit. 


Le fils du Roi Irot 
20 Gawanen guten Morgen bot; 
Das war der König Gramoflanz. 
Da ſprach er: „Herr, auf dieſen Kranz 
Hab ich noch nicht ganz verzichtet. 
Mein Gruß hätt anders euch berichtet, 
25 Wenn eurer zweie wären, 
Die ihren Preis zu mehren 
Sich kühnlich unterfangen, 
Meines Baums ein Reis zu langen. 
Die ſollten mir zu Rede ſtehn: N 
So aber muß ich es verſchmähn.“ 


605 Ungern auch Gawan mit ihm e 
Da der König wehrlos ritt; 
Doch trug der Sperverderber 
Einen jährigen Sperber: 
5 Der ſtund auf ſeiner weißen Hand. 
Itonje hatt ihn ihm geſandt, 
Gawanens holde Schweſter. 
Aus Pfauenfedern von Sinzeſter 
War der Hut, der ihm zu Haupte ſaß. 
10 Von Sammet grün wie das Gras 


XII. Cide ga ſt. 189 


War der Mantel den er führte; 
Vom Pferde niederhangend rührte 
Rechts und links die Erde ſchier 
Des Hermelinbeſatzes Zier. 


15 Nicht zu groß, doch ſtark genug 
War das Pferd, das ihn trug, & 
um Pferdesſchoͤne nicht betrogen, 

Am Zaum aus Dänmark hergezogeu; 
Oder kam es auf dem Meer? 

20 Der König ritt ohn alle Wehr; 

Auch ſein Schwert führt' er nicht. 
„Von Kampf giebt euer Schild Bericht“ 
Sprach der König Gramoflanz, 
„Wenig blieb des Schildes ganz: 

25 Durch ſolchen Kampf ward euch zu Theil, 
Seh ich wohl, das Lit merveil. | 
Ihr habt das Abenteur vollbracht, 

Das mir wurde zugedacht, 
Wenn auch Klinſchor immerdar, 
Der weiſe, mir befreundet war, 

606 und ich mit Ihr im Streit nur liege, 
Die ſtäts noch durch der Minne Siege 
Hat die Oberhand behalten. 

Sie läßt den Zorn noch ſchalten 

5 Wider mich. Auch zwingt ſie Noth: 
Cidegaſten ſchlug ich todt, 

Selbvierten, ihren lieben Mann. 
Sie ſelber führt ich ſo hindann, 
Ich bot die Kron ihr, bot mein Land; 

10 Doch wie ihr Dienſt bot meine Hand, 
Haß bot ihr Herz mir immerdar. 


1% X. Eidegaft. 


So hielt ich flehend fie ein Jahr 
Und konnte Minne nicht erjagen. 
Ich muß mein Herzeleid euch klagen: 
15 Ich weiß, daß ſie euch Minne bot, 
Weil Ihr hier ſinnt auf meinen Tod. 
Wärt ihr ſelbandrer nun gekommen, 
Mir das Leben hättet ihr benommen, 
Oder Ihr wart beid erftorben: 
20 Den Lohn hätt Euch ihr Dienſt erworben. 


„Doch jetzt nach andrer Minne geht 

Mein Herz, das Euch um Gnade fleht, 
Da ihr zu Terre merveille ſeid 
Geworden Herr. Durch kuͤhnen Streit 

25 Habt ihr dort den Preis behalten. 
Laßt ihr nun Güte walten, 
So helfet mir bei einer Magd, 
Nach der mein Herz ſich ſehnend klagt. 
Sie iſt König Lotens Kind: 
Alle die auf Erden ſind, 

607 Zwangen nimmer mich ſo ſehr. 

Sie ſandte mir ihr Kleinod her. 
Gelobt von mir der ſchoͤnen Maid 
Getreue Dienſtbeflißenheit. 

5 Wohl hoff ich auch, ſie iſt mir hold; 
Sie hat mir Noth genug gezollt: 
Seit Orgelus die Herzogin 
Mit feindſelger Worte Sinn 
Ihre Minne mir verſagte, 

10 Wenn ich Preis ſeitdem erjagte, 
So ward mir nimmer wohl noch weh, 
Als um die ſchoͤne Itonjé. 


XI. Eidegaft. 191 


Leider ſah ich fie noch nicht. 
Wenn eure Gunſt mir Troſt verſpricht, 
15 So bringt dieß kleine Ringelein 
Der klaren ſüßen Herrin mein. 
Kampf findet ihr hier nicht fürwahr, 
Ihr kämet denn in groͤßrer Schar, 
Zu zweien oder mehren gleich. 
20 Wie ehrt' es mich, erſchlüg ich euch, 
Oder ließ' euch Sicherheit 
Geſtehn? ſtaͤts mied ich ſolchen Streit.“ 


„Ich dächte doch,“ ſprach Herr Gawan, 

„Ich wär ein wehrlicher Mann. 

25 Wenn Ihr damit nicht Preis erjagt, 
Ob ihr im Zweikampf mich erſchlagt, 
So mehrt es auch nicht meinen Preis 
Daß meine Hand ſich brach dieß Reis. 
Wer aber zählt' es mir zur Ehre, 
Erſchluͤg ich hier euch ohne Wehre? 

608 Euer Bote will ich fein; 

Gebt mir her das Ringelein 
Und laßt mich euern Dienſt ihr ſagen 
und eures Herzens ſehnlich Klagen.“ 

5 Der König nahm es dankend an. 
Da frug ihn aber Gawan: 
„Da ihr mit mir verſchmäht den Streit, 
So ſagt mir, Herr, wer ihr ſeid?“ 


„Euch iſts mit Nichten läſterlich,“ 
10 Sprach Gramoflanz, „ich nenne mich: 
Mein Vater hieß Irot; 
Den erſchlug der Koͤnig Lot. 


192 XII. Eidegaft. 


Ich bin der Koͤnig Gramoflanz. 
Meines Herzens Muth war ſtaͤts fo ganz, 
15 Daß ich zu keinen Zeiten 
Mocht einer Kränkung wegen ſtreiten, 
Die mir that ein einzger Mann. 
Von Einem nur, er heißt Gawan, 
Hab ich ſo viel Preis vernommen, 
20 Mit Ihm zu ſtreiten würd ich kommen. 
So wird mein altes Leid gerochen: 
Sein Vater hat die Treu gebrochen, 
Im Gruß er meinen Vater ſchlug. 
Zu rächen hab ichs Grund genug. 
25 Dieweil iſt Koͤnig Lot geſtorben; 
Gawan aber hat erworben 
Solchen Preis aus aller Munde, 
Daß Niemand an der Tafelrunde 
Sich ſeinem Preis vergleichen mag. 
Mir kommt zum Kampf mit ihm der Tag!“ 


609 Da verſetzte Koͤnig Lotens Kind: 
„Zeigt ihr ſo euch holdgeſinnt 
Eurer Freundin, wenn ſie's iſt, 

Daß ihr fo arge Hinterliſt 
5 Mögt von ihrem Vater ſagen, 
Und ihr den Bruder wollt erſchlagen? 
So iſt ſie eine üble Magd, 
Wenn ihr der Brauch an euch behagt. 
Kennt ſie der Tochter, Schweſter Pflicht, 
10 So nimmt ſie ſcharf euch ins Gericht, 
Daß ihr entſaget ſolchem Haß. 
Wie ſtünde euerm Schwäher das, 
Hätt er die Treue ſo gebrochen? 


x. Cidega ſt. 193 


Habt ihrs als Eidam nicht gerochen, 
15 Wie ihr dem Todten ſprachet Hohn? 
So erkuͤhnt es ſich der Sohn: 
Keine Muͤh wird ihn verdrießen; 
Und ſoll er nicht dabei genießen 
Der ſchoͤnen Schweſter Beiſtand, 
20 So beut er ſelber ſich zum Pfand. 
Herr, ich heiße Gawan: 
Was euch mein Vater hat gethan, 
Das rächt an Mir, denn Er iſt todt. 
Gern will ich, eh ihm Schande droht, 
25 Hab ich würdigliches Leben, 
Es euch im Kampf zu Geiſel geben.“ 


Der Koͤnig ſprach: „Seid Ihr der Mann, 
Dem ich ungeſühnten Haß gewann, 
So iſt mir eure Würdigkeit 
Beides, lieb und auch leid. 
610 Ein Ding gefällt mir an euch wohl: 
Daß ich mit euch ſtreiten ſoll. 
Euch trägt es hohen Preis ſchon ein, 
Daß ich verſprach, mit euch allein 
5 Woll ich zum Kampfe kommen. 
Uns wirds zum Preiſe frommen, 
Wenn wir edle Frauen 
Unſern Kampf laßen ſchauen. 
Sünfzehnhundert bring ich dar; 
10 Ihr habt auch eine klare Schar 
Dort zu Schatel merveil. 
Andre bringt zu Euerm Theil 
Artus euer Oheim mit 
Aus dem Land das er erſtritt 


Parzival und Titurel. II. 13 


194 Xll. Eidegaft. 


15 Und das Loͤver iſt genannt. 
Euch iſt wohl die Stadt bekannt 
Bems an der Korka? 
All ſein Ingeſind iſt da, 
So daß er nach dem achten Tag 
20 Von heut mit Freuden kommen mag. 
Von heut am ſechszehnten Tage 
Komm ich zur Sühnung alter Klage 
Auf den Plan von Joflanze, 
Und weil ihr grifft nach dieſem Kranze.“ 


25 Obwohl der Koͤnig Gawan bat: 
„Folgt mir gen Roſchſabins der Stadt, 
Keine andre Brücke trefft ihr an,“ 
Doch entgegnet' ihm Gawan: 

„Ich will nicht anders hin als her; 
Sonſt thu ich willig eur Begehr.“ 
611 Sie gaben ſich Fianze, 
j Daß fie gen Joflanze 
Mit Rittern und mit Fraungeleit 
Beide kämen zu dem Streit 
5 Und dem benannten Tagedinge, 
»Sie Zwei allein zu Einem Ringe. 


Alſo ſchied mein Herr Gawan 

Kür heute von dem kühnen Mann. 

Mit dem Kranze, der den Helm ihm zierte, 
10 Der Ritter freudig gallopierte. 

Er verhieng dem Roſs den Zaum 

Und ſpornt' es an des Ufers Saum. 

Gringuljet nahm bei Zeit 

Dießmal ſeinen Sprung ſo weit, 


III. Gibegaſt. 195 


15 Daß nicht zu Falle kam der Degen. 
Ihm ritt die Herzogin entgegen, 
Als auf das grünende Feld 
Geſprungen war vom Roſs der Held, 
Weil ihm der Gurt war losgegangen. 
20 Huldigend ihn zu empfangen 
Eilends auf das thauge Grün 
Sprang die reiche Herzogin. 
Zu ſeinen Fuͤßen warf ſie ſich 
Und ſprach: „Herr, ſolcher Noth, wie ich 
25 Zu meinem Dienſt von euch begehrt, 
Ward nimmer meine Wuͤrde werth. 
Nun ſchafft mir ſolches Herzeleid 
Eurer Mühſal Faͤhrlichkeit, 
Wie um den geliebten Mann 
Ein getreues Weib nur fühlen kann.“ 


612 „Frau,“ ſprach er, „wenn dieß Wahrheit iſt, 
Grüßt Ihr mich ohne Hinterliſt, 
So naht ihr euch dem Preiſe. 
Ich bin doch wohl ſo weife: 
5 Soll Schildesamt ſein Recht empfangen, 
So habt ihr euch an ihm vergangen. 
Des Schildes Amt iſt hoher Art, 
Und immer blieb vor Spott bewahrt 
Wer es mit Ehren hat getragen. 
10 Frau, geziemt es mir zu ſagen, 
Wer mich geſehen hat dabei, 
Der geſtand, daß ich ein Ritter ſei. 
Das wolltet Ihr nicht zugeſtehn, 
Da ihr zuerſt mich habt geſehn. ö | 
15 Das laß ich ruhn: nehmt hin den Kranz. 


196 XN. Eidegaft. 


Doch mög euch eurer Schönheit Glanz 
Nicht verleiten mehr, fo bitter 
Mitzuſpielen einem Ritter. 
Eh ich ertrüge ſolchen Hohn 

20 Entſagt ich wohl dem Minnelohn.“ 


Da ſprach mit herzlichem Weinen 
Die ſchöne Frau zu dem Reinen: 
„Herr, wenn ich die Noth euch klage, 
Die ich im Herzen trage, 
25 Ihr geſteht, daß ich unſelig bin. 
Zeig ich Wem unholden Sinn, 
Er mag es billig mir verzeihn. 
Nie büß ich wieder ſo viel ein 
An Freuden, gegen die verlornen 
An Cidegaſt, dem auserkornen. 


613 „Mein ſuͤßer Freund, ſchoͤn und klar, 
Sein Preis ſo durchleuchtig war, 
Er rang nach Wuͤrdigkeit ſo ſehr, 
Daß ihm dieſer ſo wie Der, 

5 Die je in unſern Tagen 
Einer Mutter Schooß getragen, 
Geſtand, mit Seiner Wuͤrdigkeit 
Wage Niemands Preis den Streit. 
Er war ein Quellborn der Tugend, 
10 In unerſchoͤpflicher Jugend 
Litt er des Falſches Trübung nicht. 
Aus der Finſterniſs zum Licht 
Hatt er ſich hervorgethan, 
Und trug den Preis ſo hoch hinan, 
15 Daß Niemand ihn erreichte, 


XII. Eidegaf. 197 


Den Falſchheit je erweichte. 
Sein Preis war hoch emporgetrieben, 
Daß all die andern drunten blieben, 
Aus ſeines Herzens Kernen: 

20 So kreiſt ob allen Sternen 

Der ſchnelle Saturnus. 

Getreu wie der Monocirus, 

Wenn ich die Wahrheit ſprechen kann, 
So war mein erwünſchter Mann. 

25 Das Einhorn ſollten Jungfraun klagen: 
Ihrer Reinheit halber wirds erſchlagen. 
Ich war ſein Herz, er war mein Leib: 
Den verlor ich armes Weib. 

Ihn erſchlug der Koͤnig Gramoflanz, 
Von dem ihr fuͤhret dieſen Kranz. x 
614 „Herr, ſprach ich jemals euch zu nah, 
Wißt, daß es darum geſchah, 
Weil ich verſuchen wollte, 
Ob ich mit Minne ſollte 
5 Lohnen eure Würdigkeit. 
Mein Sprechen, weiß ich, that euch leid; 
Doch verſucht' euch nur mein Mund. 
Thut nun eure Milde kund, 
Indem ihr euerm Zorn befehlt 

10 Und mir verzeiht, wenn ich gefehlt. 
Ich befand euch kugendreich: 

Recht dem Golde ſeid ihr gleich, 
Das man laͤutert in der Gluth: 
So iſt geläutert euer Muth. 

15 Den zu beſtreiten ich euch brachte, 

Wie ich denke, wie ich dachte, 


198 III. Ci de ga ſt. 


Der hat mir Herzeleid gethan.“ 
Da ſprach mein Herr Gawan: 


„Frau, mir wehr es denn der Tod, 
20 Den König lehr ich ſolche Noth, 
Daß ſeine Hochfahrt endet. 
Meine Treue ſteht verpfaͤndet, 
Ich woll in kurzen Zeiten 
Mit ihm zum Kampfe reiten: 
25 Da gilt es, Mannheit kundzuthun. 
Frau, verziehen iſt euch nun. 
Wenn ihr aber nicht verſchmaͤht 
Was mein einfältger Sinn euch räth, 
So wäre weibliche Ehre 
Und Würdigkeit meine Lehre. 
615 Hier iſt Niemand jetzt als Wir: 
Zeigt euch gnädig, Frau, an mir.“ 


„Sie ſprach: „An geharniſchtem Arm 

Ward ich bis jetzt noch ſelten warm. 
5 Doch will ichs nicht beſtreiten, 

Ihr moͤgt zu andern Zeiten 

Wohl Lohn bei mir erjagen. 

Eure Mühſal will ich klagen, 

Bis ihr von allen Wunden 
10 Mochtet völliglich gefunden, 

So daß aller Schaden heil. 

Gen Schatel merveil 

Will ich euch jetzt begleiten.“ 

„Freude wollt ihr mir bereiten,“ 
15 Sprach der minnegehrende Mann. 

Er hob die Fraue wohlgethan 


XII. Eidegaft. 199 


An ſich druckend auf ihr Pferd. 

Deſſen hatt er ihr nicht werth 

Geſchienen, an dem Brunnen dort; 
20 Sie gab ihm manches quere Wort. 


Gawan ritt freudig nun von hinnen; 
Sie aber ließ die Thränen rinnen, 
Bis er mit ihr klagte. 
Er bat, daß fie ihm ſagte, 
25 Warum ſie Thränen vergieße? 
Daß ſie um Gott das Weinen ließe. 
Da ſprach ſie: „Herr, ich muß euch klagen 
Von dem, der mir ihn hat erſchlagen 
Den werthen Helden, Cidegaſten. 
Nun darf ins Herz mir Jammer taſten; 
616 Sonſt wohnte Freude drinne 
Durch Cidegaſtens Minne. 
Doch war ich ſo noch nicht verdorben, 
Ich hab ihm Schaden viel geworben, 
5 Dem Koͤnig, trotz der Koſten: 
Mit manchen ſcharfen Tjoſten 
Stellt' ich ihm nach dem Leben. 
Vielleicht ſollt Ihr mir Hülfe geben, 
Die mich rächt und mir vergütet 
10 Das Leid, das noch mein Herz durchwüthet. 


„Ich empfieng auf Gramoflanzens Tod 
Dienſt, den mir ein Degen bot, 
Der jeden Erdenwunſch beſaß; 
Sein Name, Herr, war Anfortag. 
15 Von ihm als Minnekleinod nahm 
Ich jenen Tabroniter Kram, 


200 XII. Eidegaft. 


Der noch vor eurer Pforte ſteht, 
Und den man theuer wohl erſteht. 
Von dem Lohn, den er erworben, 

20 Iſt auch meine Freud erſtorben: 
Da ich ihm Minne ſollte ſchenken, 
Muſt ich neuen Jammers denken. 
Sein Lohn war grimmige Beſchwer. 
Gleichen Jammer oder mehr 

25 Als mir Cidegaſt gegeben 
Ließ mich Anfortas Wund erleben. 
Nun ſaget ſelbſt, wie ſollt ich Arme 
Beſonnen ſein bei ſolchem Harme? 
Hieß' es nicht von Treue wanken? 
Muß ich ſelber nicht erkranken, 

617 Da alle Hülf an ihm verloren, 

Den ich nach Cidegaſt erkoren 
Mich zu tröften und zu rächen? 
Herr, nun böret ſprechen 

5 Wie Klinſchor zu dem reichen Kram 
Vor euerm Thor, der Zaubrer, kam. 


„Als Anfortas, meinem Lieb, 
Freud und Minne ferne blieb, 
Der jene Gabe mir gegeben, 

10 Da ſorgt' ich, Schande zu erleben. 
Klinſchor wuſt' ich, dankt der Gunſt 
Der negromantiſchen Kunſt, 

Daß er mit Zauber zwingen kann 
Wen er will, Weib und Mann. 
15 Weiß er irgends werthe Leute, 
Die werden ſeines Zaubers Beute. 
Da ward mein reicher Kram um Frieden 


XII. Eidegaft. 201 


Klinſchorn mit dem Beding beſchieden: 
Wer fein Abenteur beftände 

20 Und den Sieg im Kampfe fände, 
Den zu minnen wär mir Pflicht; 
Wollt er meine Minne nicht, 

So wär der Kram von Neuem mein; 
Jetzt ſollt er unſer beider ſein. 

25 Das beſchwor mir Wer zugegen war. 
Verlocken wollt ich in Gefahr 
Gramoflanz mit ſolcher Liſt, 

Die leider nicht gelungen iſt. 
Hätt er die Aventür gewagt, 
So blieb der Tod ihm unverſagt. 


618 „Klinſchor iſt hoͤfiſch und klug: 
Willig vergoͤnnt' er mir Fug, 
Durch ſein Land nach allen Seiten 
Darf mein Ingeſinde reiten 
5 Mit manchem Stich und manchem Schlag. 
Die ganze Woche jeden Tag, 
Die Wochen all im ganzen Jahr 
Drohen Rotten ihm Gefahr, 
Die bei Tag und die bei Nacht. 
10 Die Koſten hab ich nie bedacht, 
Galt es dem kühnen Mann zu ſchaden: 
Er iſt mit ihrem Kampf beladen. 
Was ihn wohl beſchützen mag? 
Seinem Leben ſtell ich nach. 
15 Die zu reich ſind meinem Sold, 
Oft wurden die umſonſt mir hold: 
Um Minn ich Manchen dienen ließ, 
Dem ich doch niemals Lohn verhieß. 


202 III. Eidegaft. 


„Selten ſah mich noch ein Mann, 
20 Von dem ich Dienſt nicht bald gewann; 
Nur Einer, Waffen traͤgt er roth, 
Brachte mein Geſind in Noth. 
Er kam vor Logrois geritten 
Da hatt er gleich den Sieg erſtritten. 
25 Mein Volk er nieder ſtreute, 
Daß ich mich nicht drob freute. 
Zwiſchen Logrois und euerm Plan 
Griffen ihn fünf der meinen an: 
Die ſtach er alsbald zur Erde 
Und gab dem Faͤhrmann die Pferde. 
619 Als er meine Ritter niederſtach, 
Ritt ich ſelbſt dem Helden nach. 
Ich bot mein Land, bot Hand und Leib: 
Er ſprach, er hätt ein ſchoͤner Weib 
5 Und die ihm lieber wäre. 
Ungern hört?’ ich ſolche Maͤre; 
Wie ſie heiße, frug ich ihn. 
„Von Pelrapär die Königin, 
Das iſt die Schoͤne meiner Wahl; 
10 Ich ſelber heiße Parzival, 
Mich kümmert nicht, ob ihr mich liebt, 
Der Gral mir andern Kummer giebt.“ 
So ſprach der Held im Zorne; 
Hin ritt der Auserkorne. 
15 That ich daran Unrecht, 
Laßt es mich erfahren, ſprecht, 
Daß ich in meines Herzens Noth 
Dem werthen Ritter Minne bot? 
Bringt es meiner Minne Schmach?“ 
20 Gawan zu Orgeluſen ſprach: 


III. Gidegaſt. 


„Frau, ich weiß, er war es werth, 
Von dem ihr Minne habt begehrt. 
Euer Preis wär unverloren 
Hätt er eure Minn erkoren.“ 


25 Gawan der Held kurtois 
Und die Herzogin von Logrois 
Blickten ſich einander an. 
Da ritten ſie ſo nah heran, 
Sie wurden von der Burg erkannt, 
Wo er das Abenteur beſtand. 


620 Da ſprach er: „Frau, hoͤrt mein Begehren, 


Ihr werdets hoffentlich gewähren. 
Laßt meinen Namen unbekannt, 
Den euch der Ritter hat genannt, 

5 Der mir entwandte Gringuljeten. 
Leicht thut ihr, wie ich euch gebeten. 
Sollt euch Jemand darnach fragen, 
Mein Geſelle, mögt ihr ſagen, 

Iſt mir unbekannt don Namen, 

10 Den meine Ohren nie vernahmen.“ 
Sie ſprach zu ihm: „Es bleibt verhohlen, 
Da ihrs zu hehlen mir befohlen.“ 


Er und die Herrin wohlgethan 
Ritten zu der Burg heran. 

15 Die Ritter hatten jetzt vernommen, 
Daß ein Ritter wär gekommen, 
Der die Aventür beſtand, 

Den grimmen Löwen uͤberwand 
Und den Türkowiten auch hernach 
20 In rechter Tjoſt vom Sattel ſtach. 


203 


204 XI. Eidegaft. 


Eben ritt da Herr Gawan 
Auf des Kampfſpiels blumgen Plan: 
Auf der Zinne ſah man ihn. 
Die Ritter zogen gleich dahin 
25 Aus der Burg mit Schalle; 
Da führten fie Alle 
Reiche Banner an den Schäften. 
Er ſah ſie mit Kräften 
Die ſchnellen Roſſe reiten: 
Wollten ſie mit ihm ſtreiten? 


621 Als er von fern ſie kommen ſah, 
Zur Herzogin begann er da: 


„Ziehn Die uns feindlich wohl daher?“ 
Da ſprach ſie: „Es iſt Klinſchors Herr, 


5 Die euch nicht erwarten mögen, 
Sie reiten fröhlich euch entgegen 
Und empfangen ihren neuen Herrn. 
Ihren Gruß vernehmet gern, 
Den ihnen Freude Rur gebot.“ 

10 Nun war auch Plippalinot 
Mit ſeiner Tochter wohlgethan 
Angekommen in dem Kahn. 
Auf dem Anger ihm entgegen gieng 
Die Magd, die freudig ihn empfieng. 


15 Gawan bot ihr feinen Gruß; 
Sie kuͤſst' ihm Stegereif und Fuß 
Und hieß die Herzogin willkommen. 
Sie hatte ſeinen Zaum genommen 
Und bat Gawanen: ſteigt vom Pferd. 

20 Die Herrin und der Degen werth 


i XII Cideg aſt. 


Giengen zu des Schiffleins Bord. 
Teppich und Polſter ſah man dort 
Liegen als zum Schmuck der Stelle, 
Wo, ſo wollt es ihr Geſelle, 
25 Die Herzogin bei Gawan ſaß, 

Während Bene nicht vergaß 
Ihn zu entwappnen. Ins Schiff getragen 
War auch der Mantel, hört?’ ich ſagen, 
Der ihn deckte jene Nacht, 
Die er bei dem Fährmann zugebracht: 

622 Der kam ihm jetzt zur rechten Zeit. 
Ihren Mantel und ſein Oberkleid 
Legte da der Degen an; 
Sie trug die Rüſtung hindann. 


5 Hier nahm die Herzogin klar 
Erſt ſeines Antlitzes wahr, 
Da ſie ſaßen beieinander. 
Zwei gebratene Galander, 
Dazu ein Glas gefüllt mit Wein 
10 Und zwei Kuchen blank und fein 
Die ſuße Magd zur Stelle trug 
Auf einer Zwickel blank genug. 
Die Speiſe war des Sperbers Beute. 
Orgeluſ und Gawan muſten heute 
15 Vor dem Male ſich bequemen 
Das Waſchwaßer ſelbſt zu nehmen; 
Was ſie aus dem Fluße thaten. 
Mit Freuden war er wohlberathen, 
Daß er mit ihr eßen ſollte, 
20 Mit der er theilen wollte 
So die Freude wie die Noth. 


III. Sidegaft. 


So oft fie ihm den Becher bot, 
Den berührt jetzt hatt ihr Mund, 
Ward ihm neue Freude kund, 

25 Daß er nach ihr ſollte trinken. 
Seine Trauer muſte ſinken, 
Hochgemüthe ward ihm kund. 

Ihre lichte Farb, ihr ſüßer Mund 
Trieb alles Leid aus ſeinem Herzen, 
Er fühlte keine Wunde ſchmerzen. 


623 Ihre Malzeit ſchauen 
Mochten auf der Burg die Frauen. 
Jenſeits zu dem Kampfplatz kam 
Mancher Ritter lobeſam: 

5 Man ſah ſie kunſtvoll Buhurt reiten. 
Herr Gawan bot auf dieſer Seiten 
Dem Fährmann und der Tochter fein 
(Orgeluſe ſtimmte gern mit ein) 
Gütlich Dank für Trank und Speiſe. 

10 Da ſprach die Herzogin, die weiſe: 
„Wo iſt der Ritter hingekommen, 
Der geſtern vor den Sper genommen 
Ward, eh ich von hinnen ritt? 
Wenn ihn Jemand niederſtritt, 

15 Blieb er am Leben oder todt?“ 

Da ſprach Plippalinot: 


„Frau, ich ſah ihn heut noch leben. 
Er ward mir fuͤr ein Roſs gegeben. 
Wollt ihr dieſen Mann befrein, 
20 So ſei dafür die Schwalbe mein, 
Die Sekundille ſonſt beſaß, 


III. Cibegaſt. f 207 


Und die euch ſandte Anfortas: 
Wird die Harfe mir, ſo ſei 
Von Gowerzein der Herzog frei.“ 


25 Sie ſprach: „Die Harf und was noch mehr 
Zum Kram gehoͤrt, das moͤge Der 
Geben oder ſelbſt behalten, 
Der hier ſitzt: Ihn laß ich walten. 
Zeigt er daß er hold mir ſei, 
So macht er mir Liſchoiſen frei, 

624 Den Herzogen von Gowerzein, 

Und auch den andern Fürſten mein, 
Von Itolak Floranden, 
Der mir Wache Nachts geſtanden. 

5 Er war mein Türkowit, und ſo 
Werd ich nimmer ſeines Kummers froh.“ 


Gawan ſprach zu der Frauen: 
„Ihr ſollt ſie ledig ſchauen 
Beide, eh uns kommt die Nacht.“ 
10 Sie hatten ſich derweil bedacht 
Und fuhren an das Ufer hin. 
Da hub die ſchoͤne Herzogin 
Gawan wieder auf ihr Pferd. 
Mancher edle Ritter werth 
15 Empfieng ihn und die Herzogin. 
Sie wandten zu der Burg ſich hin. 
Da ward mit freudigen Sitten 
Buhurt künſtlich geritten 
Mit Stich und Lanzenbrechen. 
20 Was ſoll ich weiter ſprechen? 
Als daß der werthe Gawan 


208 XL Gidegak. 


Und die Fürſtin wohlgethan 
So ward empfangen von den Frauen, 
Sie mochtens beide gerne ſchauen, 
25 Auf Schatel merveil. 

Nun gereich es ihm zum Heil 
Was ihm Liebes hier geſchah. 
An fein Gemach führt ihn da 

Arnive: ſeine Wunden 

Wurden ihm geſchickt verbunden. 


625 Zu Arniven ſprach Gawan: 
„Frau, einen Boten ſchafft mir an.“ 
Eine Jungfrau ward hinausgeſandt: 
Einen Fußknecht brachte die zuhand, 

5 Der war mannlich und klug 
Für einen Fußknecht genug. 
Der Knappe ſchwur ihm einen Eid, 
Würd ihm Lieb oder Leid, 
Doch verrieth' ers weder dort 

10 Noch anderwärts, als an dem Ort 
Wo ers beſtellen ſollte. 
Da bat der Degen, daß man holte 
Dinte her und Pergament. 
Da ſchrieb die Botſchaft, die ihr kennt, 

15 Lotens Sohn mit fertger Hand: 
Er entbot gen Löver in das Land 
Artuſen und Frau Ginoveren, 
Ihnen treue Dienſte zu gewähren 
Sei er bereit in aller Weiſ; 

20 Und hab er je beſeßen Preis, 
Der ſei an Würdigkeit nun todt 
Ohn Ihre Hülf in dieſer Noth: 


xIl. Eidegaft. 209 


Wenn fie der Treue nicht dachten 
Und gen Joflanze brachten 
25 Die Ritter und der Frauen Schar. 

Zum Kampfe komm er ſelber dar 
Und löfe feiner Ehre Pfand. 
Dann macht er ihnen noch bekannt, 
Daß ſich die Kämpfer vorgenommen, 
Mit Gepräng zum Kampf zu kommen. 

626 Auch entbot da Herr Gawan 
Und erſuchte Weib und Mann, 
Artuſens ganzes Ingeſind, 
Wären fie ihm holdgeſinnt, 

5 So riethen ſie dem Herrn zu kommen; 
Es würd auch ihrer Ehre frommen. 
All den Wuͤrdigen entbot 
Er Gruß und ſeines Kampfes Noch. 


Obgleich der Brief kein Siegel trug, 
10 Wahrzeichen ſtanden drin genug, 
Daß man ſah, Wer ihn geſchrieben. 
„Nun ſollſt dus länger nicht verſchieben, 
Mein Knappe, deines Wegs zu ziehn. 
Der Koͤnig und die Königin 
15 Sind zu Bems an der Korka. 0 
Frau Ginoveren ſollſt du da 
Zu ſprechen ſuchen gleich am Morgen: 
Du wirſt es, hoff ich, wohl beſorgen. 
Der Liſt vergiß mir nicht dabei: 
20 Verſchweig, daß ich hier Herre ſei. 
Daß du hier Ingeſinde biſt, 
Gedenke des zu keiner Friſt.“ 


Parzival und Titurel. II. . j 14 
* 


210 XII. Eideg aft. 


Der Knappe eilends aufbrach; 

Arnive ſchlich ihm leiſe nach 
25 Und frug, wohin er wollte 

Und was er da beſtellen ſollte. 
Er ſprach: „Es wird euch, Frau, nicht kund: 
Ein Eid verſiegelt mir den Mund. 
Behüt euch Gott, ich muß nun fahren.“ 
Da ritt er hin zu tapfern Scharen. 


XIII. 


Klinſchor. 


TE —— — * — 


Inhalt. 


Auch die Herzogin, von Gawan gewarnt, verſchweigt Arniven feinen 
Namen. Auf dem Saale wird ein Feſt begangen, bei welchem Gawan die beiden 
Kämpen der Herzogin auf ihre Witte frei giebt, feiner Schweſter Itonjs Ring 
und Botfchaft von Gramoflanz uͤberbeingt und ihrer Liebe Beiſtand verſpricht. 
Nach dem Male tanzen die Frauen mit Klinſchors Ritterſchaft: beiden iſt es 
zu früh, als Gawan zum Zeichen des Aufbruchs den Nachttrunk fordert. 
Darauf hält er, nur mit Arnivens und Venes Mitwißen, fein Beilager mit 
Orgeluſen. Der nach Löver geſandte Knappe ſpricht erſt heimlich bei Ginover 
vor, die ihn unterweiſt, wie er feine Botfchaft öffentlich werben und den König 
gewinnen ſolle. Er kehrt mit deſſen Zuſage heim, und widerſteht abermals 
Arnivens ausforſchenden Fragen. Von dieſer läßt ſich Gawan erzählen, 
welche Vewandtniſs er mit dem Schloße und Klinſchors Zauberkunſt habe. 
Er war Herzog von Kapua in Terre de Labeur (Kampanien) und Neffe des 
Zauberers Virgilius in Neapel, und minnte Jblis, die Gemalin Iberts, 
Königs von Sicllien, der ihn auf Kalot-Embolot in ihren Armen ertappte 
und zum Kapaun machte. In der Stadt Perſida erlernte er die Zauber— 
kunſt, durch welche er ſeine Schmach an der Welt zu rächen gedachte. König 
Irot von Roſchſabins, Gramoflanzens Vater, ſchenkte ihm einen Berg mit 
acht Meilen Umkreiß, wo er Chatelmerveil erbaute, viel Frauen und Ritter 
aus der Chriſtenheit und Heldenſchaft, namentlich die vierhundert Frauen und 
vier Königinnen von Artus Hofe dahin entführte, und Burg und Land Dem 
verhieß, der das Abenteuer des Wunderbettes beſtehen würde. Artus, der 
ſeinem Verſprechen gemäß mit großem Heere heranzieht, war vor Logrois 
mit der Ritterſchaft der Herzogin, die einen Angriff Gramoflanzens vermuthete, 
in Kampf gerathen. Gawan, der ihm eine Ueberraſchung bereiten will, 
läßt ihn unbegrüßt vorüberziehen. Darauf ernennt er vier Amtleute, zieht 
ſie ins Geheimniſs, befiehlt ihnen, keinen Aufwand zu ſparen, und ſchickt 
den Marſchall auf den Plan vor Joflanze voraus, ihm neben Artus Gezelten 
ein geſondertes Lager aufzuſchlagen. Dann bricht er mlt feiner Schar auf, 
zieht durch Artus Lager und umgiebt deſſen Gezelt mit einem Kranz von 
Frauen. Artus und Ginover kommen hervor, ihn zu begrüßen; die Königin 
ſuͤhrt ihn mit den Vornehmſten ins Gezelt, während Artus im Kreiße umher: 
reitet, um auch die Frauen mit ihren dienenden Rittern willkommen zu heißen. 
Als er ins Zelt zurückkommt, ſtellt ihm Gawan in Arniven Utepandragons 
Wittwe, Artuſens Mutter, in Sangiven König Lots Wittwe, Artuſens 
Schweſter und Gawanens Mutter, in Itonjs und Kondris Lots und Sangi⸗ 
vens Töchter, Gawanens Schweſtern vor, wodurch er ſich Arniven als ibren 


214 XI. Klin ſchor. 


Enkel zu erkennen giebt und ihre Neugierde befriedigt. Es wird verabredet, 
auch Orgeluſens Ritterſchaft und die von ihr gefangenen Britten, welche 
die Herzogin frei giebt, kommen zu laßen, um den Glanz der Verſamm⸗ 
lung zu mehren. Darauf begiebt ſich Gawan mit ſeinem Gefolge in das 
von dem Marſchall für ſie auigeichlagene Lager. Am Morgen ziehen Die 
von Logrois heran und ſchlagen gleichfalls ein Sonderlager auf. Artus 
ſchickt Boten nach Roſchſabins und erſucht Gramoflanz, ſich zum Zweikampf 
einzufinden. Gawan empfängt Orgeluſens Minneritter, wappnet ſich und 
reitet hinaus, ſich zum Kampf vorzubereiten. Am Sabins begegnet ihm 
ein Ritter, mit deſſen Erſcheinen die Märe zu ihrem Helden zurückkehrt. 


627 Zorn Arniven übermannte, 
Da ihr der Knappe nicht bekannte 
Wohin er geſendet wäre, 
Und ihr verhohlen blieb die Mare. 
Sie bat den, der der Pforte pflag: 
„Es ſei Nacht oder Tag 
Wenn der Knappe kehrt zurücke, 
Laßt ihn nicht von der Brücke 
Eh ich heimlich mit ihm ſprach: 
Deine Kunſt ſich hier bewähren mag.“ 
Dem Knappen kann ſie's nicht verzeihn. 
Neugier trieb ſie jetzt herein 
Wieder zu der Herzogin; 
Doch trug auch die ſo klugen Sinn, 
15 Daß ihr Mund es nicht geſtand 
Wie der Ritter wär genannt. 
Seiner Bitte that ſie volles Recht, 
Barg ſeinen Namen, ſein Geſchlecht. 


an 


1 


> 


Pofaunen : und Drometenklang 
Hörte man den Saal entlang 
Schmettern jetzt und ſchallen. 

An den Wänden allen 
Sah man Tapeten aufgehangen; 
Im Saale ward nicht gegangen 
25 Als auf Teppichen heut; 
Das hätt ein armer Wirth geſcheut. 


2 


O 


216 XIll. Klinſchor. 


Ringsum an den Seiten 

Sah man den Gäſten breiten 
Flaumpolſter ſanft genug, 
Darauf man reiche Decken trug. 


628 Nach ſeinen Arbeiten lag 
Gawan und ſchlief am hohen Tag. 
Ihm waren alle Wunden 
Mit ſolcher Kunſt verbunden: 

5 Hätt er der Minne zu pflegen 
Seiner Freundin beigelegen, 
Es hätt ihm Schaden nicht gebracht. 
Er ſchlief auch beßer, als die Nacht, 
Da ihm die fhöne Herzogin 

10 Mit Sehnſucht füllte Herz und Sinn. 
So erwacht' er nicht vor Vesperzeit. 
Doch auch dießmal hatt er Streit 
Geſtritten mit der Minne: 
Ihm lag die Herzogin im Sinne. 


15 Neu für ihn geſchnittne Tracht, 
Kleider reich an goldner Pracht, 
Bracht ihm ein Kämmerer getragen 
Von lichtem Pfellel, hoͤrt ich ſagen. 
Da ſprach Gawan, der Degen hehr: 

20 „Der Kleider brauchen wir noch mehr, 
Und die nicht minder koſtbar ſein: 
Für den Herzog von Gowerzein 
Und Florand den klaren: 

Er hat manch Land durchfahren 

25 Und erworben Wuͤrdigkeit: 
Sorge, daß ſie ſein bereit.“ 


XIII. Klin ſchor. | 217 


Durch einen Knappen entbot 
Er ſeinem Wirth Plippalinot, 
Liſchoiſen wünſch er dort zu fehn. 
Da ward mit ſeiner Tochter ſchoͤn 
629 Ihm Liſchois hinauf geſandt; 
Bene führt' ihn an der Hand, 
Die Gawanen gerne ſchaute, 
Ihm wie ein Kind vertraute, 
5 Der ihrem Vater Wohl verhieß, 
Als er die Weinende verließ 
Des Tages, da er von ihr ritt 
Und ſeine Mannheit Preis erſtritt. 


Auch der Tuͤrkowite war gekommen: 
10 Von Gawanen aufgenommen 
Wurden ſie mit Freude. 
Ihm zur Seite ſaßen beide, 
Bis man die Kleider ihnen trug. 
Die waren koſtbar genug, 
15 Beßre mochten ſchwerlich ſein: 
Die dreie kleideten ſich drein. 
Ein Meiſter hieß Sarant 
(Sares ward nach ihm genannt), 
Er ſtammte von Triande. 
20 In Sekundillens Lande 
Iſt eine Stadt mit Namen Thasme, 
Die größer iſt als Ninive 
Oder als die weite Akraton. 
Da trug Sarant viel Preis davon, 
25 Indem er einen Stoff erfand, 
Auf den er große Kunſt verwandt, 
Der Sarantthasme ward geheißen. 


218 


630 


a 


XIII. Klinſchor. 


Ob der prächtig mochte gleißen? 
Das nehmet ohne Fragen an: 
Man verwandte große Koſten dran. 


Solche Kleider legten an 
Die Beiden und Herr Gawan. 
Er gieng mit ihnen auf den Saal: 
Hier ſaß der Ritter große Zahl, 
Und viel der klaren Frauen. 
Wer prüfend konnte ſchauen, 
Von Logrois wars die Herzogin, 
Die ihm die Allerſchoͤnſte ſchien. 
Da trat der Wirth mit feinen Gaſten 
Vor ſie, die ſie ſahen gläſten, 
Die Orgeluſe war genannt. 
Dem Türkowiten Florand 
Und Liſchois dem kühnen Mann 
Ward die Freiheit kund gethan, 
Den beiden Fürſten kurtois, 
Zu Liebe Der von Logrois. 
Da ſagte ſie Gawanen Dank, 
Die zu aller Falſchheit krank, 
Geſund doch war und weiſe 
Zu allem weiblichem Preiſe. 


Da dieſe Ledigung geſchah, 
Bei der Herzogin ſah 
Gawan vier Königinnen ſtehn. 
Die beiden hieß er näher gehn, 
So ließ er Kurtoiſie ſchauen: 
Die jüngern drei Frauen 
Hieß er küſſen dieſe Zwene. 


XIII. Klinſchor. 219 


Nun war uch Fräulein Bene 
Mit Gawan in den Saal gegangen: 
Die ward da wohl empfangen. 


631 Der Wirth nicht länger wollte ſtehn. 

Er hieß die beiden ſitzen gehn 
Bei den Frauen, wo ſie wollten. 
Sie thatens ungeſcholten, 

5 Denn ſolch Geheiß thut Niemand weh. 
„Welche heißt Itonjé ?, 
Sprach der werthe Gawan jetzt: 
„Gern hätt ich mich zu ihr geſetzt.“ 
So frug er Benen leiſe. 

10 Da blickte ſie ſich um im Kreiſe 
Und wies ihm dann das Mägdlein klar: 
„Die den rothen Mund, das braune Haar 
Ihr ſeht bei hellen Augen tragen. 
Wollt ihr heimlich ihr was ſagen, 

15 Das thut mit gutem Fuge.“ 
Sprach Bene da die kluge. 
Sie wuſt Itonjes Minnenoth, 
Daß ihrem Herzen Dienſte bot 
Der werthe Koͤnig Gramoflanz; 

20 Er weiht' ihr ſeine Treue ganz. 


Sich ſetzte Gawan zu der Magd 
(Ich ſag euch was man mir geſagt), 
Und ſprach wie ers gar wohl verſtund 
Sie an mit klug beredtem Mund. 

25 Auch ſah er ſie ſo fein gebahren: 

Bei den wenigen Jahren 
Die Itonjé, die junge, trug, 
Bewies ſie edler Zucht genug. 


220 XIIl. Klinſchor. 


Mit der Frage hatt ers begonnen, 

Ob ſie noch Minne nie gewonnen? 
632 Sie ſprach mit klugen Sinnen: 

„Herr, Wen ſollt ich minnen? 

Seit mir mein erſter Tag erſchien 

Kam es niemals dahin, 

5 Daß ich mit einem Ritter ſprach 
Mehr als mit euch an dieſem Tag.“ 


„So möcht euch doch wohl Kunde werden, 
Wie Mannheit trägt für euch Beſchwerden 
Und Preis erwirbt durch Ritterſchaft, 
10 Und Wer mit herzlicher Kraft 
Um Minne Dienſt erzeigen kann.“ 
Alſo ſprach mein Herr Gawan; 
Zur Antwort gab die klare Magd: 
„Mir iſt um Minne Dienſt verſagt. 
15 Der Herzogin von Logrois 
Dient mancher Ritter kurtois 
Um Minne wie um andern Sold. 
Zu Tjoſten ward ihr Mancher hold, 
Daß es unſer Auge ſah; 
20 Doch kam uns Keiner je ſo nah 
Als Ihr uns gekommen ſeid; 
Euch ward der hoͤchſte Preis im Streit.“ 


Da hub er zu der Schönen an: 
„Wen bekriegt der Fürſtin Bann, 
25 So mancher Ritter auserkoren? 
Wer hat ihre Huld verloren?“ 
Sie ſprach: „Den König Gramoflanz, 
Der doch alles Lobes Kranz 


XIll. Kliuſchor. 


Trägt, wie jeder Weiſe ſpricht: 
Herr, ich weiß es anders nicht. 


633 Da ſprach mein Herr Gawan: 
„So ſollt ihr ferner Kund empfahn 
Von ihm, da er ſich naht dem Preis 
und Preis erſtrebt mit ganzem Fleiß. 

5 Aus ſeinem Mund hab ich vernommen, 
Es ſei ſein Herz dahin gekommen 
Daß er ſich euerm Dienſt geſellt; 
Sein Troſt ſei ganz allein geſtellt 
Auf euer Helfen, euer Minnen. 

10 Ein König von Königinnen 
Empfängt wohl billig Herzensnoth. 
Herrin, hieß eur Vater Lot, 
So ſeid Ihr es, die er meinet, 
Nach der ſein Herze weinet; 

15 Und iſt eur Name Itonjé, 
So thut ihr ſeinem Herzen weh. 


„Wenn ihr Treue wißt zu tragen, 

So wendet ſeines Herzens Klagen. 
Euer Beider Bote will ich ſein: 

20 Fraue, nehmt dieß Ringelein, 
Das ſendet euch der werthe Held; 
Heimlich wirds von mir beſtellt: 
Ich weiß zu hehlen, zweifelt nicht.“ 
Scham übergoß ihr Angeſicht: 

25 Die Farbe, die erſt trug ihr Mund, 
Ward ihrem ganzen Antlitz kund; 
Doch gleich darauf erblich die Magd, 
Nach dem Ringlein griff fie ganz versagt. 


221 


229 | XIII. Klinſchor. 


Sie hatt es Augenblicks erkannt 
Und empfiengs in ihre klare Hand. 


634 „Nun ſeh ich wohl, Herr,“ ſprach ſie gleich, 
„Wenn ich ſo ſprechen darf vor euch, 
Daß ihr von Dem mir Kunde bringt, 
Nach dem mein Herz verlangend ringt. 

5 Verſchwiegenheit geziemt euch nun, 
Denkt ihr der Zucht ihr Recht zu thun. 
Schon öfter ward mir dieß geſandt 
Von des werthen Königs Hand: 

Sein Wahrzeichen ſollt es ſein, 

10 Er empfieng von mir dieß Ringelein. 
Was er Kummers je gewann, 
Gar ohne Schuld bin ich daran, 
Denn immer hab ich ihm gewährt 
In Gedanken was er nur begehrt. 

15 Er hätt es von mir ſelbſt vernommen, 
Wär ich ihm je ſo nah gekommen. 


„Ich küſste heut die Herzogin 
Die ſeinen Tod nur hat im Sinn: 
Das war ein Kuſs wie Judas Kuſs, 
20 Von dem man heut noch ſprechen muß. 
Alle Treu an mir verſchwand, 
Da der Türkowit Florand 
Und der Herzog von Gowerzein 
Von mir geküſſet muſten ſein. 
25 Ich vergeb es ihnen doch nicht ganz, 
Die dem König Gramoflanz 
So ſtäten Haß im Herzen tragen. 
Meiner Mutter ſollt ihr das nicht ſagen, 


XIII. Klinſchor. 223 


Noch meiner Schweſter Kondrié.“ 
So bat Gawanen Itonjé. 


635 „Herr, es geſchah auf euer Bitten, 

Daß ich ihren Kufs gelitten, 
Doch ohne Sühn, auf meinen Mund; 
Mein Herz davon iſt ungeſund. 

5 Ob je uns eint ein ſelig Band, 
Das liegt nun, Herr, in eurer Hand. 
Ich weiß, der König minnet mich 
Vor allen Frauen ſicherlich. 
Dafür geb ich ihm den Sold: 

10 Ich bin wie keinem Mann ihm hold. 
Gott lehr euch Hülfe, lehr euch Rath, 
Daß mir durch Euch die Freude naht.“ 


Da ſprach er: „Frau, nun lehrt mich Wie. 
Er hat euch dort, ihr habt ihn hie, 

15 Mag euch auch die Ferne ſcheiden. 
Wüſt ich nun euch beiden 
Mit Treuen ſolchen Rath zu geben, 
Der euch zu würdiglichem Leben 
Frommte, ſollt es gern geſchehn, 

20 Ich ließe mirs nicht leicht entgehn. 
Sie ſprach: „Ihr ſollt gewaltig ſein 
Des werthen Königes und mein. 
Eure Hülf und Gottes Segen 
Moͤg unſer beider Minne pflegen, 

25 Daß er frei wird durch mich Arme 
Von feinem Kummer, feinem Harme. 
Da bei Mir fteht feine Freude, 
Wenn ich Untreue meide, 


224 XIIl. Klin ſchor. 


So iſt mein Wunſch und mein Begehren 
Ihm meine Minne zu gewähren.“ 


636 Das Fräulein, hörte wohl Gawan, 
War dem Koͤnig zugethan; 
Dabei war auch nicht allzulaß 
Zu der Herzogin ihr Haß: 

5 So trug ſie Minne, trug ſie Haß. 
Schier Verfündgung ſchien ihm das 
An der Einfalt der Magd, 

Die ihm den Kummer hat geklagt, 

Daß er ihr noch vermied zu ſagen, 
10 Wie Eine Mutter ſie getragen; 

Auch war ihr beider Vater Lot. 

Der Magd er ſeine Hülfe bot: 

Sie dankte heimlich ihm mit Neigen, 

Daß er ſich hülfreich wollt erzeigen. 


15 Nun war es Zeit auch, daß man trug 
Manch Tiſchlaken weiß genug 
Und das Brot zum Mittagsmal 
Zu den klaren Frauen in den Saal. 
Man hält es mit den Plätzen 
20 So, daß ſich die Ritter ſetzen 
Dort an Eine Wand im Haus. 
Die Sitze theilte Gawan aus. 
Der Türkowite bei ihm ſaß; 
Liſchois mit Gawans Mutter aß, 
25 Der klaren Sangive. 
Mit der Königin Arnive 
Aß die ſchoͤne Herzogin. 
Seine ſchoͤnen Schweſtern ſetzt' er hin 


XIII. Klinfchor. 9: 


Ihm zu Seiten überm Mal: 
Sie thaten gern wie er befahl. 


637 Meine Kunſt giebt mir nicht halb Bericht, 
Solcher Küchenmeiſter bin ich nicht, 
Daß ich die Speiſen konnte ſagen, 

-Die da wurden aufgetragen. 

5 Den Wirth und all die Frauen gar 
Bedienten Mägdlein fhön und klar. 
Den Rittern dort an ihrer Wand 
Giengen Knappen auch zur Hand. 

Zucht hatte ſolchen Brauch gerathen, 

10 Daß drängend nicht die Knappen nahten 
Den ſchönen Jungfrauen. 
Geſondert blieben ſie zu ſchauen 
Ob ſie Speiſen brachten oder Wein: 

So hielten ſie die Sitte rein. 


15 Sie ſahen heut ein Feſtmal hie 
Wie es hier die Frauen noch nie 
Geſehen, und die Ritterſchaft, 
Seit ſie Klinſchors Zauberkraft 
Hielt in dieſes Schloß gebannt. 

20 Sie waren ſich noch unbekannt. 
Obgleich Ein Thor ſie alle dort 
Verſchloß, ſie hatten nie ein Wort 
Noch gewechſelt, Weib und Mann. 
Nun ſchuf es heute Herr Gawan 

25 Daß dieß Volk einander ſah, 
Daran ihm Freude viel geſchah. 
Ihm war auch ſelber Lieb geſchehn; 
Doch oftmals heimlich anzuſehn 


Parzival und Titurel. II. 15 


226 XI. Klin ſchor. 


Seine klare Herzogin 
Zwang ſie das Herz ihm und den Sinn. 


638 Zu ſinken nun begann der Tag, 
Daß ſein Schein beinah erlag; 
Auch glitt ſchon durch die Wolken ſacht, 
Die man für Boten hält der Nacht, 
5 Mancher Stern der freudig blinkte, 
Da ihm der Nacht Herberge winkte. 
Nach der Nacht Standarten 
Ließ ſie ſelbſt nicht auf ſich warten. 
Von der Decke nieder hold 
10 Manche Krone hieng von Gold 
Ringsum in dem ſchoͤnen Saal; 
Die Kerzen warfen lichten Stral. 
Auf die Tiſche ringsumher 
Trug man der Kerzen wohl ein Heer. 
15 Die Aventüre hehlt uns nicht, 
Die Herzogin erſchien ſo licht, 
Und ſchien' der Kerzen keine hier, 
Es wär doch nirgend Nacht bei ihr: 
Ihr Glanzſchein konnte ſelber tagen, 
20 So hoͤrt ich von der Schoͤnen ſagen. 


Gawanen muſte man geſtehn: 
Selten habe man geſehn 
Einen Wirth ſo freudenvoll. 
Sie thaten wie der Frohe ſoll. 

25 Da ward mit freudigem Begehr, 
Die Ritter hin, die Frauen her, 
Sich ins Angeſicht geblickt. 

Das noch vor Bloͤdigkeit erſchrickt, 


XIII. Klinſchor. 


Lernt ſich dieß Volk nun beßer kennen, 
Das will ich ihm von Herzen goͤnnen. 


639 Saß nicht ein Vielfraß mit zu Tiſch, 
So aß man ſatt nun Fleiſch und Fiſch. 
Die Tiſche trug man all hindann. 

Da fragte mein Herr Gawan, 
5 Ob nicht gute Fiedler dort 
Zu finden wären an dem Ort? 
Da waren edler Knappen viel 
Wohlgelehrt im Saitenſpiel. 
Doch konnten ſie die Kunſt nicht ganz, 
10 Sie ſtrichen all nur alten Tanz: 
Neuer Tänze ward nicht viel vernommen, 
Wie uns von Thüringen find gekommen. 


Nun dankt es all dem Wirth Gawan, 
Er ließ der Freude freie Bahn. 

15 Viel der Frauen ſchöͤn und klar 
Tanzten vor ihm in der Schar. 
Alſo ſchmückt ſich jetzt ihr Reigen: 
Viel der kühnen Ritter zeigen 
Sich untermiſcht dem Frauenheer: 

20 So ſtehen ſie dem Gram zur Wehr. 
Auch mochte man da ſchauen 
Immer zwiſchen zweien Frauen 
Einen klaren Ritter gehn: 

Sie freuten ſich, das war zu ſehn. 

25 Wars einem Ritter ſo zu Sinne, 
Daß er Dienſt verhieß um Minne, 
Das vernahm man ohne Harm. 

An Freuden reich, an Sorgen arm 


227 


228 XIII. Klinſchor. 


Vertrieben ſie die kurze Stunde 
Mit ſüßem Wort aus liebem Munde. 


640 Gawan und Sangive 

Und die Königin Arnive 
Saßen bei dem Tanz in Ruh. 
Da trat die Herzogin hinzu. 

5 Zu Gawan ſetzte ſich die Feine, 
Ihre Hand empfieng er in die Seine. 
Da ward manch treues Wort vernommen, 
Er war froh, daß ſie zu ihm gekommen. 
Schmal ward ſein Harm, ſeine Freude breit: 

10 So verſchwand ihm all ſein Leid. 
War groß am Tanz der Fürftin Luft, 
Ihm war noch minder Gram bewuſt. 


Die Königin Arnive ſprach: 
„Herr, nun denkt auf eur Gemach: 

15 Ruhtet ihr in dieſen Stunden, 
Das wäre heilſam euern Wunden. 
Hat ſich die Herzogin bedacht, 

Daß ſie mit Decken dieſe Nacht 
Euch beſorgen will und hegen? 

20 Die kann mit Rath und That euch pflegen.“ 
„Fragt ſie ſelber,“ ſprach Gawan: 
„Was ihr Zwei gebietet, wird gethan.“ 
Da ſprach die Herzogin darein; 

„Er ſoll in meiner Pflege ſein. 

25 Laßt dieſes Volk zur Ruhe fahren, 
Ich will ihn heute ſo bewahren, 
Daß nie ein Weib ſein beßer pflag. 
Floranden von Itolak 


XIII. Klinſchor. 229 


Und den Herzog von Gowerzein 
Laßt in der Ritter Pflege ſein.“ 


641 Bald ein Ende nahm der Tanz. 
Jungfraun in blühnder Farbe Glanz 
Sah man ſitzen dort und hie, 

Sich Ritter ſetzen zwiſchen ſie. 

5 Wer nun mit Freude Leid vertrieb, 
Um Minne bat ſein holdes Lieb, 
Er fände holde Antwort wohl. 

Als jetzt des Wirths Gebot erſcholl, 
Ihm den Nachttrunk aufzutragen, 

10 Das muſten Werbende beklagen. 

Der Wirth warb wie ein andrer Saft: 
Trug Er nicht auch der Minne Laſt? 
Ihr Sitzen däucht ihn allzulang, 

Da Sein Herz auch die Minne zwang. 

15 Der Trunk beſchloß ihr Minneſcherzen. 
Vor den Rittern viel der Kerzen 
Trugen Knappen aus dem Saal. 
Floranden und Liſchois befahl 
Der Wirth den Rittern allen: 

10 Denen muſt es wohlgefallen. 

Liſchois und Florand 

Giengen ſchlafen gleich zur Hand. 
Die Herzogin mit Wohlbedacht 
Wünſchte beiden gute Nacht. 

25 Da erhob ſich auch der Frauen Schar 
Und nahmen ihrer Ruhe wahr. 

Sie wuſten wohl mit Neigen 
Beim Abſchied Zucht zu zeigen. 


230 XIII. Klinfhor. 


Sangive mit Itonjé 
Brachen auf, fo that auch Kondrie. 


642 Da machten Bene und Arnive, 
Daß der Wirth gemächlich ſchliefe, 
Alles fertig und bereit. 

Es war der Herzogin nicht leid, 
5 Sie ſtand den Beiden gerne bei. 
Gawanen führten dieſe drei 
Hin, wo ihm Liebes bald geſchah. 
In einer Kemenaten ſah 
Er zwei geſellte Bette liegen. 
10 Doch wird euch ganz von mir verſchwiegen, 
Wie ſchoͤn geſchmückt fie wären: 
Wir nahen andern Maren. 


Zur Herzogin Arnive ſprach: 
„Nun ſollt ihr ſchaffen gut Gemach 
15 Dem Ritter, der hier bei euch ſteht. 
Wenn er um eure Hülfe fleht, 
Helft ihr ihm, das ehrt euch ſehr. 
Hierüber ſag ich euch nichts mehr. 
Wißt jedoch, ſeine Wunden 
20 Sind ſo künſtlich ihm verbunden, 
Er dürfte jetzt wohl Waffen tragen. 
Doch moͤgt ihr feine Schmerzen klagen: 
Wenn ihr die lindert, das iſt gut. 
Lehrt ihr ihn wieder hohen Muth, 
25 Wir Alle werdens mitgenießen, 
Darum laßts euch nicht verdrießen.“ 
Die Königin Arnive gieng 
Da Jener Urlaub ſie empfieng; 


XIII. Klinſchor. 


Ein Licht trug Bene ihr voran. 
Die Thür verſchloß Herr Gawan.“ 


643 Ob nun die Beiden Minne ſtehlen, 
»Das wird mir ſchwer euch zu verhehlen. 
„Was dort geſchah, ich macht' es kund, 
Träfen Flüche nicht den Mund, 

5 Der dem Geheimniſs Stimme leiht: 
Es iſt den Guten immer leid; 
Sein eigen Unglück wirkt er auch. 
Zucht verräth nicht Minnebrauch. 


Nun ſchuf der Minne Hochgewinn 
10 Und die ſchoͤne Herzogin, 
Daß Gawans Glück vollkommen war. 
Unſelig blieb' er immerdar, 
Heilt' ihn nicht ſein ſüßes Lieb. 
Wer je geheime Weisheit trieb, 
15 Und Alle, die da forſchend ſaßen 
Und verborgne Kräfte maßen, 
Kankor und Thebit, 
Oder Trebuſchet der Schmied, 
Der Frimutellens Schwert geſchaffen 
20 (Groß Wunder wirkte dann dieß Waffen), 
Dazu auch aller Aerzte Kunſt, 
Erwieſen ſie ihm holde Gunſt 
Mit Salben, Wurzen und Gebräuden: 
Ohn ein Weib und Minnefreuden 
25 Hätt er ſeine ſcharfe Noth 
Gebracht bis an den bittern Tod. 


Daß ich die Märe mache kurz, 
Er fand den rechten Hirſchenwurz, 


231 


232 XIII. Klinſchor. 


Der ihm half, daß er genas 
Und der Schmerzen ganz vergaß; 
644 Bei der Weiße braun war der. 
Der Dritte von der Mutter her, 
Gawan fils dü roi Lot, 
Durch ſüßen Balſam bittrer Noth 
5 Fand er die Hülfe, der er pflag 
Mit der Liebſten Hülfe bis zum Tag. 
Doch ſolche Hülfe gab ſein Lieb, 
Die allem Volk verſchwiegen blieb. 
Dann ließ er ſich ſo fröhlich ſchauen 
10 Vor den Rittern all und vor den Frauen, 
Daß ihre Sorge gar verdarb. 
Nun hört auch wie der Knappe warb, 
Welchen Gawan ausgeſandt 
Hin gen Löver in das Land 
15 Nach Bems bei der Korka. 
Der König Artus war allda 
Und fein königlich Gemal, 
Lichter Frauen viel zumal 
Und des Ingeſindes eine Flut. 
20 Nun bört auch, wie der Knappe thut. 


Bei früher Morgenſtunde 
Wollt er bringen ſeine Kunde. 
Vor dem Kreuze las die Koͤnigin 
Den Pſalter mit andächtgem Sinn: 
25 Da fiel der Knapp ihr vor die Füße 
Und bot ihr freudige Grüße. 
Sie nahm einen Brief aus ſeiner Hand, 
Darin ſich Schrift geſchrieben fand, 
Die ſie gleich erkannte 


XIII. Klinſchor. 233 


Eh ſeinen Herrn ihr nannte 
645 Der Knappe, den ſie knieen ſah. 
Zu dem Briefe ſprach die Koͤngin da: 
„Heil der Hand, die dich geſchrieben! 
Ohne Sorge bin ich nie geblieben, 
5 Seit ich zuletzt die Hand erblickte, 
Die dieſe Züge ſchrieb und ſchickte.“ 


Sie weinte ſehr und war doch froh; 
Darauf zum Knappen ſprach ſie ſo: 
„Du biſt ein Knecht in Gawans Sold.“ 

10 „Ja Frau. Der iſt euch herzlich hold: 
Er entbeut euch Treue ſonder Wank, 
Und daß alle ſeine Freude krank, 
Wird ſie nicht durch Euch geſund. 
ſiemals kümmerlicher ſtund 

15 Es noch um ſeine Ehre. 

Auch entbeut euch, Frau, der Hehre, 
Daß ihn Freude wieder labe, 

Erfahr er eures Troſtes Gabe. 

Ihr moͤgt wohl mehr im Briefe finden, 

20 Als ich wuͤſte zu verkünden.“ 


Sie ſprach: „Ich hab aus ihm erkannt 
Warum du zu mir biſt geſandt. 
Wohlan, ihm dienend bring ich dar 
Wonniglicher Frauen Schar, 
25 Deren Preis den Sieg behält 
Zu unſrer Zeit in aller Welt, 
Parzivals Gemal allein, 
Und Orgeluſens lichter Schein, 
Sonſt darf in allen Chriſtenreichen 
Sich ihrer Schoͤnheit nichts vergleichen. 


234 XIII. lin ſchor. 


646 Seit Gawan von Artus ritt 
Ward ich der Sorge nimmer quitt. 
Wie hat das Leid mein Herz zerquaͤlt! 
Meljanz von Li hat mir erzaͤhlt, 
5 Er ſah ihn juͤngſt zu Barbigoͤl. 

O weh mir,” ſprach fie, „Plimizoͤl, 
Daß dich mein Auge je erſa l! 
Wieviel mir Leides da geſchah! > . 
Kunnewaren de Laland, x 

10 Die von mir ſchied an deinem, Stsandr- 
Mein hold Geſpiel, ſah ich nicht mehr. 
Mit Reden ward da allzuſehr 
Der Tafelrunde Recht gebrochen. 
Fünfthalb Jahr und ſechs Wochen 

15 Iſts, ſeit der werthe Parzival 
Vom Plimizoͤl ritt nach dem Gral. 
Da wandte ſich auch Gawan 
Gen Askalon, der werthe Mann. 
Jeſchuten und Ekuba 

20 Sah ich zum Letztenmale da. 
Große Sehnſucht nach den Lieben 
Hat mir die Freude weit vertrieben.“ 


Die Königin fiel Trauern an; 

Zu dem Knappen ſie begann: 

25 „Nun folge meiner Lehre: 
Heimlich jetzt von hinnen kehre 
Bis ſich hoͤher hob der Tag, 
Daß alles Volk zu Hof ſein mag, 
Knappen, Ritter allzumal, 
Des Ingeſindes volle Zahl. 

647 Dann komm du auf den Hof getrabt, 


xl. Kliuſchor. 


Nicht frage wer dein Pferd dir habt, 
Sondern eile hinzugehn, 
Wo die werthen Rittern ſtehn. 

5 Die fragen dich um Abenteuer: 

Als ſprängſt du aus einem Feuer, 
So ſei dein Reden, dein Betragen. 
Sie moͤchtens gar zu gern erfragen 
Was du für Mare bringeſt; 

10 Du ſchau nur, wie du dringeſt 
Durch die Menge zu dem Wirth, 
Der freundlich dich empfangen wird. 
Gieb dieſen Brief ihm in die Hand, 
So wird ihm bald daraus bekannt 

15 Deine Mär und deines Herrn Begehren; 
Ich zweifle nicht, er wirds gewähren. 


„Ich rathe dir noch mehr: an Mich 
Wende dann dich öffentlich, 
Wo ich mit andern Frauen 
20 Dich hören mag und ſchauen. 
Wirb, willſt du dem Herren nützen, 
Daß ſein Geſuch wir unterſtützen. 
Doch ſage mir, wo iſt Gawan?“ 
„Das fragt nicht,“ hub der Knappe an, 
25 „Ich darf nicht ſagen, wo er weilt; 
Doch hat das Glück ihm viel ertheilt.“ 
Dem Knappen ſchien ihr Rath Gewinn; 
Da ſchied er von der Koͤnigin. 
Gerne folgt' er ihren Lehren 
Und kehrt' auch, als er ſollte kehren. 


648 Recht um den mitten Morgen 
Offentlich und unverborgen 


235 


236 XIII. Klinfhor. 


Ritt der Knappe auf den Hof. 
Die Hoͤfſchen gaben ihm das Lob, 

5 Sein Kleid ſei recht nach Knappenſitten. 
Mit Sporen war dem Roſs zerſchnitten 
Die Haut zu beiden Seiten. 

Nach der Königin Bedeuten 
Sprang er eilends von dem Roſs: 
10 Da ward um ihn das Drängen groß. 
Schwert und Mantel, Roſs und Sporen, 
Gieng ihm allzumal verloren, 
Er kehrte wenig ſich daran. 
Eilends hub er ſich hindann, 
15 Wo er viel werthe Ritter ſah. 
Aus Einem Mund frug Jeder da, 
Was er für Abenteuer bringe? 
Brauch am Hof ſei, Niemand gienge 
Zu Tiſche, weder Weib noch Mann, 
20 Bevor der Hof ſein Recht gewann: 
Aventüre, und ſo reiche, 
Daß fie rechter Aventüre gleiche. 


Der Knappe ſprach: „Ich ſag euch nichts; 
Mich entbindet Eile des Berichts. 
25 Nehmts nicht krumm zu dieſer Friſt 
Und ſagt mir wo der Koͤnig iſt: 
Den ſpräch ich gern vor allen Dingen 
Wie mich die kurzen Stunden zwingen. 
Dann hoͤrt ihr was man ihm entbot: 
Gott lehr euch Hülfe bei der Noth.“ 


649 Dem Knappen, den die Botſchaft engte, 
War es gleichviel wie man ihn drängte, 


XIll. Klin ſchor. 237 


Bis ihn der König ſelber ſah, 
Ihm froh Willkommen bot allda. 

5 Der Knappe gab ihm einen Brief, 
Der rief ins Herz Artuſen tief, 
Denn als er ihn geleſen hatte, 

Da fühlt' er, wie ſich in ihm gatte 
Die Freude mit der Klage. 
10 „Wohl dieſem füßen Tage, 
Bei deſſen Licht ich dieß vernahm, 
Mir endlich ſichre Kunde kam 
Von meinem Schweſterſohn, dem kuͤhnen! 
Kann ich mannlich ihm dienen 

15 Wie ich als Freund, als Oheim ſoll, 
Zahlt' ich der Treue je den Zoll, 
»So leiſt ich jetzt was mir Gawan 
Entboten hat, wofern ich kann.“ 


Zu dem Knappen ſprach er ſo: 
20 „Nun ſage mir, iſt Gawan froh?“ 
„Ja Herr, ſo bald es Euch gefällt 
Iſt Er den Frohen zugeſellt,“ 
Sprach der Knappe drauf, der weiſe; 
„Doch muß er ſcheiden von dem Preiſe, 
25 Wenn Ihr ihn ohne Hülfe laßt. 
Wie blieb’ er fröhlich und gefaßt? 
Ihr flügelt ſeine Freud empor, 
Hinaus weit vor des Kummers Thor; 
Aus ſeinem Herzen flieht das Leid, 
Wenn Ihr ihm noch gewogen ſeid. 
650 Der Köngin läßt er Dienſt hieher 
Entbieten: auch iſt ſein Begehr, 
Daß ihm die Tafelründer all 


238 


XIII. Klinſchor. 


Behülflich ſei'n in dieſem Fall; 

5 Daß ſie ihrer Treue dächten, 
Seine Freude nicht verderben moͤchten: 
Sie ſollen Euch zu kommen rathen.“ 
Die Werthen all den Koͤnig baten. 
„Lieber Freund,“ hieß Artus ihn, 

10 „Bring dieſen Brief der Königin, 
Daß ſie ihn leſ und Allen ſage 
Was unſre Freud iſt, unfre Klage. 
Läßt doch Koͤnig Gramoflanz 
Hochfahrt und Tücke nimmer ganz, 

15 Wo er den Meinen ſchaden kann! 
Er wähnt mein Neffe Gawan 
Sei Cidegaſt, den er erſchlug, 
Was ihm noch Kummers bringt genug. 
Ich will ihm Kummer mehren 

20 Und ihn andre Sitte lehren.“ 


Da kam zu ihr gegangen 
Der Kuapp und wurde wohl empfangen: 
Er gab der Königin den Brief. 
Manches Auge über lief, 

25 Als es las ihr ſüßer Mund 

Was darin geſchrieben ſtund: 
Gawans Klag und ſein Geſuch. 
Auch ſäumte nicht der Knappe klug 
So zu flehen all die Frauen, 
Daß ſeine Kunſt wohl war zu ſchauen. 


651 Gawans Ohm, der Koͤnig reich, 


Warb mit großem Eifer gleich 
Sein Ingeſind zu dieſer Fahrt. 


XIII. Klin ſchor. 239 


Die vor Verſäumniſs ſich bewahrt, 
5 Ginover die hoͤfiſch weiſe 
Warb die Fraun zu dieſer ſtolzen Reiſe. 
Keie ſprach in ſeinem Zorn: 
„Ward je auf dieſer Welt geborn 
Ein ſo würdiger Mann 
10 Als von Norweg Gawan? 
Nur geſchwinde, holt ihn ein! 
Er moͤchte ſchon entſchwunden ſein. 
Springt er wie ein Eichhorn, 
Am Ende habt ihr ihn verlorn!“ 


15 Der Knappe ſprach zu Ginoveren: 
„Frau, nun will ich wieder kehren 
Morgen zu dem Herren mein: 

Sorgt fuͤr ihn, es ſteht euch fein.“ 
Ihrem Kämmrer ſprach ſie zu: 

20 „Schafft dieſem Knappen gute Ruh. 

Nach ſeinem Roſſe ſollſt du ſchauen: 
Iſt es mit Sporen arg verhauen, 
Gieb ihm das beſte, das hier feil. 

Hat er an anderm Kummer Theil, 

25 Fehlt ihm Baarſchaft oder Kleid, A 

Das fei ihm allzumal bereit.“ 

Sie ſprach: „Nun ſage Gawan, 

Ihm ſei mein Dienſt unterthan. 

Urlaub beim Koͤnig nehm ich dir; 
Deinen Herren grüß von ihm und mir.“ 


652 Artus betrieb nun ſeine Fahrt. 
Tafelrunder⸗Sitt und Art, 
Voͤllig war ihr heut genuͤgt. 


240 


XIII. Klin ſchor. 


Sie waren allzumal vergnügt, 
5 Daß der werthe Gawan noch zur Stund 
Am Leben war und wohl geſund, 
Und ſie des inne ſind geworden. 
Da ward der Tafelrunder Orden 
Erneut durch dieſe frohe Kunde. 
10 Artus ſaß an der Tafelrunde 
Und Wer daran zu ſitzen hat 
Und ſich Preis erwarb durch kühne That. 
Allen Tafelrunderhelden 
Kam zu Gute ſein Vermelden. 
15 Nun laßt den Knappen heim wärts kehren, 
Da kund am Hofe ſind die Mären. 
Er brach am Morgen auf bei Zeit: 
Der Kämmerer der Köngin beut 
Ihm Baarſchaft, Roſs und gut Gewand: 
20 Mit Freuden ritt er in ſein Land, 
Da er bei Artus hat erreicht, 
Wodurch Gawanens Sorge weicht. 
Er kam zurück nach wenig Tagen, 
Wie wengen, weiß ich nicht zu ſagen, 
25 Gen Schatel merveil in Klinſchors Reich. 
Arnive wurde freudenreich, 
Da der Pfoͤrtner ihr entbot, 
Mit ſeines Roſſes großer Noth 
Sei der Knappe jetzt zurüͤcke, 
Da ſchlich fie an die Brüde, 


653 Wo der Knappe hielt / der weiſe. 


Sie frug ihn gleich nach ſeiner Reiſe, 
Was man zu melden ihm befohlen? 
Der Knappe ſprach: „Das bleibt verhohlen, 


XIII. Klin ſchor. 241 


5 Frau, ich darf es euch nicht ſagen: 
Mich ſchweigt ein Eid auf ſolche Fragen. 
Wohl wär es meinem Herren leid, 
Sagt? ichs und bräche meinen Eid. 

Er hielte mich gewiſs für dumm: 
10 Fragt ihn, Herrin, ſelbſt darum.“ 
Sie triebs mit Fragen lange fort; 
Der Knappe blieb bei ſeinem Wort. 
„Frau, ihr ſaͤumt mich ohne Noth: 
Ich leiſte was mein Eid gebot.“ 


15 Er gieng, wo er den Herren fand. 
Der Türkowite Florand 
Und der Herzog von Gowerzein, 
Von Logrois auch die Fürftin rein 
Saß da mit vielen ſchoͤnen Frauen. 
20 Wie ſich der Knappe ließ erſchauen, 
Auf ſtand Herr Gawan hoch erfreut. 
Er nahm den Knappen gleich beiſeit 
Und hieß ihn willkommen ſein. 
Er ſprach: „Sag an, Geſelle mein, 
25 Sei es Freude, ſei es Noth, 
Was man von Hofe mir entbot. 


„Fandeſt du den König da?“ 
„Herr,“ ſprach der Knapp, „ich fand ihn, ja, 
Den König und auch ſein Gemal, 
Und werthen Volkes große Zahl. 
654 Sie entbieten Gruß und wollen kommen. 
Eure Votſchaft ſah ich aufgenommen 
So gut von allen Leuten, 
Daß Reich und Arm ſich freuten, 
5 Denn ich that ihnen kund, 


Parzival und Titurel. II. 16 


242 XIII. Klin ſchor. 


Daß Ihr heil wärt und geſund. 

Da war ein Heer und ein Gedränge! 
Die Tafelrunde ward zu enge 
Durch eure frohe Botſchaft. 

10 Wenn jemals in der Ritterſchaft 
Muth und Kühnheit Preis erlangten, 
So muß vor Allen, die da prangten, 
Eur Preis die Krone tragen, 

Ob allem Preiſe ragen.“ 


15 Er ſagt ihm auch, wie es geſchah, 
Daß er die Köngin ſprach und ſah, 
Und wie ſie ihm getreulich rieth. 

Auch von dem Volk er ihn beſchied, 
Von Rittern und von Frauen: 

20 Daß er ſie ſollte ſchauen 
Zu Joflanze vor der Zeit, 

Die ihm beſtimmt war zu dem Streit. 
Da ſchwanden Gawans Sorgen, 
Seine Freude war geborgen; 

25 Statt Sorgen ward ihm Freude eigen. 
Den Knappen bat ers zu verſchweigen. 
Sein Leid vergaß er freudiglich. 

Er gieng zuruck und ſetzte ſich, 

Und hielt hinfort hier freudig aus 

Bis Artus und ſein Heer von Haus 
655 Zu ſeiner Hülfe kam geritten. 

Nun hört wie Lieb und Leid ſich ſtritten. 


Gawan war allewege froh. 
Eines Morgens kam es ſo, 
5 Daß man auf dem reichen Saal 


XIIl. Klinſchor. 243 


Sah der Fraun und Ritter große Zahl. 
In einem Fenſter ſah der Held 
Fröhlich über Strom und Feld. 
Arniv ihm gegenüber ſaß, 

10 Die zu erzählen nicht vergaß. L 


Da ſprach zur Königin Gawan: 
„O liebe Herrin, hört mich an: 
Wär euch die Mühe nicht verhaßt, 
Und meines Fragens Ueberlaſt, 
15 So ließ' ich mir die Wunder mären 
Dieſes Schloßes gern erklären. 
Daß ich noch bin, iſt eure Gabe, 
Und daß ich Heil und Freuden habe. 
Hatt ich mannlich kuͤhnen Sinn, 
20 Den hielt die edle Herzogin 
Mit Gewalt in ihrem Zwang: 
Eurer Hülfe ſag ichs Dank, 
Daß mir geſänftet iſt die Noth. ro 
Von Minn und Wunden wär ich todt, 
25 Wär mir nicht Euer Troſt gekommen, 
Der mich den Banden hat entnommen. 
Euch ſchuld ichs, daß ich lebend bin. 
Nun erklart mir, edle Königin, 
Das Wunder das hier war und iſt: 
Warum hat ſolche Zauberliſt 
656 Hier der weiſe Klinſchor offenbart? 
Denn ich ſtarb daran, wenn Ihr nicht wart.“ 


Arnive ſprach, die weiſe 
(Mit ſo viel weiblichem Preiſe 
5 Kam Jugend in das Alter nie): 


244 


XIII. Klinſchor. 


„Herr, all ſeine Wunder hie 
Sind gar kleine Wunder doch: 
Viel größre Wunder ſchuf er noch 
In fremden Landen weit und breit. 
10 Wer uns darum der Lüge zeiht, 
Der kann ſich nur verſuͤndigen. 
Seinen Brauch laßt mich verkuͤndigen, 
Der Manchem übel ward bekannt, 
Terre de Labeur, ſo hieß ſein Land; 
15 Es war aus dem Geſchlecht entſprungen, 
Dem auch viel Wunder ſind gelungen, 
Virgils, des noch Neapel froh. 
Seinem Neffen Klinſchor gieng es ſo: 


„Hauptſtadt war ihm Kapua. 

20 So hohen Preis erwarb er da, 
Er war um Preis wohl nicht betrogen. 
Von Klinſchor dem Herzogen 
Sprachen Alle, Weib und Mann, 
Bis er Schaden ſo gewann: 

25 In Sicilien herrſcht' ein Koͤnig werth, 
Der war geheißen Ibert; 
Aber Iblis hieß ſein Weib. 
Die trug den minniglichſten Leib, 
Der je von Mutterbruſt gekommen. 
Ihr zu dienen hatt er unternommen, 


657 Bis ſie ſeiner Minne lohnte, 


Und ihr Gemal ihn nicht verſchonte. 


„Von ſeiner Heimlichkeit zu ſagen, 
Muß ich euch erſt um Urlaub fragen, 
5 Da mir fonft dieſe Märe 


XIII. Klinſchor. 245 


Zu melden ungeziemend ware, 
Wie ihm kam des Zauberns Laune. 
Mit einem Schnitt zum Kapaune 
Wurde Klinſchor gemacht.“ 
10 Darüber wurde ſehr gelacht 

Von Gawan dem Degen hehr. 

Da fuhr ſie fort und ſagt' ihm mehr: 


„Auf Kalot Embolot 
Erwarb er ſo der Leute Spott; 

15 Man kennt die Veſte weit im Land. 
Ibert bei ſeinem Weib ihn fand: 
Klinſchor ſchlief in ihrem Arm. 

Lag er da geborgen warm, 
Das büßt' er doch mit theuerm Pfand: 

20 Er wurde von des Koͤnigs Hand 
Zwiſchen den Beinen ſchlicht gemacht. 
Das ſei ſein Recht, hat Der gedacht. 
Er verſchnitt ihn an dem Leibe, 

Daß er keinem Weibe 

25 Mehr zur Freude mochte frommen; 

Das iſt Manchem ſchlimm bekommen. 


„Nicht im Land zu Perſia, 

In der Stadt mit Namen Perſida, 

Ward Zauberei zuerſt erdacht. 

Dort hatt ers bald dahin gebracht, 

658 Daß er wohl ſchaffet was er will: 

Seines Zaubers iſt kein Ziel. 

Durch die Schmach an ſeinem Leib 

Ward ſein Herz nicht Mann noch Weib 
5 Mehr geneigt noch wohlgeſinnt; 


246 XIII. Klinfcor. 


Zumal die gut und edel find: 
Kann er Die in Noth verſetzen, 
Das iſt ihm herzliches Ergetzen. 


„Von ihm beſorgte gleiche Noth 

10 Ein König Namens Irot; | 
Sein Reich iſt Roſchſabins genannt. 
Der bot ihm an von ſeinem Land 
So viel er nehmen wollte, 

Daß er Frieden haben ſollte. 

15 Klinſchor empfieng von feinen Händen 
Dieſen Berg mit ſteilen Wänden; 
Dazu acht Meilen rings herum 
Gab er ihm zum Eigenthum. 
Klinſchor ſchuf auf dieſem Berg 

20 Was ihr hier ſeht, dieß ſchoͤne Werk. 
Alles Reichthums, aller Pracht 
Iſt hier was je ein Sinn erdacht. 
Droht dem Schloß Belagerung, 

0 Zu dreißig Jahren wohl genung 
25 Faßt fie Speiſe mannigfalt. 
Auch beherrſcht er mit Gewalt 
Alle Geiſter, die man kennt 
Zwiſchen Erd und Firmament, 
Ob ſie boͤs ſind oder gut, 
Es nehme ſie denn Gott in Hut. 


659 „Herr, da eure grimme Noth 
Euch vorbei gieng ohne Tod, 
So ſteht ſein Reich in eurer Hand. 
Dieſe Burg und dieß gemeßne Land, 
5 Keinen Anſpruch macht er mehr daran. 
Seinen Frieden ſollt ihr auch empfahn, 


XIII. Klinſchor. 247 | 


Denn das gelobt? er offenbar 
(Und was er ſpricht, das macht er wahr), 
Wer fein Abenteur beſtehen konne, 
10 Daß er Burg und Land ihm gerne goͤnne. 
Die er aus chriſtlichem Land 
Hier durch Zauber hielt gebannt, 
Sei es Magd, Weib oder Mann, 
Die ſind euch All nun unterthan. 
15 Viel Heiden auch und Heidinnen 
Hielt ſeine Kunſt gebannt hieinnen. 
Nun laßt uns Arme wieder ziehn 
Zur Heimat, die wir muſten fliehn. 
Von Heimweh iſt mein Herz gequält: 
20 Der die Sterne hat gezählt, 
Der moͤg euch Hülfe lehren, 
Daß wir zu Freuden kehren. 


„Eine Mutter Frucht gebar, 
Die dann der Mutter Mutter war. 
25 Von dem Waßer kommt das Eis: 
Scheint darauf die Sonne heiß, 
So kommt vom Eis auch Waßerflut. 
So denk ich im bedrängten Muth, 
Wie mir aus Freude Leid erblühte: 
Daß Freude bald mein Leid vergüte! 
660 So giebt Frucht zuruͤck die Frucht: 
O helft dazu, das wäre Zucht. 


„Schon lang iſts, daß mir Freud entfiel. 
Schnell mit dem Segel geht der Kiel, 
5 Schneller der Mann, der auf ihm geht. 
Wenn ihr das Gleichniſs recht verſteht, 


248 


XIII. Klinſchor. 


Wird euer Preis auch hoch und ſchnell. 
Machet unſre Freude hell, 
Daß wir ſie heim zu Lande tragen, 

10 Nach dem wir lang ſchon Heimweh klagen. 


„Freuden hatt ich einſt genug: 
Ich war ein Weib, das Krone trug; 
So war auch meiner Tochter Haupt 
Der Schmuck der Krone wohl erlaubt. 
15 Wir hatten beide Wuͤrdigkeit. 
Herr, nie rieth ich Jemands Leid: 
Alle ließ ich, Weib und Mann, 
Ihr gebührend Recht empfahn. 
Zu einer rechten Volkesfrauen 
20 Mochte man mich auserſchauen, 
Die ich Niemand, will es Gott, 
Mit Wißen je Unehre bot. 
Doch wie getreu ein Weib auch ſei, 
Wohnt ihr auch Ehr und Reinheit bei, 
25 Wie gut ſie's guten Leuten bietet, 
Sie iſt nie vor ſolchem Leid behuͤtet, 
Daß ihr nicht leicht ein armer Knabe 
Braͤchte reicher Freude Gabe. | 
Herr, fo lang ich hier verweilte, 
Nie zu Roſs, zu Fuß noch eilte 


661 Einer her, der mich erkannte, 


Und meine Sorge wandte.“ 


Da ſprach zu ihr der Degen werth: 
„Frau, wenn mir das Leben währt, 
5 So kommt euch Freude noch und Frommen.“ 
Deſſelben Tages ſollt auch kommen 


XIII. Klinſchor. 249 


Mit dem Herre Artus der Breton, 
Der klagenden Arnive Sohn, 
Dem Freund, dem Neffen zu Gefallen. 

10 Viel neue Banner ſah da wallen 
Gawan mit freudigem Erſchrecken, 
Das Feld die Rotten überdecken, 
Von Logrois die Straße her 
Mit manchem farbigen Sper. 

15 Gawanen that ihr Kommen wohl: 
Wer fremder Hülfe harren ſoll, 
Den läßt Verzoͤgrung meinen, 

Nie ſoll' ihm Hülf erſcheinen. 
Den Zweifel nahm Artus Gawanen: 

20 Avoi! wie zog er an mit Fahnen! 


Gawan enthielt ſich des mit Nichten, 
Seine Augen, die lichten, 
Muſten weinen lernen: 
Zu einer Ciſternen 
25 Taugten ſie ihm beide nicht, 

Denn ſie ſind nicht waßerdicht. 
Vor Freuden muſt' er weinen, 
Da er Artus ſah erſcheinen. 
Von Kind an hatt er ihn erzogen; 
Beider Treu war ungelogen 

662 So ſtät einander ſonder Want, 
Daß Falſchheit nie hindurch ſich ſchlang. 


Des Weinens ward Arnive innen: 
„Ihr ſolltet freudig nun beginnen 
5 Und ließet Freude ſchallen, 
Herr, das wär ein Troſt uns Allen; 


250 XII. Klinſchor. 


Dem Kummer leiſtet tapfre Wehr. 
Hier kommt der Herzogin Heer: 
Das ſollt euch freuen, dunket mich.“ 
10 Paniere, Zelte wunderlich 
Sah Arnive mit Gawan 
Zahlreich führen auf den Plan. 
Darunter war ein einzger Schild: 
Der hatt ein ſolches Wappenbild, 
15 Daß ihn Arnive wollt erkennen 
Und IJ ſages den Ritter nennen, 
Marſchall bei Utepandragon. 
Doch wars ein anderer Breton, 
Der ſchoͤngeſchenkelte Maurin, 
20 Marſchall jetzt der Koͤnigin. 
Utepandragon und Iſages, 
Arnive nicht verſah ſich des, 
Sie waren längſt geſtorben; 
Maurin hatt erworben 
25 Seines Vaters Amt kraft alten Rechts. 
Auf den Anger des Gefechts 
Ritt das große Heergeſinde. 
Die Frauen, Kämmerer und Kinde 
Nahmen Herberg auf der Wieſe, 
Wie ſie jede Frau wohl prieſe, 

663 Bei einem Bächlein ſchnell und klar, 
Wo eilends aufgeſchlagen war 
Manches herrliche Gezelt. 

Dem Koͤnig abſeits auf dem Feld 

5 Ward mancher weite Kreiß genommen, 
Und den Rittern, die mit ihm gekommen. 
Sie hinterließen, wo ſie fuhren 
Von ihrer Reiſe breite Spuren. 


All. Klinſchor. 251 


Gawan durch Bene gleich entbot 

10 Seinem Wirth Plippalinot, 

Daß er Nachen und Schalten 5 

Angeſchloßen moͤge halten, 

Damit ſie dieſen Tag bewahrt 

Wären vor des Heeres Ueberfahrt. 
15 Zugleich als erſte Gabe nahm 

Sie aus Gawanens reichem Kram 

Die Schwalbe, noch in Engelland 

Als theure Harfe wohlbekannt. 


Bene eilte froh hindann. 
20 Verſchließen ließ da Herr Gawan 
Die Thore vor Belagerung. 
Willig hörten Alt und Jung 
Weſſen er ſie freundlich bat: 
„Auf jener Seiten ans Geſtad, 
25 Legt ſich ein großes Heer: 
Nicht zu Land noch auf dem Meer 
Sah ich jemals Rotten fahren 
Mit ſo zahlreichen Scharen: 
Iſt auf uns das abgeſehn, 

Helft mir, wir wollen ſie beſtehn.“ 


664 Das verſprachen Alle gleich. 
Man frug die Herzogin reich 
Ob dieß Heer das ihre wäre? 
„Glaubt mir,“ ſprach die Hehre, 

5 „Ich kenne weder Schild noch Mann. 
Der oft mir Schaden hat gethan, 
Iſt etwa in mein Land geritten 
Und hat vor Logrois geſtritten. 


252 


XIII. Klinſchor. 


Das ſtand ihm wohl nicht ſchlecht zur Wehr: 
10 Gewachſen ſind ſie, ſolch ein Heer 

Vor Thor und Zingeln zu empfahn. 

Hat da Ritterſchaft gethan 

Der zornge König Gramoflanz, 

So wollt er rächen ſeinen Kranz; 
15 Oder wer ſie ſei'n, wohl manchen Sper 

Brach mit ihnen dort mein Heer.“ 


Gelogen hatte nicht ihr Mund. 
Artuſen wurde Schaden kund, 
Bevor er kam gen Logrois: 

20 Da muſte mancher Bretanois 

In rechter Tjoſt den Sattel räumen. 
Artus bezahlt' auch ohne Säumen 
In dem Handel, den man dort ihm bot: 
Sie kamen beiderſeits in Noth. 


25 Man ſah die Streitmüden kommen, 
Von denen man ſo oft vernommen, 
Daß ſie gern der Haut ſich wehrten, 
Wie ſie's in manchem Streit bewährten: 
Sie hatten Schaden hier wie dort. 
Garel und Gaherjet ſofort, 


665 Dann Roi Meljanz de Barbigsͤl, 


Zuletzt auch Jofreit fils Idol, 

Wurden in die Stadt gefangen 

Eh ganz das Kampffpiel war zergangen. 
5 Die Britten fiengen von Logrois 

Dük Friam de Vermendois 

Und Graf Ritſchart de Navers. 

Der bedurfte ſtäts nur Eines Spers; 


— — m — 


XIII. Klinſchor. 253 


Doch wider Wen er den erhob, 
10 Der lag am Boden ſonder Lob. 
Artus fieng mit eigner Hand 
Dieſen Helden auserkannt. 

Da wurden unverdroßen 
Die Haufen ſo geſchloßen, 

15 Einen Wald von Speren mocht es koſten; 
Von ungezählten Tjoſten | 
Die Splitter niederregneten. 

Die Britten auch begegneten 
Mit mannlich unerſchrocknem Sinn 

20 Dem tapfern Heer der Herzogin. 
Da muſte ſich zum Streiten 
Artuſens Nachhut ſelbſt bereiten. 
Man reizte ſie den ganzen Tag, 
Bis eine Flut des Heers erlag. 


25 Billig hätte wohl Gawan 
Der Herzogin es kund gethan, 
Daß jene, Hülf ihm zu gewähren, 
In ihr Land gezogen wären: 

So hätten ſie ſich ſchon vertragen. 
Diooch wollt ers Ihr noch ſonſt Wem ſagen, 
666 Bis ſie es ſelber würde inne. 

Er ſchickte ſich nach beſtem Sinne 

Nun auch ſelber an zu reiſen 

Zu Artus dem Bretaneiſen, 

5 Mit vielen koſtbaren Zelten. 
Niemand ſollt' es da entgelten 
War er ihm auch unbekannt: 
Gawan begann mit milder Hand 
So reichlich Jeglichem zu geben, 


254 XIII. Klinſchor. 


10 Als gedacht er länger nicht zu leben. 
Knappen, Ritter ſo wie Fraun 
Ließ er feine Güte ſchaun 
Und beſchenkte ſie ſo reich, 
Daß ſie ſprachen alle gleich, 

15 Ihnen ſei der Hülfe Tag erſchienen. 
Da ward auch Freude kund an ihnen. 


Er ließ den Rittern Wehr und Waffen, 
Den Frauen ſchoͤne Pferde ſchaffen 
Und manches Saumroſs ſtark und gut. 
20 Der Knappen eine ganze Flut 
Sah man auch in Eiſenkleid. 
Vier werthe Ritter beiſeit 
Nahm darauf mein Herr Gawan. 
Alſo ordnet' er es an, 
25 Daß der Eine Kämmerer 
Und der Andre Schenke wär, 
Der dritte Truchſäße, 
Und der vierte nicht vergäße 
Des Marſchallamts. So ſtund ſein Sinn; 
Die Vier willfahrten ihm darin. 


667 Nun ſeht Artuſen drüben liegen: 
Dem blieb heut Gawans Gruß verſchwiegen; 
Doch unterdrückt' er ihn mit Müh. 
Mit Schall brach auf des Morgens fruͤh 
5 Gen Joflanz Artuſens Heer. 
Eine Nachhut ordnet' er zur Wehr; 
Doch als nirgend ſie ein Feind beſtand 
Folgte ſie ihm unverwandt. 


XIII. Klinſchor. 


Abermals bei Seite 
10 Zog Gawan ſeine Amtleute. 
Er wollt es laͤnger nicht verziehn 
Und befahl dem Marſchall, daß er hin 
Auf den Plan vor Joflanz moͤge traben. 
„Geſondert Lager muß ich haben; 

15 Schon liegt davor ein großes Heer. 

Ich berg es laͤnger nicht mehr, 
Ihren Namen muß ich nennen, 
Daß ihr fie mögt erkennen: 

Artus mein Ohm iſts ungelogen, 

20 Der mich von Kind an hat erzogen 
An ſeinem Hof, in ſeinem Haus. 
Nun rüfter mir ſo ſtattlich aus 
Meine Reiſe, und ſo prächtig auch, 
Daß man es nenne reichen Brauch. 

25 Nur laßts hier oben unvernommen, 
Daß Artus meinthalb iſt gekommen.“ 


Da leiſteten ſie ſein Gebot. 
Der Faͤhrmann Plippalinot 
Hatte da vollauf zu thun. 
Müßig durften nimmer ruhn 
668 Die Nahen und die Schnecken, 
Da mit den Rotten, den quecken, 
So zu Roß wie zu Fuß 
Der Marſchall über führen muß 
5 Die Knappen und Garzonen. 
Sie folgten dem Bretonen, 
Des Heer unweit vor ihnen fuhr, 
Mit Gawans Marſchall auf der Spur. 


Sie führten, hört ich für gewiſs, 


256 XIn. Klinſchor. 


10 Auch jenes Zelt, das Iblis 
Aus Minne Klinſchorn einſt geſandt, 
und das zuerſt als Liebespfand 
Verrieth der beiden Heimlichkeit; 

Gar groß war ihre Zärtlichkeit. 

15 Nichts war geſpart an ſeiner Pracht, 
Nur eins ward ſchoͤner noch gemacht: 
Das Zelt, das Eiſenhart beſaß. 

Nun ward dieß Zelt auf grünem Gras 
Neben Artus aufgeſchlagen. 

20 Manch Gezelt, ſo hoͤrt ich ſagen, 
Schlug man umher in weitem Ring; 
Der Reichthum däuchte nicht gering. 


Bei Koͤnig Artus ward vernommen, 
Gawanens Marſchall wär gekommen, 
Das Heer zu bergen auf dem Plan; 
Und der werthe Gawan 
Komme noch am ſelben Tage: 

So war gemeine Sage 
Bei all dem Ingeſinde. 
Gawan, der zur Falſchheit Blinde, 
669 Hob mit den Rotten ſich von Haus. 
Seine Reife ziert' er alfo aus, 
Wunder wär davon zu ſagen. 
Manches Saumroſs muſte tragen 
5 Kirchenſchmuck und Hausgewand; 
Harniſch und Schienen allerhand 
Wurden aufgeſäumt gefunden, 
Die Helme obendrauf gebunden 
Bei manchem Schilde wohlgethan. 
10 Manches ſchoͤne Kaſtilian 


20 


XIII. Kliufbor. 25 


Sah man bei dem Zaume ziehn, 
Schoͤne Fraun und Ritter kühn 
Geſellig reiten hinterdrein. 
Meilenlang wohl moͤchte ſein 


5 Der Zug, würd er genau gemeßen. 


Gawan hatte nicht vergeßen: f 
Jeder ſchönen Frau zur Seiten 

Muſt ein tapfrer Ritter reiten. 

Die wären nicht bei Sinne, 

Sprächen ſie nicht von Minne. 

Der Türkowite Florand 

Ward zum Geſellen auserkannt 

Sangiven von Norwegen. 

Bei Liſchois dem nimmer tragen 


25 Ritt die ſüße Kondrié. 


670 


2 


Seine Schweſter Itonjé 

Sah man bei Gawanen reiten; 
Arniven zu denſelben Zeiten 
Mit der ſchönen Herzogin 
Geſelliglich die Straße ziehn. 


Zu Gawans Zeltbering zu kommen 
Hatten ſie den Weg genommen 
Durch Artuſens Heer in langem Zug. 
Zu ſchauen gab es da genug! 
Doch eh ſie ganz hindurch geritten, 
Gedachte Gawan höfſcher Sitten: 
Dem Ohm zu Ehren ließ der Held 
Außen vor Artuſens Zelt 
Die erſte von den Frauen halten; 


10 Der Marſchall, ſeines Amts zu walten, 


Parzival und Titurel. II. 


Hieß dann die zweite zu ihr reiten, 
17 


258 XIII. Klin ſchor. 


Darauf die dritte zu der zweiten, 
Bis ſie hielten All im Kreiſe, 
Hier die junge, dort die greiſe, 
Ein Ritter jeder an der Hand, 
Der willig ihr zu Dienſten ſtand. 
Artuſens Zeltbering, den weiten, 
Sah man da nach allen Seiten 
Von Frauen ganz umfangen. 
20 Da ward Gawan empfangen, 
Der freudenreiche, dünket mich, 
Von König Artus freudiglich. 


Du 
gt 


Gawan ſtieg ab, nicht minder 
Arniv, Sangiv und ihre Kinder, 
25 Von Logrois auch die Herzogin, 
Der Herzog von Gowerzin 
und der Türkowite Florand. 
Dieſen Fürſten auserkannt 
Schritt Artus aus dem Zelt entgegen: 
Freundlich empfieng ſie all der Degen, 
671 So auch die Köngin, fein Gemal 
Die empfieng Gawanen und zumal 
Alle, die mit ihm gekommen, 
Und hieß ſie herzlich willkommen. 
5 Da wurde mancher Kuſs gethan 
Von viel Frauen wolhgethan. 


Artus ſprach zu dem Neffen ſein: 
„Wer ſind ſie, die Geſellen dein?“ 
Gawan verſetzte: „Küſſen 
10 Wird fie die Kintgin wohl müßen: 
Das unterbliebe wider Recht: 
Zu hoch iſt beider Geſchlecht.“ 


20 


672 


an 


10 


XIII. Klinfchor. 


Der Tuͤrkowite Florand 
Wurde da geküſst zuhand 

und der Herzog von Gowerzin 
Von Ginover der Königin. 


Sie giengen mit ihr ins Gezelt 
(Manchen däuchte, daß das weite Feld 
Voll der ſchoͤnen Frauen wäre). 


Nicht ſo Artus. Trotz ſeiner Schwere 


Sprang er auf ein Kaſtilian: 
Zu all den Frauen wohlgethan 
Und den Rittern neben ihnen, 


Ritt er im Kreiß mit heitern Mienen. 


Willkommen hieß zur Stunde 
Sie Artus mit höfſchem Munde. 
Es war Gawanens Wille, 

Daß ſie draußen ſtille 

Hielten, bis er weiter ritte: 

So wollt es hoͤfiſche Sitte. 


Artus ſtieg ab und gieng hinein: 
Zu dem Neffen ſetzt' er ſich allein 
Und bat, ihm Kunde zu gewähren, 
Wer die fünf Frauen wären. 
Da hub mein Herr Gawan 
Mit der älteſten an; 
So ſprach er zu dem Breton: 
„Kanntet ihr Utepandragon? 
So iſt Arnive dieß, ſein Weib; 
Euch ſelbſt geboren hat ihr Leib. 
Dann ſeht ihr Norwegs Koͤngin hier: 
Daß Ich das Licht ſah, dank ich ihr; 


0 


259 


260 


25 


XIII. Klinſchor. 


Meine Schweſtern ſeht in dieſen Maiden: 
Wie ſie ſchmuck ſind, die beiden!“ 


Da hob ein neues Küſſen an. 
Rührung und Freude ſahn 
Alle die es wollten ſehn; 
Ihnen war viel Liebes geſchehn. 
Lachen und Weinen 
Konnt ihr Mund vereinen: 
Von Freude kam der Thränenguß. 
Da ſprach zu Gawan Artus: 
„Neffe, gieb mir noch Bericht: 
Die ſchöne Fünfte kenn ich nicht.“ 


Da verſetzte Gawan le kurtois: 
„Es iſt die Herzogin von Logrois; 
In ihren Gnaden bin ich hie. 
Heimgeſucht habt ihr ſie: 

Was dabei ſich zugetragen, 
Wollt davon uns Kunde ſagen. 


673 Der Wittwe ſchaden ziemt' euch nicht.“ 


u 


„Deiner Muhme Sohn,“ gab er Bericht, 
„Gaherjeten fieng fie dort 

Und Garel, der immerfort 

Sich kühn bewährt im Streite. — 
Mir ward von der Seite 

Der Unerſchrockene genommen. 

Unſrer Haufen einer war gekommen 

Im Lauf bis dicht vor ihr Thor; 


10 Hei! wie ſchlug ſich ſchön davor 


Der werthe Meljanz von Li! 
Ein weißes Banner führten ſie, 


XIII. Klin ſchor. 261 


Die uns den Kühnen abgefangen: 
Als Wappenzeichen ſah man prangen 
15 Darauf ein blutendes Herz 
Als zuckt' es im Todesſchmerz, 
Von einem fchwarzen Sper durchbohrt. 
Lirivoin war ihr Loſungs wort, 
Die unter dieſem Vanner ritten, 
20 Und der Stadt den Sieg erſtritten. 
Auch meinen Neffen Jofreit 
Fiengen ſie: das iſt mir leid. 
Geſtern war die Nachhut mein: 
Da widerfuhr mir ſolche Pein.“ 


25 Der König klagte Ungewinn; 
Lachelnd ſprach die Herzogin: 
„Herr, es bringt euch keine Schmach, 
Ich griff nicht an an jenem Tag: 
Der Schaden, den ihr mir gethan, 
Ich hatte keine Schuld daran. 

674 Vergütet nun, was ihr mir nahmt, 
Da ihr mich heimzuſuchen kamt. 
Dem ihr zu Hülfe kommt geritten, 
Als der hat mit mir geſtritten, 

5 Da ward ich wehrlos erkannt, 

Bei der bloßen Seite angerannt. 
Wenn er noch weitern Kampf begehrt, 
Wir kämpfen ihn wohl ohne Schwert.“ 


Zu Artus ſprach da Gawan: 
10 „Sollen wir dieſen Plan 
Noch mehr mit Rittern füllen ? . 
Es ſteht in unſerm Willen: 


2 


= 


XIIll. Klinſchor. 


Die euern läßt wohl ledig ziehn 
Mir zu Lieb die Herzogin 

Und befiehlt, daß ihre Ritter her 
Bringen manchen neuen Sper.“ 
Artus ſprach: „Das rath ich, ja.“ 
Nach den Werthen ſandte da 
Die Fürſtin Boten in ihr Land. 
Schönere Verſammlung fand 
Selten wohl auf Erden Statt. 
Da Gawan nun um Urlaub bat 
Zu ſeiner Herberg einzukehren, 


Der König muſt es ihm gewähren. 


2 


or 


675 


= 


10 


Die mit ihm gekommen waren 
Sah man alle mit ihm fahren. 
Seiner Herberge Zelt 

Fanden ſie ſo wohl beſtellt, 
Daß es köſtlich war und hehr 
Und von aller Armut leer. 


Zu den Herbergen eilen 
Sah man da Manchen, dem ſein Weilen 
Schon zum Verdruß geweſen. 
Herr Kei war nun geneſen 
Von jener Tjoſt am Plimizol. 
Er ſah Gawanens Aufzug wohl 
Und ſprach: „Artuſens Schwager Lot 
Schuf uns ſelten ſolche Noth 
Gleicher Pracht und eignen Ringes.“ 
Dazu verdroß ihn noch des Dinges, 
Daß ihn Herr Gawan nicht gerochen, 
Als ſein rechter Arm ihm war zerbrochen. 
„Gott mit den Leuten Wunder thut: 


XIII. Klinſchor. 


Wer gab Gawanen Frau und Gut?“ 
15 Sprach Herr Kei in ſeinem Eifer; 


Dem Freund miſsguͤnſtig war fein Geifer. 


Der Freunde Glück macht Edle froh; 


Zeter ſchreit und Mordio 
Der Ungetreue, wenn er ſieht, 

20 Daß ſeinem Freunde wohl geſchieht. 
Gawan war glücklich und geehrt; 
Wenn noch Einer mehr begehrt, 

Wo will der mit Gedanken hin? 
Darob iſt ihm nur kranker Sinn 

25 Des Haßes und des Neides voll. 
Den Tugendhaften thut es wohl, 
Wenn bei dem Freunde Preis verweilt 
Und Schande flüchtig von ihm eilt. 
Da Gawan ohne Falſch und Haß 
Mannlicher Treue nie vergaß, 

676 So geſchieht Unbilde nicht daran, 
Daß er nun Heil und Glück gewann. 


Wie der von Norwegen 

Seines Volks mit Speiſe konnte pflegen, 
5 Die Ritter und die Frauen? 

Da mochten Reichthum ſchauen 

Artus und ſein Geſinde 

Von König Lotens Kinde. 

Nun laßt ſie ſchlafen nach dem Mal, 
10 Ihre Ruhe bringt uns keine Qual. 

Vor Sonnenaufgang kam geritten 

Volk mit wehrlichen Sitten, 

Orgeluſens Ritterſchar. 


263 


264 


XIII. Klinſ or. 


Ihrer Helmzierden wahr 

15 Bei des lichten Monden Scheinen 
Nahmen Artus und die Seinen, 
Denn ſie zogen zwiſchen her, 

Wo jenſeits Gawan und ſein Heer 
In weitem Zeltberinge lag. 

20 Wer ſolche Hülf entbieten mag 
Mit ſeiner machtvollen Hand, 
Dem wird billig Ehre zuerkannt. 
Seinen Marſchall bat Gawan: 
Weiſ' ihnen Raum zur Herberg an. 


25 Doch rieth der Fürſtin Marſchall, 


Daß von Logrois die Ritter all 
Eigne Zeltberinge zierten. 

Eh ſie die all logierten 

War es ſchon hoch am Morgen. 
Nun nahen neue Sorgen. 


677 Seine Boten ſandte 


Artus der Auserkannte 
Gen Roſchſabins in die Stadt. 
Den Koͤnig Gramoflanz er bat: 

5 Da er nicht anders wolle, 

Als daß der Kampf geſchehen ſolle 
„Zwiſchen ihm und meinem Neffen, 
So mög er den im Kampfe treffen. 
Bittet ihn, alsbald zu kommen, 

10 Denn er hat ſich vorgenommen, 
Daß ers nicht vermeiden will. 
Einem andern Manne wärs zu viel.“ 
Die Boten fuhren hindann. 
Floranden nahm da Gawan 


XIII. Klinſchor. 265 


15 Und Liſchois an ſeine Seite, 
Daß ſie ihm aus Näh und Weite 
Kund die Ritter thaten, 
Die als Minneſoldaten 
Der Herzogin um hohen Sold 

20 Waren dienſtbereit und hold. 
Dann ritt er und empfieng ſie ſo, 
Daß ſie alle ſprachen froh, 
Fürwahr, der werthe Gawan 
War ein hoͤfiſcher Mann. 


25 Von ihnen kehrt' er wieder heim 
Und that das Weitere geheim. 
Zu ſeinem Zeltgemach er ſchlich, 
In volle Rüſtung ſetzt' er ſich, 
Den Helm aufs Haupt gebunden, 
Daß er ſaͤh, ob ſeine Wunden 
678 So vollkommen heil nun ſein, 
Daß ihm keine Narbe ſchüfe Pein. 
Zu üben dacht er feinen Leib, 
Da doch Alle, Mann und Weib, 
5 Seinen Kampf ſollten ſehn, 
Daß die Kenner möchten ſpähn, 
Ob ſeiner unverzagten Hand 
Der Preis heut würde zuerkannt. 
Einen Knappen hatt er ſchon gebeten, 
10 Daß er ihm brächte Gringuljeten. 
| Den ließ er galloppieren, 
Denn er wollte ſich movieren, 
Daß Er wär und das Roſs bereit. 
Nie ward mir ſeine Fahrt ſo leid. 
15 Alleine ritt mein Herr Gawan 
Fern von dem Heer auf den Plan. 


266 XIII. Klinſchor. 


Mag das Glück ſein walten! 
Einen Ritter ſah er halten, 
Wo ſich des Sabins Fluten wälzen, 
20 Ihn, den wir wohl hießen Felſen 
Aller mannlichen Kraft. 
Er Wetterſturm der Ritterſchaft, 
Dem Falſchheit nie im Herzen lag! 
Er war bei aller Kraft ſo ſchwach, 
25 Was man da nennt Verzagen, 
Des konnt er nimmer tragen 
Weder halben Zoll noch Spanne. 
Von demſelben werthen Manne 
Habt ihr wohl früher ſchon vernommen: 
Die Mär iſt an den Stamm gekommen. 


— — öœꝶ ö䜗 . — 


XIV. 


Gramoflanz. 


Inhalt. 


Der Ritter, mit welchem Gawan in Kampf geräth, weil er Ihn für Gra⸗ 
moflanz hält, trägt von deſſen Baum einen Kranz und reitet, wie er ſelbſt, ein 
Pferd mit dem Wappen des Grals. Als die Voten des Artus von Gramo⸗ 
flanz zurückkehren, der ihnen auf dem Fuße folgt, finden fie Gawanen im 
Begriff, dem Unbekannten zu unterliegen und rufen klagend ſeinen Namen aus. 
Darüber beſtürzt giebt ſich der Sieger als Parzival zu erkennen. Ohnmächtig 
ſinkt Gawan zur Erde, erſt von einem der Voten, dann von Benen gepflegt. 
die mit Gramoflanz hinzukommt. Der verabredete Zweikampf wird auf den 
andern Morgen vertagt, obgleich Parzival bereit iſt, ſogleich für den erſchöpf⸗ 
ten Gawan zu kämpfen, was Gramoflanz ablehnt und deshalb von Benen 
geſcholten wird. Parzival wird den vier Königinnen und Orgeluſen vorgeſtellt; 
letztere kann ihm ihre Verſchmähung nicht vergeßen. Artus nimmt ihn wie: 
der in die Tafelrunde auf; gleichwohl weigert ſich Gawan, ihm den Zwei⸗ 
kampf mit Gramoflanz zu überlaßen. Als er ſich aber am Morgen geſtellt, 
iſt ihm Parzival zu vorgekommen und Gramoflanz beſiegt, deſſen Zweikampf 
mit Gawan nun ebenfalls auf morgen verſchoben wird. Gramoflanz giebt 
den Boten, die Artus erſuchen ſollen, ihm dießmal den rechten Kampfgenoßen 
zuzuſchicken, einen Brief an Itonjs mit. Beſtürzt über den Zweikampf des 
Bruders und des Geliebten , wendet ſich dieſe durch Arnivens Vermittlung an 
Artus, welcher dem Kampf zu wehren verſpricht, als er aus dem Minnebrief 
des Königs, den Benes Geſchicklichkeit zur rechten Zeit herbeiſchafft, erfieht, 
daß es dieſem mit Itonjs Ernſt iſt. Er befcheidet die Voten, ſchickt Benen 
mit ihnen und läßt Gramoflanz zu ſich laden, welchem Veaukorps, Gawans 
und Itonjes Bruder, entgegenreitet. An der Aehnlichkeit mit dieſem erkennt 
Gramoflanz die Geliebte, die er jetzt zum Erſtenmal ſieht. Artus und Bran: 
delidelein, Gramoflanzens Ohelm, befchließen die Sühne zu ſtiften, die mit 
Beitritt der Herzogin unter der Bedingung zu Stande kommt, daß der König 
auch dem Anſpruch wegen ſeines Vaters Ermordung entſage. Darauf wird 
Gramoflanz mit Itonjs, Liſchols mit Kondris, Sangive mit dem Türkowiten 
vermält und die Hochzeit prächtig begangen, zumal nun auch die Herzogin 
ihre Vermälung mit Gawan veröffentlicht und Gramoflanz ſein Heer herbei⸗ 
zieht und jeden ſeiner Fürſten ein Sonderlager auſſchlagen heißt. Parzival, 
deſſen Stimmung zu dieſen Freuden nicht paſst, reitet heimlich hinweg. 


679 Wenn von dem werthen Gawan 
Eine Tjoſt hier wehrlich wird gethan, 
So bangt ich wahrlich nimmermehr 
Für ihn bei einem Kampf ſo hehr: 

5 Zwar geht mir auch der Andre nah, 
Doch keine Sorge hab ich da: 
Der war Einem Mann ein Heer. 
Aus der Heidenſchaft fern über Meer 
War ſeines Helmes Schmuck gebracht. 
10 Rother als Rubinenpracht 
War Ihm das Kleid und ſeiner Mähre. 
Auf Abenteuer ritt der Hehre; 
Sein Schild war ganz durchſtochen. 
Auch hatt er ſich gebrochen 
15 Von dem Baum, den Gramoflanz 
Hegte, einen lichten Kranz: 
Das Reis erkannte wohl Gawan. 
Er ſorgte, Schande würd ihm nahn, 
Wollte hier der Koͤnig mit ihm ſtreiten. 
20 Saͤh er ihn ſich entgegen reiten, 
So müſt auch hier der Kampf geſchehen, 
Sollt ihn der Frauen Keine ſehn. 


Ihre Roſſe beideſammt 
Sind von Monſalväſch entſtammt, 
25 Die ſich hier mit Schnaufen 
In der Tjoſt entgegenlaufen, 


XIV. Gramoflanz. 


Wie der Ritter Sporn ſie mahnt. 
Grüner Klee, nicht ſtaubger Sand, 
Stand thauig wo ſich hub ihr Streit. 
Mir wäre Beider Schaden leid. 
680 Sie ritten ihren Anlauf recht: 

Aus tjoſtierendem Geſchlecht 
Gezeugt ſind beide und geboren. 
Wenig gewonnen, viel verloren 

5 Hat, wer hier den Preis erringt; 
Nur Klag iſts, was der Sieg ihm bringt. 
Nah befreundet ſind die Helden; 
Von keiner Scharte wär zu melden, 
Die ihre Treue je empfieng. 

10 Nun hoͤret, wie die Tjoſt ergieng: 


Hurtiglich und dennoch ſo, 
Des Erfolgs ward Keiner froh. 
Nahe Sippe, traute Brüderſchaft 
War da mit ſcharfen Haßes Kraft 
15 Im Kampf zuſammen gekommen. 
Von Wem der Preis auch wird genommen, 
Seine Freud iſt drum der Sorge Pfand. 
Die Tjoſte brachte beider Hand, 
Daß die Freunde, die Geſellen 
20 Einander muſten fällen 
Mit Roſs und Zeug zur Erde. 
Beid erwarben ſie Beſchwerde. 
Jetzt die Schwerter ſchnell gezückt 
Und der Schilde Rand zerſtuͤckt! 
25 Grünes Gras und Schildes Scherben 
Sah man vermiſcht den Boden färben, 
Seit ſie da kaͤmpften beide. 


XV Gramoflan;. 273 


Sie harrten deſſen, der fie fcheide 
Zu lang; ſie hattens früh begonnen: 
Sie zu ſcheiden wollte Niemand kommen. 


681 tiemand war noch da als fie. 
Wollt ihr nun vernehmen, wie 
Da fie im Kampfe ſtanden 
Artuſens Boten fanden 

5 Gramoflanzen und ſein Heer? 

Auf einem Plan wars bei dem Meer: 
Diesſeits floß der Sabins, 

Jenſeits der Poinzaklins, 

Die hier ſich beid ins Meer ergoßen. 

10 Die vierte Seite ward geſchloßen 
Von des Landes Hauptſtadt, 

Die Roſchſabins den Namen hat. 
Sie ſtand mit Mauern und mit Graben 
Und manchem Thurme hoch erhaben. 

15 Sein Heer die Boten lagern ſahn 
Wohl Meilenlang auf dieſem Plan 
Und wohl in halber Meilen Breite. 
Auch ſahn ſie ſich entgegen reiten 
Manchen Ritter unbekannt, 

20 Bogenſchützen, Knappen allerhand, 
Deren jeder Lanz und Harniſch trug. 
Hinter Dieſen ſchloß den Zug 
Unter mancherlei Panieren 
Manche Rotte von Soldieren. 


25 Bei der Pofaunen lautem Krachen 
Begann das Heer ſich aufzumachen: 
Man ſah es ſich bereiten 


parzival und Titurel. II. 18 


274 


XIV. Gramoflanz. 


Gen Joflanz zu reiten. 
Hört die Frauenzäume klingeln! 
Den Koͤnig Gramoflanz umzingeln 


682 Edle Fraun in weitem Kreiß. 


Wofern ich zu erzählen weiß, 
So meld ich, wer auf grünem Gras 
Sich hier die Herberge maß. 

5 Wer dem König war zu Hülf gekommen, 
Habt ihr das noch nicht vernommen, 
Wohlan, ſo mach ichs jetzt euch kund. 
Aus der waßerfeſten Stadt zu Punt 
Bracht ihm der werthe Oheim ſein, 

10 Der König Brandelidelein, 
Sechshundert klare Frauen. 

Auch mochte Jede ſchauen 

Ihren Ritter, der erſchienen 

War ihr um Minneſold zu dienen. 
15 Die kühnen Punturteiſe 

Waren gern bei dieſer Reiſe. 


Da war auch, glaubt ihr mirs, 
Der klare Bernaut de Riviers; 
Sein reicher Vater Narant 
20 Hinterließ ihm Uckerland. 
Er fuͤhrt' in Schiffen uͤber Meer 
Ein ſo klares Frauenheer, 
Daß man viel von ihrer Schoͤnheit ſprach; 
Ihnen ſagte Niemand Andres nach. 
25 Davon wurden zweihundert 
Noch als Mägdelein bewundert, 
Zweihundert hatten ſchon den Mann. 
Wenn ichs recht ermeßen kann, 


XIV. Gramoflanz. 275 


Bernaut Fils dü Comt Narant, 

Fünfhundert Ritter auserkannt 
683 Zählt' er in ſeinen Scharen, 

Nicht gewohnt den Feind zu ſparen. 


So wollte Koͤnig Gramoflanz 
Im Kampfe rächen ſeinen Kranz, 

5 Und hier den Preis erbeuten 
Vor ſo viel werthen Leuten. 
Seines Landes Fürſten waren 
Dort mit kühner Ritter Scharen 
Und mit Frauen wohlgethan; 

10 Man ſah da manchen ſtolzen Mann. 
Da nun Artuſens Boten nahn 
Hört, wie ſie den Koͤnig ſahn: 
Ein hohes Polſter von Palmat, 
Zum Sitz er ſich erkoren hat, 

15 Geſteppt mit breitem Seidentuch. 
Jungfrauen ſchön und klar genug 
Schuhten Eiſenkolzen 
Dem König an, dem ſtolzen. 

Ein koͤſtlich Pfellel hoch zu loben 

20 In Ecidemonis gewoben 
Hoch über ihn ſich breit und lang 
Vor der Sonne ſchattend ſchwang, 
An zwölf Schäfte genommen. 

Als die Boten vor ihn kommen, 

25 Zu dem, der aller Hochfahrt Hort 
Trägt, beginnen ſie ſofort: 


„Herr, uns hat hieher geſandt 
Artus, der wie euch wohl bekannt, 


276 XIV. Gramoflan;. 


Oft den Preis von binnen trug; 
Er hat auch Würdigkeit genug. 
684 Die wollt ihr jetzt ihm Franken. 

Wie mögt ihrs nur erdenken, 
Daß ihr ſeiner Schweſter Kind 
Ernſten Kampf zu bieten ſinnt? 

5 Hätt euch der werthe Gawan 
Größer Herzeleid gethan, 
So ſollt ihm doch zu Statten kommen, 
Daß ihn geſellig aufgenommen 
Hat die werthe Tafelrunde 

10 Und er ein Stolz iſt dieſem Bunde.“ 


„Den Kampf, den ich ihm zugeſagt,“ 
Sprach der König, „kämpf ich unverzagt 
Noch dieſen Tag, mag nun Gawan 
Schmach oder Preis davon empfahn. 

15 Wohl hab ichs für gewiſs vernommen, 
Artus ſei mit Gefolg gekommen 
Und ſein Weib, die Koͤnigin; 
Die ſei willkommen a 
Ob wider mich zum Zorne 

20 Die arge Herzogin ihn ſporne, 

So hab ich Volk mir beizuſtehn. 
Mein Entſchluß bleibt doch beſtehn, 
Daß ich dem Kampf mich ſtellen will. 
Ich habe Ritter wohl ſo viel, 

25 Daß ich Gewalt nicht brauch zu ſcheun. 
Die mir von Einem möge draun, 
Die Noth will ich erleiden. 

Ar ich das nun vermeiden, 


* 


„„ 


XIV. Sramoflanı. 277 


Wes ich mich wider ihn vermaß, 
Ich wär im Minnedienſt zu laß. 
685 In deren Gnad ich mein Leben, 
All meine Freude hab ergeben, 
Gott weiß, was er ihr ſchuldig iſt: 
Ich verſchmähte bis auf dieſe Friſt 
5 Kampf wider Einen Mann; 
Doch da der werthe Gawan 
So viel gethan ſie zu befrein, 
So kämpf ich wider Ihn allein. 
Hier beugt ſich meine Mannheit, 
10 Denn ich focht noch nie ſo leichten Streit. 
Gefochten hab ich, darf ich ſagen, 
Ihr mögt euch wenn ihr wollt befragen, 
Mit Helden, die es 
Bezeugten, daß ſie 
15 Mit Einem kam 
Auch will ich gern 


ichten; 


t ihr nur mein Dienft genü 
Wie konnt es ſich mir beßer fü 
Wenn mir das Heil ſoll gef 


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278 XIV. Gramoflanz. 


686 Benen ſchuf der Kampf nicht Harm 
Ddie ſaß hier an des Königs Arm): 
Da ſie des Koͤnigs Mannheit 

Oft bewährt geſehn im Streit, 

So fochten Sorgen ſie nicht an. 

Doch wüſte ſie, daß Gawan 

Ihrer Herrin Bruder wäre, 

Und der es war, der mit dem Heere 
Wider den Koͤnig kam gezogen, 

10 Um die Freude wär auch ſie betrogen. 


an 


* 
Ein Ringlein brachte ſie dahin, 
Das Itonjé, die Königin, 
Ihm als ichen zugeſandt, 
Und ei er auserkannt 
15 Geh 


20 Iſt von Schatelmerveil 
Sie mahnt' ihn mehr 


Das macht den König wohlgemuth, 
er Gawan Unrecht thut. 

o der Schweſter mein, 

ich ohne Schweſter ſein. 


XIV. Gramoflanz. 279 


687 Man bracht ihm Waffenſchmuck: der war 
So herrlich und ſo koſtbar, 
Wen je die Minne ſo bezwang, 
Daß nach der Frauen Lohn er rang, 

5 Gahmuret oder Galoes, 
Oder der Koͤnig Kilikrates, 
Den ſah man nimmer für ein Weib 
So koöſtlich ſchmücken feinen Leib. 
Von Ipopotitikon 

10 Oder aus der weiten Akraton, 
Oder von Kalidomente, 
Oder Agatirſiente 
Ward nimmer beßrer Stoff gebracht, 
Als ihm verwandt war zu der Tracht. 

15 Da küſst er jenes Ri 
Das Itonjé, die 
Als Minnezeichen 
Ihrer Treue Kraft 
Hätt er ein Unglü 

20 Ihrer Minne Schild wür 


ihn bewahren. 


— 
wappnet ſtand nun Gramoflanz: 
N gfrauen zwölf, ein ſchoͤner Kranz, 
Nr ah man auf edeln Roſſen ragen. 
Ihnen war es aufgetragen, 
25 Der blühenden Genoßenſchaft: 
iche hatt an einen Schaft 
ä theuern Baldachin genommen, 
Unter dem der König wollte kommen. 
Schattend trugen fie hindann 
Ihn über dem beherzten Mann. 


* 


280 XIV. Gramoflan;. 


688 Von hohem Wuchs zwei Mägdelein 
(Sie trugen dort den fchönften Schein), 
Ritten unter des Königs Hut. 

Den Boten ſchien Verzug nicht gut 
5 Zu Artus fuhren ſie hindann 

Und trafen auf der Heimfahrt an 

Gawanen, der da focht den Streit. 

Das war den Knappen wunderleid: 

Sie ſchrieen laut um ſeine Noth, 
10 Wie ihnen Treue das gebot. 


Dahin gekommen wars beinah, 
Daß den Sieg erfochten da 
Hätte Gawans Kampfgenoß. 
r ſo groß, 
15 Daß n Streichen, 
ollte weichen, 
ien nannten 
ihn erkannten. 


— 

f Der erſt zum Streit mit ihm bereit, 
20 Vermied da wider ihn den Streit. 

Fern aus der Hand warf er das Schwert: 

„Unſelig bin ich und entehrt,“ 

Sprach mit Weinen der Gaſt, 

„Allem Glücke ganz verhaßt, 
25 Daß meine ſchuldige Hand 

Jemals ſolchen Streit beſtand. 

Zu große Schmach muß ich erleben, 

Ich will mich ſelber ſchuldig geben; 

Mein Unheil riß mich wieder fort 

Und ſchied mich von des Heiles Hort. 


XIV. Gramoflanz. 281 


689 Mein altes Wappen iſt dieß Leid, 
Das oft und aber ſich erneut. 
Daß mit dem werthen Gawan 
Ich ſolchen Kampf allhier begann! 

5 Mein eignes Glück hab ich beſtritten, 
Von mir ſelber Niederlag erlitten. 
Mir waren Heil und Glück entronnen, 
Da ich dieſen Kampf begonnen.“ 


Gawan die Klage hoͤrt und ſah, 

10 Zu ſeinem Gegner ſprach er da: 

„O ſagt mir, Herr, wie heißet ihr? 
Ihr redet gnädiglich von mir. 

Was ſprachet ihr nicht ſo zuvor, 
Eh ich noch meine Kraft verlor: 

15 So wär nicht all mein Preis zerronnen; 
Ihr habt den Preis allhier gewonnen. 
Gern möcht ich euern Namen wißen: 
Wär ich zu ſuchen dann beflißen 
Meinen Preis, fo wüft ich wo. 

20 Eh mich mein guter Stern noch floh, 
Erlag ich niemals Einem Mann.“ 
„Mein Name ſei dir kundgethan: 

Ich bin dein Vetter Parzival.“ 
„Recht,“ ſprach Gawan, „ſo werden grade 

25 Kurzſichtger Thorheit krumme Pfade. 
Zwei treuer Herzen Einfalt 
That ſich haßend hier Gewalt. 

Uns beide überwand dein Streit: 

Das ſei dir für uns beide leid. 
690 Dich ſelber haſt du überwunden, 

Wird Treue noch bei dir gefunden.“ 


XIV. Gramoflanz. 


Da dieſe Rede war gethan, 
Vor Ohnmacht konnte Herr Gawan 
5 Auf ſeinen Füßen nicht mehr ſtehn: 


Man ſah ihn ſchwankend, ſchwindelnd gehn. 
Ihm war das Haupt betäubt von Streichen, 


Aufs Gras hinſank er mit Erbleichen. 
Artuſens Junker eilte hin 
10 Sein Haupt in ſeinen Schooß zu ziehn. 
Da band den Helm das ſuͤße Kind 
Ihm ab und wehte kuͤhlen Wind 
Mit dem Pfauenhut, dem weißen, 
Ihm ins Geſicht. Des Kinds Befleißen 
Ließ die Kraft ihm wiederkehren. 
Da nahte ſich von beiden Heeren 
Des Volkes viel. Denn dort und hier 
War abgeſteckt das Kampfrevier 
Und wurden Schranken eingeſtoßen 
20 Mit Bäumen, ſpiegelhellen, großen. 


— 
an 


Gramoflanz beftritt die Koſten 
Fuͤr den Kampfplatz und die Pfoſten. 
Der Bäume waren hundert, 

Um lichten Glanz bewundert: 

25 Dazwiſchen durfte Niemand kommen. 
Sie ſtanden, ſo hab ichs vernommen, 
Von einander vierzig Rennen, 

In Farben, die da glänzend brennen, 
Funfzig auf jeder Seite: 
Daz wiſchen Raum zum Streite. 

691 Das Heer ſoll draußen Frieden haben, 
Als ſchiedens Maur und tiefe Graben: 


XIV. Gramoflanz. 283 


So gelobten ſich es an 
Gramoflanz und Gawan. 


5 Zu dem unverheißnen Streit 
Kam großes Volk zu gleicher Zeit 
Aus beiden Heeren, daß es ſaͤhe, 
Wie der verheißene geſchaͤhe. 
Wunder nahm ſie, wer Da ſtritte 

10 Mit ſo ſtreitbarer Sitte, 

Und wie der Streit wär angefacht. 
Seine Kämpfer hatte doch gebracht 
Zu dieſem Kampfe keins der Heere; 
Drum daͤuchte ſeltſam fie die Mare. 


15 Als der Kampf war gethan 
Auf dem blumigen Plan, 
Da kam der Koͤnig Gramoflanz 
Und wollte rächen ſeinen Kranz. 
Er vernahm, hier ſei ein Kampf geſchehn, 

20 So heftig, daß man nie geſehn 
Schärfern Streit mit Schwerten. 
Die ſich dieſen Kampf gewährten, 
Die waren ohne Schuld daran. 
Gramoflanz von ſeinem Bann 

25 Ritt zu den Streitmüden hin 
Und beklagte herzlich ihre Mühn. 


Aufgeſtanden war Gawan, 
Obgleich er kaum ſich regen kann. 
Nun ſtehn hier dieſe Zwene. 

Da war auch Fräulein Bene 


284 XIV. Gramoflanz. 


692 Mit dem König in den Kreiß geritten, 

Wo dieſer Kampf ward geſtritten. 
Da ſie ſah, wie der die Kraft verloren, 
Den ſie vor aller Welt erkoren 

5 Zu ihrer höchſten Freudenkrone, 
Mit des Herzens Jammertone 
Sie von dem Pferde ſchreiend ſprang: 
Mit den Armen ſie ihn feſt umſchlang 
Und ſprach: „Verflucht ſei deſſen Hand, 

10 Der dieſes Leid euch hat geſandt 
Und euerm ſchoͤnen Leibe klar. 
Verflucht der Welt! Das iſt wahr, 
Ihr ſchienet ſtäts der Mannheit Spiegel.“ 
Sie ſetzt' ihn auf den Raſenhügel, 

15 Mit Weinen ward er lang beklagt. 
Auch ſtreichelt' ihm die ſüße Magd 
Aus den Augen Blut und Schweiß. 
Noch war ihm in dem Harniſch heiß. 


Gramoflanz der Koͤnig ſprach: 
20 „Mir iſt leid, Gawan, dein Ungemach, 
Da Ich es dir nicht angethan. 
Willſt du morgen wieder auf den Plan 
Mir zum Kampf entgegen reiten, 
So will ich gern mit dir ſtreiten. 
25 Ich beſtünde lieber jetzt ein Weib 
Als deinen kraftloſen Leib. 
Wie erwürb ich an dir Preis 
Bevor ich dich bei Kräften weiß? 
Ruh dieſe Nacht: das iſt dir Noth 
Eh du vertrittſt den König Lot.“ 


XIV Sramoflany. 


693 Der ſtarke Parzival noch trug 
Von Schwach und Müde keinen Zug; 
Auch war er ohne Wunden. 

Er ſtand des Helms entbunden, 
5 Da ihn der werthe König ſah; 
Zu dem begann er höfifeh da: 
„Herr, was mein Vetter Gawan 
Euch zu Leide hat gethan, 
Nehmet mich dafür zum Pfand. 
10 Wehrlich noch iſt meine Hand. 
Euern Zorn auf Ihn zu kehren, 
Das will ich euch mit Schwertern wehren.“ 


Da ſprach der Wirth von Roſchſabins: 
„Herr, er zahlt mir Morgen Zins 
15 Und vergilt mir alſo meinen Kranz, 
Daß der ergruͤnt in friſchem Glanz; 
Wo nicht, ſo muß es ihm gelingen 
Mich auf der Schande Bahn zu bringen. 
Ihr moͤgt wohl anders ſein ein Held; 
20 Hier ſeid ihr nicht zum Kampf beſtellt.“ 


Da ſprach Benens ſüßer Mund 
Im Zorn: „Ihr ungetreuer Hund! 
Euer Herz hat Der befreit, 
Dem euer Herz trägt Haß und Neid! 
25 Der ihr euch minnend habt ergeben, 
Die dankt ihm Freiheit, dankt ihm Leben. 
So habt ihr ſelbſt den Sieg verſchworen, 
An Minne jedes Recht verloren; 
Und trugt ihr jemals Minne, 
So wars aus falſchem Sinne.“ 


285 


286 | XIV. Gramoflanz. 


694 Als Gramoflanz fie zornig ſah, 
Beiſeite zog er Benen da 
Und bat fie: „Freundin, zuͤrnet nicht: 
Dieſen Kampf gebeut mir Pflicht. 

5 Verbleib hier bei dem Herren dein; 

Itonjen ſag, der Schweſter ſein, 
Ich ſei und bleib ihr Dienſtmann 
Und woll ihr dienen wo ich kann.“ 


Da Benen dieſe Kunde kam, 
10 Und ſie's aus Seinem Mund vernahm, 
Ihrer Herrin Bruder wär Gawan, 
Der da ſolle kämpfen auf dem Plan, 
Da zog des Jammers Ruder 
In ihr Herz wohl ein Fuder 
15 Der herzlichen Schmerzen, 
Da Treu ihr wohnt' im Herzen. 
Sie ſprach: „Fahr hin, verfluchter Mann, 
Der Lieb und Treue nie gewann.“ 


Hin ritt der König mit den Seinen. 

20 Artuſens Junker, die kleinen, 

Fiengen beider Kämpfer Pferde 

Noch müde von des Kampfs Beſchwerde. 

Parzival mit Gawanen 

Und Benen, der wohlgethanen, 
25 Ritten heim zu Artus Heer. 

Parzival mit kühner Wehr, 

Den Preis errungen hatt er ſo, 

Seiner Ankunft war man froh. 

Von allen, die ihn ſahen kommen, 

Ward ſeines Lobes viel vernommen. 


XIV. Gramoflanz. 287 


695 Ich ſag euch mehr noch wenn ich kann. 
Hier ſprachen von dem Einen Mann 
In beiden Heeren alle Weiſen: 
Jeglicher begann zu preiſen 
5 Seine ritterliche That. 
Der hier den Preis gewonnen hat, 
Es war, geſtehn wirs, Parzival. 
Er war doch auch ſo ſchön zumal, 
Wie nie ein Ritter wohlgethan: 

10 Das geſtand ihm Weib und Mann, 
Da er mit Gawan trat ins Zelt. 
Eins verſäumte nicht der Held: 

Er bat ihn, ſich umzukleiden. 
Da brachte man den beiden 

15 Gleiches, koͤſtliches Gewand. 
Da ward es überall bekannt, 
Parzival wär angekommen, 
Von dem ein Jeder oft vernommen, 
Daß er hohen Preis errungen: 

20 Die Alten ſagtens und die Jungen. 


Gawan ſprach: „Willſt du ſchauen 
Vier auch dir verwandte Frauen, 
Und andre Frauen klar und ſchön, 
So will ich gerne mit dir gehn.“ 
25 Da verſetzte Gahmuretens Kind: 
„Wenn hier werthe Frauen ſind, 
Mit Mir beſchwere du ſie nicht, 
Da Jede ungern mit mir ſpricht, 
Die an des Plimizoͤls Geſtad 
Meine Läſterung vernommen hat. 
696 Gott mög ihrer Ehre pflegen: 


XIV. Gramoflanz. 


Allen Fraun erfleh ich Heil und Segen; 
Doch ſchäm ich mich in ihrer Nähe 
So ſehr, daß ich ſie ungern ſähe.“ 


5 „Es muß doch ſein,“ ſprach Gawan. 
Da ließ er Parzival empfahn 
Der vier Koͤniginnen Ehrenkuß. 

Wohl ſchufs der Herzogin Verdruß, 
Daß ſie Den küſſen ſollte, 

10 Der von ihrem Kufs nichts wißen wollte, 
Da ſie Hand und Land ihm bot 
(Darüber ſchuf nun Scham ihr Noth), 
Als er vor Logrois geſtritten 
Und ſie ihm weit war nachgeritten. 

15 Parzival der Degen klar, 

Wie befangen erſt er war, 

Als ein Wort das andre gab 

Ließ davon allmählich ab, 

Die Scham aus ſeinem Herzen floh, 

20 Er wurde wieder frei und froh. 


* 


Herr Gawan mit Wohlbedacht 

Gebot bei ſeines Willens Macht 

Frau Benen, daß ihr ſüßer Mund 

Es nicht Itonjen machte kund, 

25 „Daß der König Gramoflanz 

So mich haßt um ſeinen Kranz, 

Und daß wir morgen neuen Streit 
Kämpfen zu des Kampfes Zeit: 

Meiner Schweſter ſollſt du das nicht ſagen; 
Und laß mit Weinen ab und Klagen.“ 


"XV. Graumoflenz 989 


697 Sie ſprach: „Ich habe Grund zu weinen 
Und zu klagen, ſollt ich meinen, 
Denn Wer auch morgen unterliegt, 
Meiner Frau wird Unheil zugefuͤgt: 

5 Ihr Glück iſt jeden Falls erſchlagen; 

Meine Frau und mich muß ich wohl klagen. 
Was hilfts, daß Ihr ihr Bruder ſeid? 
Mit ihrem Herzen kaͤmpft ihr Streit.“ 


Das ganze Heer war heimgekehrt. 
10 Gawan und ſeinen Freunden werth 
War bereit das Mittagsmal. 
Da ſollte mein Herr Parzival 
Mit der Herzogin eßen: 
Gawan durft es nicht vergeßen, 
15 Er befahl den Degen ihr. 
„Befehlen,“ ſprach ſie, „wollt ihr mir 
Ihn, der der Frauen ſpotten kann? 
Wie ſollt ich pflegen dieſen Mann? 
Doch dien ich ihm, weil ihrs gebietet, 
20 Ob er den Dienſt mit Spott vergütet.” 
Gahmurets Sohn ſprach zu ihr: 
„Frau, wie Unrecht thut ihr mir! 
Mir wohnt wohl ſo viel Weisheit bei, 
Die Frauen laß ich Spottes frei.“ 


25 Eßens gab man da genug: 
Mit großer Zucht mans vor ſie trug. 
Mit Freuden aß Magd, Weib und Mann. 
Doch Itonje ſah es Benen an, 
Sie konnt in ihren Augen leſen, 
Daß ſie von Weinen feucht geweſen. 


Parzival und Titurel. II. 19 


290 XIV. Gramoflanz. 


698 Da ward fie auch vor Jammer bleich, 

Alle Speiſe mied ſie gleich. 
Sie dachte: „Wie kommt Bene her? 
Sandt' ich ſie nicht zu Jenem, der 

5 Dort mein Herz gefangen trägt 
Und mich ſo unſanft hier bewegt? 
Was hab ich wider ihn verbrochen? 
Hat ſich der König losgeſprochen 
Meines Dienſtes, meiner Minne? 

10 Mit mannlich ſtreitbarem Sinne 
Mag er an mir nicht mehr erwerben, 
Als daß ich Arme muß erſterben 
In ſehnſüchtiger Klage, 
Die ich ſchon lang im Herzen trage.“ 


15 Da das Mal ward aufgehoben 
War ſchon der mitte Tag verſtoben. 
Da ritt Artus der König hehr, 
Und ſein Gemal Frau Ginover, 
Mit den Rittern all und Frauen 

20 Hin, wo der Degen war zu ſchauen 
Unter werther Frauen Zahl. 

Da ward empfangen Parzival: 
Von viel Frauen wohlgethan 
Muſt er Gruß und Kuſs empfahn. 

25 Viel Ehre bot ihm Artus dort, 
Und dankt' ihm auch mit holdem Wort, 
Daß feine hohe Würdigkeit 
Die Welt erkenne weit und breit, 
Und er den Preis vor Jedermann 
Zu Lohne billig ſollt empfahn. 


XV. Granoflanz. 291 


699 Zu Artus ſprach der Waleis da: 

„Herr, als ich zuletzt euch ſah, 
Ward mir die Ehre ſchwer verletzt: 
So viel Preis hab ich zu Pfand geſetzt, 

5 Schier wär ich ganz darum gekommen. 
Nun hab ich, Herr, von euch vernommen, 
Wenn ihr die volle Wahrheit ſprecht, 
Ich habe noch am Preis ein Recht. 
Ob ich das zweifelnd lerne, 

10 So glaubt' ich doch euch gerne, 
Wollt es auch glauben jener Orden, 
Aus dem ich dort verſtoßen worden.“ 
Die Ritter all geſtanden, 
Weit hab er in den Landen 

15 Den Preis mit ſolchem Preis erworben, 
Daß fein Preis wär unverdorben. 


Die Ritter auch der Herzogin 
Kamen allzumal dahin, 
Wo Parzival bei Artus ſaß. 

20 Der werthe König nicht vergaß, 

Er empfieng ſie in des Wirthes Kreiſe. 
Artus, der hoͤfiſche und weiſe, 

Wie weit auch war Gawans Gezelt, 
Er ſetzte ſich davor aufs Feld. 

25 Sie ſaßen all im Kreis umher, 
Verſammelt ward ein buntes Heer. 
Wer dieſer oder jener wäre, 

Wohl gäb es eine lange Mare, 

Sollt ich ſie namentlich erwähnen, 

Die Chriſten und die Sarazenen. 
700 Wie hießen die in Klinſchors Heer? 


292 


XIV. Gramoflanz. 


Wie jene, die ſo wohl zur Wehr 
So oft von Logrois ſind geritten, 
Wenn fie für Orgeluſe ſtritten? 

5 Wer waren, die mit Artus kamen? 
Der euch Aller Land, Geſchlecht und Namen 
Nennen ſollte, wie die hießen, 

Den müfte keiner Muͤh verdrießen. 
Doch ſie geſtanden insgemein, 

10 Der Preis ſei Parzivals allein: 

Der ſei ſo klar und ſchoͤn zu ſchauen, 
Daß ihn wohl minnen dürften Frauen, 
Und daß ihm keine Tugend fehle, 

Die man zu hohem Preiſe zähle, 


15 Da erhob ſich Gahmuretens Kind 
Und ſprach: „Ihr Alle, die hier ſind, 
Helft mir jetzt zu einer Ehre, 

Die ich ungern entbehre. 
Mich vertrieb ein ſeltſam Wunder 

20 Aus der Schar der Tafelrunder. 

Ihr verhießt mir einſt Genoßenſchaft: 
Helft mir mit vereinter Kraft 

Nun dazu.“ Gern gewährte 

Artus ihm was er begehrte. 


25 Mit Wenigen beifeite trat er; 
Eine zweite Gunſt erbat er: 
Daß Herr Gawan ihm den Streit 
Ließe, den zur Kampfeszeit 
Er am Morgen ſollte kaͤmpfen. 
„Ich möchte gern den Stolz ihm dampfen, 


701 Der ſich nennt Roi Gramoflanz. 


Xlv. Gramoflanz. 293 


Heute Morgen einen Kranz 
Brach ich mir von ſeinem Baum, 
Daß er zum Streit mir gäbe Raum. 

5 Zum Streit nur kam ich in ſein Land, 
Zu ſtreiten wider ſeine Hand. 
Freund, Dein hatt ich mich nicht verſehn; 
Auch iſt mir nie ſo leid geſchehn: 
Ich meinte, daß es Jener wäre, 

10 Der mir Kampf gewähre. 
Nun laß mich, Freund, ihn noch beſtehn. 
Soll er den Sieger jemals ſehn, 
Ich hoff ihm Schaden zuzufuͤgen, 
Der ihm billig mag genügen. 

15 Mir iſt mein Recht zurückgegeben, 
Ich darf geſellig leben, 
Lieber Vetter, nun mit dir. 
Gedenke, Blutsfreund biſt du mir, 
Und überlaße mir den Streit: 

20 Ich will da zeigen Mannheit.“ 


Da ſprach Gawan der Degen hehr: 
„Vettern, Brüder hab ich mehr 
Beim König von Bretagne hier; 
Doch ihrer Keinem noch dir 
25 Geſtatt ich, daß er für mich fechte. 
Ich vertraue meinem Rechte, 
Das Glück werd alſo walten, 
Daß der Sieg mir bleibt erhalten. 
Gott lohne dir den guten Willen, 
Doch muß ich ſelbſt die Pflicht erfüllen.“ 


702 Als Artus hörte was man ſprach, 
Ihr Geſpräch er unterbrach 


294 XIV. Gramoflauz. 


Und nahm mit ihnen Platz im Kreiſe. 
Gawans Schenke hoͤfſcher Weiſe 

5 Schickte Junker viel umher, 
Die Becher trugen goldenſchwer, 
Beſetzt mit edelm Geſtein. 
Der Schenke diente nicht allein. 
Da das Schenken war geſchehn, 

10 Das Volk brach auf, zur Ruh zu gehn. 


Mählich ſank herab die Nacht. 
Parzival mit Vorbedacht 
Sah fein Ruſtgeräthe nach. 
Wo ein Riemen ihm gebrach, 

15 Das ließ er Alles gleich beſorgen, 
Daß es fertig wär am Morgen; 
Auch einen neuen Schild gewinnen, 
Da ſeinen außen und innen 
Zerſchlagen hatten Feindes waffen. 

20 Man muſt ihm einen ſtarken ſchaffen. 
Den brachten aus fremdem Land 
Soldner, die ihm unbekannt; 

Etliche darunter Franzen. 
Das Roſs, darauf zum Spiel der Lanzen 

25 Er einſt ſich ſah den Templer nahn, 
Ein Knappe nahm ſich deſſen an, 

Daß es ſchmuck wär und bereit. 

Nun war es Nacht und Schlafenszeit. 
Schlafen gieng auch Parzival; 

Sein Rüſtgeräth lag vor ihm all. 


703 Es kränkt' auch König Gramoflanz, 
Daß ein andrer Mann für ſeinen Kranz 


XIV. Gramoflanz. 295 


Denſelben Tag gefochten. 
Die Seinigen vermochten 
5 Nicht zu beſchwichtigen ſein Trauern. 
Er konnt es nie genug bedauern, 
Daß er zu ſpät kam auf den Plan. 
Was der Held da begann? 
Der oft ſchon Preis erjagte, 
10 Hier war er, als es tagte, 
Gewappnet ſammt dem Roſs zu ſchaun. 
Ob wohl uͤberreiche Fraun 
Zu ſeiner Rüſtung gaben Steuer? 
Sie war auch ſo ſchon reich und theuer. 
15 Er ſchmückte ſich für eine Magd: 
Der zu dienen war er unverzagt. 
So ritt er auf die Wart allein. 
Dem König ſchufs nicht wenig Pein, 
Daß der werthe Gawan 
20 Nicht alsbald kam auf den Plan. 


Nun hatte ſich auch verhohlen 
Parzival hinaus geſtohlen. 
Der Held aus einem Banner nahm 
Einen ſtarken Sper von Angram; 
25 Auch hatt er volle Ruͤſtung an. 
So ritt er ganz allein hindann 
Zu den Bäumen ſpiegelhelle, 
Der erwählten Kampfesſtelle. 
Der König, ſah er, hielt ſchon dort. 
Eh der Eine noch ein Wort 
704 Zu dem Andern geſprochen, 
Hat Jeder ſchon geſtochen 
Den Andern durch den Schildes rand, 


296 XIV. Gramoflanz. 


Daß die Stücke von der Hand 
5 Wirbelten in der Luft Revieren. 
Sie waren beid im Tioſtieren 
Stark, und in anderm Streite. 
Auf des Angers Weite 
Ward der Morgenthau zerfuͤhrt, 
10 Die Helme unſanft oft berührt 
»Mit ſcharfgewetzter Schneide. 
Ohne Zagen ſtritten beide. 


Zertreten ward die grüne Au, 
An mancher Statt verwiſcht der Thau. 
15 Auch reuen mich die Blumen roth, 
Noch mehr die Helden, die da Noth 
Litten ohne Zagheit. 
Wem wär das lieb und nicht leid, 
Dem ſie niemals weh gethan? 
20 Nun machte ſich auch Herr Gawan 
Bereit zu ſeines Kampfes Sorgen. 
Es währte bis zum mitten Morgen, 
Eh man erfuhr die Märe, 
Daß verſchwunden wäre 
25 Parzival der kuͤhne. 
Betrieb der dort die Suͤhne? 
So ſtellt' er wahrlich ſich nicht an, 
Denn er ſtritt wie ein Mann 
Mit Dem, der auch wohl ſtreiten mag. 
Nun war es hoch ſchon am Tag. 


705 Indeſs ein Biſchof Meſſe fang 
Gawanen, gab es großen Drang 
Von Rittern und von Frauen, 


XIV. Gramoflanz. 297 


Die man zu Roſſe ſchauen 
5 Mochte vor Artuſens Zelt 
Während man die Meſſe hält. 
Artus ſelbſt im Schmuck der Waffen 
Stand bei den ſingenden Pfaffen. 
Da man den Segen hatt empfahn, 
10 Wappnete ſich Herr Gawan; 
Doch trug zuvor der Degen hehr 
Schon die Eiſenkolzen ſchwer 
An wohlgeſchaffnen Beinen. 
Da ſah man Frauen weinen. 
15 Das Heer zog aus überall 
Hin, wo ſie hoͤrten Schwerterſchall 
Und Funken ſahn aus Helmen ſpringen 
Und Schwerter kräftiglich erſchwingen. 


König Gramoflanz verſchmähte Streit 
20 Mit Einem Manne lange Zeit; 
Doch däucht es ihn nicht anders nun, 
Als hätt ers hier mit Sechs zu thun. 
Es war doch Parzival allein, 
Deſſen Kampf ihm ſchuf die Pein. 
25 Ihn lehrte Der Beſcheidenheit, 
Die noch empfiehlt in dieſer Zeit. 
Er fühlte künftig kein Gelüſten 
Mit der Rede ſich zu brüften, 
Als boͤt er zweien Mannen Kampf; 
Der Eine that ihm ſchon den Dampf. 


706 Die Heere ſtanden links und rechts 
Vor den Schranken des Gefechts 

Auf dem grünen Anger breit 

Und ſahn der beiden Kämpfer Streit. 


298 


Pr IV. Sramoflans. 


5 Die Roſſe ſeitwärts ftanden 
Den kühnen Weiganden, 
Während in der Mitten 
Zu Fuß die Helden ſtritten 
Einen Kampf, der lange währte. 
10 Hoch aus der Hand die Schwerte 
Warfen oft die beiden: 
Sie wechſelten die Schneiden. 


So empfieng der Koͤnig Gramoflanz 
Sauern Zins für ſeinen Kranz. 

15 Doch hatt es auch bei Ihm nicht gut 
Seiner Freundin nahverwandtes Blut. 
Parzival entgalt im Streit 
Itonjés, der ſchoͤnen Maid, 

Die ihm zu Gute muͤſte kommen 

20 Wär nicht dem Recht ſein Recht benommen. 
Mit Hieb auf Hieb befleißten 
Um Preis ſich die Gepreiſten: 

Der Eine für des Freundes Noth; 
Der Andre folgte dem Gebot 

25 Der Minne als ihr Unterthan. 
Da kam auch mein Herr Gawan, 
Als es ſchier dazu gekommen, 
Daß den Sieg dahin genommen 
Der ſtolze kuͤhne Waleis. 
Brandelidelein von Punturteis 


707 Und Bernaut de Riviers 


Und Affinamus de Klitiers, 

Näher zu dem Kampf herbei 

Ritten barhaupt dieſe drei. 
5 Artus und Gawan 


XIV. Gramoflanz. 299 


Ritten jenſeits heran 

Zu den kampfmüden Zwein. 

Die fünfe kamen überein, 

Sie wollten ſcheiden dieſen Streit. 
10 Scheidens däucht es hohe Zeit 

Gramoflanzen, denn ſein Mund 

That den Sieg des Helden kund, 

Den er zu ſchwach war zu beſtehn; 

Das muſten Andre auch geſtehn. 


15 Spoͤttiſch ſprach Herr Gawan nun: 
„Ich will euch heut, Herr Koͤnig, thun 
Wie ihr mir geſtern habt gethan, 

Da ihr mir Ruhe riethet an. 
Nun ruhet heut: das iſt euch Noth. 

20 Der euch dieſen Kampf gebot, 

Der hätt euch jetzt zu ſchwach erkannt, 
Kampf zu bieten meiner Hand: 

Ich beftünd euch wohl allein; 

Ihr fechtet freilich nur mit Zwein. 

25 Alleine wag ich es morgen; 

Gott mag für den Ausgang ſorgen.“ 
Zu den Seinen ritt der König fort; 
Doch erſt verpfändet' er ſein Wort, 

Daß er am Morgen mit Gawan 

Zu ſtreiten käme auf den Plan. 


708 Zu Parzival ſprach Artus da: 

„Neffe, wenn es gleich geſchah, 

Daß du dir den Kampf erbateſt, 

Mit dem du gern den Freund vertrateſt, 
5 So hatt es Gawan doch verſagt: 


300 


XIV. Gramoflanz. 


Du haft es laut genug beklagt. 
Nun haſt du doch den Kampf geſtritten 
Fuͤr ihn, der ſich nicht ließ erbitten, 
Ob es uns leid war oder lieb. 

10 Du ſchlichſt dich von uns wie ein Dieb: 
Wir hätten ſonſt wohl deine Hand 
Von dieſem Zweikampf abgewandt. 
Nun zürne dir Herr Gawan nicht, 
Wieviel man dir zum Lob auch ſpricht.“ 

15 Da ſprach Gawan: „Mir iſt nicht leid 
Meines Vetters hohe Wuͤrdigkeit. 
Morgen kommt mir noch zu früh 
Dieſes Kampfes Sorg und Muh. 
Erließe Jener mir den Strauß, 

20 Das legt' ich ihm für Tugend aus.“ 


Das Heer ritt ſcharweis von dem Plan. 


Man ſah da Frauen wohlgethan, 

Und ſo manchen Mann im Eiſenkleid, 

Kein Heer gewann wohl nach der Zeit 
25 Von Waffenſchmuck ſo große Wunder. 

Alle die Tafelrunder 

Und das Ingeſind der Herzogin, 

Von ihren Wappenroͤcken ſchien 

Seidenſtoff von Cinidonte 

Und Pfellel von Pelpionte. 


709 Licht ſind die ueberdecken. 


Parzival den Kecken 
Prieſen beide Heere ſo, 
Seine Freunde hoͤrtens froh. 
5 Man ſprach in Gramoflanzens Heer, 
Geſtritten habe nimmermehr 


XIV. Sramoflanz. 301 


Wohl ein Ritter noch fo kühn, 

Den je die Sonne überſchien: 

Was auf beiden Seiten auch geſchehn, 
10 Ihm ſei der Preis zuzugeſtehn. 

Doch noch erkennen ſie ihn nicht, 

Dem jeder Mund zum Lobe ſpricht. 


* 


Gramoflanzens Ritter riethen 
Ihm, Artuſen zu entbieten, 
15 Der Koͤnig moͤchte ſorgen, 
Daß kein Andrer morgen 
Käme, wider ihn zu fechten; 
Daß er ihm ſendete den rechten: 
König Lotens Sohn, Gawanen, 
20 Den woll er zu dem Zweikampf mahnen. 
Als Boten ſandte man geſchwinde 
Zwei kluge, hoͤfiſche Kinde. 
Der König ſprach: „Nun ſollt ihr ſpähn, 
Wem ihr den Preis wollt zugeftehn 
25 Von all den klaren Frauen. 
Auch ſollt ihr ſie beſchauen, 
Die ihr ſeht bei Benen ſitzen. 
Gebt Acht darauf mit Witzen, 
Wie ſich gebehrden wird die Maid, 
Mit Freuden oder Traurigkeit: 
710 Erforſcht mir heimlich all ihr Weſen. 
Ihr mögts in ihren Augen leſen 
Ob Kummer um den Freund fie preſst. 
Seht auch daß ihrs nicht vergeßt, 
5 Benen gebt, der Freundin mein, 
Dieſen Brief und dieſes Ringelein. 


302 XIV. Gramoflanz. 


Die weiß, an Wen das weiter ſoll. 
Beſtellt es klug, fo thut ihr wohl.“ 


Nun war es druͤben ſo gekommen, 
10 Itonje hatte jetzt vernommen, 
Daß ihr Bruder und der liebſte Mann, 
Den je ein Mädchenherz gewann, 
Miteinander kaͤmpfen ſollten, 
Und das mit Nichten laßen wollten. 
15 Da überwand ihr Leid die Scham. 
Wen nun freut des Mägdleins Gram, 
Das Niemand was zu Leide that, 
Der thut es wider meinen Rath. 


Mutter und Großmutter beide, 

20 In ein kleines Zelt von Seide 

Fuhrten fie das Mägdelein. 

Da verwieſ Arniv ihr dieſe Pein, 

Sie ſchalt ſie um die Miſſethat. 

Da blieb ihr auch kein andrer Rath, 
25 Sie geſtand hier offenbar,, 

Was ihnen lang verborgen war. 

Da ſprach das Mägdlein auserkannt: 

„Soll mir nun meines Bruders Hand 

Des Liebſten Herz zerſchneiden, 

Das moͤcht er lieber meiden.“ 


711 Da ſprach zu einem Junkerlein 
Arnive: „Sag dem Sohne mein, 
Daß er eilends kommen ſolle, 
Allein, weil ich ihn ſprechen wolle.“ 
5 Der fuͤhrte bald Artuſen hin. 


XIV. Gramoflanz. 303 


Arnive dacht in ihrem Sinn, 
Wenn er Alles von ihr hoͤre, 
Vielleicht, daß er dem Kampfe wehre, 
Um den ſo bittres Herzeweh 

10 Trug die ſchoͤne Itonjé. 


Nun kamen Gramoflanzens Kinde 
An bei Artus Heergeſinde: 
Sie ſtiegen nieder auf dem Feld. 
Vor dem kleinen Seidenzelt 
15 Der Eine Bene ſitzen ſah. 
Ihr Geſpiel begann zu Artus da: 
„Iſt das der Herzogin zur Luſt, 
Wenn mein Bruder mir des Freundes Bruſt 
Durchbohrt auf ihren loſen Rath? 
20 Das ſchien' ihm billig Miſſethat. 
Was hat der König ihm gethan? 
Das rechn er meinthalb ihm nicht an. 
Iſt mein Bruder recht bei Sinnen 
(Er weiß, wie wir uns beide minnen, 
25 Ohne Trübe klar und lauter), 
So gereut ihn ſelbſt mein Trauter. 
Soll mir feine Hand erwerben 
Nach des Königs Tod ein bittres Sterben,“ 
Sprach zu Artus die füße Magd, 
„Das ſei euch, edler Herr, geklagt. 
712 Bedenkt, daß Ihr mein Oheim ſeid, 
Und ſcheidet treulich dieſen Streit.“ 


Da ſprach aus weiſem Munde 
Artus zur ſelben Stunde: 
5 „O weh, geliebte Nichte mein, 


304 


XIV. Gramoflauz. 


Daß du ſo früh der Minne Pein 
Empfandſt! das muſt du bitter büßen. 
Deiner Schweſter Sürdamur der Süßen 
Gab Tod der Griechen Kaiſer. 

10 Süße Magd ſei weiſer! 
Ich moͤchte dieſen Kampf wohl ſcheiden, 
Wüſt' ich das nur von euch beiden, 
Daß eure Herzen einig ſind. 
Gramoflanz, Irotens Kind, 

15 Iſt ſo mannlich von Sitten, 
Dieſer Kampf wird geſtritten, 
Hemmt ihn deine Minne nicht. 
Sah er dein holdes Angeſicht 
Bei Freunden nie zu einer Stund, 

20 Und deinen ſuͤßen rothen Mund?“ 


Da ſprach ſie: „Das iſt nie geſchehn: 

Wir minnen uns noch ohne Sehn; 

Doch hat er mir als Liebeszeichen, 

Daß er nicht wanken will noch weichen, 
25 Manches Kleinod zugeſandt. 

Er empfieng auch von Meiner Hand 

Was zum Minnetroſt gehoͤrt 

Und Minnezweifel wohl zerſtoͤrt: 

Mir iſt des Könige Herz beſtändig, 

In Falſchheit niemals abwendig.“ 


713 Da erkannte Fräulein Bene, 


Jene Knappen, die zwene, 
Koͤnig Gramoflanzens Kinde, 
Geſandt zu Artus Heergeſinde. 
5 Sie ſprach: „Hier ſollte Niemand ſtehn; 


XIV. Gramoflanz. 305 


Erlaubt, das Volk nur heiß ich gehn 
Hinweg aus unſern Schnüren. 
Hört man euch hier vollführen 
Solchen Jammer um eur Traut, 
10 Die Märe würde leicht zu laut.“ 
Bene ward hinausgeſandt. 
Da ſchob ein Kind in ihre Hand 
Den Brief mit dem Ringelein. 
Sie hatten auch die hohe Pein 
15 Ihrer Herrin wohl vernommen, 
Und ſprachen, ſie ſei'n hergekommen, 
Daß fie Artus ſprechen ſollte: 
Ob ſie das fügen wollte? 
Sie ſprach: „Bleibt draußen vor dem Kreiße 
20 Bis ich euch zu mir kommen heiße.“ 


Von Benen ward, der ſuͤßen Magd, 
Den dreien im Gezelt geſagt, 
Gramoflanzens Boten wären dort 
Und fragten, an welchem Ort 
25 König Artus ſich befaͤnde? 
„Wohl dünkt mich, daß es übel ſtände, 
Horten fie was wir hier ſprechen. 
Wofuͤr ſollt ich mich wohl rächen 
An meiner Frau, ließ ich ſie ſehn 
Wie ihr die Thraͤnen niedergehn?“ 


714 Artus ſprach: „Sind es die Knaben, 
Die ich mir hinterdrein ſah traben? 
Es ſind zwei Kinde hoher Art, 
Vor aller Miſſethat bewahrt, 
5 Und fo hoͤfiſch, daß wir ohne Schaden 


Parzival und Titurel. II. 20 


306 XIV. Gramoflanz. 


Sie wohl zu dieſem Rathe laden. 
Jedweder hat ſo kluge Sinne, 
Daß er von ſeines Herren Minne 
Bei Itonjé zu Niemand ſpricht.“ 

10 Bene ſprach: „Das weiß ich nicht. 
Herr, mags mit Euern Hulden ſein, 
Der König hat dieß Ringelein 
Dahergeſandt und dieſen Brief. 
Da ich vor das Zelt nun lief, 

15 Gab ihn eins der Kinde mir. 
Herrin, ſeht, den nehmet ihr.“ 


Wohl ward der Brief gekuͤſst mit Luft: 
Itonje drückt' ihn an die Bruſt. 
Da ſprach ſie: „Herr, hieraus erſeht, 

20 Ob der König mich um Minne fleht.“ 
Den Brief nahm Artus in die Hand, 
Darin er denn geſchrieben fand 
Von dem der Minne hegte, 

Was in den Mund ſich legte 
25 Gramoflanz der treue Mann. 
Artus ſah dem Brief wohl an, 
Daß ſie der Koͤnig minne 
Mit ſo minniglichem Sinne 
Wie er es ſelten noch vernommen. 
Da ſtand was mag zur Minne frommen: 


715 „Ich grüße der ich ſchulde Gruß, 
Ihren Gruß mit Dienſt erwerben muß. 
Fräulein, ich meine dich, 

Da du mit Troſt willſt troͤſten mich. 
5 Unſre Lieb iſt nicht zu ſcheiden: 


— ——— 


XIV. Gramoflanz. 307 


Sieh da die Wurzel meiner Freuden! 
Kein Troſt iſt, der dem Troſte gleicht, 
Daß ſich dein Herz zu meinem neigt. 
Du biſt der Schluͤßel meiner Treue; 
10 Nun flieht mich Kummer, flieht mich Reue. 
Deine Minne giebt mir Hülf und Rath, 
Daß keiner unlautern That 
Gedanke wird an mir geſehn. 
Zu deiner Güte will ich flehn 
15 So ſtaͤt und ſo unwandelbar 
Wie der Polarſtern immerdar 
Nach dem Nordpol ſich dreht 
Und nimmer von der Stelle geht. 
So ſtät ſoll unſre Minne ſtehn 
20 Und nimmer auseinander gehn. 
Nun bedenke, ſüße Magd, 
Den Kummer, den ich dir geklagt, 
Und ſei zu helfen nimmer laß. 
Hegt mir Jemand ſolchen Haß, 
25 Daß er dich von mir will ſcheiden, 
So bedenke, daß uns beiden 
Einſt noch Minne Lohn gewähre. 
Thus zu aller Frauen Ehre, 
Und laß mich ſein dein Dienſtmann: 
Ich will dir dienen wo ich kann.“ 


716 Artus ſprach: „Ich weiß genug: 
Der Koͤnig grüßt dich ohne Trug. 
So viel thut dieſer Brief mir kund, 
Daß ich ſo wunderbaren Fund 3 
5 In Minneſachen ſelten fand. 
Nun ſorge, daß ihm wird gewandt 


308 XIV. Sramoflan;. 


Sein Ungemach: Er wendete dir. 
Ueberlaßt das Beide mir: 
Dieſen Kampf will ich verhindern; 
10 Das mag derweil den Schmerz dir lindern. 
Doch warſt du nicht gefangen? 
Sprich, wie iſt das ergangen, 
Daß ihr euch beide wurdet hold? 
Gieb ihm deiner Minne Sold 
15 Bis ihn ſein Dienſt vergelten mag.“ 
Itonje Artus Nichte ſprach: 
„Sie iſt hier die das betrieben; 
Unſer Keiner dacht ans Lieben. 
Wollt Ihr, fie fuͤgts, daß ich ihn ſchaue, 
20 Dem ich mein ganzes Herz vertraue.“ 


Artus ſprach: „Die zeige mir. 

Kann ich, ſo füg ichs Ihm und Dir, 
Daß es nach euerm Willen geht 

Und ihr am Ziel der Wuͤnſche ſteht.“ 

25 Itonje ſprach: „Es iſt Bene. 

Auch ſind hier ſeiner Knappen zwene: 
Wollt ihr euch dafür verwenden, 
(Mein Leben ſteht in euern Händen), 
Daß der König zu uns kommt, 

Der mir allein zur Freude frommt?“ 


717 Artus der weiſe hoͤfſche Mann 
Traf vor dem Zelt die Knappen an. 
Er grüßte ſie, als er ſie ſah. 
„Herr,“ ſprach Eins der Kinde da, 
5 „Euch bittet Gramoflanz, zu walten, 
Daß das Gelübde wird gehalten, 


XIV. Gramoflanz. 309 


Das der König hat gethan 
Euerm Neffen Gawan: 
Das wird euch ſelber ehren. 
10 Er erſucht euch, vorzukehren, 
Daß kein andrer mit ihm fechte mehr. 
Allzugroß iſt euer Heer: 
Sollt er mit Allen fechten 
Zuwider wars den Rechten. 
15 Stellt ihm keinen als Gawanen: 
Den ſollt ihr zu dem Zweikampf mahnen.“ 


Der Koͤnig zu den Kindern 
Sprach: „Das will ich hindern. 
Meinem Neffen war es ſchmerzlich leid, 

20 Daß er nicht ſelber kam zum Streit. 
Den man euern Herren ſah bekriegen, 
Dem iſt es angeſtammt, zu ſiegen: 
Er iſt Gahmuretens Kind. 

Die hier in dreien Heeren ſind 

25 Von allen Seiten hergekommen, 

Die haben Alle nie vernommen 

Kühnern Kampf von einem Helden: 

Von ſeiner That iſt Preis zu melden. 

Es iſt mein Neffe Parzival: 

Ihr ſeht den Kühnen wohl einmal. 
718 Schon um Gawanens Willen 

Werd ich des Könige Wunſch erfüllen.“ 


Artus und Bene 
Und dieſe Knappen, die zwene, 
5 Ritten durch das Heergeſinde. 
Da nahmen wahr die Kinde 


310 


XIV. Gramoflanz. 


Viel der herrlichen Frauen. 
Auch mochten ſie da ſchauen 
Viel Schmuck auf Helmen blinken. 
10 Sollt es zu theuer dunken. 
Den reichen Mann, in Bildern 
Seine Freundſchaft abzuſchildern? 
Von den Pferden kamen ſie nicht mehr; 
Artus ließ im ganzen Heer 
15 Die Kinder all die Beſten ſehn: 
Da mochten ſie nach Wunſch erſpaͤhn 
Ritter, Frauen und Maide, 
Manch ſchoͤnes Weib im ſchmucken Kleide. 


Das Heer beſtand aus dreien Stücken, 
20 Dazwiſchen zwei Lücken. 
Auf den Plan weit von dem Heer 
Mit den Kinden ritt der Koͤnig hehr. 
Da ſprach er: „Bene, ſüße Magd, 
Du hörteſt was mir hat geklagt 
25 Itonje, meiner Schweſter Kind: 
Sie weint ſich ſchier die Augen blind. 
Wohl glauben dürfen ſie es mir, 
Meine kleinen Geſellen hier: 
Itonjen hat Gramoflanz 
Schier verloͤſcht den lichten Glanz. 


719 Nun helfet mir, ihr zwene, 


Und du auch, Freundin Bene, 
Daß der König zu uns reite, 
Bevor er morgen ſtreite. 

5 Meinen Neffen Gawan 
Werd ich ihm bringen auf den Plan 
Kommt der Koͤnig heute her, 


XIV. Gramoflauz. 311 


Das frommt ihm morgen wohl zur Wehr. 
Hier giebt ihm einen Schild die Minne 
10 Seinem Kampfgenoß zum Ungewinne: 
Ich meine, hohen Liebesmuth, 
Der oft dem Feinde Schaden thut. 
Er ſoll die Fürſten mit ſich bringen: 
Zu fühnen mag mir hier gelingen 
15 Ihn und die ſchoͤne Herzogin. 
Das beſtellt mit klugem Sinn, 
Ihr Lieben, es ehrt euch ſehr. 
Klagen muß ich euch noch mehr: 
Was hab Ich unſelger Mann 
20 Dem König Gramoflanz gethan, 
Daß er wider mein Geſchlecht 
(Vielleicht bedenkt er es nicht recht) 
Mit Minne und mit Haß gebahrt? 
Ein jeder Koͤnig meiner Art 
25 Sollte meiner billig ſchonen. 
Will er's ihrem Bruder lohnen 
Mit Haß, daß er die Schweſter minnt? 
Wenn er ſich nur recht beſinnt, 
Wohl muß ſein Herz von Minne wanken, 
Nährt es ſolcherlei Gedanken.“ 


720 Der Kinde Eins zum Koͤnig ſprach: 
„Herr, was Euch zum Ungemach 
Iſt, davon ſoll meiner laßen: 
Es will ſich wenig für ihn paſſen. 

5 Doch kennt ihr wohl den alten Groll: 

Drum dünkt mich, daß er bleiben ſoll, 
Und heute nicht heruͤber ziehn. 
Noch zürnt die Herzogin auf ihn, 


312 


* 


XIV. Gramoflanz. 


Sie hat ihm ihre Huld verſagt, 

10 Ihn bei manchem Mann verklagt.“ 
„Mit wenig Leuten komm er doch,“ 
Sprach Artus. „Ich ſtift ihm heute noch 
Sühne für den alten Zorn 
Bei der Fuͤrſtin wohlgeborn; 

15 Und ſchaff ihm gut Geleit zuvor: 
Meiner Schweſter Sohn Beaukorps 
Harre ſein auf halbem Wege. 

Fährt er ſo in meiner Pflege, 
Darin darf er keine Schmach erblicken: 

20 Ich will ihm werthe Leute ſchicken.“ 


Mit Urlaub fuhren ſie hindann; 

Allein blieb Artus auf dem Plan. 
Bene mit den Junkerlein 
Ritt zu Roſchſabins hinein 

25 Und zu dem Heer, das draußen lag. 
Noch erlebte niemals liebern Tag 
Gramoflanz, da ihm bekannt 
Die Botſchaft ward. Sein Herz geſtand, 
Selig müß es dieſe Stunde 
Preiſen, da ihm kam die Kunde. 


721 Er ſprach, er wollte gerne kommen. 


Geſellſchaft hatt er bald genommen: 
Seiner Landesfuͤrſten drei 
Geſellte ſich der Koͤnig bei. 

5 Sein Oheim wollt auch mit ihm ſein, 
Der König Brandelidelein. 
Ferner Bernaut de Riviers 

und Affinamus de Klitiers. 


XIV. Sramoflanz. 313 


Der Sechſe Jeder nahm ſich weiter 
10 Einen ſchicklichen Begleiter, 
Daß auf zwoͤlfe ſtieg die Zahl. 
Viel Junker wurden auch zumal, 
Und mancher Knecht, der Waffen trug, 
Auserkoren zu dem Zug. 


15 Wie die Herrn gekleidet ſei'n? 
In Pfellel, die viel lichten Schein 
Von des Goldes Schwere gaben. 
Des Königs Falkner ſah man traben 
Mit ihm zu der Vogeljagd. 

20 Nun hatt es Artus wohl bedacht: 
Beaukorps den ſchoͤnen Degen 
Sandt er halbwegs entgegen 
Dem König zum Geleite. 

Durch des Gefildes Breite 

25 Sah er ſich Bäume reihn und Sträaͤuche, 
Obs am Bach war oder Teiche: 

Da ritt der König beizend her, 
Doch um der Minne willen mehr. 
Nun empfieng ihn Beaukorps da, 
Daß ihm Freude dran geſchah. 


722 Mit Beaukorps als Geſinde 
Kamen mehr als fünfzig Kinde; 
Ihr Geſchlecht gab lichten Schein, 
Herzogen meiſt und Graͤfelein, 

5 Auch Koͤnigsſoͤhne drunter. 

Der Empfang ward munter 
Von den Kindern beiderſeits begangen: 
Man ſah ſie freundlich ſich umfangen. 


314 


XIV. Gramoflanz. 


Ein ſchöͤner Jüngling war Beaukorps. 


10 Da befrug der Koͤnig ſich zuvor: 
Bene ſagt' ihm Mare, 
Wer der klare Ritter waͤre. 
„Beaukorps iſt es, Lotens Sohn.“ 
Da dacht er: „Herz, du findeſt ſchon 
15 Auch Sie, die gleichen muß dem Degen, 
Der ſo minniglich mir kommt entgegen. 
Wahrlich, ſie iſt ſeine Schweſter, 
Die den Hut von Sinzeſter 
Mir mit dem Sperber hat geſchickt. 
20 Wenn mir Ihr Auge freundlich blickt, 
Alle irdſche Herrlichkeit, 
Und wär die Erde noch ſo breit, 
Ich nähme Sie dafür wohl an. 
Sie ſei mir treulich zugethan. 
25 Auf Ihre Gnade komm ich her; 
Getroͤſtet hat fie mich fo ſehr, 
Ich getraue, daß ſie an mir thut 
Was mir noch höher hebt den Muth.“ 
Ihres klaren Bruders Hand nahm ſeine; 
Die fand man auch in lichtem Scheine. 


723 Unterdeſſen hatt im Heer 


Artus mit dem König hehr 
Ausgeſoͤhnt die Herzogin. 
Der war erſetzender Gewinn 

5 Gekommen jetzt für Cidegaſt, 
Um den ſie Jenen lang gehaßt. 
Ihr Zürnen war erſtorben: 
Die bei Gawan erworben 


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XV. Gramoflanz. 315 


Manch zärtliches Umfangen, 
10 Ihr war der Zorn vergangen. 


Artus nahm, der Britte, 
Die klaren Frauen edler Sitte, 
So die Mägdelein als Frauen, 
Die da wonniglich zu ſchauen. 

15 Zu einem Zelte bracht er hundert 
Der fchönften, die man meiſt bewundert. 
Liebres konnte nichts geſchehn, 

Da ſie den Koͤnig ſollte ſehn, 
Itonjeén, die auch da ſaß. 

20 Ihre Freude kannte jetzt kein Maß; 
Doch zeigte ihrer Augen Schein, 
Daß ſie die Minne lehrte Pein. 


Schöner Ritter ſah man auch genug; 

Der werthe Parzival doch trug 

25 Den Preis davon vor allem Glanz. 
Vor die Schnüre ritt da Gramoflanz: 
In Gampfaſſaſch gewoben 
War ſein Rock und wohl zu loben: 
Er war auch reich durchwirkt mit Gold 
Und weit den Schimmer warf er hold. 


724 Ab ſaß er mit dem Heergeſinde. 
Koͤnig Gramoflanzens Kinde 
Sprangen zahlreich ihm voraus 
Und eilten in das luftge Haus. 

5 Die Kämmrer ließen ohne Säumen 
Eine weite Straße räumen 
Vor der Britten Koͤnigin. 


316 XIV. Sramoflany. 


Sein Oheim Brandelidelin 
Schritt vor dem Koͤnige daher: 

10 Mit Kuſs empfieng ihn Ginover; 
Auch den König ſelbſt empfieng ihr Kuſs. 
Bernaut und Affinamus 
Sollten auch den Kuſs empfahn. 

Zu Gramoflanz hub Artus an: 

15 „Eh ihr einen Stuhl gewinnt, 
Schauet, ob ihr Eine minnt 
Dieſer Fraun: die moͤgt ihr kuͤſſen: 
Wir gönnen euch, die Luſt zu büßen.“ 


Ihm verrieth wo ſeine Freundin ſaß 
20 Der Brief, den er im Felde las: 
Ihren Bruder hatt er dort geſehn, 
Die ihm, nun darf ſie's frei geſtehn, 
Geheim verliehn der Minne Glück. 
Da erkannte Gramoflanzens Blick 
25 Die Schöne, die ihm Minne trug. 
Da freute ſich ſein Herz genug. 
Artus hatt es eingeräumt, 
Daß ſie einander ungeſaͤumt 
Durften ohne Haß empfangen: 
Itonjen küſst' er Mund und Wangen. 


725 Der König Brandelidelin 
Setzte ſich zur Königin. 
Auch ſaß der Koͤnig Gramoflanz 
Bei Der, die oft den lichten Glanz 
5 Getrübt ſich hat mit Thraͤnen, 
Da ſie zwang der Liebe Sehnen. 
Will er dieß nicht an ihr rächen, 


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XIV. Gramoflanz - 317 


So muß er freundlich zu ihr ſprechen 
Und ihr Dienſt für Minne bieten. 
10 Wie ihr des Herzens Sinne riethen, 
Dankte fie ihm für fein Kommen. 
Sonſt ward ihr Sprechen nicht vernommen; 
Sie ſahn einander gerne. 
Wenn ich einſt reden lerne, 
15 So meld ich, was ſie ſprachen da, 
Jedes Nein und jedes Ja. 


Artus zu Brandelidelein 
Begann: „Ihr habt der Frauen mein 
Schoͤnes nun genug geſagt.“ 

20 Darauf dem Degen unverzagt 
Winkt' er in ein kleines Zelt, 
Kurzen Weg übers Feld. 
Gramoflanz blieb ſtille 
Sitzen (das war Artus Wille) 

25 Mit allen den Geſellen ſein. 

Da gaben Frauen klaren Schein, 
Was wohl die Ritter nicht verdroß. 
Ihre Kurzweil war ſo groß, 

Wohl litte ſie ein Mann noch heute, 
Der ſich nach Sorgen gerne freute. 


726 Der Schenke vor die Köngin trug 
Das Trinken. Tranken ſie genug, 
So wars den Rittern und den Frauen 
Wohl am Roth der Wangen anzuſchauen. 
5 Zu trinken trug man auch hinein 
Artus und Brandelidelein. 
Da der Schenke wieder gieng 
Herr Artus an zu reden fieng: 


318 


XIV. Gramoflanz. 


„Herr König, ſetzt, es hätte ſchon 
10 Der König, eurer Schweſter Sohn, 
Meiner Schweſter Sohn erſchlagen: 
Wollt er alsdann noch Minne tragen 
Meiner Nichte, jener Magd, 
Die ihm dort ihr Leid noch klagt, 
15 Wo wir ſie ließen minnen — 
Wär Sie bei klugen Sinnen, 
Sie würd ihm nimmer wieder hold, 
Und ertheilt' ihm ihres Haßes Sold, 
Daß es den König wohl verdröße 
20 Wenn er gern noch ihrer Huld genöße. 
Wo Haß die Liebe unterbricht 
Wird treuer Herzen Wunſch zunicht.“ 


Da ſprach der König von Punturtois 

Zu Artus dem Bretanois: 

25 „Herr, beide ſind ſie unſre Neffen, 
Die ſich im Kampfe wollen treffen: 
Drum laßen Wir ihn nicht geſchehn. 
Nichts Andres mag daraus entſtehn, 
Als daß ſie zwei ſich minnen 
Mit Herzen und mit Sinnen. 


727 Itonje, eure Nichte ſoll 


Meinem Neffen bei ihrem Groll 
Gebieten, daß er dem Kampf entſage 
Wenn er Minne zu ihr trage. 

5 So wird fürwahr der Kampf vermieden, 
Der Streit geſchlichtet ſein im Frieden. 
Nur ſorgt, daß von der Herzogin 
Meinem Neffen wird verziehn.“ 


XIV. Gramoflanz. 


Artus ſprach: „Das that ich ſchon. 

10 Gawan, meiner Schweſter Sohn, 

Hat wohl ſo viel Gewalt bei ihr, 

Daß ſie Ihm zu Lieb und Mir 

Dem König ſeine Schuld verzeiht. 

Verſühnt Ihr andrerſeits den Streit.“ 
15 „Es ſei,“ ſprach Brandelidelein. 

Sie traten beide wieder ein. 


Sich ſetzte Der von Punturtois 
Zu Ginover; die war kurtois. 
Dort ſaß Parzival bei ihr: 

20 Der trug noch ſolcher Schönheit Zier, 
Daß ſchöͤnern Mann kein Aug noch ſah. 
Von hinnen hob ſich Artus da 
Zu ſeinem Neffen Gawan. 

Dem war zu wißen ſchon gethan, 

25 Roi Gramoflanz wär angekommen. 

Artus, wurde jetzt vernommen, 
Halte draußen vor dem Zelt: 
Ihm entgegen ſprang er auf das Feld. 


Die beiden brachtens nun dahin, 
Daß Sühne gab die Herzogin; 

728 Doch anders nicht, als wenn Gawan, 
Ihr Freund und vielgeliebter Mann, 
Dem Kampf entſage Ihr zu Ehren: 
So wolle Sühne ſie gewähren; 

5 Und wenn der König ſeiner Klage, 
Der angemaßten, ganz entſage, 
Wider ihren Schwäher Lot: 

Das war es was ſie ihm entbot. 


319 


320 


XIV. Gramoflanz. 


Dieſe Märe bracht ihm dann 
10 Artus, der weiſe höffhe Mann. 
Da muſte Koͤnig Gramoflanz 
Wohl verſchmerzen ſeinen Kranz. 
Sein alter Haß auch gegen 
Koͤnig Lot von Norwegen, 
15 Der zergieng wie in der Sonne Schnee 
Um die klare Itonjé 
Lauterlich ohn allen Haß. 
Das geſchah, indem er bei ihr ſaß: 
Er bewilligte was Sie ihn bat. 
20 Nun ſeht, wie dort Herr Gawan naht 
Mit herrlichen Leuten. 
Ich koͤnnt euch nicht bedeuten 
Wie ſie all genannt ſind und wo dannen. 
Da muſte Lieb Leid verbannen. 


25 Orgeluſe die Fiere 
Und ihre kühnen Soldiere, 
Dazu auch Klinſchors Degen 
Zum Theil, nicht alle ſind zugegen), 
Sah man mit Gawanen kommen. 
Artuſens Zelte ward genommen 


729 Der Lufthelm von dem Hute. 


Arniv auch kam, die gute, 
Sangiv und Kondrié zum Schluß: 
Gebeten hatte ſie Artus 

5 Bei dieſer Sühne zu ſein. 

Wen Solches unwerth duͤnkt und klein, 
Der größe was er meint von Werthe. 
Jofreit, Gawans Gefährte, 

Führte die ſchöne Herzogin 


XIV. Gra moflanz. 321 

10 An ſeiner Hand zum Zelte hin. 

Doch ſah man ſie die Zucht Sn: 

Die drei Königinnen 

Ließ fie vor ſich gehn hinein. 

Die küſste Brandelidelein; 
15 Seinen Kuſs auch Orgeluſ empfieng. 

Des Sühnekuſſes willen gieng 

Ihr auch Gramoflanz entgegen, 

Wo ihr ſüßer rother Mund den Degen 

Zum Pfande der Verſöhnung kuüͤſste, 
20 Wie ſehr auch Weinens ſie gelüſte. 

Sie dacht an Cidegaſtens Tod. 

Da zwang zu weiblicher Noth 

Sie die Trauer um den Degen gut: 

Daran erkennt getreuen Muth. 


25 Zwiſchen Gawan und Gramoflanz 
Macht’ auch ein Kuſs die Sühne ganz. 
Artus gab Itonjé 
Gramoflanzen dann zur Eh; 

Er hatte lang gedient der Schönen. 
Da das geſchah, das freute Benen. 
730 Den auch die Minne lehrte Pein, 

Dem Herzogen von Gowerzein, 
Liſchois, ward Kondrié gegeben: 
Alle Freude fehlte ſeinem Leben 

5 Eh er ihre Minne empfand. 
Dem Tuͤrkowiten Florand 8 . 
Zur Eh Sangiven Artus bot, | 
Die vermält einft war dem König Lot. 
Wie der Fürft fie gerne nahm! 

10 Solcher Gab iſt Minne niemals gram. 


Parzival und Titurel. II. 21 


322 XIV. Gramoflanz. 


Freigebig war Artus mit Frauen, 
Gern ließ er ſolche Gabe ſchauen. 
Das geſchah mit Rath und Wohlbedacht. 
Da dieß Alles war vollbracht, 
15 Da geſtand die Herzogin, 
Daß Gawan mit kühnem Sinn 
Ihre Minne hätt errungen, 
Ihr Herz, ihr Land bezwungen 
Und beider Herr nun wäre. 
20 Ihren Söldnern war das ſchlimme Mare, 
Die ſie ſeit Jahren manchen Spieß 
Um ihre Minne brechen ließ. 


Gawan, und die da mit ihm ziehn, 
Arnive und die Herzogin 
25 Und viel der Frauen wohlgethan, 
Auch Parzival der kühne Mann, 
Sangive dann und Kondrie 
Nahmen Urlaub: Itonjé 
Verblieb allein bei Artus dort. 
Nun ſagt nicht, daß an anderm Ort 
731 Schönre Hochzeit je geſchah. 
In die Pflege nahm die Koͤngin da 
Itonjé und ihr Gemal, 
Den werthen König, der manchesmal 
5 Den Preis mit Ritterſchaft errang, 
Als ihn Itonjens Minne zwang. 
Der Herberg ritt da Mancher zu, 
Dem hohe Minne nahm die Ruh. 
Wie ſie zu Nacht gegeßen, 
10 Das darf ich wohl vergeßen: 


XIV. Gramoflanz. 


Wer da auf Minne war bedacht, 
Der zog dem Tage vor die Nacht. 


Da erbot der Koͤnig Gramoflanz 

(Sein Stolz erwünſchte hoͤchſten Glanz) 
15 Zu Roſchſabins den Seinigen, 

Sie ſollten es beſchleunigen, 

Das Gezelt abbrechen bei dem Meer 

Und vor Tag noch kommen mit dem Heer; 

„Und daß mein Marſchall auf dem Plan 
20 Raum nehme, der es faßen kann. 

Mir ſorgt fuͤr hohen Staat mit Fleiß, 

Jeglichem Fürften eignen Kreiß.“ 

Der König ſann auf theure Pracht. 

Da die Boten fuhren war es Nacht. 


25 Da war auch mancher traurge Mann, 
Dem hattens Frauen angethan: 
Wem ſein Dienſt ins Leere ſchwindet, 
Daß er nie Erhoͤrung findet, 
Der muß in Sorgen leben 
Bis ein Weib will Hülfe geben. 
732 Da gedachte wieder Parzival 
An ſein wonniglich Gemal, 
Ihre füße Keuſche ſchuf ihm Noth. 
Ob er niemals Andern Dienſte bot, 
5 Und mit unftdtem Sinne 
Warb um fremde Minne? 
Solch Minnen wird von ihm geſpart. 
Die Treue hielt ihm ſo bewahrt 
Sein mannlich Herz und auch den Leib, 
10 Daß wahrlich nie ein ander Weib 


323 


324 XIV. Gramoflanz. 


Seine Minne nahm dahin 

Als allein die Königin 
Kondwiramur, 

Der ſchönſte Flor der Minneflur. 


15 Er gedachte: „Seit ich minnen kann, 

Wie hat die Minne mir gethan? 
Aus Minne ward ich doch geboren: 
Wie hab ich Minne ſo verloren? 

Soll ich nach dem Grale ringen, 

20 So muß mich immer Sehnſucht zwingen, 
Daß mich Ihr keuſcher Arm umfange, 
Von der ich ſchied, es iſt zu lange! 

Soll mein Auge Freude ſehn 

Und Jammer doch mein Herz durchwehn, 
25 Die Dinge ſehn ſich wenig gleich. 

Leider hohen Muthes reich 

Wird Niemand durch Verzichten. 

Mag mich das Glück berichten 

Was für mich das Beſte ſei.“ 

Sein Harniſch lag ihm nahe bei. 


733 Er dachte: „Da ſich Mir entzieht 

Was allen Glücklichen blüht, 
Ich meine die Minne, 
Die manches Traurgen Sinne 

5 Froͤhlich macht und freudenreich, 
Da dieß mein Looß, ſo gilt mir gleich 
Alles andern Leids Beſchwerde. 
Gott will nicht, daß mir Freude werde. 
Die mir zur Minne zwingt die Sinne, 

10 Stünd es ſo um unſre Minne, 


- — — 


XIV. Gramoflanz. 


Daß ſich ein Scheiden ließe denken, 

Uns je ein Zweifel koͤnnte kränken, 

Wohl moͤcht ich andre Minne finden; 

Doch Unſrer Minne muß verſchwinden 
15 Andre Minne, fremde Luſt: 

Drum flieht der Harm nie meine Bruſt. 

Das Glück mag Allen Freude geben, 

Die nach eitler Freude ſtreben. 

Gott ſchenke Freud all dieſen Scharen: 
20 Ich will aus dieſen Freuden fahren.“ 


Hin griff er, wo die Rüſtung lag, 
Der ſich allein wohl rüſten mag, 
Und wappnete ſich bald darein. 
Nun will er ſuchen neue Pein. 
25 Da der freudenflüchtge Mann 
Seinen Harniſch angethan, 
Das Roſs allein auch ſattelt' er; 
Bereit ſchon ſtand ihm Schild und Sper. 
Am Morgen hörte mans beklagen. 
Er ſchied, als es begann zu tagen. 


2 


XV. 
Feireſiß. 


Inhalt. 


Parzival begegnet einem heidniſchen Ritter, der mit fünfundzwanzig 
Heerſcharen von verſchiedenen Sprachen über Meer gekommen war und in der 
Nähe geankert hatte. Sie rennen ſich an und der Heide erſtaunt, als ihm 
Parzival den Sattel nicht räumt. Thasme und Thabronit find feine Loſungs⸗ 
worte, und der Gedanke an Sekundillen leiht ihm ſolche Kraft, daß Parzival 
im Schwertkampf vor ihm auf ein Knie ſinkt. Doch jetzt gedenkt auch dieſer, 
der ſeit der Begegnung mit Trevrezent Gott vertraute, an Kondwiramur, 
wählt Pelrapär zum Feldruſe und ſchlägt den Heiden, daß er auf die Kniee 
ſtürzt, Ithers Schwert aber auf ſeinem Helme zerbricht, wodurch Parzival 
wehrlos iſt. Der Heide benutzt aus Großmuth dieſen Vortheil nicht, ſondern 
fragt den Gegner um feinen Namen, giebt ſich zuerſt als Feirefiß Anſchewein 
zu erkennen und wirft ſein Schwert hinweg. Nach Ekubas Beſchreibung er⸗ 
kennt Parzival den Bruder an der Elſternfarbe ſeiner Haut, will ihn aber 
nicht dutzen, weil jener älter und reicher iſt. Feirefiß war nach dem Abend⸗ 
lande gezogen, um feinen Vater Gahmuret aufzufuchen, deſſen Tod er erſt 
durch Parzival erfährt. Mit dieſem reitet er zu Artus, der durch die Spiegel⸗ 
ſäule ſchon von dem Zweikampf vernommen und auf Parzival gerathen hat. 
Sie ſteigen in Gawans Gezelt ab, der ſie entwappnen und das Mal bereiten 
läßt. Nach Tiſche kommt Artus hinzu, den Gaſt zu begrüßen. Er läßt ſich 
erſt von Feirefiß, dann auch von Parzival die Namen der Graſen, Herzoge 
und Könige nennen, die fie bezwungen haben. Auf Gawans Befehl wird die 
prächtige Rüſtung des Heiden hereingetragen und allgemein bewundert. Artus 
beſchließt auf den nächſten Tag ein Feſt an der Tafelrunde, um Feirefiß 
in den Bund aufzunehmen. Ueber dem Mal bringt Kondrie la Sorziere 
die Botſchaft, daß Parzival zum König des Grals ernannt ſei, fein Sohn 
Loherangrein ihm in dieſer Würde folgen und Kardeiß ſeine weltlichen Kronen 
erben ſolle. Nur Ein Mann dürſe ihn nach Monſalväſch begleiten, wozu 
Parzival feinen Bruder Feirefiß wählt. Ehe fie Kondrien dahin ſolgen, ſchickt 
der Heide nach den Schiffen, um Geſchenke für alle verſammelten Fürſten und 
Frauen herbeizuholen. 


734 Es hat der Leute viel verdroßen, 
Denen dieſe Märe war verſchloßen; 
Die konnte Mancher nie erfahren. 
Nun will ich das nicht länger ſparen, 

5 Ich thu euch kund die rechte Sage, 
Da ich ihn im Munde trage, 
Den Schlußſtein dieſer Abenteuer, 
Wie der ſüße Held geheuer, 
Anfortas wieder ward geſund. 

10 Uns thut die Aventure kund, 
Wie von Pelrapär die Königin 
Den keuſchen weiblichen Sinn 
Behielt bis ihr zum Lohne 
Ward die höchfte Erdenkrone. 

15 Die foll ihr Parzival erwerben, 
Mir müſte denn die Kunſt verderben. 


Noch ſcharfen Kampfs erſt muß er pflegen: 
Was er bisher gekämpft, hiergegen 
Hieß Alles nur mit Kindern ſtreiten. 
20 Dürft ich dieſen Kampf beſeiten, 
Meinen Helden wollt ich ungern wagen; 
Ich würd ihn willig ledig ſagen. 
Seinem Herzen will ich denn befehlen 
Sein Gluͤck, ſo kann es ihm nicht fehlen! 
25 Da iſt Milde bei Verwogenheit. 
Niemals zagt' es ihm im Streit: 


332 Xv. Feirefiß. 


Das mög ihm Stärke geben, 

Daß er behält das Leben. 

Denn nun kommt es an die Zeit, 

Ihn beſteht ein Fuͤrſt ob allem Streit 
735 Auf ſeiner unverzagten Reiſe. 

Dieſer Höfifhe und Weiſe 

War ein heidniſcher Mann, 

Der die Taufe nie gewann. 


5 Parzival ritt balde 

Vor einem großen Walde 

Auf wuͤſt gelichteten Wegen 

Einem reichen Gaſt entgegen. 

Ein Wunder, wenn ich armer Mann 
10 Den Reichthum euch vermelden kann, 


Den der Heid an feiner Rüſtung trug. 


Sag ich davon mehr als genug, 
Doch muß ich mehr davon erzählen, 
Will ich das Meiſte nicht verhehlen. 
15 Wie großen Zins Artuſens Hand 
Bretagne zollt und Engelland, 
Damit bezahlt’ er nicht die Steine, 
Die edeln, die mit lichtem Scheine 
Der Held auf ſeinem Rüſtkleid trug. 
20 Koͤſtlich war es ſonder Trug. 
Rubinen, Chalcedonen 
Mochte der Blick gewohnen: 
Der Wappenrock gab lichten Schein. 
Im Berge zu Agremontein 
25 Hatten Salamander 
Ihn gewirkt miteinander 
In des heißen Feuers Brand. 


XV. Feirefik. 333 


Edelſteine bis zum Rand 
Lagen dunkel drauf und licht; 
Ihre Art benennen kann ich nicht. 


736 Auf Minne ſtand des Helden Sinn 
Und auf hohen Ruhms Gewinn. 
Das Meiſte ſchenkt' ihm auch ein Weib, 
Womit der Heide ſeinen Leib 

5 Alſo koͤſtlich hat geſchmückt. 
Daß ihn der Minne Gunſt beglückt, 
Das lieh ihm Kraft und hohen Muth, 
Wie ſtäts ſie Liebenden thut. 
Auch trug er als des Preiſes Lohn 

10 Auf dem Helmſchmuck ein Ecidemon. 
Alle giftigen Schlangen 
Sieht man vor dem Thierlein bangen: 
Ihr Leben muß verſiechen 
Wenn ſie's von Weitem riechen. 

15 Thopediſſimonte 
Und Aſſigarzionte, 
Thasme und Arabia 
Entbehren Pfellel, wie man ſah 
An ſeines Pferdes Decke. 

20 Der ungetaufte Recke 
Warb um den Lohn der Frauen, 
Drum war er ſchmuck zu ſchauen. 
Sein hoher Sinn wars, der ihn zwang, 
Daß er nach edler Minne rang. 


25 Der kühne Knabe, den wir trafen, 
Hatt in einem wilden Hafen 
Bei dem Wald geankert auf dem Meere. 


334 Xv. Zeirefip. 


Er hatte fuͤnfundzwanzig Heere, 

Keins kann das andere verſtehn: 

Wie weit muß ſeine Herrſchaft gehn! 
737 So groß auch iſt der Lander Zahl, 

Die ihm dienen allzumal 

Mohren, Sarazenen meiſt, 

Deren Haut in manchen Farben gleiſst. 

5 In ſeinem weitgeſammelten Heer 
Sah man viel wunderliche Wehr. 


Allein auf Abenteur hindann 
Von ſeinem Heer ritt dieſer Mann, 
Im grünen Wald ſich umzuſchaun. 
10 Da ſie ſich ſelber ſo vertraun, 
Laß ich die Könge reiten, 
Sich Preis allein erſtreiten. 
Zwar Parzival ritt nicht allein, 
Denn mit ihm waren im Verein 
15 Er ſelbſt und auch ſein hoher Muth, 
Der feine Wehr fo mannlich thut, 
Daß es die Frauen müßen loben, 
Sie wollten freveln denn und toben. 


Hier rennen aufeinander blind, 

20 Die an Demuth Lämmer ſind 
Und Löwen an Verwogenheit. 
O weh, die Erd iſt doch ſo breit, 
Daß ſie ſich wohl vermeiden mochten, 
Die hier ohne Feindſchaft fochten. 

25 Für meinen Helden muß ich bangen; 
Doch iſt ein Troſt mir aufgegangen: 
Ihm wird des Grales Kraft wohl nützen; 


— . —Uj—ñ— . — 


* — — — En a El — 4 ö—L—— 


XV. Feirefiſ. 335 


So ſollt ihn auch die Minne ſchuͤtzen: 
Den beiden war er dienſtergeben 
Ohne Wandel all ſein Leben. 


738 Meine Kunſt verleiht mir nicht den Sinn, 

Daß ich dieſen Kampf von Anbeginn 
Recht zu beſchreiben tauge. 
Ein Schimmer fiel in Beider Auge, 

5 Daß es den Andern kommen ſah. 
Wie lieb Jedwedem dran geſchah, 
Nicht fern iſt doch das Leid fürwahr 
Den Laukern, aller Trübe bar: 
Sie hatten Herz und Blut gemein; 

10 Sie ſind ſich kund, wie fremd ſie ſei'n! 


Nun kann ich dieſen Heiden 
Von dem Getauften nicht mehr ſcheiden; 
Die Zwei erweiſen ſich nun Haß. 
Ihnen Freude neigen ſollte das, 
15 Die zu guter Frauen Zahl gehören, 
Denn Ihren Fraun geſchahs zu Ehren, 
Daß die Bruſt dem Feind Jedweder bot. 
Schied' es das Gluck nur ohne Tod! 
* 
Todt wird der Leu zur Welt gebracht, 
20 Bis er von des Vaters Ruf erwacht. 
So leben Die vom Schäftekrachen, 
Die in der Tjoſt zum Preis erwachen. 
Sie koͤnnen wohl ſich Tjoſt gewähren, 
Einen Wald verthun von Speren. 
25 Den Zügel kuͤrzend mit Bedacht 
Rennen ſie und haben Acht, 


336 Xv. Feirefiß. 


Indem ſie tioſtieren, 
Daß ſie den Zielpunkt nicht verlieren. 
Da ward genau gemeßen, 
Da wurde feſt geſeßen, 
739 Alles wohl zur Tjoſt geſchickt, 
Die Roſſe mit dem Sporn gezwickt. 


Dieſe Tjoſt ward ſo geritten, 

Daß ſie die Koller ſich verſchnitten 

5 Mit ſtarkem Sper, der ſich nicht bog, 
Und mancher Splitter aufwärts flog. 
Den Heiden faßte Zorn und Haͤß, 
Daß Jener noch im Sattel ſaß: 
Ihm war noch Keiner feſt geſeßen 

10 Mit dem er ſich im Kampf gemeßen. 
Ob ſie nicht Schwerter fuͤhrten, 
Als ſie ſich ſo nah berührten? 
Ja doch, mit Klingen ſcharf und breit 
Ihre Kunſt und Mannheit 

15 Moͤgen ſie erweiſen hier. 
Ecidemon dem Thier 
Wurden Wunden viel gefchlagen; 
Der Helm darunter muſt es klagen. 
Den Roſſen ward vor Müde heiß: 

20 Sie verſuchten manchen neuen Kreiß, 
Bis ſie vom Roſs nun ſpringen; 
Da ſauſten erſt die Klingen. 


Dem Getauften thät der Heide weh. 
Sein Feldgeſchrei war Thasme; 
25 Und wenn er ausrief Thabronit, 
So that er vorwärts einen Schritt. 


— 


— 


XV. Feirefiſt. 


Hier zeigt auch wie er wehrhaft iſt 
Bei manchem Ausfall der Chriſt, 
Den ſie aufeinander thaten. 

Man ſah den Zweikampf ſo gerathen, 
740 Ich kann mirs länger nicht verſagen, 
Schmerzlich muß ich es beklagen, 

Daß Ein Fleiſch und Ein Blut 
Sich ſo viel zu Leide thut, 

5 Die man als Geſchwiſter kennt, 
Lautrer Treue Fundament. 


Dem- Heiden gab die Minne 
Im Kampfe Kraft und Sinne. 
Er rang nach Preis um Ihretwillen, 
10 Der Köngin Sekundillen, 
Die das Land Tribalibot 
Ihm gab: ſie war ſein Schild in Noth. 
Der Heide nahm an Kräften zu: 
Was wollt ihr, daß der Chriſt nun thu? 
15 Auf Minne richt er die Gedanken: 
Die läßt im Kampf ihn nimmer wanken. 
Sonſt muß ein bittres Sterben 
Ihm des Heiden Kampf erwerben. 
Du hehrer Gral, das wende Du, 
20 Kondwiramur, das gieb nicht zu: 
Hier ſeht ihr euern Dienſtmann 
In der gröften Noth, die er je gewann. 


Hoch wirft der Heid empor das Schwert, 
Seiner Schläge Mancher niederfährt, 
25 Schon ſinkt ihm Parzival aufs Knie. 
Man ſagt mit Recht, ſo ſtritten ſie, 


Parzival und Titurel. II. 22 


337 


338 XV. Feirefig. 


Wenn man als Zwei fie will betrachten, 
Die doch für Eins nur find zu achten. 
Ich und mein Bruder ſind Ein Leib 
Wie guter Mann und gutes Weib. 


741 Dem Getauften thät der Heide weh. 
Sein Schild beſtand aus Aspinde, 
Asbeſt, das weder fault noch brennt. 
Daß ſich ſeine Freundin nennt, 

5 Die den ihm gab, das glaubt gewiſs. 

Chryſopraſs und Türkiſs, 
Smaragd und Rubin, 
Und noch von andern Farben ſchien 
Manch edler Föftlicher Stein 

10 Um die Buckel rings in lichten Reihn. 
Auf dem Buckelhauſe ſtund 
Ein Stein, ſein Nam iſt mir wohl kund: 
Antrax ward er dort genannt, 
Als Karfunkel hier bekannt. 

15 Ihm hatt als Minneſchutz und Zier 
Ecidemon das reine Thier 
Zum Wappenbild ein Weib gegeben, 
In deren Gnad er wollte leben, 
Die Köngin Sekundille: 

20 Dieß Wappen war ihr Wille. 


Hier ſtritt der Treue Lauterkeit: 
Große Treue focht mit Treue Streit. 
Um Minne haben ſie ihr Leben 
Des Kampfs Entſcheidung Preis gegeben, 
25 Der ihnen Gottes Urtheil iſt. 
Wohl vertraute Gott der Chriſt, 


XV. Feireſiß. 339 


Seit er bei Trevrezent verweilt, 

Der ihm ſo herzlich Rath ertheilt, 
Er ſoll' auf deſſen Hülfe denken, 

Der in Sorgen Freude noͤge ſchenken. 


742 Stark war der Heide, der hier ſtritt: 

Wenn er ausrief Thabronit, 
Wo die Köngin Sekundille ſaß 
Vor dem Berge Kaukaſas, 

5 So ward ſein hoher Muth erneut 
Wider den, der nie bis heut 
Erlegen war vor Feindeshieben; 
Unſieg war ihm fremd geblieben. 
Er hatt ihn nie empfangen 

10 Und ließ ihn Manchen doch erlangen. 


Die Arme ſchwangen ſich mit Kunſt, 
Aus den Helmen lohte Feuersbrunſt, 
Von ihren Schwertern fuhr der Wind. 
Gott ſchütze Gahmuretens Kind! 
15 Dieſer Wunſch gilt ihnen beiden, 
Dem Getauften und dem Heiden: 
Denn ich rechne ſie für Einen. 
So würden ſie es ſelber meinen, 
Waren ſie ſich recht bekannt: 
20 Sie ſetzten nicht ſo viel zu Pfand, 
Denn nicht minder galt ihr Streit 
Als Ehre, Freude, Seligkeit. 
Wer auch hier den Preis gewinnt, 
Doch hat er, wenn er Treue minnt, 
25 Die Freude dieſer Welt verloren 
Und dauernd Herzeleid erkoren. 


340 XV. Feirefitz. 


Warum ſäumſt du, Parzival, 
Daß du an dein ſchoͤn Gemal 
Nicht denkſt, die dir ſo treu ergeben, 
So du behalten willſt dein Leben? 
743 Dem Heiden ſind zwei Dinge nütze, 

Die waren ſeine ſtaͤrkſte Stütze: 
Erſtlich, daß er Minne pflegt, 
Die ſein Herz mit Stäte hegt; 

5 Zum andern führt’ er Steine 
Von edler Art und lichtem Scheine, 
Die ſeine Kräfte mehrten, 
Ihn Hochgemüthe lehrten. 
Mir iſt leid, daß der Getaufte 

10 Sich Müde ſchon im Streit erkaufte: 
Seinen Schlägen iſt die Kraft benommen. 
Wenn ihm nun nicht zu Hülfe kommen 
Kondwiramur noch der Gral, 
Wehrlicher Parzival, 

15 So moͤge denn der Wunſch dich laben, 
Daß die klaren ſuͤßen Knaben 
Nicht fo früh verwaiſet ſei'n, 
Kardeiß und Loherangrein, 
Die ſein Gemal empfangen hatte 

20 In der Nacht, da von ihr ſchied der Gatte. 
Kinder, keuſcher Eh entblüht, 
Wohl laben die des Manns Gemuͤth. 


Neue Kraft gewann der Chriſt. 
Er dachte (noch zu rechter Friſt) 
25 An die Koͤngin ſein Gemal, 
Wie er ihre Minne dazumal 
Sich im Schwerterſpiel errang, 


XV. Feirefiß . 341 


Als von Schlägen Feur aus Helmen ſprang 
Vor Pelrapaͤr mit Klamide. 
Thabronit und Thasme, 
744 Denen war ein Gegenruf erſonnen: 
Nun hat es Parzival begonnen 
Mit dem Feldruf Pelrapaͤr. 
Ueber vier Königreiche her 

5 Kommt jetzt Kondwiramur, dem Degen 

Der Minne Kräfte beizulegen. 
Wohl ſprangen da, ich wähne, 
Von des Heiden Schilde Spähne 

Mehr als hundert Marken werth. 

10 Von Gahevieß das ſtarke Schwert 
Brach auf des Heiden Helm ein Schlag, 
Daß vor ihm auf den Knieen lag 
Der reiche kühne Gaſt ermattet. 

Gott hatt es länger nicht geſtattet, 

15 Daß Parzival das Schwert noch führte, 
Das ihm zu rauben nicht gebührte; 
Itheren, der es vor ihm trug, 

Nahm ers aus Einfalt, wider Fug. 
Den nie zuvor ein Schwert gefällt, 

20 Schnell auf die Füße ſprang der Held. 
Noch iſt ihr Zweikampf unzergangen: 
Ihr Urtheil ſollen ſie empfangen 
Noch von des Allerhoͤchſten Händen: 
Möge Der ihr Sterben wenden! 


25 Der kühne Fürſt der Heiden 
Sprach da beſcheiden 
Auf franzoͤſiſch, das er wohl verſtund, 
Aus ſeinem heidniſchen Mund: 


342 Xv. Feirefip. 


„Wohl feh ich, wehrlicher Mann, 
Dein Streit würd ohne Schwert gethan: 
745 Wie erwürb ich dann wohl Preis an dir? 

Stehe ſtill und ſage mir 
Wer du ſeiſt, wehrlicher Held. 
Fürwahr, du hätteſt mich gefällt 

5 Und mir den alten Preis entrungen, 
Wär dir nicht dein Schwert zerſprungen. 
Ein Friede gelt uns beiden nun, 
Daß wir uns die Glieder ruhn.“ 
Sie ſetzten nieder ſich aufs Gras. 

10 Jedweder Kraft und Zucht beſaß, 
Die auch zum Kampf nicht waren 
Zu jung, zu alt an Jahren. 


Zum Getauften ſprach der Heide da: 

„Glaube, werther Held, ich ſah 

15 Nie im Leben, daß ein Mann 
Würdger war, dem Preis zu nahn, 
Den man im Streite ſoll erjagen. 
Held, nun geruhe mir zu ſagen 
Deinen Namen, dein Geſchlecht: 

20 So freut mich meine Fahrt erſt recht.“ 
Herzeleidens Sohn verſetzt: 
„Nennt' ich die aus Furcht dir jetzt? 
Das darfſt du nicht von mir begehren: 
Gezwungen werd ich nichts gewähren.“ 

25 Doch von Thasme ſprach der Heide: 
„Ich will zuerſt dir nennen beide; 
Sei immerhin die Schande mein. 
Ich bin Feirefiß Anſchewein 


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XV. Feirefiß. 343 


Und wohl fo reich, daß meiner Hand 
Zinsbar dienet manches Land.“ 


746 Als dieſe Rede geſchah, 
Zu dem Heiden ſprach der Waleis da: 
„Woher ſeid ihr ein Anſchewein? 
Anſchau heißt das Erbe mein, 

5 Mein iſts mit Burgen, Land und Städten. 
Darum ſeid, Herr, von mir gebeten, 
Euch andern Namen zu erküren. 
Sollt ich mein Land verlieren 
Und die werthe Stadt Bealzenan, 

10 Das hieße mir Gewalt gethan. 

Iſt Einer hier ein Anſchewein, 
Von Geburt ſollt Ich es ſein. 
Doch ward mir für gewiſs geſagt, 
Es wohn ein Degen unverzagt 

15 Fern dort in der Heidenſchaft, 

Der ſtäts mit ritterlicher Kraft 

Gewonnen habe Preis und Minne 
Und allewege noch gewinne. 

Der iſt zum Bruder mir geboren 
20 Und dort zum höchften Preis erkoren.“ 


Parzival fährt fort und ſpricht: 
„Herr, euer Angeſicht 
Ließet ihr mich das erſchauen, 
So wollt ich euch vertrauen 
25 Wie mir ſeins beſchrieben iſt. 
Wenn es, Herr, euch nicht verdrießt, 
So entblößer euer Haupt. 
Euch verſchont derweil, das glaubt, 


314 Xv. Feirefiß. 


Meine Hand mit allem Streit, 
Bis ihr aufs Neu gehelmet ſeid.“ 


747 Da ſprach der heidniſche Mann: 
„Wenig ficht dein Streit mich an. 
Und waͤr ich nakt, ich hab ein Schwert: 
Der Unſieg waͤr dir doch gewährt, 
5 Da Dein Schwert zerbrochen iſt. 
Weder Kühnheit, Kunſt noch Liſt 
Kann dich vor dem Tod bewahren, 
Will ich nicht ſelbſt dein Leben ſparen. 
Wollteſt du mit mir ringen, 
10 Mein Schwert ließ' ich klingen 
Dir durch Eiſen, Bein und Mark.“ 
Dieſer Heide ſchnell und ſtark, 
Edle Sitte zeigt er hier: 
„Dieß Schwert ſei weder Dir noch Mir.“ 
15 Der kühne Degen warfs alsbald 
Ferne von ſich in den Wald. 
Er ſprach: „Nun iſt auf beiden Seiten 
Gleich die Gefahr, wenn wir noch ſtreiten.“ 


Der reiche Feirefiß begann: 
20 „Held, bei deiner Zucht, ſag an, 
Da dir ein Bruder leben ſoll, 
Wie ſieht der aus? du weiſt es wohl. 
Beſchreibe mir ſein Angeſicht; 
Seine Farbe hehlte man dir nicht.“ 
25 Da ſprach Den Herzeleid gebar: 
„Wie beſchrieben Pergament fürwahr, 
Schwarz und weiß dort und hier; 
Ekuba beſchrieb ihn mir.“ 


XV. Jeirefik. 


„Der bin Ich,“ verfeßt der Heide. 


Nicht lange ſäumten ſie da beide, 
748 Feireſiß und Parzival, 
Von Helm und Haͤrſenier zumal 
Entbloͤßten ſie ſich gleich zur Stund. 
Parzival fand lieben Fund, N 
5 Den liebſten, den er jemals fand. 
Den Heiden hatt er bald erkannt: 
Sein Antlitz zeigte Elſternfarben. 
Haß und Groll im Kufs erſtarben 
Dem Getauften und dem Heiden. 
10 Freundſchaft ziemt' auch beßer Beiden 
Denn ihnen ſtünde Haß und Neid. 
Treu und Liebe ſchied den Streit. 


Mit Freuden ſprach der Heide da: 
„O wohl mir, daß ich dich erſah, 

15 Sohn Gahmurets, des werthen Degen! 
Dank meinen Göttern allerwegen! 
Meiner Göttin Juno 
Preis und Dank, Sie fügt' es fo! 
Mein ſtarker Gott Jupiter 

20 Von Ihm kommt dieſes Heil mir her. 
Götter all und Goͤttinnen, 

Eure Stärke will ich immer minnen! 
Hochgeprieſen ſei der Stern, 
Bei deſſen Schein hieher ſo fern 

25 Meine Reiſe ward gethan 
Zu dir, du ſchrecklich ſüßer Mann, 
Die mich durch deine Kraft gereute. 
Heil der Luft, dem Thau, der heute 


345 


346 XV. Feirefip. 


Niederfiel und kühlte mich! 
Minneſchlüßel wonniglich! 

749 Dem Weibe Wohl, die dich ſoll ſehn: 
Wie iſt Der ſchon ein Heil geſchehn!“ 


„Ihr ſprechet wohl: ohn allen Haß 
Spräch ich gern beßer, könnt ich das. 
5 Doch bin ich leider nicht fo weif, 
Daß ich eurer Würde Preis 
Mit Worten noch erhöhen könnte: 
Gott weiß, wie gern ichs euch vergoͤnnte! 
Was Herz und Auge nur vermag, 
10 Sie ſprechen euerm Preiſe nach: 
Eur Preis ſpricht vor, nach ſprechen ſie. 
Von Rittershand geſchah mir nie 
So große Noth, gar wohl ichs weiß, 


Als von euch,“ ſprach Der von Kanvoleiß. 


15 Der reiche Feirefiß ſprach mehr: 
„Fleiß und Kunſt hat Jupiter 
Werther Held, verwandt auf dich. 
Nicht langer ihrzen ſollt ihr mich: 
Hatten wir doch Einen Vater.“ 

20 Mit bruͤderlicher Treue bat er, 
Daß er des Ihrzens ihn erließe 
Und von nun an Du ihn hieße. 
Die Rede war dem Waleis leid: 
„Bruder, eure Herrlichkeit 

25 Vergliche Der des Baruchs ſich; 
Aelter ſeid ihr auch als ich. 
Meine Jugend, meine Armut ſei 
Solcher Untugend frei, 


. . 4 „. 


XV. Feirefit. 347 


Daß ich Du zu euch ſpräche 
Und mich ſo der Zucht entbräche.“ 


750 Der von Tribalibot, 
Jupiter ſeinem Gott 
Gab er mit Worten manchen Preis; 
Hoch pries er auch in mancher Weif 
5 Seine Göttin Juno, 
Daß ſie das Wetter fügten ſo, 
Daß Er und ſein gewaltig Heer 
Sich zu Lande fanden aus dem Meer 
Und Ankergrund am Ufer nahmen, 
10 Wo ſie zu einander kamen. 


Sie ſetzten nieder ſich aufs Gras, 

Wo Jedweder nicht vergaß, 
Er bot dem Andern Ehre. 
Der Heide ſprach, der hehre: 

15 „In meine Heimat komm mit mir: 
Zwei reiche Länder geb ich dir, 
Die unſer Vater ſich erwarb, 
Als Eiſenhart, der König, ſtarb: 
Zaßamank und Aßagog. 

20 Seine Mannheit Niemand trog, 
Als da er mich verwaiſen ließ. 
Unverziehn von Mir iſt dieß 
Meinem Vater noch fürwahr. 
Sein Gemal, die mich gebar, 

25 Iſt vor Minneleid geſtorben, 
Da der Minne Glück ihr war verdorben. 
Ich fäh doch gerne dieſen Mann: 


348 xv. Zeirefip. 


Mir ift zu wißen gethan, 
Nie beßern Ritter ſah der Dften‘; 
Ihn zu finden ſpar ich keine Koſten.“ 


751 Parzival verſetzte da: 

„Ach, daß auch Ich ihn niemals ſah! 
Doch viel Gutes immerfort 
Hör ich von ihm an manchem Ort. 

5 Er verſtand es wohl, im Streit 
Zu mehren feine Wurdigkeit, 
Seinen Preis erhoͤhte jeder Strauß; 
Alle Schande wich ihm aus. 
Er war den Frauen unterthan, 

10 Und alle guten, die ihn ſahn, 
Lohntens ohne falſche Liſt. 

Daß es der Stolz der Chriſten iſt, 
So getreulich lebt' er vor den Heiden. 
Er wuſt' auch Andern zu verleiden 

15 Alle unedle That: 

Ihm gab fein ſtaͤtes Herz den Rath. 
So hört? ich es aus Aller Mund, 
Denen dieſer Mann war kund, 

Den ihr ſo gerne moͤchtet ſehn. 

20 Selbſt müfter ihr ihm zugeſtehn 
Den Preis, wenn er noch lebte, 
Der ſtäts den Preis erſtrebte. 

So warb er um der Frauen Lohn, 
Bis der König Ipomidon 

25 Kam und Lanzen mit ihm brach: 
Die Tjoſt geſchah zu Baldag. 

Da ward ſein würdigliches Leben 
Um Minne in den Tod gegeben. 


XV. Feirefiß. 349 


In rechter Tjoſt gieng uns verloren, 
Durch den wir beide ſind geboren.“ 

752 „O weh der ungeſtillten Noth,“ 
Sprach der Heide: „iſt mein Vater todt? 
So iſt die Freude mir zerronnen, 

Und hatte Freude kaum gewonnen! 
5 Ich hab in wenig Stunden 
Glück verloren, Glück gefunden. 
Es iſt die Wahrheit ſicherlich, 
Er, mein Vater, Du und Ich, 
Wir ſind nicht Dreie, wir ſind Eins 
10 Und Dreie nur kraft leeren Scheins. 
Wohl ſieht der weiſe Mann es ein, 
Sippe findet er allein 
Zwiſchen Vater nur und Kindern, 
Will er der Wahrheit Recht nicht mindern. 
15 Mit dir ſelber haſt du hier geſtritten, 
In den Kampf mit Mir kam ich geritten, 
Mich ſelber hätt ich gern erſchlagen. 
Du aber fchüßteft ohne Zagen 
Vor mir ſelber mich in Dir. 
20 Sieh Jupiter, dieß Wunder hier! 
Zu Hülfe kam uns deine Kraft 
Und Lö? uns aus des Todes Haft.“ 


Er lacht' und weinte ſtill für ſich. 
Thraͤnen überflüßiglich 
25 Enttraufelten dem Heiden; 
Ein Getaufter moͤcht es neiden. 
Denn die Taufe lehrt uns Treue, 
Da unſer Bund, der neue, 


* 


350 Xv. Feirefiß. 


Nach Chriſti Namen wird genannt 
Und man an Chriſto Treue fand. 

753 Der Heide ſprach, ich ſag euch wie: 
„Laßt uns nicht länger ſitzen hie. 
Reite mit mir an den Strand, 

So befehl ich, daß zu Land, 

5 Dich zu ſchauen, von dem Meer 

Sich begiebt das reichſte Heer, 
Dem Juno Fahrwind mochte leihn. 
Mit Wahrheit ohne falſchen Schein 
Zeig ich dir manchen werthen Mann, 

10 Der mir zu Dienſt iſt unterthan. 

Lieber Bruder folge mir.“ 
Der Waleis ſprach: „Und wäret ihr 
Wohl fo gewaltig eurer Leute, 
Daß ſie eurer harrten heute, 

15 Und ſo lang ihr ferne ſeid?“ 

Da ſprach der Heide: „Sonder Streit: 
Und blieb' ich aus ein halbes Jahr, 
Mein harrte Reich und Arm fürwahr; 
Keiner duͤrfte von dem Ort. 

20 Speiſe haben ſie an Bord 
Genug, kein Mangel ſicht ſie an. 

Von den Schiffen darf nicht Roſs noch Mann, 
Als ſie mit Waßer zu verſehn 
Und ſich am Strande zu ergehn.“ 


2⁵ Parzival zum Bruder ſprach: 
„Wohlan, ſo folget Mir denn nach 
Zu großer Pracht, Fraun wonneſam 
Und von euerm edeln Stamm 


Xv. Zeirefig. 351 


Manchem Ritter kurtois. 
Artus der Bretanois 
754 Liegt hier mit reichem Hofgelag 
(Ich verließ es erſt vor Tag), 
Mit großer minniglicher Schar: 
Da ſehn wir Frauen ſchoͤn und klar.“ 


5 Der Heid, als er von Fraun vernahm 
(Den Frauen war ſein Herz nicht gram), 
Da ſprach er: „Führ mich hin mit dir. 
Lieber Bruder, ſage mir 
Wen wir finden an dem Ort? 

10 Sehn wir unſrer Freunde dort, 
Wenn wir zu Artus kommen? 
Von ſeinem Hof hab ich vernommen, 
Daß er prächtig ſei und reich; 
Nichts komme ſeinem Glanze gleich.“ 


15 Parzival hub wieder an: 
„Wir ſehn da Frauen wohlgethan. 
Nicht umſonſt iſt unſre Fahrt, 
Wir finden unſres Stammes Art, 
Leute, die uns angeboren, 

20 Und manches Haupt zur Kron erkoren.“ 


Sie ſprangen beid empor zumal. 
Nicht verſäumt' auch Parzival, 
Er holte ſeines Bruders Schwert: 
Das ſtieß er dem Degen werth 

25 Wieder in die Scheide. 

Da entſagten ſie wohl beide 
Allem Haß und allem Streit . 
Und ritten hin in Einigkeit. j 


352 XV. Feirefitz. 


Eh ſie bei Artus angekommen, 
Hatt Er von ihnen ſchon vernommen. 
755 Dort wars an dieſem Tage 
Des Heers gemeine Klage, 
Daß Parzival der Held verwogen N 
So von dannen war gezogen. 

5 Artus beſchloß da mit den Seinen, 
Daß man auf Parzivals Erſcheinen 
Acht Tage harren ſolle 
Und die Statt nicht räumen wolle. 
Als Gramoflanzens Heer gekommen, 

10 Ward ihm manch weiter Kreiß genommen, 
Und mit Zelten wohl geziert: 

Der Koͤnig ward darin logiert 
Und ſeine ſtolzen Leute. 
Man mochte die vier Bräute 
15 Nicht ſchoͤner ehren, als geſchah. 
Von Schatelmerveile reiten ſah 
Man einen Mann zur ſelben Zeit: 
Der ſprach, man hab einen Streit 
Auf dem Warthaus in der Säul erſehn: 
20 Was je mit Schwerten wär geſchehn, 
Vergleiche dieſem Streit ſich nicht. 
Gawanen bracht' er den Bericht 
(Bei Artus ſaß der Degen hehr): 
Die Ritter riethen hin und her, 
25 Wer die Kämpfer wohl geweſen ſei'n. 
Artus der Koͤnig ſprach darein: 
„Zur Haͤlfte wett ich, daß ichs treffe: 
Hier hat von Kanvoleiß mein Neffe, 
Der heute von uns ſchied, geſtritten.“ 


XV. Feirefiß. 


756 Ihrem Kampf wohl bracht es Ehre, 
Wie vom Schwert und von dem Spere 
Helm und Schild die Spuren trug. 
Geſchickt war deſſen Hand genug 

5 (Da auch der Kämpfer Kunſt bedarf), 
Der dieſe Schilderei entwarf. 
Sie wandten ſich zu Artus Zelt. 
Hin blickte ſtaunend alle Welt, 
Als er geritten kam, der Heide; 


10 Viel Reichthum trug der Held am Kleide. 


Voll von Hütten ſtand das Feld. 
Sie ritten vor das Hochgezelt 
In Gawanens Zeltberinge. 
Ob ſie das Volk nicht inne bringe 
15 Daß man ſie gerne kommen ſah? 
Ich wette doch, daß es geſchah. 
Gawanen ſah man eilends kommen; 
Da er bei Artus wahrgenommen, 
Daß ſie zu ſeinem Zelte ritten: 
20 Er empfieng ſie mit der Freude Sitten. 


Sie hatten noch die Rüſtung an: 
Gawan der höfiſche Mann 
Ließ ſie alsbald entkleiden. 
Wohl hatt im Kampf zu leiden 

25 Ecidemon das Thier genug. 
Dem Korſett, das der Heide trug, 
Ward wohl auch von Schlägen weh. 
Es war ein Saranthasme; 
Darauf ſtand mancher theure Stein. 
Darunter von ſchneeweißem Schein 
perzival und Titurel. 1. 23 


353 


XV. Yeirefik. 


757 Rauh gebildet war das Kleid; 
Theure Steine drauf verſtreut 
Beleuchteten einander. 

Dieß hatten Salamander 

5 Gewoben in dem Feuer. 
Sie entließ auf Abenteuer 
Minne, Land und Leben, 
Die ihm ſolch Kleid gegeben 
(Gern vollbracht er ihr Gebot 

10 So in Freude wie in Noth), 
Die Königin Sekundille. 
Wohl war es ihres Herzens Wille, 
Daß fie ihm ihre Schäße lieh; 
Durch hohen Preis verdient' er fie. 


15 Gawan bat der Knappen Schar: 
„Habt Acht, daß an der Ruͤſtung klar 
Nichts verſchoben und verrüdt 
Werde, oder gar zeritüdt, 

An Schild, Helm oder Ueberleib.“ 

20 Zuviel wärs einem armen Weib 
Zur Gabe, ſchon das Kleid alleine: 
So koͤſtlich waren die Steine 
An den Stücken allen Vieren. 

Hohe Minne kann wohl zieren, 

25 Geſellt ſich Reichthum nur zur Gunſt 

Oder eine edle Kunſt. 

Da der ſtolze reiche Feireſiß 

Sich ſtäts mit treuem Dienſt befliß 
Um Frauenhuld, ſo gab ihm willig 
Eine Lohn dafür wie billig. 


XV. Beirefik. 


758 Als fie die Ruͤſtung abgethan, 
Da ſchauten dieſen bunten Mann 
Alle mit Verwunderung, 
Denn Wunders ſahn ſie da genung: 

5 Der Heide trug manch ſeltſam Mal. 

Gawan ſprach zu Parzival: 
„Freund, Wer iſt der Geſelle dein? 
Er trägt ſo wunderlichen Schein, 

Daß ich nie dem Gleiches ſah.“ 

10 Zu dem Wirthe ſprach der Waleis da: 
„Bin ich dein Freund, ſo iſts auch Er, 
Des ſei dir Gahmuret Gewähr. 

Es iſt der Koͤnig von Zaßamank. 
Mein Vater dort mit Preis errang 

15 Seine Mutter, Belakanen.“ 
Da ward er ſattſam von Gawanen 
Geküſst. Viel ſchwarz und weiße Flecken 
Sah man Feirefißen decken 
All die Haut, nur daß der Mund 

20 Halber Rothe machte kund. 


Beiden brachte man Gewand, 
Das für koſtbar ward erkannt; 
Man trugs aus Gawans Kammer dar. 
Da kamen Frauen fchön und klar. 
25 Orgeluſe läßt ihn Kondrie 
Und Sangiven kuͤſſen, eh 
Mit Arniven ſie den Mund ihm beut. 
Feirefiß war hoch erfreut, 
Als er ſo klare Frauen ſah; 
Viel Liebes ihm daran geſchah. 


355 


356 XV. Feirefiß. 


759 Gawan zu Parzivalen ſprach: 

„Freund, dein neues Ungemach 
Verraͤth dein Helm und auch dein Schild. 
Euch zwein iſt übel mitgeſpielt, 

5 Dir und auch dem Bruder dein: 
Bei Wem erwarbt ihr dieſe Pein?“ — 
„Nie ward mir härtrer Streit bekannt,“ 
Sprach der Waleis: „meines Bruders Hand 
Zwang mich zur Wehr in großer Noth: 

10 Wehr iſt ein Mittel für den Tod. 
Auf dieſem Fremdling nahverwandt 
Zerbrach das Schwert mir in der Hand. 
Zeigt' er da Furcht, ſo war es kleine: 
Fern aus der Hand warf er das ſeine. 

15 Nicht wollt er ſich an mir verſünden 
Und wuſte nicht wie nah wir ſtünden. 
Jetzt hab ich ſeiner Huld Geſchenk, 
Sie zu verdienen eingedenk.“ 


Da ſprach Gawan: „Mir ward geſagt 
20 Von einem Streit gar unverzagt: 
Zu Schatelmerveil erſieht 
Man was ſechs Meilen weit geſchieht: 
Die Spiegelſäule zeigt es dort. 
Gleich ſprach mein Ohm Artus das Wort: 
25 Der dort gekämpft des ſelben Mals, 
Du wärſt es, Held von Kingrivals. 
Du haft Gewiſsheit erſt gebracht; 
Doch hatten wirs uns hier gedacht. 
Nun glaube mir was ich dir ſage: 
Wir hätten dein geharrt acht Tage 
760 Mit großer reicher Luſtbarkeit. 


Xv. Zeirefik. 357 


Mir ift euer Zweikampf leid: 
Ruht davon bei Mir euch aus. 
Da doch geſchehen iſt der Strauß, 
5 So habt euch künftig um ſo gerner; 
Den Haß vergüte Freundſchaft ferner. 


Fruͤh aß man heut in Gawans Zelt, 
Da von Thasme der werthe Held, 
Feirefiß Anſchewein, 
10 Noch nüchtern, gleich dem Bruder fein. 
Da lagen Polſter hoch und lang 
Im Kreiß umher auf mancher Bank. 
Weiche Decken aller Art, 
Von Palmat, wurden nicht geſpart, 
15 Die Polſter reich damit gedeckt; 
Darauf war theures Tuch geſteppt, 
Zu vollem Maße lang und breit. 
Klinſchors ganze Herrlichkeit 
Ward da zur Schau hervorgetragen. 
20 Als Tapeten, hoͤrt ich ſagen, 
Wurden Decken aufgehangen; 
Die ſah man koͤſtlich prangen 
An vier Seiten des Raumes. 
Darunter Polſter ſanften Flaumes 
25 Mit weichern Kiffen überdeckt, 
Die Vorhänge drauf geſteckt. 


Der Kreiß begriff ein weites Feld, 
Sechs Zelte hätte man geſtellt 
Ohne Gedränge der Schnüre. 
| Doch weil ich unklug verführe, 
761 So laß ich es hiebei bewenden. 


358 XV. Feirefit. 


Da ließ Herr Gawan fenden 
Zu Artus, der noch nicht vernommen 
Was ihm für ein Gaſt gekommen: 
5 Der reiche Heide wäre da, 
Den die Heidin Ekuba 
So geprieſen an dem Plimizoͤl. 
Jofreit, Fils Jdoͤ l, 
War es, ders Artuſen ſagte, 
10 Dem ſolche Märe wohlbehagte. 


Jofreit bat ihn, gleich zu eßen 
Und nach Tiſch nicht zu vergeßen, 
Daß er hoͤfiſch zoge dare 
Mit Rittern und mit Frauenſchar, 
15 Auf daß ſie es mit Zucht begiengen 
Und würdiglich bei Hof empfiengen 
Gahmuretens ſtolzes Kind. 
„So viel hier werthe Leute ſind, 
Die bring ich,“ ſprach der Bretanois. 
20 Jofreit ſprach: „Er iſt ſo kurtois, 
Ihr moͤgt ihn alle gerne ſehn, 
Und Wunder viel an ihm erfpähn. 
Er kommt aus großer Herrlichkeit: 
Seine Rüftung und fein Kleid 
25 Könnte man ihm nicht erſetzen; 
Niemand woͤg es auf mit Schätzen. 
Bretagne, Lover, Engelland, 
Von Paris bis nach Witſand, 
Dazwiſchen all die reiche Welt 
Gäb ihm keineswegs Entgelt.“ 


762 Jofreit war zurückgekommen 
Als Artus von ihm vernommen 


Xv. Seirefik. 359 


Wie er gebaren ſollte, 
Wenn er begrüßen wollte 

5 Den reichen Heiden unverweilt. 
Die Sitze wurden nun vertheilt 
An Gawanens Tafelkreiſe 
Gar in hoͤfiſcher Weiſe: 
Daß der Bann der Herzogin 

10 Und die ihr Dienſt um Minne liehn, 
Zu Gawanens Rechten ſaßen, 
Und ihm zur linken froͤhlich aßen 
Die Ritter all aus Klinſchors Bann. 
Gawan genüber gab man dann 

15 An des Tiſches andrer Spitze 
Klinſchors gefangnen Frauen Sitze: 
Die waren ſchoͤn und klar zumal. 
Feirefiß und Parzival 
Saßen mitten zwiſchen Frauen: 

20 Da mochte man wohl Klarheit ſchauen. 


Der Türkowite Florand 
Saß Sangiven zugewandt, 
Wie der Herzog auch von Gowerzein 
Und Kondrie, die Gattin fein, 
25 Einander gegenüber ſaßen. 
Auch dießmal, wett ich, nicht vergaßen 
Gawan und Jofreit 
Ihrer alten Geſelligkeit; 
Stats aßen dieſe Zwei beiſammen. 
Mit den Augen voller Flammen 
763 Aß die edle Herzogin 
Bei Arniven der Königin. 
Zu freundlicher Geſelligkeit 


360 


XV. Jeirefiſt. 


Waren ſich die Zwei bereit. 
5 Seine Ahne ſaß bei Gawan dort, 
Orgeluſe weiter von ihm fort. 


Wohl herrſchte da die wahre Zucht 
Und alle Unart nahm die Flucht. 
Den Rittern und den Frauen ward 
10 Speif und Trank mit guter Art 
Gebracht und freundlich hingeſtellt. 
Feirefiß der reiche Held 
Hub zu ſeinem Bruder an: 
„An Mir hat Jupiter wohl gethan, 
15 Daß er mich in dieſes Land 
Hat geführt und hergeſandt 
In meiner werthen Freunde Kreiß. 
Billig geb ich wohl den Preis 
Meinem Vater, den ich längſt verlor: 
20 Der ſproß recht aus dem Preis hervor!“ 


Der Waleis ſprach: „Preiswerthe Lente 
Sollt ihr viel noch ſchauen heute 
Bei Artus dem Koͤnig hehr, 
Mannlicher Ritter ſchier ein Heer: 
25 Wenn das Mal iſt aufgehoben, 
Unlange bleibt es dann verſchoben, 
So kommen ſie hieher beſtimmt, 
Deren Preis man weit vernimmt. 
Hier ſind drei Ritter nur vom Bunde 
Der weitberuͤhmten Tafelrunde: 


764 Der Wirth und Jofreit; 


Auch ich verdient' es einſt im Streit, 
Daß man mich dazu begehrte, 
Was ich den Helden gern gewährte.“ 


XII. Feirefik. 


5 Nun war es Zeit, daß man hindann 
Das Tiſchtuch hob vor Weib und Mann. 
Als die Malzeit war geſchehn, 

Da eilte Gawan aufzuſtehn: 
Die Herzogin ſammt ſeiner Ahnen 

10 Sah man ihn bitten und ermahnen, 
Daß ſie Frau Sangiven doch, 

Und Kondrie die füge noch, 
Zu fih nahmen und mit beiden 
Giengen zu dem bunten Heiden: 

15 Dem ſollten ſie recht freundlich ſein. 
Feirefiß Anſchewein 
Sah dieſe Frauen zu ſich gehn: 
Vor ihnen eilt' er aufzuſtehn; 

So auch ſein Bruder Parzival. 
20 Die ſchoͤne Herzogin zumal 

Nahm Feirefißen bei der Hand; 

Fraun und Ritter, die ſie ſtehen fand, 

Bat ſie, ſich zu ſetzen all. 

Sieh, da zog mit lautem Schall 
25 Artus mit ſeinem Heer heran. 

Poſaun und Trommel hoͤrte man, 

Der Hörner und der Floͤten Ton. 

Der Königin Arnive Sohn 

Zog mit großem Schall einher. 

Des freute ſich der Heide ſehr, 

765 Der ſolche Kunde gern empfieng. 

So ritt zu Gawans Zeltbering 

Artus mit ſeinem Ehgemal, 

Und werther Leute großen Zahl, 

5 Mit Rittern und mit Frauen. 
Der Heide mochte ſchauen, 


361 


362 XV. Zeirefip. 


Daß da auch junge Leute waren, 
Von deren blühenden Jahren 
Sprach des Angeſichtes Glanz. 

10 Auch der Koͤnig Gramoflanz 
War noch in Artuſens Pflege; 
Mit Ihm ritt auf demſelben Wege 
Itonjè fein ſuͤßes Lieb, 
Die aller Falſchheit rein verblieb. 


15 Ab ſtieg der Tafelrunder Schar, 
Dazu viel Frauen ſchoͤn und klar. 
Ginover ließ Itonjé 
Den reichen Heiden kuͤſſen, eh 
Sie ſelber naͤher zu ihm gieng 

20 Und küſſend Feirefiß empfieng. 
Gramoflanz und Artus, 
Mit getreulicher Liebe Kuſs 
Empfiengen fie den Heiden. 
Da ward ihm von den beiden 

25 Viel erboten Dienſt und Ehr; 
Auch fand er noch Verwandte mehr, 
Die ihm gewogen wollten ſein. 
Seirefiß Anſchewein 
War zu guten Freunden nun gekommen, 
Das hatt er hier gar bald vernommen. 


766 Nieder ſaßen Weib und Mann 
Und viel Maͤgdlein wohlgethan. 
Da mochte mancher Ritter finden, 
Wollt er ſich des unterwinden, 
5 Suͤßes Wort von ſüßem Munde, 
Taugt' er ſonſt zum Minnebunde. 


XV. Feirefit. 363 


Um ſolch Geſuch trug keinen Haß 
Manch klares Fräulein, das da ſaß. 
Ein gutes Weib ficht Zorn nicht an, 

10 Fleht fie um Hülf ein werther Mann, 
Sie mag gewähren, mag verſagen. 
Kann ein Ding als Zins uns Freude tragen, 
Solchen Zins muß wahre Minne geben: 
So ſah ich ſtäts die Werthen leben. 

15 Nun ſaß der Dienſt hier bei dem Lohn. 
Es iſt ein huͤlfreicher Ton, 
Wird der Freundin Wort vernommen, 
Das dem Freunde ſoll zu Statten kommen. 


Artus kam zu Keirefiß, 

20 Wo Jedweder denn ſich fliß, 
Freundlich wechſelten ſie beede 
Frag und ſchlichte Gegenrede. 
Artus ſprach: „Gelobt ſei Gott, 
Daß er dieſe Ehr uns bot, 

25 Daß wir Dich hier bei uns ſahn. 
Aus der Heidenſchaft fuhr nie ein Mann 
Her in der Getauften Land, 
Dem ich mit dienſtbereiter Hand 
So gerne Dienſt gewährte 
Wo es dein Wille nur begehrte.“ 


767 Feirefiß zu Artus ſprach: 
„Vorbei iſt all mein Ungemach, 
Seit Juno meine Goͤttin 
Mir den Segelwind verliehn 
5 Her in dieſes Weſtenreich. 
Du ſiehſt fürwahr dem Manne gleich, 


364 


XV. Feirefiſ. 


Deſſen Macht und Wuͤrdigkeit 
Der Ruhm pofaunte weit und breit. 
Biſt du Artus genannt, 

10 So iſt dein Name fern bekannt.“ 


Artus ſprach: „Selber ehrt' er ſich, 

Der Dir und Andern über mich 
Rühmliches berichtet hat. 
Ihm gab die eigne Zucht den Rath 

15 Mehr, als daß ichs würdig bin; 
Er thats aus hoͤfiſchem Sinn. 
Ich bin es, den ſie Artus nennen 
Und moͤcht es gründlich wohl erkennen, 
Wie du kamſt in dieſes Land. 

20 Hat ein Weib dich ausgeſandt, 
Die muß gar hold dir ſein und theuer: 
Wie hätteſt du auf Abenteuer 
Dich ſonſt ſo weit hieher verſtiegen? 
Bleibt ihr Lohn dir unverſchwiegen, 


25 Den Dienſt der Fraun empfiehlt uns das, 


Denn jeder Frau wohl müſt in Haß 
Ihr Diener wandeln ſeine Liebe, 
Wenn Dir ungelohnet bliebe.“ 


„Auch wird es anders wohl vernommen,“ 
Sprach der Heide: „hört wie ich gekommen. 
768 Ich führe ſolch ein mächtig Heer, 


Der Trojaner Landwehr 
Und die ſich einſt mit ihnen maßen, 
Die müften alle mir die Straßen 

5 Räumen, wenn noch beide lebten 
Und mit Mir zu kämpfen ſtrebten: 


XV Feirefiß. 365 


Sie koͤnnten nimmer uns beſiegen 
Und müſten ſchimpflich unterliegen 
Meiner Obmacht allzuſchwach. 

10 Ich hab in manchem Ungemach 
Verdient mit ritterlicher That, 

Daß nun Erbarmen mit mir hat 
Die Koͤnigin Sekundille; 
Was die begehrt, das iſt mein Wille. 

15 Die Richtſchnur gab ſie meinem Leben, 
Sie hieß mich mildiglich zu geben 
Und guter Ritter viel zu halten; 

So ſollt ich ihr zu Liebe ſchalten. 
Da that ich wie ſie mir befahl: 

20 Unterm Schild von hartem Stahl 
Nennt ſich dienſtbar meiner Hand 
Manch werther Ritter anerkannt. 
Ihre Minne giebt ſie mir zum Lohn; 
Auch führ ich ein Ecidemon 

25 Im Schilde, wie ſie mir gebot. 
Seitdem erfuhr ich in der Noth, 
Sobald ich nur an ſie gedachte, 

Daß ihre Minne Hülfe brachte: 
So dank ich ihr des Troſtes mehr 
Als meinem Gotte Jupiter.“ 


769 Artus ſprach: „Von dem Vater dein, 
Gahmuret, dem Neffen mein, 
Iſts die dir angeſtammte Art, 
Im Dienſt der Frauen weite Fahrt. 

5 Du magſt von Dienſt auch Kund empfahn 
Bei Uns, denn größrer ward gethan 
Auf Erden ſelten einem Weib 


366 


EV. Neirefiß. 


Um ihren wonniglichen Leib. 
Ich meine hier die Herzogin: 

10 um ihrer Minne Gewinn 
Ward des Waldes viel verſchwendet. 
Ihre Minne hat gepfaͤndet 
An Freuden mancher Ritter gut 
Und ihm geraubt den hohen Muth.“ 


15 Da ſagt' er ihm was Gawan 
Und was die Ritter all gethan, 
Die er ſah zu allen Seiten; 
Und von den beiden Streiten, 
Die ſein Bruder um den Kranz 

20 Auf dem Feld geſtritten bei Joflanz. 
„Und wie er ſonſt die Welt durchfahren, 
Wie er ſich nirgend wollte ſparen, 
Das macht er dir wohl ſelber kund. 
Er ſuchet einen hohen Fund, 

25 Nach dem Grale ringet er. 
Von euch Zwein iſt mein Begehr, 
Daß ihr mir nennet Land und Leute, 
Die ihr im Kampf erprobt bis heute.“ 
Der Heide ſprach: Ich nenne dir, 
Die ich gefangen führe hier: 


770 „König Papiris von Trogodjente 


Und Graf Behantins von Kalomidente, 
Herzog Farjelaſtis von Africke 
Und König Liddamus von Agrippe, 

5 König Tridanz von Tinodonte 
Und Koͤnig Amaspartins von Schipelpjonte, 
Der Herzog Lippidins von Agremontin 


XV. Feirefit. 367 


Und König Milon von Nomadjentefin, 
Von Aßagarzionte Graf Gabarins 
10 Und von Rivigitas der König Translapins, 
Von Hiberbortikon Graf Filones | 
Und von Centrion König Killikrates, 
Der Graf Lyſander von Ipopotitikon 
Und der Herzog Tiridé von Elixodjon, 
15 Von Oraſtegenteſin der König Thoaris 
Und von Satarchjonte der Herzog Alamis, 
Der Koͤnig Aminkas von Sotofeititon 
Und der Herzog von Duskontemedon, 
Von Arabien Koͤnig Zoroaſter 
20 Und Graf Poſſizonjus von Thiler, 
Der Herzog Sennes von Narjoklin 
Und der Graf Ediſſon von Lanzeſardin, 
Von Janfuſe der Graf Friſtines 
Und von Atropfagente der Herzog Meiones, 
25 Von Neurjente der Herzog Archeinor 
Und von Panfatis der Graf Aſtor, 
Die von Aßagog und Zaßamank 
und von Gampfaſſaſche der König Jetakrank, 
Der Graf Jurans von Blemunzin 
Und der Herzog Affinamus von Amanteſin. 
< 


771 „Eins zahle? ich mir zur Schande: 

Man ſprach in meinem Lande, 
Kein beßrer Ritter moͤchte ſein 
Als Gahmuret Anſchewein, 

5 So Viele je beritten waren. 
Da beſchloß ich auszufahren 
Und zu ſuchen, bis ich ihn faͤnde: 
Da lernt' ich Kampf an manchem Ende. 


368 


XV. Zeirefik. 


Von zweien Landen auf das Meer 
10 Führt' ich ein kraftvolles Heer. 

»Mir ſtand nach Ritterſchaft der Muth: 
Wie ſtark ein Land, wie ſchoͤn und gut, 
Ich unterwarf ſie meiner Hand 
Bis fern zu unbetretnem Strand. 

15 Da gelobten mich zu minnen 

Zwei reiche Königinnen, 

Olympia und Klauditte; 

Sekundill iſt nun die dritte. 

Um Frauen hab ich viel gethan; 

20 Nun hab ich heut erſt Kund empf ahn, 

Mein Vater Gahmuret ſei todt. 

Mein Bruder meld auch ſeine Noth.“ 


Da ſprach der werthe Parzival: 

„Seit ich geſchieden bin vom Gral 

25 Hat meine Hand mit Streite 
In der Nah und in der Weite 
Sich oftmals ritterlich erzeigt 
Und Manchem auch den Preis geneigt, 
Der nicht gewohnt war an den Fall. 
Die will ich euch benennen all: 


772 „Von Lirivoin König Schirniel 


Und von Avendroin ſein Bruder Mirabel, 
Der König Serabil von Roßokarz 
Und Koͤnig Pibleſon von Lorneparz, 
5 Von Sirnegonz den Koͤnig Senilgorz 
Und von Villegaronz Strangedorz, 
Von Mirnetalle den Grafen Rogedal 
Und von Plepedonze Laudunal, 


XV. pe irefig. 369 


Den König Onipriß von Itolal 

10 Und den Koͤnig Zprolan von Semblidak, 
Von Jeroplis den Herzogen Jerneganz 
Und von Zambron den Grafen Plineſchanz, 
Von Tuteléèonz den Grafen Longeſieß 
Und von Privegarz den Herzogen Marangließ, 

15 Von Piktakon den Herzogen Strennolas 
Und von Lampregon den Grafen Parfopas, 
Von Askalon den König Vergulacht, 
Und von Pranzile den Grafen Bogudacht, 
Poſtefar von Laudondrechte 

20 Und den Herzogen Leidebron von . 
Von Literbe Koleval 
Und Jovedaſt von Arl den Provenzal, 
Von Tripparon den Grafen Kardofpas. 
In rechter Tjoſt begab ſich das 

25 Als ich nach dem Grale ritt. 
Nennt' ich fie All, die ich beſtritt, 
So kaͤm ich nimmer an das Ziel, 
Drum muß ich euch verſchweigen viel. 
Die mir mit Namen ſind bekannt, 
Die hab ich euch wohl meiſt genannt.“ 


773 Von Herzen freute ſonder Neiden 
Seines Buders Preis den Heiden: 
Daß ihm ſeine Hand im Streit 
Erwarb ſo hohe Wuͤrdigkeit, 

5 Wohl dankt' er ihm dafür gar ſehr; 
Ihn ſelber ehrt' es noch viel mehr. 


Da ließ Gawan des Heiden Wehr, 
Als geſchaͤhs von Ohngefähr, 


parzisal und Titurel. II. 24 


370 XV. Feirefig. 


In des Kreißes Mitte bringen. 
10 Man legt' ihm Werth bei, nicht geringen. 
Die Ritter und die Frauen, 
Die kamen all zu ſchauen 
Schild, Korſett und Wappenkleid; 
Nicht zu eng der Helm und nicht zu weit. 
15 Alle ſtaunten ob dem Scheine 
Der theuern edeln Steine, 
Die darin verlöthet lagen. 
Man darf mich nach der Art nicht fragen, 
Der ſie angehoͤren 
20 So die leichten als die ſchweren. 
Beßer wohl beſchied' euch des 
Eraklius oder Herkules 
Und der Grieche Alexander; 
Oder noch ein Andrer, 
25 Der weiſe Pythagoras, 
Der die Schrift der Sterne las: 
Der war ſo weiſe ſonder Streit, 
Daß Niemand ſeit Adams Zeit 
Noch ſo weiſen Sinn getragen; 
Der konnte wohl von Steinen ſagen. 


774 Die Frauen raunten: „Hab ein Weib 
Ihm damit geziert. den Leib, 
Wenn er ſich Der nicht treu erweiſe, 
Das ſchade ſeinem Preiſe. 

5 So hold war Manche hier dem Heiden, 

Sie würde ſeinen Dienſt wohl leiden, 
Juſt weil ihn ziert manch fremdes Mal. 
Gramoflanz, Artus, Parzival 
Und der Wirth Herr Gawan, 


IV. Feirefip. 371 


10 Die gehen nun allein hindann; 
Den reichen Heiden vertrauen 
Sie unterdeſſen den Frauen. N 


Artus berieth ein Feſtgelag, 
Das man ſchon am andern Tag 
15 Auf dem Feld begehen ſollte, 
Weil er damit empfangen wollte 
Seinen Neffen, Feirefißen: 
„Das zu beſtellen ſeid beflißen 
Mit euerm beſten Witze, 
20 Daß Er mit uns ſitze 
An der edeln Tafelrunde.“ | 
Sie verſprachens all aus Einem Munde 
Zu thun, wofern es ihm nicht leid. 
Da verhieß Geſelligkeit f 
25 Ihnen Feirefiß der Degen reich. 
Nach dem Nachttrunk fuhr ſogleich 
Zu ſeiner Ruhe Jedermann. 
Die Freude brach fuͤr Manchen an 
Am Morgen, darf ich alſo ſagen, 
Da der füße Tag begann zu tagen. 


775 Da hielt es ſo Artus, der Sohn 

Des Königs Utepandragon: 
Bereiten ließ er, reich genug, 

Der Tafelrund ein Tafeltuch 

5 Aus einem Triantthasme fein. 
Euch wird noch in Erinnrung ſein 
Wie an des Plimizöld Geſtad 
Man Tafelrund gehalten hat: 
Nach jenem Tuche maß man dieß, 


372 XV. Feirefiß. 


10 Rund geſchnitten, Jeder pries 
Wie es reich und köſtlich wär. 
Abgeſteckt ward rings umher 
Ein Kreiß auf thauig gruͤnem Gras, 
Der wohl ſieben Morgen maß 

15 Vom Schauſitz bis zur Tafelrunde. 
War es die rechte nicht im Grunde, 
Den Namen ließ ſie ſich nicht nehmen. 
Wohl möcht ein feiger Mann ſich fchämen, 
Wenn er hier bei den Werthen ſaß 

20 Und fein Mund die Koft mit Sünden aß. 


Der Kreiß ward bei der ſchoͤnen Nacht 

Abgeſteckt, und wohl mit Pracht 

Geziert von dem zu jenem Ziel. 

Einem armen König wars zu viel, 

25 Wie man die Runde fand geſchmückt 

Als der Morgen war herangerückt. 

Gawan und Gramoflanz allein 

Standen für die Koſten ein. 

Artus war hier zu Lande Gaſt; 

Doch trug er mancher Koſten Laſt. 


776 Und wurde noch ſo ſchwarz die Nacht, 

Doch iſts von Alters hergebracht, ö 
Die Sonne bringt den Tag zurück. 
Auch heute widerfuhr dieß Glück: 

5 Schon ſchien er lauter, füß und klar. 
Mancher Ritter ſtrich da wohl ſein Haar, 
Und ſchmückt' es ſchoͤn mit Blumenkränzen. 
Da ſah man Frauen lieblich glänzen 
Ungeſchminkt mit rothem Mund, 


Xv. Feireſiß. 373 


10 Thut Kiot anders Wahrheit kund. 
Man ſah an Herrn und Fraun Gewand, 
Nicht nach dem Schnitt in Einem Land; 
Hohen, niedern Kopfputz auch, 
Wie es in jedem Land Gebrauch. 

15 Sie kamen her aus manchen Reichen, 
Die ſich in Sitt und Schnitt nicht gleichen. 
Den Fraun, die keinen Ritter hatten, 
Wollte man es nicht verſtatten 
In der Tafelrunde Kreiß zu kommen. 

20 Hat ſie Wen in Dienſt genommen, 
Dem ſie Lohn verhieß mit Hand und Munde, 
So kam ſie an die Tafelrunde. 
Meiden muſten ſie die Andern 
Und nach den Herbergen wandern. 


25 Nun Artus Meile hat vernommen, 
Sieht man mit Gramoflanzen kommen 
Den Herzogen von Gowerzein 
Und Florand den Geſellen ſein. 

Die wären gern erhoben worden 
In der Tafelrunder Orden: 

777 Da ward nach ihrem Wunſch gethan. 
Fragt euch Weib nun oder Mann, 
Wer der reichſte wär der Recken, 

Die je aus allen Landerſtrecken 
5 Saßen an der Tafelrunde, 
Dem gebet nur getroſt die Kunde, 
Es war Feirefiß Anſchewein: 
Laßt es dabei bewendet ſein. 


Mit feſtlichem Gepränge 
10 Ritt man zu des Kreißes Enge. 


374 V. Beirefig. 


Manche Frau kam in Gefahr, 
Wenn ihr Roſs nicht wohl geguͤrtet war, 
Sie wär gewiſs gefallen. | | 
Mit reicher Banner Wallen 

15 Kamen ſie von allen Seiten. 
Da ſah man ſie den Buhurd reiten 
Rings um den abgeſteckten Kreiß. 
Es war hoͤfiſch und weif, 
Daß Keiner in den Schranken ritt: 

20 Der weite Raum da draußen litt, 
Daß ſie die Roſſe wohl erſprengten, 
Die Haufen ſich im Anlauf mengten; 
Auch mochten fie fo kuͤnſtlich reiten, 
Daß ſichs die Fraun zu ſchauen freuten. 


25 Als die Zeit des Mals gekommen, 
Ward an der Tafel Platz genommen. 
Truchſeß, Kaͤmmerer und Schenken 
Hatten Manches zu bedenken, 

Daß mans mit Zucht zur Stelle trug. 

Wohl gab man Jeglichem genug. 

778 Die Frauen ehrt' es, die man da 

An des Freundes Seite ſah; 

Für Manche hatt auch kühne That 

Vollbracht verliebten Herzens Rath. 
5 Feirefiß und Parzival 

Muſterten mit ſüßer Qual 

Bald eine bald die andre Frau: 

Auf Acker oder Wieſenau 

Sah man noch zu keiner Stunde 
10 So lichte Haut bei roͤtherm Munde 


XV. Feirefit. 


Als an dieſer Tafel Ringe: 
Da ward der Heide guter Dinge. 


Heil der nahenden Stunde! 
Willkommen ſei die ſuͤße Kunde, 

15 Die von der Jungfrau wird vernommen! 
Denn eine Jungfrau ſah man kommen 
In theuern Kleidern, wohl geſchnitten, 
Koſtbar nach Franzofenfitten ; 

Ein reicher Sammt ihr Oberkleid, 

20 Schwarzer noch als ein Geneit. 
Manch Turteltäubchen ſchien da hold, 
Gewoben aus Arabiens Gold, 

Das Wappenbild des Grales. 
Sie ward deſſelben Males 

25 Viel beſtaunt von allen Leuten. 

Nun laßt ſie erſt zur Stelle reiten. 
Die Kopfzier trug ſie hoch und blank; 
Mit manchem dichten Ueberhang 

War ihr Angeſicht bedeckt, 

Und vor jedem Blick verſteckt. 


779 Sacht und doch in Zelterſchritten 

Kam ſie über Feld geritten. 
Ihr Zaum, ihr Sattel und ihr Pferd 
Unſtreitig hatten hohen Werth. 

5 In den Kreiß ließ man ſie gern 
Zu den Frauen und den Herrn. 
Nicht die Thoͤrichte, die Weiſe 
Ritt da rings umher im Kreiſe. 
Man zeigt ihr an wo Artus ſaß, 

10 Den ſie zu gruͤßen nicht vergaß. 


375 


376 Xv. Feirefit. 


Franzoͤſiſch hub fie an zu ſprechen 

Und flehte, nicht an ihr zu raͤchen, 

Wie ſie geſcholten einſt den Helden, 

Dem ſie nun Frohes wolle melden. 
15 Den König und die Königin 

Bat ſie, daß die ihr Beiſtand liehn. 


Von dieſen wandte ſie ſich da 

Zu Parzivalen, den ſie nah 
Bei Artuſen ſitzen fand. 

20 Sie ſchwang ſich eilends, unverwandt, 
Von dem Pferd auf das Gras. 
Mit aller Zucht, die ſie beſaß, 
Fiel ſie Parzival zu Füßen 
Und bat ihn weinend um fein Grüßen, 

25 Daß er ihr die Schuld verzeihe 
Und ſeine Huld ihr wieder leihe. 
Für ſie zu bitten befliß 
Da Artus ſich und Feirefiß. 
Noch hegte Parzival ihr Haß, 
Den er getreulich doch vergaß 

780 Und ihr der Freunde halb verzieh. 

Die Werthe, ſchön wohl war fie nie, 
Schnell wieder auf die Füße ſprang 
Und ſagte Beiden großen Dank, 

5 Die ihr wiederum zu Huld 
Verholfen nach ſo großer Schuld. 


Herab nun riß ſie ſo geſchwinde 
Ihres Hauptes Schmuck und Binde, 
Daß die Haube wie die Schnur 
10 Vor ihr auf die Erde fuhr. 


XV. Feireſiſt. 


Kondrie la Sorziere 
Ward da erkannt im Heere, 
Und des Grales Wappen, das ſie trug, 
Beſah, beſtaunte man genug. 

15 Sie war auch noch ſo wohlgethan 
Wie ehmals, da ſie Weib und Mann 
An den Plimizoͤl ſah kommen; 


Wie ſchoͤn ſie war, ihr habts vernommen. 


Ihre Augen hatten noch dieſelbe 

20 Topaſengleiche Gelbe; 
Die Zähne lang, der Mundes Schein 
Glich einem blauen Veigelein. 
Sie trug ihn wohl aus eitelm Muth: 
Was ſollt ihr ſonſt der theure Hut 

25 An des Plimizoͤls Geſtaden? 
Die Sonne würd ihr doch nicht ſchaden: 
Ihre Stralen konnten nimmerdar 
Die Haut ihr ſchwaͤrzen durch das Haar. 


Nun ſtand ſie hoͤfiſch da und ſprach: 
Für hohe Märe galts hernach, 
781 Was ſie zur ſelben Stunde 
Kund that aus fahlem Munde: 
„O wohl dir, Sohn von Gahmuret, 
An dem Gott Gnade nun begeht, 
5 Du der von Herzeleiden erbte; 
Feirefiß der buntgefärbte 
Soll mir auch willkommen ſein. 
Sekundille war die Herrin mein; 
Auch erwarb ſich hohe Wuͤrdigkeit 
10 Von Jugend auf dein Preis im Streit.“ 


377 


378 XV. Feirefit. 


Zu Parzivalen ſprach fie fo: 
„Nun ſei demüthgen Sinnes froh 
Des dir beſchiedenen Theiles, 
Der Krone menſchlichen Heiles! 
15 Die Inſchrift wurde geleſen: 
| Du bift zum Herrn des Grals erlefen. 
Kondwiramur, die Gattin dein, 
Und dein Sohn Loherangrein 
Sind mit dir dazu benannt. 
20 Seit du Brobarz geräumt, das Land, 
Gebar zwei Soͤhne dir ihr Schoß; 
Das Reich, das Kardeiß bleibt, iſt groß. 
Und wär kein ander Heil dir kund, 
Als daß dein wahrhafter Mund 
25 Den unfeligen, den ſuͤßen 
Mit froher Botſchaft fol begrüßen! 
Den Koͤnig Anfortas erloͤſt 
Die Frage deines Munds und floͤßt 
Ihm Freud ins Herz, dem Jammerreichen: 
Wer mag an Seligkeit dir gleichen!“ 


782 Sieben Sterne jetzt benannte 

Sie auf arabiſch. Ihre Namen kannte 
Feirefiß der Heide reich; 
Der ſaß da ſchwarz und weiß zugleich. 

5 Sie ſprach: „Ermiß nun, Parzival, 
Der hoͤchſte Planete Zwal 
Und der ſchnelle Almuſtri, 
Almaret und der lichte Samſi, 
Erweiſen Heilskraft nun an dir. 

10 Der fünfte heißt Alligafir 
Und der ſechſte Alkiter 


— 


Xv. Feirefit. 379 


Und uns der nächſte Alkamer. 
Ich ſag es nicht aus einem Traum: 
Sie ſind des Firmamentes Zaum, 
15 Die ſeine Schnelligkeit zu hemmen 
Kämpfend ſich entgegenſtemmen. 
An dir hat Sorge nicht mehr Theil. 
Was des Planetenlaufes Eil 
Umkreißt, ihr Schimmer überdeckt, 
20 So weit iſt dir das Ziel geſteckt, 
Darüber ſollſt du Macht erwerben. 
All dein Kummer muß verderben. 
Unenthaltſamkeit allein | 
Soll dir nicht geftattet fein; 
25 So wehrt dir auch des Grales Kraft 
Der Sündigen Genoßenſchaft. 
Du hatteſt junge Sorg erzogen: 
Nun dir Freude naht, iſt ſie betrogen. 
N] Du haft der Seele Ruh erworben, 
Dir Freud erharrt im Drang der Sorgen.“ 


| 2 
783 Die Mär verdroß den Degen nicht; 
Vor Freud aus ſeinen Augen bricht 
Waßer aus des Herzens Bronnen. 
Da ſprach er: „Herrin, hohe Wonnen 
5 Hat mir euer Mund genannt. 
Bin ich ſo vor Gott erkannt, 
Daß mein fündhafter Leib, 
Und hab ich Kinder, auch mein Weib, 
Sie Alle mit mir Gnad empfahn, 
10 So hat Gott wohl an mir gethan. 
Daß ihr mich gern entſchädgen mögt, 
Das zeigt mir, daß ihr Treue hegt. 


XV. Feirefip. 


Doch hatt ich ſicherlich gefehlt, 
Sonſt blieb mir euer Zorn verhehlt; 
15 Ich wandelte noch nicht im Heil. 
Des gebt ihr jetzt mir ſolchen Theil, 
Daß ſich endet all mein Leid. 
Für die Wahrheit buͤrgt mir euer Kleid: 
Da ich zu Monſalväſche ſaß 
20 Bei dem traurgen Anfortas, 
Alle Schilde, die ich hangen fand, 
Waren gemalt wie eur Gewand: 
Viel Turteltauben tragt ihr hie. 
Nun ſagt mir, Herrin, wo und wie 
25 Ich ſoll zu meinen Freuden fahren, 
Und laßt mich das nicht lange ſparen.“ 
Da ſprach ſie: „Lieber Herre mein, 
Ein Mann ſoll dein Geſelle ſein, 
Den wähle. Ich geleite dich; 
Daß du ihm helfeſt, ſpute dich.“ 


784 Da wards im ganzen Kreiß vernommen: 
„Kondrie la Sorzier iſt kommen“ 
Und was ihre Botſchaft meinte. 
Vor Freuden Orgeluſe weinte, 

5 Daß des Anfortas lange Qual, 
Wenn ihn früge Parzival, 
Bald ein Ende ſollt empfahn. 
Artus, der weitberuͤhmte Mann, 
Zu Kondrien hoͤſiſch ſprach: 

10 „Frau, denket nun auf eur Gemach: 
Laßt euch pflegen, lehrt uns wie.“ 
Da ſprach ſie: „Iſt Arnive hie? 
Welch Gemach mir Die verleiht, 


XV. Feirefit. 


Damit genügt mir dieſe Zeit, 
15 Bis mein Herr von hinnen fährt. 
Iſt ſie ihrer Haft erwehrt, 
So erlaubt mir ſie zu ſchauen, 
Und all die andern Frauen, 
Die manches Jahr in ſtrenger Haft 
20 Klinſchor hielt durch Zauberkraft.“ 
Zwei Ritter hoben ſie zu Pferd: 
Zu Arniven ritt die Jungfrau werth. 


Schier zu Ende gieng das Mal. 
Bei dem Bruder ſaß Herr Parzival: 

25 Da bat Der ben um fein Geleit. 
Feirefiß war gern bereit 
Mit ihm gen Monſalväſch zu fahren. 
Da ſie All geſaͤttigt waren, 

Sie ſtanden auf vom Tafelringe. 
Der Heide dachte hoher Dinge: 

785 Er bat den Koͤnig Gramoflanz, 
Wenn noch die Liebe voll und ganz 
Sei zwiſchen ihm und ſeiner Nichten, 
„So laßt es mir die That berichten. 

5 Ihr und Freund Gawan helfet mir, 
Daß alle Könige und Fürften hier, 
Barone, Ritter und ſofort, 

Ihrer Keiner laße dieſen Ort, 
Eh ſie mein Geſchenk erſehn. 

10 Mir wäre hier ein Schimpf geſchehn, 
Blieb' Einer meiner Gabe frei. 
So viel des fahrenden Volks hier ſei, 
Die müßen meine Gab empfangen. 
Herr Artus, ſuch es zu erlangen 


381 


382 XV. Feirefiß. 


15 Daß es die Hohen nicht verſchmähen. 
Wenn ſie meine Schätze fähen, 
Für den Reichſten galt ich ſicherlich; 
Du aber nimm den Schimpf auf Dich 
Und gieb mir Boten an das Meer: 
20 Die holen die Geſchenke her.“ 


Da gelobten ſie dem Heiden, 

Sie wollten ſich nicht ſcheiden 

Von dem Feld vor vier Tagen: 

Da ward er froh, fo hört? ich ſagen. 
25 Artus gab kluge Boten her, 

Die er ſollte ſenden an das Meer. 

Feirefiß, Gahmuretens Kind, 

Nahm Dint' und Pergament geſchwind. 

Sie ließen ſeine Schrift wohl gelten: 

So viel erwarb ein Brief noch ſelten. 


786 Die Boten fuhren bald hindann. 
Parzival derweil begann: | 
Franzoͤſiſch ſagt' er Allen laut 
Was einſt ihm Trevrezent vertraut, 

5 Daß den Gral zu keiner Zeit 
Jemand erwerben moͤcht im Streit, 
Den nicht Gott dazu benannt. 

Da ward es kund in allem Land, 

Im Kampf erring ihn nie ein Held. 
10 Die ſonſt dem Grale nachgeſtellt, 

Ließen es von dieſer Friſt, 

Wie er denn noch verborgen iſt. 


Von Feirefiß und Parzival 
Kam da den Frauen neue Qual. 


XV. Feirefitz. 383 


15 Den Urlaub wollten fie nicht laßen: 
Sie ritten durch des Lagers Gaßen 
Und grüßten ſcheidend Jedermann. 
Mit Freuden ſchieden ſie hindann 
In Stahl gewappnet wohl zur Wehr. 
20 Am dritten Tag kam von dem Heer 
Des Heiden ſolche reiche Habe, 
Man hörte nie von groͤßrer Gabe. 
Auf ewig halfs des Königs Land, 
Der Gab emfieng aus feiner Hand. 
25 Nach Standsgebühr ward Jedem da, 
Daß er nie reichre Gabe ſah; 
Den Frauen All ein reich Präſent 
Von Triand und Naurient. 
Weiß nicht wie ſich das Heer geſchieden; 
Kondrie, die Zwei, ziehn hin in Frieden. 


— j—V— 


XVI. 


Loherangrin. 


Parzival und Titurel. II. 


Inhalt. 


Hnfortad hatte die Templeiſen oft vergebens gebeten, ihn ſterben zu 
laßen; auch war er zu ſchwach geweſen, die Augen lange genug vor dem 
Gral verſchloßen zu halten. Die Wiederkehr der Planeten Jupiter oder Mars 
hatte feine Schmerzen fo geſchärft, daß er laut aufſchreien muſte: köſtliche 
Gerüche und heilkräſtige Steine, die das Spannbette ſchmückten, brachten 
nur wenig Linderung. Als Parzival ankommt, bittet er auch dieſen um den 
Tod, weil er ihm nicht andeuten darf, was er zu thun habe. Zur Dreifaltig: 
keit flehend wirft ſich Parzival dreimal vor dem Grale zur Erde und fragt dann den 
Oheim was ihm fehle? Augenblicklich wird Anfortad geſund und über alle Vers 
gleichung ſchön. Da Parzival als König des Grals anerkannt iſt, bringt ein 
Templer die Nachricht, daß Kondwiramur, von Kiot begleitet, unterwegs ſei 
und ſchon den Parzival erreicht habe. Indem ihr Parzival entgegenreitet, 
ſpricht er erſt bei Trevrezent vor, der jetzt feine frühere Aus ſage wegen der 
vertriebenen Geiſter, die bei dem Grale wären, zurücknimmt und erklärt, er 
habe ihn damit nur von dem vergeblichen Trachten nach demſelben zu: 
rückbringen wollen. Er bittet den Einſiedler um ſeinen ſtäten Rath, reitet 
weiter und erreicht am Morgen den Plimizöl, wo ihn Kiot zu der Gattin und 
den Kindern führt. Mit jener bleibt er allein bis zum vollen Morgen und 
ſieht nun nach fünfjähriger Trennung ſeine frühere Sehnſucht an derſelben 
Stelle erfüllt. Nach der Meſſe läßt er ſeinen Sohn Kardeiß zum Könige ſeiner 
Erblande krönen, worauf die von dieſem belehnten Mannen mit ihm heimziehen. 
Indem er nun mit Loherangrin und den Templern gen Monſalväſche zieht, 
beſucht er Sigunens Klauſe, findet ſie über dem Sarge des Geliebten todt 
und läßt ſie neben ihm beſtatten. Nach dem ſeſtlichen Empfange Kondwira⸗ 
murs wird der Gral hereingetragen, und Alles wiederholt ſich wie bei Parzivals 
erſter Anweſenheit, nur daß Er dießmal der König iſt und Alles mit Freuden, 
ohne die Lanze, begangen wird. Feirefiß ſieht als ein Heide den Gral nicht, 
aber ſeine Trägerin, Repanſe de Schoie, nimmt ſein Herz ſo geſangen, daß er 
Sekundillens vergißt und feine falfchen Götter abzuſchwören bereit iſt. Parzival, 
der ihn jetzt dutzt, weil er als König des Grals ſo reich iſt als Er, übernimmt 
die Vermittlung. Am Morgen wird er im Tempel getauft, empfängt Repanſen 
zum Pathengeſchenk und ſieht nun den Gral. Die Schriſt an dieſem ver⸗ 
ordnet hierauf, wer künftig aus ſeiner Schar fremden Ländern zum Herrn 
geſandt werde, ſolle Fragen über ſeine Herkunft verbieten. Vergebens bittet 
Feirefiß, daß ihm Anfortas oder Loherangrin nach dem Morgenlande folge. 
Als er mit feinem Weibe und Kondrien, die ihm als Botin voranreiſt, und 


388 XVI. Loherangrin. 


im Geleite des Burggrafen von Karkobra den Hafen erreicht, war feinem 
Heere die Nachricht von Sekundillens Tode zugegangen. In Indien, wo er 
das Chriſtenthum verbreiten ließ, gebar ihm Repanſe elnen Sohn, welcher 
Prieſter Johannes hieß, ein Name, den nach ihm dort alle Könige führten. 
Loherangrin ward der jungen Herzogin von Brabant zum Gemal geſandt: 
von einem Schwan im Nachen gezogen, ſtieg er zu Antwerpen ans Land und 
verbot jene Froge. Als dieſe dennoch nicht unterblieb, ſchied er, obwohl 
ungern, von dannen und ließ Schwert, Horn und Ring zurück. 


— ———ͥñ—ͤ 


787 Anfortas mit den Seinen trug 
Leid und Jammer noch genug. 
Ihre Treue ließ ihn in der Noth: 
Er bat ſie oftmals um den Tod. 
5 Dem Tod auch konnt er nicht entgehn, 
Doch ließen ſie den Gral ihn ſehn: 
Da friſtet' ihn des Grales Kraft. 
Er ſprach zu ſeiner Ritterſchaft: 


„Ich weiß wohl, wär euch Treue kund, 
10 Mein Leid erbarmt' euch gleich zur Stund. 
Wie lange ſoll die Qual mir währen! 
Sicher, Rechenſchaft gewähren 
Müpt ihr dafür dereinſt vor Gott. 
Stäts war ich gern euch zu Gebot, 
15 Seit ich zuerſt die Waffen trug. 
Entgolten hätt ichs nun genug 
Was treulos von mir geſchah, 
Wenn das eur Auge je erſah. 
Wollt ihr der Untreu euch erwehren, 
20 So erloͤſt mich, bei des Helmes Ehren 
Und bei des Schildes Orden: 
Inne ſeid ihr oft geworden, 
Schiens euch werth darauf zu achten, 
Daß die Zwei mit mir vollbrachten 
25 Manches ritterliche Werk. 
Ich habe kühnlich Thal und Berg 


390 XVI. Loherangrin. 


In mancher Tjoſt überritten 
Und mit dem Schwerte ſo geſtritten 
Es mochte wohl den Feind verdrießen; 
Des laßt ihr wenig mich genießen. 

788 Ich aller Freuden waiſer 

Traun vor dem Himmelskaiſer 
Verklag ich einſt euch Alle. 

Ihr kommt zu ewgem Falle, 

5 Wenn ihr mich nicht bald befreit. 
Mein Jammer wär euch billig leid. 
Ihr habt geſehn und auch vernommen 
Wie mir dieß Unglück iſt gekommen: 
Wie taugt' ich euch zum Herren noch? 

10 Viel zu früh erfahrt ihrs doch, 
Wenn ihr das Heil verwirkt an mir. 
O weh, wie übel handelt ihr!“ 


Sie würden endlich ihn erlöfen, 
Wär Eine Hoffnung nicht geweſen. 
15 Euch machte Trevrezent bekannt 
Was dort am Gral geſchrieben ſtand. 
Sie erharrten abermals den Mann, 
Dem dort die Freude gar zerrann 
Und der hülfreichen Stunde, 
20 Da die Frage käm aus ſeinem Munde. 


Auf Eine Liſt ſann Anfortas: 
Daß er geſchloßnen Auges ſaß. 
Vier Tage ſenkt' er oft die Lieder: 
Da trug man ihn zum Grale wieder 
25 Es mocht ihm lieb ſein oder leid. 
Da zwang ihn ſeine Schwachheit, 


XVI. Loherangrin. 391 


Daß er offen that die Augen: 

Da muſt' er Lebenskraͤfte ſaugen 
Und konnt im Tode nicht erkalten: 
So pflegten ſie's mit ihm zu halten 


789 Bis an den Tag da Parzival, 

Der bunte Feirefiß zumal, 
Froh gen Monſalväſche ritten. 
Auch kam die Zeit mit ſchnellen Schritten, 

5 Daß Mars oder Jupiter 
Wie zornglühend zog daher 
Und ſich der Stelle wieder nahten 
(Dann war der Koͤnig ſchlimm berathen), 
Wo ſie zu Anfang ſtunden. 

10 Das that an ſeinen Wunden 
Anfortas weh mit ſolcher Qual, 
Die Fraun und Ritter allzumal 
Hoͤrten ſein Geſchrei ertoͤnen. 
Mit Jammerblicken und mit Stöhnen 

15 Gab er ſeinen Jammer kund. 
Er war ohn alle Hülfe wund, 
Helfen konnten ſie ihm nicht; 
Jedoch die Aventüre ſpricht, 
Nun ſei die wahre Hülf ihm nah. 

20 Beim Mitleid ließen ſie es da. 


Wenn die ſcharfe bittre Noth 
Ihr ſtrenges Ungemach ihm bot, 
Zur Lindrung wurde dann die Luft 
Erfüllt mit ſüßer Kräuter Duft. 
25 Man legt' ihm auf den Teppich hin 
Dann Pigment und Terpentin, 


392 XVI. Loherangrin. 


Moſchus und Aromata. 

Die Luft zu reingen lag auch da 

Ambra und Theriak genug: 

Das war ein ſüßer Wohlgeruch. 
790 Sobald man auf den Teppich trat, 

Jeroffel, Kardemom, Muskat 

Lag, die Lüfte zu durchſuͤßen, 

Gebrochen unter ihren Füßen. 

5 Wie das mit Tritten ward zerdrückt, 
So war die Naſe gleich erquickt. 
Von Lignum Aloe war ſein Feuer; 
Das ſagt' euch ſchon ein Abenteuer. 


Als Stollen an dem Spannbett prangen 
10 Sah man aus Horn gedrehte Schlangen. 
Daß das Gift beruhigt ſei 
Waren Wurzeln mancherlei 
Auf die Kiffen ausgeſaͤt. 
Nur geſteppt und nicht genäht 
15 War das Pfellel, drauf er lehnte, 
Ein Seidenſtoff von Nauriente; 
Das Polſter drunter war palmaten. 
Das Spannbett war auch ſonſt berathen 
Mit theuern Edelſteinen, 
20 Und mit anders keinen. 
Stränge haltens aneinander 
Vom Geweb der Salamander: 
Das ſind die Borten drunter. 
Ihn machte Freude nicht zu munter. 
25 Reich wars nach allen Seiten: 
Es möge Niemand ftreiten 
Als hab er Beßres je gefehn. 


XVI. Loherangrin. 


Es war koſtbar und ſchön 
Von edeln Steinen aller Art; 
Ihre Namen ſind uns aufbewahrt: 


791 Karfunkel und Selenit, 
Belagius und Jerachit, 
Onir und Chalcedon, 
Korallis und Beſtion, 

5 Unio und Ophthallius, 
Epiſtites Keraunius, 
Gagatrom, Heliotropia, 
Pantherus, Antrodragma, 
Praſem und Sarda, 

10 Hematites, Dionyſia, 
Achates und Chelidon, 
Sardonix und Chalkophon, 
Karneol und Jaspis, 
Echites und Iris, 

15 Gagates und Ligurius, 
Abeſton und Cegolithus, 
Galaktida, Hyacinthus, 
Orites und Anydrus, 
Abſinth und Alabanda, 

20 Chryſolekter, Hiennia, 
Smaragd und Magnes, 
Sapphir und Pyrrites. 
Daneben ſtanden hier und da 
Türkiſſen und Lipparea, 

25 Chryſolten und Rubinen, 
Paleiſen und Sardinen, 
Adamas und Chryſopras, 

Diadoch und Topas, 


393 


394 XVI. Loberangriu. 


Medus und Malachit, 
Berillus und Peanit. 


792 Einige lehrten hohen Muth; 
Zum Heil und zur Geſundheit gut 
War der andern Eigenſchaft. 

Sie verliehen hohe Kraft, 

5 Wer es zu erproben wuſte. 
Mit ſolchen Künſten friſten muſte 
Man Anfortas: der ſchuf dem Herzen 
Seines Volkes große Schmerzen. 
Doch bald wird Freude hier vernommen. 

10 Schon iſt gen Monſalväſch gekommen, 
Von Joflanz geritten heut, 
Dem alle Sorge war zerſtreut, 
Parzival, ſein Bruder und die Magd. 
Man hat mir nicht genau geſagt, 

15 Wie viel Meilen es waren. 
Sie hätten jetzo Kampf erfahren; 
Doch weil Kondrie ihr Geleit, 
Bleiben ſie davon befreit. 


Sie waren einer Vorhut nah: 

20 Auf ſchnellen Roſſen kamen da 
Viel Templeiſen angefahren, 
Gewappnet, die ſo klug doch waren, 
Daß ſie am Geleite ſahen, 

Ihnen ſolle Freude nahen. 

25 Wohl rief ihr Rottenmeiſter da, 
Als er die Turteltauben ſah 
Glänzen von Kondriens Kleid: 
„Ein Ende hat all unſer Leid: 


XVI. Loherangrin. 


Mit des Grales Wappen eingetroffen 
Iſt, auf den wir täglich hoffen, 
793 Seit uns Angſt und Noth umſtricken. 
Halt ſtill: nun will uns Freud erquicken.“ 


Feirefiß Anſchewein 

Mahnte Parzival den Bruder ſein, 
5 Daß er wider Jene reite, 

Und eilte ſelbſt zum Streite. 

Kondrie erfaßte feinen Zaum: 

Da war zu ſeiner Tjoſt nicht Raum. 

Die reiche Magd begann zumal 
10 Zu ihrem Herren Parzival: 

„Solche Schilde, dieß Panier 

Sollt ihr kennen lernen hier. 

Sie zählen zu des Grales Schar 

Und ſind euch dienſtbar immerdar.“ 
15 „So gilts den Streit zu meiden,“ 

Die Antwort ward ihr von dem Heiden. 


Da ſchickte Parzival Kondrien 
Voraus, zu den Templeiſen hin. 
Sie ritt und brachte ihnen Märe, 

20 Welch Heil für fie gekommen wäre. 
Da ſprangen die Templeiſen 
Vom Pferd vor dem Waleiſen. 
Auch banden ſie zu gleicher Zeit 
Den Helm vom Haupt aus Höfifchheit 
25 Und empfiengen Parzival zu Fuß. 
Ein Segen däuchte ſie ſein Gruß. 
Sie begrüßten auch mit Fleiß 
Dieſen Heiden ſchwarz und weiß, 


395 


XVI. Loherangrin. 


Und ritten weinend, ob in Freuden, 
Gen Monſalvaſch dann mit den Beiden. 


794 Da fanden ſie zahlloſe Scharen, 
Manchen Ritter grau von Haaren, 
Knappen und edle Kinde. 

Das traurge Ingeſinde 

5 Schien ihre Ankunft doch zu freun. 
Feirefiß Anſchewein 
Und ſein Bruder Parzival, 
An der Stiege vor dem Saal 
Wurden ſie wohl empfangen. 

10 In den Saal ward gegangen. 


Da lagen nach des Hauſes Sitten 
Hundert Teppiche, rund geſchnitten; 
Ein Bett auf Jedem, weich genug, 
Mit geſtepptem Sammetüberzug. 

15 Da muſten Beide zum Empfang 
Niederſitzen, nur ſo lang 
Bis fie die Ruͤſtung abgethan. 

Dann kam ein Kämmerer heran, 
Der ihnen Kleider brachte, reich, 

20 Dem einen wie dem andern gleich. 
Auch all die Schar der Ritter ſaß. 
Man trug von Gold (es war nicht Glas) 
Manchen Becher in den Saal. 
Feirefiß und Parzival 

25 Tranken und giengen dann 
Zu Anfortas dem traurgen Mann. 


Ihr habt wohl ſchon vernommen, daß 
Er lehnte und gar ſelten ſaß; 


— BB 


Xvl. Loherangrin. 397 


Auch wie das Bett geſchmückt ihm war. 
Die Zwei empfieng Anfortas, zwar 
795 Froͤhlich, doch mit Kummers Klage. 

„Mit Schmerz erharrt' ichs lange Tage, 
Werd ich künftig von euch froh. 
Wohl war euer Abſchied ſo, 

5 Daß ihr es billig jetzt bereut, 
Wenn euch mir zu helfen freut. 
Ward jemals Preis von euch geſagt, 
Hier iſt mancher Ritter, manche Magd: 
Bittet, daß man mir den Tod 

10 Vergönnt, fo endet meine Noth. 
Iſt euer Name Parzival, 
So entziehet meinem Blick den Gral 
Sieben Nacht nur und acht Tage, 
So hat ein Ende meine Plage. 

15 Euch anders warnen darf ich nicht: 
Heil euch, wenn Hülf euch nicht gebricht. 
Eur Geſell iſt hier ein fremder Mann, 
Deſſen Stehen ich nicht dulden kann. 
Was ſorgt ihr nicht für fein Gemach?“ 

20 Parzival mit Weinen ſprach: 


„Sagt mir wo der Gral hier liege. 
Wenn ich durch Gottes Gnade ſiege, 
Des werdet ihr wohl inne werden.“ 
Da warf er betend ſich zur Erden 
25 Dreimal zur Dreifaltigkeit, 
Daß des traurgen Mannes Leid 
Jetzt ein Ende moͤcht empfahn. 
Der Held ſtand auf und ſprach alsdann: 


398 


XVI. Loherangrin. 


„Oheim, was fehlet Dir?“ 

Der für St. Silveſtern einen Stier 
796 Vom Tode lebend wandeln hieß, 

Der Lazarum erſtehen ließ, 

Derſelbe half, daß Anfortas 

Alsbald zu vollem Heil genas: 

5 Was der Franzoſe nennt Florie, 
Den Glanz er ſeiner Haut verlieh. 
Nun war Parzivals Schoͤnheit Wind, 
Und Abſalons, Davidens Kind, 

So Aller, die wie Vergulacht 

10 Die Schönheit erblich hergebracht, 
Auch Gahmuretens Schönheitspreis, 
Als er dort zu Kanvoleis 
Einzug hielt ſo wonniglich — 

All ihre Schönheit Dieſer wich, 
15 Die Anfortas aus Siechheit trug. 
Gott kann der Künſte noch genug. 


Da braucht' es weiter keine Wahl: 
Durch die Schrift an dem Gral 
War ihnen ſchon ein Herr benannt. 
20 Parzival ward anerkannt 
Als König und Gebieter dort. 
Man fände wohl an andern Ort 
So leicht nicht Zwei ſo reiche Männer 
(Von Reichthum bin ich zwar kein Kenner), 
25 Als Feirefiß und Parzival. 
Dem Wirth und ſeinem Gaſt zumal 
War man zu dienen treu beflißen. 
Ich kann der Meilen Zahl nicht wißen, 


Xvl. Loberangrin. 399 


Die Kondwiramur geritten kam 
Gen Monſalvaͤſch wohl ohne Gram. 
797 Sie hatte Alles ſchon vernommen: 

Ihr war die Botſchaft gekommen, 
Ein Ende hätt all ihre Noth. 
Der Herzog Kiot 

5 Und ſonſt noch mancher werthe Degen 
Hatten ſie auf waldgen Wegen 
Gen Monſalväſch geführt, bis dort 
Wo Segramors, ihr kennt den Ort, 
Aus dem Sattel war gewichen, 

10 Und Ihr der blutge Schnee geglichen. 
Da ſollte Parzival ſie finden: 
Des mocht er gern ſich unterwinden. 


Ein Templer bracht ihm dieſe Mare: 
| Mit der Königin gekommen wäre 
15 Hoͤfſcher Ritter große Zahl. 
Nicht lang beſinnt ſich Parzival: 
Mit Eingen von des Grales Heer 
Zu Trevrezenten reitet er. 
Den Klausner freute herzlich, daß 
20 Es alſo ſtund um Anfortas, 
Daß er von jener Tjoſt nicht ſtarb 
Und ihm die Frage Heil erwarb. 
„Gottes Kraft iſt unermeßen! 
Wer hat in ſeinem Rath geſeßen? 
25 Wer weiß ein Ende ſeiner Macht? 
Zu Ende wird es nie gedacht 
Von allen Himmelschoͤren dort. 
Gott iſt Menſch und ſeines Vaters Wort. 


400 XVI. Loherangrin. 


Gott iſt Vater und Sohn zugleich, 
Sein Geiſt iſt aller Hülfe reich.“ 


798 Zu Parzival begann er da: 

f „Ein Wunder iſts wie nie geſchah, 
Da Gott erzürnt hat eure That, 
Daß ſein dreieinig ewger Rath 

5 Euch Wunſch und Trachten ließ gelingen. 
Ich log, um nur euch abzubringen 
Vom Gral, wie's um ihn ſtuͤnde 
(Gebt mir Buße für die Sünde; 
Gehorſam will ich jetzt euch ſein, 

10 Schweſterſohn und Herre mein): 
Daß die vertriebenen Geiſter 
Verwieſen von dem Weltenmeiſter 
Harrend ſchwebten um den Gral, 
Ob ihnen Gnade würd einmal. 

15 Alſo ſprach ich dort zu euch. 
Doch Gott iſt ſtats ſich ſelber gleich, 
Er ſtreitet ewig wider ſie 
Und Gottes Huld wird ihnen nie. 
Wer ſeinen Lohn davon will tragen, 

20 Der muß den Böſen widerſagen: 
Ewiglich ſind ſie verloren, 

Sie haben ſelbſt den Fall erkoren. 
Ihr mühtet euch, das war mir leid, 
Umſonſt in ganz vergebnem Streit. 

25 Daß Wer den Gral ſich moͤcht erſtreiten 
War unerhoͤrt zu allen Zeiten; 
Ich hätt euch gern der Muͤh entnommen. 
Doch anders iſt es nun gekommen, 


XVI. Xoheraugrim. 


Euch kam von Oben der Gewinn; 
Zur Demuth wendet nun den Sinn.“ 


799 Zum Oheim ſprach der Waleis da: 
„Ich ſoll ſie ſehn, die ich nicht ſah 
Innerhalb fünf Jahren. 

Da wir beiſammen waren 
5 War ſie mir lieb; das iſt ſie noch. 
Ich wünſche deinen Rath jedoch 
So lang uns noch nicht ſchied der Tod: 
Du riethſt mir einſt in großer Noth. 
Ich ziehe meinem Weib entgegen: 
10 Die zog daher auf waldgen Wegen 
Bis an des Plimizoͤls Geſtad.“ 
Der Held um ſeinen Urlaub bat. 


Da befahl ihn Gott der gute Mann; 
Nacht war es, als er fuhr hindann. 
15 Den Geſellen war der Wald wohl kund. 
Am Morgen fand er lieben Fund, 
Manch Gezelt aufgeſchlagen: 
Aus dem Lande Brobarz, hoͤrt ich ſagen, 
Aufgepflanzt war manch Panier, 
20 Und mancher Schild gehaͤngt dafür: 
Seines Landes Fürſten lagen dort. 
Der Waleis frug, an welchem Ort 
Die Köngin ſelber läge 
Und ob eigner Kreiß ſie häge? 
25 Da zeigte man ihm wo ihr Zelt 
Mit eignem Umkreiß ſtand im Feld, 
Von andern Zelten rings umfangen. 
Herzog Kiot von Katelangen 


Parzival und Titurel. II. 26 


401 


402 XVIl. Loherangrin. 


War zeitig aufgeſtanden heute: 
Da ſah er reiten fremde Leute. 


800 Noch war des Tages Schimmer grau; 

Kiot erkannte doch genau 
Des Grales Wappen an der Schar: 
Sie führten Turteltauben klar. 

5 Der alte Mann erſeufzt von Herzen, 
Da er Schoiſianens denkt mit Schmerzen: 
Die er zu Monſalväſch erworben 
War bei Sigunens Geburt geſtorben. 
Entgegen gieng ihm Parzival 

10 Und empfieng ihn mit den Seinen all. 
Den Marſchall der Koͤnigin, 
Durch einen Junker bat er ihn, 
Den Rittern gut Gemach zu ſchaffen, 
Die er da halten ſah in Waffen. 

15 Ihn ſelber führt' er an der Hand 
Wo er der Köngin Kammer fand, 
Ein klein Gezelt von Buckeram, 
Wo man die Rüſtung von ihm nahm. 


Noch ahnte nichts die Koͤnigin. 

20 Kardeiß und Loherangrin 

Fand bei ihr liegen Parzival 

(Wer zählt da feiner Freuden Zahl?) 

In einem hohen weiten Zelt, 

Und rings umher ihr zugeſellt 
25 Lagen klarer Fraun genug. 

Kiot ihr auf die Decke ſchlug, 

Er hieß die Königin erwachen, 

Fröhlich fein und lachen. 


XVI. Loherangrin. 403 


Sie blickt' empor und ſah den Mann. 
Sie hatte nur das Hemde an. 
801 Die Decke hurtig um ſich ſchwang, 

Auf den Teppich vor dem Bette ſprang 
Kondwiramur, das ſchöne Weib; 
Auch umfieng ſie ihres Mannes Leib. 

5 Man ſagte mir, ſie küſsten ſich. 
Sie ſprach: „So hat das Glück mir dich 
Geſendet, Herzensfreude mein!“ 
Sie hieß ihn willkommen ſein. 
„Nun ſollt ich zürnen, kann nicht, ach! 

10 Heil ſei der Stunde, ſei dem Tag, 
Die mir brachten dieſen Kuſs, 
Da von mein Trauern ſchwinden muß. 
Nun hab ich was mein Herz begehrt, 
Allen Sorgen iſt der Sieg verwehrt.“ 


15 Nun erwachten auch die Kindelein, 
Kardeiß und Loherangrein: 
Die lagen auf dem Bette bloß. 
Wohl war des Vaters Freude groß, 
Da er ſie küſste minniglich. 
20 Nicht lang bedachte Kiot ſich, 
Er befahl die Knaben fortzutragen; 
Man hoͤrt' ihn auch den Frauen ſagen, 
Daß ſie aus dem Zelte giengen. 
Das thaten ſie, doch erſt empfiengen 
25 Sie ihren Herrn nach langer Reiſe. 
Kiot der höfiſche und weiſe 
Befahl der Koͤngin ihren Mann; 
Die Jungfraun führt' er all hindann. 


XVI. Loher angrin. 


Noch begann es kaum zu tagen; 
Die Winden wurden zugeſchlagen. 


802 Nahm ihm einſt bewuſten Sinn 


Schnee und Blut gemiſcht dahin 
(Die fand er liegen hier im Hain), 
Für ſolchen Kummer ſteht nun ein 

5 Kondwiramur, die Beides hat. 
Nie hatt er Hülf an andrer Statt 
Empfangen für der Minne Noth, 
Ob manch edles Weib ihm Minne bot. 
In füßer Kurzweile lag 

10 Er bis zu vollen Morgens Tag. 


Neugierig nahte Kiots Schar: 

Sie nahmen der Templeiſen wahr. 

Von Hieb und Stoß zerſchlagen 

Sah man ſie Helme tragen; 
15 Ihr Schild hat Lanzenſtoͤß erlitten, 

Von Schwertern war er auch zerſchnitten. 

Von Sammet oder Seidentuch 

War das Kleid, das Jeder trug. 

Keinen Harniſch trugen mehr die Stolzen, 
20 Nur an den Fuͤßen Eiſenkolzen. 


Nicht mehr zum Schlafen ſtand ihr Sinn. 
Der König und die Königin 
Standen auf. Ein Prieſter Meſſe ſang. 
Da ward im Lager groß der Drang 

25 Von dem tapfern Kriegesheer, 

Das Klamiden einſt ſtand zur Wehr. 
Als die Meſſe war begangen 
Wurde Parzival empfangen 


XVI. £Loherangrinm. 


Würdiglich von feinem Bann, 


Manchem Ritter kühn und wohlgethan. 


803 Des Zeltes Winden nahm man ab. 


Der Koͤnig ſprach: „Wo iſt der Knab, 
Der König fein fol euerm Land?“ 
Allen Fürften macht?’ er da bekannt: 

5 „Wals und Norgals, 

Kanvoleiß und Kingrivals 

Gehoͤrt zu vollem Recht ihm an, 

Mit Anſchau und Bealzenan. 

Erwaͤchſt er einſt zu Mannes Kraft, 
10 So helft, daß ihr ihm Die verſchafft. 

Gahmuret mein Vater hieß, 

Der mirs als rechtes Erbe ließ. 

Da mir das Glück verhalf zum Gral, 

So empfanget ihr ſchon dieſes Mal 
15 Eure Lehn von meinem Kinde, 

Wenn ich euch getreu befinde.“ 


Das geſchah von Herzen gern. 

Viel Fahnen brachte man dem Herrn: 
Da verliehn zwei kleine Hände 

20 Weiter Lande manches Ende. 
Gekroͤnet wurde da Kardeiß; 
Er bezwang auch ſpäter Kanvoleiß 
Und mehr von Gahmuretens Land. 
An des Plimizoͤls gruͤnem Rand 

25 Ward ein weiter Kreiß gemeßen, 
Wo ſie zu Mittag ſollten eßen. 
Sie nahmen eilends Trank und Speiſe 
Und ſchickten ſich zur Heimreiſe. 


405 


406 XVI. Loherangrin. 


Die Zelte brach das Heer darnieder; 
Mit dem jungen König fuhr es wieder. 


804 Das Ingeſind und viel Jungfrauen 
Ließen großen Kummer ſchauen, 
Da ſie ſchieden von der Koͤnigin. 
Die Templer nahmen Loherangrin 
5 Und ſeine Mutter wohlgethan: 
Alſo ritten ſie hindann 
Gen Monſalväſche balde. 
„Eines Tags in dieſem Walde 
Sah ich eine Klauſe ſtehn,“ 
10 Sprach Parzival, „und drinne gehn 
Einen ſchnellen Brunnen klar: 
Wenn ihr ſie wißt, ſo weiſt mich dar.“ 
Sie wüſten ſie, ward ihm geſagt 
Von den Gefährten, „eine Magd 
15 Wohnte klagend auf des Freundes Sarg; 
Ihr Herz die lautre Güte barg. 
Unſer Weg geht nah vorbei; 
Ihr Herz iſt ſelten Jammers frei. 
Der König ſprach: „Ich will fie ſehn.“ 
20 Die Andern ließens gern geſchehn. 


Sie ritten vorwaͤrts lange fort 

Und fanden ſpät am Abend dort 

Sigunen auf den Knieen todt: 

Da ſah die Koͤngin Jammers Noth. 
25 Durch den Felſen brach man zu ihr ein. 

Seiner Baſe halber ließ den Stein 

Parzival vom Sarge heben. 

Schoͤn gebalſamt wie im Leben 


XVI. Loher angrin. 407 


Lag Schionatulander da. 
Man legte ſie dem Helden nah, 
805 Die ihm magdthumliche Minne gab 
Im Leben, und verſchloß das Grab. 
Kondwiramur begann zu klagen 
Ihres Oheims Tochter, hoͤrt' ich ſagen, 
5 Mit großen Schmerzen unerlogen: 
Schoiſiane hatte ſie erzogen, 
Die Mutter der geſtorbnen Maid, 
Als Kind, das ſchuf ihr bittres Leid, 
Die Muhme nannte Parzival, 
10 Wenn Wahrheit ſpricht der Provinzal. 


Noch wuſte Herzog Kiot 

Nicht um ſeiner Tochter Tod, 

Der Kardeißen hatt erzogen. 

Es iſt nicht krumm wie der Bogen, 
15 Die Wahrheit ſag ich recht und ſchlecht. 

Da thaten fie der Reif ihr Recht 

Gen Monſalväſch in tiefer Nacht. 

Die Stunden harrend zugebracht 

Hatte Feirefiß mit freudgem Herzen. 
20 Man entzündete viel Kerzen 

Als wär entbronnen rings der Wald. 

Einen Templer von Patrigalt 

Sah man bei der Köngin reiten. 
Der Hof war räumig: an den Seiten 
25 Stand harrend manch geſondert Heer: 

Sie empfiengen all die Koͤngin hehr, 

Den Wirth und auch ſein Soͤhnelein. 

Da trug man Loherangrein 

Zu ſeinem Oheim Feireſiß: 


A08 XVI. Loherangrin. 


Da Der ſich ſchwarz und weiß erwies, 
806 Wollt ihm das Kind den Mund nicht leihn; 
Den Kleinen muß man Furcht verzeihn. 


Luſtig däuchte das den Heiden. 
Das Volk begann ſich nun zu ſcheiden 
5 Auf dem Hofe, wo die Königin | 
Abgeſtiegen; Hochgewinn 
War Allen ihre Kunft fürwqhr. 
Man führte ſie, wo Frauen klar 
Sie zu empfangen ſich beflißen. 
10 Anfortas und Feirefißen 
Mocht man da bei den Frauen 
Höfiſch an der Stiege ſchauen. 
Repanſe de Schoie, 
Von Grünland Garſchiloie 
15 Und Florie von Nonel 
Trugen klare Haut und Augen hell, 
Dazu magdthumlichen Preis, | 
Da ſtand auch, ſchwanker als ein Reis, 
Der Güt' und Schoͤnheit unverloren 
20 War, zur Tochter Ihm geboren, 
Ril, dem Herrn von Jerniſe, 
Die reine Magd Anfliſe. 
Von Ihr ſtand Klariſchanz nicht weit, 
Von Tenabrock die ſüße Maid, 0 
25 An lichter Farbe unverkuͤrzt, 
Trotz Ameiſen ſchlank geſchuͤrzt. 


Die Königin von Feirefiß 
Zum Willkomm gern ſich küſſen ließ, 
Von Anfortaſen ebenſo; 
Auch war ſie ſeiner Heilung froh. 


XVI. Loherangrin. 409 


807 Der Heide führte ſie an der Hand, 
Wo ſie des Wirthes Muhme fand, 
Repanſen de Schoie, ſtehn. 

Noch muſten Küſſe viel geſchehn. 

5 Ihr Mund war ſchon zuvor ſo roth, 
Von Küſſen litt er nun ſolche Noth: 
Daß Ich für ſie ſo manche Maid 
Nicht küſſen kann, das iſt mir leid, 
Statt der reiſemüden Koͤnigin. 

10 Da führten ſie die Jungfrau hin. 


Die Ritter blieben in dem Saal: 

Da ſah man Kerzen ohne Zahl 
Wonniglich entbronnen. 
Da ward mit Zucht begonnen 

15 Ein Feſt zu halten mit dem Gral. 
Man pflegt' ihn nicht bei jedem Mal 
Zur Schau dem Volke vorzutragen, 
Nur an feſtlichen Tagen. 
Sie hatten damals Troſt zu finden 

20 Gehofft, da ihre Freude ſchwinden 
Der blutge Sper ließ jenen Abend: 
Weil er lindernd iſt und labend, 
Trug man da hervor den Gral; 
Doch ließ in Noth ſie Parzival. 

25 Heut trug man ihn zur Freude vor, 
Da all ihr Kummer ſich verlor. 


Da des Reiſekleids entledigt war 
Die Koͤngin, und gekränzt ihr Haar, 
Da trat ſie wiederum herfür; 

Der Heid empfieng ſie an der Thür. 


410 XVI. Loherangrin. 


808 Nun, da war es ohne Streit, 
Es hört? und ſprach zu keiner Zeit 
Niemand von ſchoͤnrem Weibe. 
Auch trug ſie an dem Leibe 
5 Seidenzeuch von Meiſterhand 
Gewirkt, ein Stoff, den einſt Sarant 
Mit großer Kunſt erfunden hat 
Dort zu Thasme in der Stadt. 
Feirefiß Anſchewein 
10 Führte ſie, der lichter Schein 
Entſtralte, mitten durch den Saal. 
An großer Feuer drei zumal 
Gab Aloeholz Geruch und Hitze. 
Vierzig Teppiche und Sitze 
15 Sah man heute mehr, als da 
Zuerſt den Gral der Waleis ſah. 
Vor allen war Ein Sitz geziert, 
Wo mit Anfortas der Wirth 
Sitzen ſollt und Feirefißen. 
20 Wohl war da hoͤfſcher Zucht beflißen 
Wer da dienen wollte, 
Wenn der Gral erſcheinen ſollte. 


Wie man vor Anfortas ihn trug, 
Davon vernahmt ihr einſt genug: 
25 Sie halten es nach gleichem Brauch 
Vor Gahmuretens Sohn nun auch 
Und König Tampuntärens Kind. 
Die Thür geht auf; im Zuge find 
Da ſchon die Jungfraun allzumal, 
Zwei und zwanzig an der Zahl. 
809 Die erſte ſchien dem Heiden klar 


XVI. Loherangrin. 411 


Und ſchoͤn, mit langem Lockenhaar, 
Die andern ſchöner, die er da 
Auf die erſte folgen ſah, 

5 Ihre Kleider koſtbar all und reich; 
Minniglich und fhön zugleich 
War all der Jungfraun Angeſicht. 
Die letzte war vor Allen licht, 
Repans de Schoie, eine Magd. 

10 Tragen ließ, ſo wird geſagt, 
Sich der Gral von Ihr allein; 
Keine andre durft es ſein. 
Demuth wohnt' in ihrem Herzen; 
Den Schnee ſchien ihre Haut zu ſchwärzen. 


15 Wollt ihr nochmals Kunde haben, 
Wieviel Kämmerer das Waßer gaben, 
Wieviel man Tafeln vor ſie trug 
(Heut wären hundert nicht genug), 
Wie Unordnung floh den Saal, 

20 Dann der Karoſſen große Zahl 
Mit den theuern Goldgefäßen, 
Beſchrieb' ich wie die Ritter aßen, 
So käm ich allzuſpät ans Ziel, 
Drum nehm ich Kürze mir zum Ziel. 

25 Mit Zucht man von dem Grale nahm 
Alle Speiſe, Wild und Zahm, 
Hier den Meth und dort den Wein, 
Wie es Jeden mocht erfreun, 
Sinopel, Moraß und Klaret. 
Le fils dü Roi Gahmuret 

810 Fand Pelrapär nicht fo beſtellt 

Als es zuerſt erſah der Held. 


„ ͤ—: 5ʃũ 6 


412 XVi. Loheraugrin. 


Der Heide frug verwundert, 
Wie die Becher alle hundert 
5 Vor der Tafel würden voll? 
Ihm gefiel das Wunder wohl. 
Da ſprach der klare Anfortas, 
Der ihm an der Seite ſaß: 
„Herr, ſeht ihr vor euch nicht den Gral?“ 
10 Der bunte Heide ſprach zumal: 
„Ich ſehe nur ein Achmardi; 
Eine Jungfrau bracht es, Sie 
Die gekrönt dort vor uns ſteht; 
Ihre Schönheit mir zu Herzen geht. 
15 Ich wähnte doch ſo ſtark zu ſein, 
Daß mir kein Weib noch Mägdelein 
Den frohen Muth mehr rauben koͤnnte. 
Ob je mir werthe Minne goͤnnte 
Ein Weib, mir widert all ihr Minnen. 
20 Wohl iſts unziemliches Beginnen, 
Daß ich euch kunde meine Noth, 
Der ich noch nie euch Dienſte bot. 
Was hilft nun all die reiche Habe 
Und was ich um Fraun geſtritten habe? 
25 Was frommt mir, daß ich mild gegeben, 
Wenn ich in ſolcher Qual ſoll leben? 
Mein ſtarker Gott Jupiter, 
Schickteſt du mich zur Marter her?“ 


Man ſah vor Schmerz die weißen Stellen 
Seiner Haut ſich bleichend hellen: 
811 Kondwiramur die fchöne ſah 
Ihren Schein fo licht beinah 
Als der Jungfrau Weiße prangen. 


XVI. Loherangrin. 413 


In ihrer Minne Strick gefangen 
5 War Feirefiß der werthe Gaſt. 
Andre Minne ward ihm ſo verhaßt, 
Daß er ſie vergaß mit Willen. 
Was half da Sekundillen 
Ihre Minne, was Tribalibot? 
10 Eine Magd ſchuf Ihm ſo ſtrenge Noth: 
Olympia und Klauditte 
Und Sekundille die Dritte, 
Und wo ihm Lohn in andern Landen 
Ein Weib für Dienſte zugeſtanden, 
15 Aller dieſer Frauen Minne 
Schlug Gahmuretens Sohn ſich aus dem Sinne. 


Da ſah der klare Anfortas, 
Daß ſein Geſell gefoltert ſaß, 
Wie ſeine blanke Farbe blich, 
20 Ihm aller hohe Muth entwich. 
Da ſprach er: „Herr, die Schweſter mein, 
Leid wär mir, ſchüfe Die euch Pein, 
Die Niemand noch von ihr erlitten. 
Kein Ritter hat für fie geſtritten, 
25 Auch empfieng noch Niemand Lohn von ihr; 
Sie theilte großes Leid mit mir. i 
Ihre Schönheit muſt es auch entgelten, 
Daß man ſie fröhlich ſah ſo ſelten. 
Euer Bruder iſt ihr Schweſterſohn; 
Der ſchafft vielleicht euch Hülf und Lohn.“ 


812 „Die Magd ſoll eure Schweſter ſein,“ 
Sprach Feirefiß Anſchewein, 
„Die die Kron auf bloßem Haupte hat? 


414 XVI. Loherangrin. 


Gebt mir zu ihrer Minne Rath; 

5 Nach Ihr nur hat mein Herz Begehr. 
Erwarb mir jemals Preis der Sper, 
Wär das allein für Sie geſchehn, 

Und ließ ſie mich den Lohn erſehn! 
Fünf Stiche zählt man zum Turnier: 
10 Wie oft gelangen alle mir! 
Der Erſte beim Entgegenreiten; 
A Travers nennt man den Zweiten; 
Der dritte ſoll den Guten 
In rechter Tjoſt entmuthen; 

15 Oft hab ich hurtiglich geritten, 
Und auch zur Folge wohl geſtritten: 
Seit der Schild mir Deckung bot 
Empfand ich heut die groͤſte Noth. 
Einen feurgen Ritter glühn 

20 Sah ich vor Agremontin: \ 
War nicht mein Salamanderkleid, 
Von Asbeſt mein Schild zu jener Zeit, 
Ich wäre von der Tjoſt verbronnen. 
Hab ich Preis je mit Gefahr gewonnen 

25 In ſolchem Kampf, was ſandte mich 
Nicht eure Schweſter minniglich? 
Ihr Bot im Kampf noch wär ich gern. 
Meinem Gotte, Jupitern, 
Will ich ewig Haß im Herzen tragen, 
Schafft er kein Ende meinen Klagen.“ 


813 Hieß Frimutel ihr Vater nicht, 
Daß ſo gleiche Farb und Angeſicht 
Anfortas wie die Schweſter trug? 
Der Heide ſah ſie an genug, 


XVI. Loherangrin. 


5 Und ſah dann wiederum auf Ihn. 
Wieviel man Speiſen her und hin 
Da trug, ſein Mund davon nicht aß, 
Obgleich er ſcheinbar eßend ſaß. 


Anfortas ſprach zu Parzival: 

10 „Herr, euer Bruder hat den Gral, 
Wie mich dünkt, noch nicht geſehn.“ 
Da muſt ihm Feirefiß geſtehn, 

Vom Grale würd er nichts gewahr; 
Das ſchien den Rittern wunderbar. 

15 Das vernahm auch Titurel der Greis, 
Der gelähmt zu Bette lag ſchneeweiß. 
Der ſprach: „Iſts ein ungläubger Mann, 
So gedenk er nicht daran, 

Daß des Ungläubigen Augen 

20 Zu ſolcher Gnade moͤchten taugen, 
Daß er je den Gral erſchaut: 

Da ſind Schranken vorgebaut.“ 


In den Saal entbot er das. 

Da ſprach der Wirth und Anfortas: 
25 Was alle Ritter hier im Kreiſe 

Erſättige mit Trank und Speiſe, 
Bevor ein Heide ſich bekehrt, 
Wär ihm das anzuſchaun verwehrt. 
Sie riethen, daß er durch die Taufe 
Sich ewigen Gewinn erkaufe. 


814 w, Wenn ich die Taufe denn gewinne, 
Die Taufe, hilft ſie mir zur Minne?“ 
Sprach Gahmuretens Sohn, der Heide: 
„Es that mir ſonſt nicht viel zu Leide, 


415 


416 XVI. Loherangrin. 


5 Ob Streit mich oder Minne zwang. 
Die Zeit ſei kurz oder lang, 
Seit mich der erſte Schild umfangen, 
Nie ließ mich ſolche Noth erbangen. 
Es ziemt nicht, Minne zu entdecken; 
10 Doch kann mein Herz ſie nicht verſtecken.“ 


„Wen meinſt du denn?“ ſprach Parzival. 
„Die Maid mit lichter Schönheit Stral, 
Meines Nachbarn Schweſter hier. 
Verhilfſt du, Bruder, mir zu ihr, 
15 Viel Reichthum bringt ihr meine Hand, 
Ihr dienſtbar wird manch weites Land.“ 
Der Wirth ſprach: „Läßeſt du dich taufen, 
So magſt du ihre Minne kaufen. 
Wohl dutzen jetzo darf ich dich, 
20 Denn unſer Reichthum gleichet ſich, 
Da der Gral mir ward zu Theil.“ 
„Hilf mir zu meinem Heil,“ 
Sprach Feirefiß Anſchewein, 
„Bruder, bei der Muhme dein. 
25 Wenn man die Tauf im Streit gewinnt, 
So ſchaffe mich dahin geſchwind: 
Gern leiſt ich Dienſt um Ihren Lohn. 
Ich hörte gerne ſtäts den Ton, 
Wenn von der Tjoſt die Splitter ſprangen, 
Die Schwerter laut auf Helmen klangen.“ 


815 Der Wirth der Rede lachte ſehr 
Und Anfortas noch viel mehr. 
„Hier richteſt du nichts aus mit Streit,“ 
Sprach der Wirth; „doch kommt die Maid 


816 


XVI. Lohetangrin. 


5 Kraft rechter Tauf in dein Gebot. 
Jupitern, deinem Gott, ö 
Muſt du Ihrethalb entſagen 
Und Sekundillens dich entſchlagen. 
Morgen früh geb ich dir Rath, 

10 Der führt dich auf den rechten Pfad.“ 


Anfortas, eh ihn Siechthum band, 
Hatte ſich gar weit bekannt 
Gemacht durch kuͤhne That um Minne. 
Stats in ſeines Herzens Sinne 
15 Wohnte Gut und Mildigkeit; 


Auch erwarb er oft den Preis im Streit. 


Da ſaßen hier bei dem Gral 

Der beſten Ritter drei zumal 

Die je des Schildesamts gepflogen; 
20 Sie waren kuͤhn und verwogen. 


Geliebts, ſo end ich hier das Mal. 

Die Tafeln trug man aus dem Saal 
Und das Geräthe wonniglich. 
Mit holdem Gruße neigten ſich 

25 Vor ihnen all die Jungfräulein. 
Feirefiß Anſchewein 
Sah ſie aus dem Saale gehn: 
Um ſeine Freude wars geſchehn. 


Seines Herzens Schloß trug hin den e 


Urlaub gab ihnen Parzival. 


Und was man weiter noch begann, 
Wie man ſein wohl mit Betten pflag, 


Parzival und Titurel. II. 27 


Wie die Wirthin ſelber gieng hindann 


417 


418 


XVI. Loheraugrin. 


Der unſanft doch durch Minne lag, 
5 Wie die Templeiſen allzumal 
Ausruhten von der Unruh Qual, 
Auf Den Bericht muß ich verzichten: 
Ich will euch von dem Tag berichten. 


Bei des Morgens lichtem Schein 

10 Kam Parzival übsrein 

Mit Anfortas dem Helden, 

Worin? das werd ich melden. 

Sie ließen Den von Zaßamank 

Kommen, den die Minne zwang, 
15 In den Tempel vor den Gral. 

Die weiſen Templer allzumal 

Lud man auch dazu. Schon war 

Von Rittern, Knappen große Schar 

Verſammelt, als der Heid erſchien. 
20 Der Taufnapf war ein Rubin, 

Eine runde Stufe ſein Geſtell 

Von Jaspisſtein; Titurel 

Hatt ihn ſo köſtlich hergeſtellt. 

Da ſprach zum Bruder unſer Held: 
25 „Minneſt du die Muhme mein, 

All den falſchen Göttern dein 

Muſt du ihrethalb entſagen, 

Und immer Haß dem Böfen tragen, 

Der widerſagt dem hoͤchſten Gott; 

Getreulich leiſte Des Gebot.“ 


817 „Wodurch ich ſie erwerben kann,“ 


Sprach der Heide, „das wird all gethan, 
Und getreulich hald vollendet.“ 


— 


XVI. Lohetrangrin. 


Ein wenig ward gewendet 

5 Der Taufnapf hin zu dem Gral: 
Da ward er Waßers voll zumal, 
Nicht zu warm noch zu kalt. 
Da ſtand ein grauer Prieſter alt, 
Der manch heidniſch Kindelein 

10 Schon getaucht hatte drein. 


Der ſprach: „Ihr ſollt glauben, 
Wollt ihr dem Feind die Seele rauben, 
An den hoͤchſten Gott alleine. 
Dreifaltig iſt der Eine, 
15 Doch Eins und einig immerfort. 
Gott iſt Menſch und ſeines Vaters Wort. 
Da er Vater iſt und Kind, 
Die beide gleich gewaltig ſind, 
Und an Macht dem Geiſte gleich, 
20 In der dreien Namen wehret euch 
Dieſes Waßer Heidenſchaft 
Durch der Dreieinigkeit Kraft. 
Die Tauf im Waßer mied er nicht, 
Der Adam lieh ſein Angeſicht. 
25 Vom Waßer kommt der Baͤume Saft, 
| Befruchtend giebt das Waßer Kraft 
Aller Kreatur der Welt, 
Vom Waßer wird das Aug erhellt, 
Waßer giebt der Seele Schein, 
Daß kein Engel lichter möchte fein.” 


818 Feirefiß zum Prieſter ſprach: 
„Lindert es mein Ungemach, 
So glaub ich, was ihr mir befehlt. 


419 


420 XVI. Loberangrin. 


Wenn Ihre Minne mir nicht fehlt, 
5 So leiſt ich gerne ſein Gebot. 

Bruder, an der Muhme Gott 

Will ich glauben und an Sie 

(So große Noth empfand ich nie): 

Meinen Göttern all ſei abgeſchworen, 

10 Sekundille hat verloren 
Jede Forderung an mich: 
Dem Gott der Muhme taufet mich.“ 


Da ſprach man mit Handauflegen 
Ueber ihn der Taufe Segen. 

15 Als der Heide die bekam 
Und dann die Pathengabe nahm, 
Was ihm nur gar zu lange währte, 
Die Maid wars, die man ihm verehrte: 
Man gab ihm Frimutellens Kind. 

20 Den Gral zu ſchauen war er blind 
Geweſen vor der Taufe Feier: 
Gehoben jetzo war der Schleier, 

Daß er den Gral mochte ſehn. 
Als die Taufe war geſchehn, 

25 Am Grale man geſchrieben fand: 

Welchem Templer Gottes Hand 
Fremdem Volk zu helfen aufgetragen, 
Verbieten ſoll' er dem, zu fragen 
Nach ſeinem Namen und Geſchlechte, 
So lang er ihnen Hülfe brächte. 

819 Wenn ſie die Frage nicht vermieden, 
So wuͤrden ſie von ihm geſchieden. 
Seit der gute Anfortas 
So lang in bittern Schmerzen ſaß, 


XVI. Loherangrin. 


5 Weil die Frage nicht geſchah ſo lange, 
Iſt ihnen jetzt vor Fragen bange. 
All des Grales Dienſtgeſellen 
Darf man keine Frage ſtellen. 1 7 


Der getaufte Feirefiß 
10 Sich der Bitte ſehr befliß, 
Daß ſein Schwager mit ihm fahre, 
Und ſein reiches Gut nicht ſpare 
Daheim bei ihm in Zaßamank. 
Doch abgelehnt mit großem Dank 
15 Ward ſein Geſuch von Anfortaſſen: 
„Ich moͤchte nicht verderben laßen 
Zu Gott den dienſtbereiten Muth. 
Des Grales Krone war ſo gut, 
Durch Hochfahrt gieng ſie mir verloren; 
20 Nun hab ich Demuth auserkoren: 
Reichthum und der Frauen Minne 
Bleiben fern von meinem Sinne. 
Ihr führet heim ein edles Weib: 
Den Dienſt wird euch ihr keuſcher Leib 
25 Mit holder Weiblichkeit belohnen; 
Derweil will ich mich hier nicht ſchonen, 
In meinem Orden Tjoſte reiten 
Und für den Dienſt des Grales ſtreiten. 
Um Frauen ſtreit ich nimmermehr: 
Meinem Herzen gab ein Weib Beſchwer; 
820 Jedoch will ich ſie nicht verklagen 
Und nimmer Haß den Frauen tragen: 
Sie leihen Freud und hohen Sinn, 
Erwarb ich ſelbſt auch Ungewinn.“ 


421 


422 


XVI. Loherangrin. 


5 Daß er die Mitfahrt ihm gewähre 
Bat bei ſeiner Schweſter Ehre 
Feirefiß ihn flehentlich; 
Doch mit Verſagen wehrt' er ſich. 
Feirefiß Anſchewein 

10 Bat, daß Loherangrein 
Mit ihm von dannen moͤchte fahren; 
Die Mutter wollt ihm nicht willfahren; 
Auch ſprach da König Parzival: 
„Gewidmet iſt mein Sohn dem Gral: 

15 Dem muß er Herz und Dienſte weihn, 
Will Gott ihm rechten Sinn verleihn.“ 


Noch großer Freud und Kurzweil pflag 


Feirefiß bis zum eilften Tag; 
Am zwoͤlften ſchied er hindann. 
20 Da wollte dieſer reiche Mann 
Sein Weib zu ſeinem Heere führen. 
Seht, das muſte ſchmerzlich rühren 
Den getreuen Parzival. 
Ihm ſchuf der Lieben Abſchied Qual. 
25 Er berieth ſich mit den Seinen bald 
Und ſandte mit ihm durch den Wald 
Seiner Ritter große Schar. 
Anfortas der Degen klar 
Gab ſeinem Schwager das Geleit. 
Da ſah man weinen manche Maid. 


821 Sie follten ſich auf öden Wegen 


Gegen Karkobra bewegen. 
Dem, der dort als Burggraf ſaß, 
Entbot der werthe Anfortas, 


XVI. Loherangrin. 


5 Er würde jetzt daran gemahnt, 
Hab er je von ſeiner Hand 
Empfangen reichliche Geſchenke, 
Damit er ſeiner Treue denke 
Und ſeinen Schwager mit Geleit 
10 Führe manche Meile weit, 
Dazu ſein Weib die Koͤnigin, 
Durch den Wald Laprifin 
Bis zu dem Hafen an dem Strand. 
Des Urlaubs Stunde war zur Hand. 
15 Nicht weiter fuhr mit ihm das Heer. 
Erwählt ward Kondrie la Sorzier 
Als Botin ihm voranzuretſen. 
Urlaub nahmen die Templeiſen 
Alle von dem reichen Mann. 
20 So ſchied der Hoͤfiſche hindann. 


Den Burggraf, der nicht unterließ 
Zu thun, wie ihn Kondrie hieß, 
Feirefiß den reichen Mann 
Sah man ihn ritterlich empfahn 
25 Und ihm gut Gemach ertheilen. 
Doch durft er dort unlange weilen, 
Er fuhr am Morgen weiter, 
Und viel Ritter als Geleiter. 
Noch manches Land durchzog er da 
Bis er das Feld vor Joflanz ſah. 


822 Sie fanden Leute noch genug 
Wo einſt das Lager ſtand: da frug 
Feireſiß fie um die Märe 

Wo das Heer geblieben wäre? 


423 


+ 


424 XVI. Loherangrin. 


5 Da hatten ſie ſich längſt gewandt 
Ein Jeder heim zu ſeinem Land; 
Artus gegen Schamilot. 

Der von Tribalibot 
Eilte ſich nur deſto mehr 

10 Nach dem Hafen an dem Meer. 
Da hielten trauernd ſeine Scharen, 
Weil ſie von ihm geſchieden waren. 
Doch brachte neuen hohen Muth 


Seine Heimkehr manchem Ritter gut. 


15 Der Burggraf von Karkobra 
Und all die Seinen wurden da 
Mit reichen Gaben heimgeſandt. 
Neue Märe ward Kondrien bekannt: 
Boten meldeten dem Heere 

20 Daß Sekundill geſtorben wäre. 


Repans de Schoie wurde ſo 
Erſt ihrer Reiſe wahrhaft froh. 
In Indien gebar ſie dann 
Einen Sohn, den man Johann, 
25 Oder Prieſter Johannes hieß, 
Und der den Namen hinterließ 
Allen Koͤngen bis auf unſre Zeiten. 
Das Chriſtenthum verbreiten 
Ließ Feirefiß in allen Landen, 
Die dort ihm zu Gebote ſtanden: 
823 Durch ſeine Pfleg erwuchs es da. 
Hier nennen wir es India, 
Doch heißt es dort Tribalibot. 
Durch Kondrie la Sorzier entbot 
5 Feirefiß dem Bruder Mare, 


arm — — — 832858 ——.. 8 


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XVI. Loherangrin. 425 


Wie es ihm ergangen wäre 
Seit Sekundillens Todesſtunde. 
Gern hörte Anfortas die Kunde 
Daß ſeine Schweſter ohne Zwiſt 

10 So weiter Lande Herrin iſt. 


Wahrheit habt ihr von fuͤnf Kindern 
Frimutels gehört, nicht mindern. 
Davon ſind zweie längſt geſtorben; 
Drei haben hohes Heil erworben. 
15 Schoiſiane hieß die Eine, 
Die vor Gott der Falſchheit reine; 
Herzeleid die andre hieß, 
Die Falſchheit aus dem Herzen wies. 
Schwert und ritterliches Leben 
20 Hat Trevrezent dahin gegeben 
An die ſuüͤße Gottesminne 
Und ſtrebt nach ewigem Gewinne. 
Der klare Anfortas verband 
Das keuſche Herz der kuͤhnen Hand, 
25 Indem er noch viel Tjoſte ritt, 
Für den Gral und nicht für Frauen ſtritt. 
Zur Kraft erwuchs Loherangrin, 
Verzagtheit ſah man von ihm fliehn; 
Als er ſich kuͤhner That befliß 
War ihm Preis im Dienſt des Grals gewiſs. 


824 Hört weiter von dem jungen Helden. 
Von einer Fürftin laßt euch melden; 
Der Falſchheit ledig war ihr Muth: 
Erlaucht Geſchlecht und reiches Gut 
5 Mochte ſie den Vätern danken; 


426 XVI. Loherangrin. 


Sie ſelber ſah man nimmer wanken 
In reinem Wandel vor dem Herrn; 
Irdiſch Verlangen blieb ihr fern. 
Es warben Herrn um ſie genug; 

10 Davon die Krone Mancher trug, 
Und Mancher war ihr Standsgenoß; 
Doch ihre Demuth blieb ſo groß, 
Daß ſie jeder Werbung widerſtand. 
Der Grafen viel aus ihrem Land 

15 Schalten fle mit bitterm Grolle: 
Worauf fie länger warten wolle, 
Daß ſie den gleichen Mann nicht wähle, 
Dem fie Leut und Land befehle? 


Auf Gott allein war ihr Verlaß, 

20 Geduldig trug ſie Zorn und Haß. i 
— Sie hört’ unſchuldig ſich verdammen: mente & — 
Ihre Fuͤrſten rief fie da zufammen; j 

Die zogen weit und breit heran: 

Da verſchwur ſle jeden Mann, 
25 Den ihr Gott nicht zugeſendet; 

Deſſen Minne ſet ihr Herz verpfändet. 


Fürſtin war ſie in Brabant; 
Von Monfalväfche ward geſandt, 
Vom Schwan im Nachen hergebracht, 
Welchen Gott ihr zugedacht. 

825 Vor Antwerpen ward er ans Land gezogen; 
Sie war auch nicht an ihm betrogen: 
Herrlich wuſt' er zu gebahren, 

An Mannlichkeit und Schoͤnheit waren 
5 Nicht Viele ſeines Gleichen 


EEE m ei an a ne ten 


XVI. Loherangrin. 


In allen Erdenreichen, 
Wo man ſein Kunde je gewann. 
Er war ein zuͤchtger, hoͤfſcher Mann, 
Freigebig ohne Aderſchlag, 
10 Dem es an jedem Fehl gebrach. 


Da ihn die Fürſtin wohl empfieng, 
Vernehmt wie feine Red ergieng: 
Im Kreiß verſammelt hörte dort 
Arm und Reich des Fremdlings Wort. 

15 „Frau Herzogin,“ ſo hub er an, 

„Soll ich dieſes Landes Kron empfahn, 
So verlier ich anderwaͤrts ein Reich. 
Dieſe Bitte ſtell ich euch: 

Fraget nimmer wer ich bin, 

20 So bleib ich bei euch immerhin: 
Werd ich zu eurer Frag erkoren, 
Meine Minne habt ihr bald verloren. 
Wollt ihr der Warnung nicht willfahren, 

So warnt mich Gott hinwegzufahren.“ 

25 Ihre Treue ſetzte ſie zum Pfand 

(Der ſie ſich doch aus Lieb entband), 
Sie woll ihm zu Gebote ſtehn 

Und es nimmer überſehn 

Was er ſie auch leiſten hieße, 

So lang ſie Gott bei Sinnen ließe. 


826 Der nächten ihre Minn empfand 
Hieß am Morgen Herzog von Brabant. 
Bei der Hochzeit, die man veich begieng, 
„Ein jeder Fürſt von ihm empfieng 
5 Die Lehen, die er follt empfahn. 


428 


IVI. Loherangriu. 


Ein gerechter Richter war ihr Mann, 
Auch uͤbt' er oftmals Ritterſchaft 


Und behielt den Preis durch Muth und Kraft. 


— Sie gab ihm manches ſchoͤne Kind. 
10 Viel Leute noch in Brabant ſind, 
Die wohl wißen von den Beiden, 
Seinem Kommen, ſeinem Scheiden, 
Und wie lang er dort verblieb 
e Bis ihre Frag ihn vertrieb. — 
15 Er ſchied auch ungern hindann. 
Doch ſchwamm herbei ſein Freund der Schwan 
Und nahm ihn in den Kahn an Bord. 
„Zum Angedenken ließ er dort 
Ein Schwert, ein Horn, ein Ringelein. 
20 Von hinnen fuhr Loherangrein. 
Dieſe Märe ſagt' euch ſchon, 
Er war Parzivalens Sohn; 
Der fuhr auf unbekannten Wegen 
Wieder heim, des Grals zu pflegen. 


25 Wie geſchahs der edeln Herzogin? 
Was trieb den Herzensfreund ihr hin? 
Daß ſie nicht fruͤge, war ſein Rath, 

Als er vom See zu Lande trat. 
Hier ſollte nun Herr Ereck ſprechen, 
Der Bruch des Schweigens weiß zu rächen. 


827 Daß von Troyes Meiſter Chriſtian 


Dieſer Mare Unrecht hat gethan, 
Darüber zürnte wohl Kiot, 
Der uns die wahre Mär entbot. 


XVI. Loberangrim. 429 


5 Hiermit ſchließt der Provenzal, 


Da Herzeleidens Sohn den Gral, 
Der ihm geordnet war, beſaß, 
Seit ihn verwirkt hatt Anfortas. 
Von Provenz ins deutſche Land 


10 Ward uns die rechte Mär geſandt 


Und der Aventüͤre letztes Ziel. 
Nicht mehr davon hier ſprechen will 
Ich Wolfram von Eſchenbach 

Als dort davon der Meiſter ſprach. 


15 Des Helden Kinder, ſein Geſchlecht 


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Lehrt' ich euch erkennen recht; 

Ihn ſelber bracht ich an den Ort, 
Wo Heil ihm blühet immerfort. 
Weſſen Leben ſo ſich endet, 

Daß nicht die Seele Gott entwendet 
Wurde durch des Leides Schuld, 

Und Er dennoch ſich die Huld 

Der Welt erhielt mit Wuͤrdigkeit, 
Der blieb vom rechten Ziel nicht weit. 
Mich ſollten billig gute Frauen, 


Verſtändge, deſto lieber ſchauen, 


Wenn noch ein Weib mir freundlich lacht, 


Weil ich dieß Werk zum Schluß gebracht. 
Geſchah das einer Frau zu Ehren, 
Die ſoll mir füßen Dank gewähren. 


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— nur TTT — —— — — 


Titurel. 


Bruchſtücke. 


— EEE EEE EELEVEEEECEEEE 
Fr u 1 — 


I. 


Sigune und Schionatulander. 


parzival und Titurel. II. 28 


Inhalt. 


— 


Der alte Titurel überglebt die Pflege des Grals feinem Sohne Frimutel, 
von deſſen fünf Kindern Anfortas und Trevrezent ſich ſchon Waffenruhm er— 
worben; die Töchter find Schoiſiane, Herzeleide und Repanſe de Schoie. 
Schoiſiane wird dem Herzogen Kiot von Katelangen (Katalonien) vermält, 
ſtirbt aber bei der Geburt Sigunens. Vor Leid begiebt ſich Kiot nebſt feinem 
Bruder Manfilot des Schwertes; ſein anderer Bruder Tampentär, König von 
Brobarz, von dem Kiot ſein Herzogthum zu Lehen trägt, leiht es nun Sigunen 
und nimmt dieſe zu ſich, um ſie mit ſeiner Tochter Kondwiramur zu erziehen. 
Herzeleide wird mit Kaſtis vermält, der am Hochzeittage ſtirbt und ihr die 
Königreiche Waleis und Norgals hinterläßt, welche fie ihrem zweiten Gemal, 
Gahmuret, zubringt. Nach Tampentärs Tode, dem Kardeiß in Brobarz folgt, 
wird Sigune, auf Herzeleidens Bitte, zu dieſer gebracht und mit Schionatu— 
lander bei ihr erzogen. Dieſen jungen Delfin (Dauphin) von Graswaldane 
(Graisivaudan, Viennois oder Dauphinée), den Helden der Aventüre, hatte die 
Königin Anfliſe von Frankreich, Gahmurets Jugendgeliebte, dieſem anvertraut. 
Sein Ahn war Gurnemans de Graharz, ſein Vater Gurzgri, ſeine Mutter 
Mahaute, des Pfalzgrafen Eckunat Schweſter. Schionatulander hatte Gah⸗ 
mureten oft als Bote bei Anflifen gedient; jetzt ward er ſelber von Sigunens 
Minne berührt. Er bittet um ihre Hülfe, und ein reizendes Geſpräch über 
Minne entſpinnt ſich zwiſchen den Kindern. Sigune iſt ihm hold, doch ſoll 
ſie Schionatulander erſt unter Schildesdach verdienen. Um dieſe Zeit zieht 
Gahmuret zum andern Mal nach dem Morgenlande, dem Baruch gegen die 
babyloniſchen Brüder beizuſtehen; Schionatulander begleitet ihn, beginnt aber 
dort aus Sehnſucht nach Sigunen zu ſiechen. Gahmuret, der feinen Kummer 
bemerkt, ſtellt ihn zur Rede und verheißt ihm, als er ſeine Liebe zu Sigunen 
bekennt, Belſtand und Fürſprache. Ein ähnliches Zwlegeſpräch zwiſchen Si: 
gunen und Herzeleiden beſchließt den wahrſcheinlich ganz erhaltenen Abſchnitt. 


1 Als ſich der ſtarke Titurel 
noch wuſte zu rühren, 
Er getraute wohl die Seinen 
und ſich ſelbſt im Sturme zu fuͤhren; 
Jetzt ſprach er im Alter: „Ich lerne 
Daß ich den Schaft muß laßen: 
den ſchwang ich ſonſt ſo ſchoͤn und ſo gerne. 


2 „Koͤnnt ich noch Waffen tragen,“ 
ſprach der Furchtloſe, 
„Die Lüfte müſten ſchüttern 
von meines Speres krachendem Stoße, 
Splitter gaͤben Schatten vor der Sonnen; 
Viel Helmzierden ſah ich 
von meines Schwertes Schneide hell entbronnen. 


3 „Hab ich von hoher Minne 
je Troſt empfangen, 
Ließ mich der Minne Süße 
je Beſeligung erlangen, 
Wenn je mich grüßten minnigliche Frauen, 
Das iſt nun fremd geworden 
dem ſchwachen Greiſe, dem altergrauen. 


438 I. Sigune und Schlonatulander. 


4 „Mein Glück, mein Entſagen, 
mein liebendes Sinnen, 
Und ließ mich milde Gabe 
und fühne That je Wuͤrdigkeit gewinnen, 
Das kann an meinen Kindern nicht verderben. 
Treu und wahre Minne 
muß ſich auf mein ganz Geſchlecht vererben. 


5 „Ich weiß wohl, wen weibliches 
Lachen begrüßet, 
Daß ſein Herz auf immerdar 
hoher Sinn und Stätigkeit durchſüßet. 
Nimmermehr verlaßen ihn die beiden 
Als mit dem Tod alleine; 
anders kann ſie Niemand von ihm ſcheiden. | 


6 „Da der Gral mir wurde 
von Gott gefendet, 
Den ich aus des Engels 
Hand empfieng, von ſeinem Glanz geblendet, | 
Geſchrieben fand ich da des Grales Orden: 
Nie war vor Mir die Gabe 
menſchlichen Händen noch zu Theil geworden. 


7 „Der Herr des Grales lebe 
N in Demuth und Reine. 
O weh, füßer Sohn 
Frimutel, daß ich nur Dich alleine 6 
Von meinen Kindern noch dem Gral bewahre! | 
Nun empfah des Grales Krone 
und den Gral, mein Sohn der lichte klare. 


1. Sigune und Schionatulander. 439 


8 „Sohn, das Amt des Schildes 
haſt du bei jungen Jahren 
Kräftiglich verwaltet, 
Zagheit hat man nie an dir erfahren. 
Von der Ritterſchaft muß Ich mich wenden: 
Nun wehr dich, Sohn, alleine: 
ſieh, die Kraft entſchwindet meinen Handen. 


9 „Fünf liebe Kinder, 
Sohn, hat dir Gott verliehen: 
Die ſind auch hier dem Grale 
zu einem werthen Ingeſind gediehen. 
Anfortas und Trevrezent der ſchnelle: 
Vor allem Preiſe, ſelber 
wohl noch erleb ichs, ſchallt ihr Preis einſt helle. 


10 „Deine Tochter Schoiſiane 
beſchließt der guten Gaben 
So viel in ihrem Herzen, 
einſt wird die Welt noch Frommen von ihr haben. 
Herzeleiden mag es auch gelingen. 
Urrepans de Schoiens Lob 
N wird kein ander Lob zum Schweigen bringen.“ 


11 Dieſe Rede hoͤrten 
die Frauen und die Ritter. 
Wohl in manchen Herzen 
der Templeiſen ward der Jammer bitter, 
Die er einſt aus manchem Treffen brachte, 
Wenn er den Gral mit ſeiner Hand 
und ihrer Hülfe ritterlich bewachte. 


440 1. Sigune und Schionatulander. 


12 So war der ſtarke Titurel 
geworden der ſchwache, 
So von hohem Alter 
als von des Siechthumes Ungemache. 
Frimutel beſaß hinfort in Ehren 
Den Gral auf Monfalväfche: 
kein irdiſch Reich mag hoͤhres Heil gewähren. 


13 Nun waren ſeiner Toͤchter 
zwo in den Jahren, 
Da ſie zu hoher Minne 
an Freundes Arm voll ausgewachſen waren. 
Werben ſah man um Schoiſianens Minne 
Viel Könge mancher Lande: 
da ward ſie einem Fuͤrſten zum Gewinne. 


14 Kiot aus Katelangen 
erwarb Schoiſianen. 
Nie an Schoͤnheit unterm Mond 
glich eine Jungfrau der Wohlgethanen. 
Auch mocht Ihm ihre Hand viel Tugend lohnen: 
Hohe Koſten, kuͤhne That 
pflegt' er, wo es Preis galt, nicht zu ſchonen. 


15 Man führte fie ihm herrlich zu; 
auch ward ſie reich empfangen. 
Der König Tampentäre, 
fein Bruder, kam auch gen Katelangen. 
Reiche Fuͤrſten ſah man da in Scharen: 
Von ſchoͤnerer Hochzeit 
hat man in allen Landen nie erfahren. 


I. Sigune und Schionatulander. 441 


16 Kiot, der Herr des Landes, 
hatte Preis errungen 
Mit Kühnheit oft und Milde; 
ſelten war es ſeiner That miſslungen, 
Wo es unerſchrocken galt zu ſtreiten 
Und um Lohn der Frauen 
unterm Helmſchmuck zu der Tjoſt zu reiten. 


17 Hat je ein Fürſt auf Erden 
ein lieber Weib gewonnen, 
Wie ſchenkte Dem die Minne 
ſo voll das Maß der herzlichen Wonnen. 
Doch o weh, nun nahet ihr die Trauer: 
So nimmt die Welt ein Ende! 
des fügen Glückes Neige ſchmeckt uns ſauer. 


18 Zur rechten Zeit gewährte 
ſein Weib ihn eines Kindes. 
Daß mich Gott erlaße 
in meinem Hauſe ſolchen Ingeſindes, 
Wenn ich es ſo theuer müſt entgelten! 
Behalt ich kluge Sinne, 
fo hegt mein Herz ſolche Wünfche ſelten. 


19 Die ſüͤße Schoiſiane, 
die ſchöne und gute, 
Gebar im Tode 
eine Tochter reich an ſelgem Muthe. 
An Der ward aller Jungfraun Preis zu Schanden: 
Sie pflag ſolcher Treue, 
daß man von ihr noch ſagt in manchen Landen. 


442 I. Sigune und Schlonatulander. 


20 So war des Fuͤrſten Leid 
doch verwebt mit Freuden: 
Seine Tochter war am Leben, 
ihre Mutter todt: das hatt er an den beiden. 
Schoiſianens Tod verhalf ſeinem Herzen 
Zu Verluſt wahrer Wonne, 
zu Gewinn immerdar an den Schmerzen. 


21 Da befahl man die Fraue 
mit Jammer der Erden. 
Mit koͤſtlichen Gewürzen 
ſollte ſie zuvor gebalſamt werden: 
Da muſt es noch ſo lange Anſtand haben. 
Von allen Seiten kamen 
Fürften und Könige, fie zu begraben. 


22 Der Herzog trug zu Lehen 
fein Land von Tampentäre, 
Dem König, feinem Bruder, 
der genannt war von Pelrapäre. 
Der lieh es nun dem Kinde, ſeiner Nichten; 
Denn auf Schwert, Helm und Schild 
wollte Kiot hin fort verzichten. 


23 Manfilot der Herzog 
ſah ſo im Leide 
Seinen theuern Bruder: 
das war eine bittre Augenweide! 
Da ſchied auch Er aus Jammer ſich vom Schwerte, 
Daß Kampf und hohe Minne 
nun Keiner von Beiden mehr begehrte. 


IJ. Sigune und Schionatulander. 443 


24 Sigune ward die Tochter 
genannt in der Taufe, 
Die ihr Vater Kiot 
bezahlt hatte zu ſo theuerm Kaufe, 
Denn er verlor durch Sie die Wohlgethane, 
Von Der der Gral zu Anfang 
ſich tragen ließ: das war Schoiſiane. 


25 Nun fuhr Tampentaͤre 
mit Sigunen, der kleinen, 
Heim zu ſeiner Tochter. 
Da fie Kiot küſste, da ſah man weinen! 
Da lag Kondwiramur noch an den Brüſten. 
Die zwei Geſpielen wuchſen, | 
daß wir kein Ziel ihres Lobes wüſten. 


26 Zu denſelben Zeiten 
war Kaſtis geſtorben: 
Der hatte Herzeleiden 
zu Monſalväſch, die ſchoͤne, erworben. 
Kanvoleiß gab er der Fraun zum Lohne 
Und Kingrivals: in beiden 
trug ſein Haupt vor Fuͤrſten die Krone. 


27 Nie hatte ſie doch Kaſtis 
gewonnen zum Weibe, 
Die in Gahmuretens 
Arme lag mit unberührtem Leibe. 
Doch wurde ſie Gebietrin zweier Reiche, 
Des holden Frimutellens Kind 
von Monſalväſche, die wonnereiche. 


444 I. Sigune und Schionatulander. 


28 Als König Tampentäre ſtarb, 
und Kardeiß der klare 
Die Kron empfieng in Brobarz, 
das geſchah in dem fünften Jahre, 
Seit ſich Sigune bei ihm aufgehalten. 
Da muſten ſie ſich ſcheiden, 
die jungen zwei Geſpielen, nicht die alten. 


29 Herzeleid die Koͤnigin 
Sigunens gedachte: 
Sie warb ſo lang mit Bitten, 
bis man ſie von Brobarz zu ihr brachte. 
Kondwiramur begann zu klagen, 
Daß ſie ihrer Freundſchaft 
und trauten Nähe nun ſollt entſagen. 


30 Das Kind ſprach: „Liebes Väterlein, 
nun laß mir mit Docken 
Die Kiſten erfüllen, 
ſo magſt du mich zu meiner Muhme locken: 
So bin ich auf die Reiſe gut gerichtet. 
Es lebt mancher Ritter, 
der ſich zu meinem Dienſt noch verpflichtet.“ 


31 „Wohl mir ſo werthen Kindes! 
Wie ſprichſt du mit Verſtande! 
Moͤchte Gott nur lange 
ſo hehre Herrin goͤnnen meinem Lande. 
Mein Kummer ſchläft, ſo lang dein Schutzgeiſt wachet. 
Wär Schwarzwald hier zu Lande, | 
zu Schäften würd er ganz für Dich gemachet.“ 


1. Sigune und Schionatulander. 445 


32 So erwuchs Kiotens Kind 
Sigune bei der Muhmen. 
Wer ſie ſah, Dem ſchien ſie 
wie Maienglanz bei thaunaßen Blumen. 
Ehr und Heil aus ihrem Herzen bluͤhte; 
Naht erſt ihre Lobeszeit, 
fo mehr ich noch das Lob ihrer Güte. 


33 Was zu vollem Lobe 
gehört bei reinem Weibe, 
Des war nicht Eines Haares breit 
vergeßen an ihrem füßen Leibe. 
Sie reine Frucht, die lautre, wohlgethane, 
Der Mutter gleichgeartet Kind, 
jung, keuſch und rein wie einſt Schoiſiane. 


34 Laßt uns auch gedenken 
Herzeleids der reinen. 
Man mocht ihr Lob wohl ſchenken; 
ich will die liebe minnen und meinen. 
Sie Bronnen aller weiblichen Ehren, 
Sie wuſt es zu verdienen, 
wie man ihr Lob ſah in den Landen mehren. 


35 Die magdliche Wittwe, 
die Tochter Frimutelles, 
Wo man der Frauen Lob beſprach, 
da erſcholl nach Ihrem kein ſo helles. 
In alle Lande fuhr das Lob der Werthen, 
Bis ihrer Minne ward gedient 
vor Kanvoleiß mit Speren und mit Schwerten. 


446 I. Sigune und Schionatulauder. 


36 Nun hoͤrt von Sigunen, 
der Maid, fremde Wunder. 
Sich bräunt' ihr fahles Lockenhaar, 
ihre Brüſte wölbten ſich runder. 
Da wuchs in ihrem Herzen Hochgemuͤthe. 
Sie wurde ſtolz und loſe 
und doch dabei voll weiblicher Güte. 


37 Wie Gahmuret geſchieden 
vom Lande Belakanens, 
Wie er darauf erworben 
ritterlich die Schweſter Schoiſianens, 
Wie er der Franzöſin ſich entſchlagen, 
Das will ich hier verſchweigen 
und euch von magdthumlicher Minne ſagen. 


38 Anfliſe, die Franzoͤſin, 
ließ ſich ein Kind vertrauen 
Von fürſtlichem Geſchlechte 
und ſolcher Art, die immer trug ein Grauen 
Vor allen Dingen, die da Preis verderben: 
Prüfet alle Fürſten, 
ſo ſeht ihr keinen ſo nach Preiſe werben. 


39 Da Gahmuret den Schild 
empfieng von Anfliſen, 
Ihm lieh die werthe Königin 
| dieß Kind. Das wird noch hoch von uns gepriefen. 
Das verdient feine kindliche Süße. 
Es wird der Aventüre Herr, 
um den ich alle Kinder freundlich grüße. 


1. Sigune und Schlonatulander. 447 


40 Auch zog daſſelbe Kind 
mit dem Anſcheweine 
Hinuͤber in die Heidenſchaft 
zu dem Baruch Ackareine; 
Gen Waleis bracht er es hernach zurücke. 
Wo Kinder Tapferkeit erfpähn, 
das frommt dereinſt dem Manne noch zum Gluͤcke. 


41 Zum Theil will ich des Kindes 
Geſchlecht euch benennen. 
Gurnemans von Graharz, 
ſein Ahne, konnte Eiſen wohl zertrennen: 
In mancher Tjoſt hatt er den Ruhm erworben; 
Gurzgri hieß ſein Vater, | 
der um Schoi de la Kurt geftorben. 


42 Seine Mutter war Mahaute, 
Eckunatens Schweſter, 
Des reichen Pfalzgrafen, 
genannt nach der ſtarken Stadt Berbeſter; 
Selber hieß er Schionatulander: 
Höhern Preis erwarb der Held 
als die andern alle miteinander. 


43 Daß ich des werthen Gurzgri 
Sohn euch nicht nannte 
Vor der Magd Sigunen, | 
das that ich, weil man ihre Mutter fandte 
Aus des Grales Pflege dem Gemale; 
Den Vorzug giebt ihr auch Geburt, 
denn ihr Geſchlecht diente dem Grale. 


448 I. Sigune und Schionatulander. 


44 Die des Grales hüten, 
das ſind die Erwählten, 
Immer ſelig hier und dort, 
die ſtaͤts dem höchften Preiſe Zugezahlten. 
Auch Sigune war von dieſem Samen, 
Der in die Welt von Monſalvaͤſch 


ward ausgeſtreut, den nur die Wuͤrdgen nahmen. 


45 Wohin dieſes Samens 
gebracht ward in die Lande, 
Da muſt er Früchte bringen: 
wie ein Hagel fiel er auf die Schande. 
Weit iſt der Name Kanvoleiß gedrungen: 
Hauptſtadt der Treue 
ward ſie ſeitdem genannt in manchen Zungen. 


46 O wohl dir, Kanvoleiß! 
Von der Treu und Stäte 
Wird man ewig ſprechen, 
die in Dir begann nicht zu ſpäte. 
Da hob ſich zweier Kinder frühe Minne 
So lauterlich, die ganze Welt 
würde keiner Truͤbheit an ihr inne. 


47 Der ſtolze Gahmuret 
erzog ſie miteinander 
In ſeiner Kemenate. 
War der junge Schionatulander 
Nur zu ſchwachem Sinne noch gediehen, 
Er konnte doch der Herzensnoth 
von Sigunens Minne nicht entfliehen. 


I. Sigune und Schionatulander. 449 


48 O wehe! ſie ſind noch 
zu jung ſolchen Aengſten. 
Wo die Jugend von der Minne 
ergriffen wird, da währt fie am Längſten. 
Das Alter mag der Minne leicht entſagen; 
Die Jugend zwingt der Minne Band, 
ſie kann ſich ihrer Kraft nicht entſchlagen. 


49 Weh, Minne, was verſchont nicht 
deine Kraft die Kinder! 
Einer, der nicht Augen hat 
würde dich doch fpüren, ein Blinder. 
Zu vielfach, Minne, biſt du ſtäts geweſen; 
Alle Schreiber ſchrieben 
deine Art nicht aus noch dein Weſen. 


50 Auch den Moͤnch im Kloſter 
uͤberwindet Minne, 
Sie zwingt den Einſiedel 
ſelbſt zu gehorſamem Sinne: 
Keine Regel hält ſie dann im Zaume; 
Sie zwingt den Ritter unterm Helm: 
ihr genüget an dem engſten Raume. 


51 Der Minne Macht bewältigt 
die Nähe wie die Weite; 
Minne hat auf Erden Haus; 
in den Himmel giebt ſie gut Geleite. 
Minn iſt allwärts, außer in der Hoͤlle. 
Der ſtarken Minne lahmt die Kraft, 
wird Wankelmuth und Zweifel ihr Geſelle. 


Parzival und Titurel. II. 29 


— 


450 1. Sigune und Schionatulander. 


52 Ohne Want und Zweifel 
ſah man die beiden 
Schionatulander 
und Sigunen, in der Liebe Leiden; 
Große Freude miſchte ſich darunter. 
Es wird zu lang, fonft ſagt' ich euch 
von kindlicher Minne manches Wunder. 


53 Verſchämte Zucht und ihres 
Geſchlechts ererbte Weiſe 
(Aus lautrer Liebe ſtammten ſie) 
hielt ſie in dem angeſtammten Gleiſe, 
Daß ſie außen ſich der Minn erwehrten 
Vor der Merker Augen, 
und in den Herzen innen ſich verzehrten. 


54 Schionatulander 
war in der Minne weiſe 
Durch manche ſüße Botſchaft, 
die der Franzoſen Königin Anfleiſe 
Heimlich einſt der Anſchewein geſendet: 
Er brachte ſie und wandte 
oft Beider Noth: wär Seine nun gewendet! 


55 Schionatulander 
hatt es oft erfahren 
Bei ſeinem Oheim Gahmuret, 
wie der zu ſprechen wuſt und zu gebahren, 
Und wie er ſich von Kummer konnte ſcheiden: 
Das rühmten die Getauften hier, 
das rühmten dort von ihm die werthen Heiden. 


1. Sigune und Schionatulander. 451 


56 Die je geminnet haben 
und Minneleid getragen, 
Von magdlichem Kummer 
höret nun und Jünglingsſchmerzen ſagen. 
Davon will ich euch Abenteuer künden, 
Allen, die der Sehnſucht Pein 
je herzliche Liebe ließ ergründen. 


57 Der ſüße Schionatu⸗ 
lander Genannte, 
Als ſeiner Geſpielin 
Huld ſein leidend Herz übermannte, 
Da ſprach er: „Sigune, hülfereiche, 
Hilf, ſüße Magd, daß deine Hand 
mir aus dieſen Sorgen Hülfe reiche. 


58 „Düſcheſſ von Katelangen, 
laß mich des genießen, 
Man ſagt du ſeiſt der Art entſtammt, 
die es niemals mochte verdrießen, 
Mit Minnelohn Ihm Hülfe zu gewähren, 
Der Minnenoth durch ſie empfieng: 
die Sitte ſollteſt du an mir bewähren.“ 


59 „Doux Ami, nun ſprich, 
ſuͤßer Freund, was du meineſt. 
Laß hören, ob du ſolche 
Geſinnung gegen mich mir beſcheineſt, 
Daß ich Gehoͤr der Klage muͤß ertheilen: 
Biſt du des Schadens nicht gewiss, 
ſo ſollteſt du dich nicht übereilen.“ 


452 I. Sigune und Schionatulanber. 


60 „Gnade ſoll man ſuchen 
da wo ſie wohnet. 
Herrin, ich ſuche Gnade: 
nun ſieh, wie deine Gnade mir lohnet. 
Freundſchaft halten ziemt verſtaͤndgen Kindern; 
Aber Ungnade, 
wem konnte die wohl Schmerzen lindern?“ 


61 Sie ſprach: „Du ſollſt um Linderung 
deinen Schmerz da künden, 
Wo man dir beßer helfen mag 
als ich, du möchteft ſonſt dich verſünden, 
Wenn du begehrſt, daß Ich den Schmerz dir heile. 
Denn Ich bin eine Waiſe, 
Land und Leuten fern, ach, manche Meile!“ — 


62 „Ich weiß wohl, daß dir Leut und Land 
gehorchen, ihrer Frauen; 
Das begehr ich Alles nicht: 
nur laß dein Herz durch deine Augen ſchauen, 
So daß es meines Kummers Noth bedenke: 
Nun hilf, eh deiner Minne Flut 
mir das Herz und die Freuden ertraͤnke.“ — 


63 „Wer ſolche Minne hat, daß er 
durch Minne gefährde 
So lieben Freund, wie Du mir biſt, 
mir der liebſte Freund auf der Erde, 
Solch gefährlich Ding iſt mir nicht Minne. 
Gott weiß wohl, ich wuſte 
nie von der Minne Verluſt noch Gewinne. 


I. Zigune und Schionatulander. 453 


64 „Minne, ift das ein Er? 
Kannſt du Minne beſchreiben? 
Iſt das ein Sie? Und kommt mir 
Minne, wo ſoll ich mit ihr bleiben? 
Soll ich ſie verwahren bei den Docken? 
Fliegt ſie uns auf die Hand, 
oder iſt fie wild? Ich kann ihr wohl locken.“ 


65 „Herrin, ich hoͤrte ſagen 
von Frauen und von Mannen, 
Minne kann auf Alt und Jung 
den Bogen ſo meiſterlich ſpannen, 
Daß fie mit Gedanken tödtlich ſchießet: 
Sie trifft ohne Fehlen 
was da läuft, kriecht, fliegt oder fließet. 


N 


66 „Ich kannte, ſüße Magd, bisher 
Minne nur aus Mären: 
In Gedanken wohnt die Minne; 
das kann ich mit mir ſelber nun bewähren. 
Dazu treibt ſie wandelloſe Liebe. 
Minne ſtiehlt mir Freude 
aus dem Herzen gleich einem Diebe.“ 


67 „Schionatulander, 
mich zwingen Gedanken, 
Wenn du mir aus den Augen kommſt, 
daß ich an den Freuden muß erkranken, 
Bis ich dich heimlich wieder angeſehen. 
Drum traur ich in der Wochen 
nicht Einmal, zu oft iſt mirs geſchehen.“ 


454 J. Sigune und Schivuatulander. 


68 „So darfſt du, ſüße Magd, mich 
nicht fragen nach Minne: 
Du erfährſt wohl ohne Fragen 
von der Minne Verluſt und Gewinne. 
Sieh, wie die Minne Freude kehrt in Schmerzen: 
Thu der Minn ihr Recht, daß 
uns die Minne nicht verderbt in den Herzen. 


69 Sie ſprach: „Kann die Minne 
die Herzen ſo beſchleichen, 
Daß ihr nicht Mann, nicht Weib noch Magd 
mit Behendigkeit mög entweichen: 
Weiß denn Jemand, was die Minne rächet 
An Leuten, die ihr Schaden nie 
gethan, daß fie ihre Freude ſchwächet?“ 
70 „Wohl iſt ſie gewaltig 
der Jungen wie der Greiſen; 
Kein Meiſter lebet, 
der ihre Wunder alle möge preiſen. 
Laß uns um ihre Hülfe beide werben 
Mit wandelloſer Freundſchaft: 
ſo kann mit Wank uns Minne nicht verderben.“ 


71 „O weh, koͤnnte Minne 
doch andre Hülf erzeigen, 
Als daß ich meinen freien Leib 
in dein Gebot dir gäbe zu eigen! 
Deine Jugend war zu Dienſt mir nie beflißen: 
Du muſt mich unter Schildesdach 
erſt verdienen, das ſollſt du wißen!“ 


I. Sigune und Schionatulander. 455 


72 „Herrin, wenn ich erſtarke 
die Waffen zu führen, 
In ſuͤßer, ſaurer Arbeit 
will ich heut und immer mich rühren, 
Daß mein Dienſt nach deiner Huͤlfe ringe; 
Deine Huͤlfe thut mir Noth: 
hilf denn, daß mir an dir gelinge.“ 


73 So hatt ihre Minne 
den Anfang genommen 
Mit Worten, in den Zeiten 
da Pompejus vor Baldag zu kommen 
Sich gerüfter mit gewaltgem Heere, 
Und Ipomidon der Werthe: 
da zerbrachen ſie viel neue Spere. 


74 Gahmuret entſchloß ſich 
auch dahin zu fahren, 
Nur mit eignem Schilde: 
nicht entbot er ſeine ſtolzen Scharen, 
Denn er trug wohl dreier Lande Kronen. 
So trieb ihn Minne in den Tod: 
den empfieng er von Ipomidonen. 


75 Schionatulanders 
Herz war beklommen, 
Da ihm Sigunens Minne 
hohen Muth und Freude benommen. 
Er muſte doch mit ſeinem Oheim ſcheiden: 
Das war Sigunens Herzeleid 
und ſeins: nachſtellte Minne den beiden. 


A56 1. Sigune und Schionatulander. 


76 Urlaub nahm der junge Fürft 
von der Magd verborgen. 
„O weh, wie ſoll ichs erleben,“ 
ſprach er, „daß die Minne mich der Sorgen 
Erledgen müße, und vom Tode ſcheiden? 
Wünſche Glück mir, ſüße Maid: 
ich muß von dir hinaus zu den Heiden.“ 


77 „Ich bin dir hold, getreuer Freund: 
nun ſprich: iſt das Minne? 
So ſoll ſich immer 
mir erneun der Wunſch nach dem Gewinne, 
Der uns beiden hohe Freud erwerbe: 
Es brennen alle Waßer, 
eh die Minne meinerſeits verderbe.“ 


78 Viel Lieb verblieb allda, 
Lieb ſchied von dannen. 
Nie hört ich fagen 


von Maiden, Fraun noch mannlichen Mannen, 


Die ſich herzlicher mochten minnen: 
Das ward an Sigunen 
Parzival bei der Lieben wohl innen. 


79 Von Kingrivals der König 
Gahmuret verſtohlen 
Von Freunden und von Mannen ſchied: 
feine Fahrt blieb ihnen all verhohlen. 
Nur zwanzig Fürſtenkinder klug und weiſe 
Und achtzig Harniſchknappen 
ohne Schild hatt er erwählt zu der Reiſe. 


1. Sigune und Schionatulanber. 457 


80 Fünf ſchoͤne Roſſe, Goldes viel, 
von Aßagog Geſteine, 
Folgt' ihm auf die Fahrt; ſein Schild 
ſonder andern Schild, ganz alleine. 
Immer ſollt ein Schild Geſellen kieſen, 
Daß ein andrer Schild ihm Heil 
wünſchte, wenn dieſer Schild ſollte nieſen. 


81 Ihre Lieb und ſeine 
Minne waren fremde 
Sich noch nie geworden. 
Ihm gab die Koͤnigin ihr blankes Hemde 
Von Seide, wie es ihren Leib berühret, 
Den blanken, und das Braune dort. 
Das ward vor Baldag in die Schlacht geführet. 


82 Aus Norgals durch Spanien 
gen Sevilla der Veſte 
Zog des kühnen Gandein Sohn, 
der den Augen Waßers viel entpreſste, 
Da man den Ausgang hoͤrte ſeiner Reiſe. 
Die Getauften wie die Heiden 
ſprechen ſtaͤts von ſeinem hohen Preiſe. 


83 Das red ich nach der Wahrheit, 
nicht nach leerem Wahne. 
Nun laßt uns auch gedenken 
des jungen Fürſten aus Graswaldane, 
Wie ſeinem Herzen alle Freud entzogen 
Sein keuſches Lieb Sigune, 
wie Bienen ſtäts aus Blumen Süße ſogen. 


A58 I. Sigune und Schionatulander. 


84 Liebliche Siechheit, 
die er trug von Minne, 
Verluſt des hohen Muthes 
bei der Sorgen reichlichem Gewinne, 
Sah man Den von Graharz ſchmerzlich peinen. 
Den Tod nähm er lieber, 
wie ſein Vater Gurzgri von Mabonagreinen. 


85 Wie manche Tjoſt durch Feindesſchild 
mit des Sperbruchs Krache 
Seine Hand auch führte, 
ſein Leib iſt doch zu ſolchem Ungemache 
Zu ſchwach, da ihn die Minne ſchwächt und kränket, 
Und ſein Gedank an liebliche 
Liebe ſo unvergeßlich gedenket. 


86 Wenn andere Junker 
auf Feldern und Straßen 
Turnierten und rangen, 
ſo muſte Ers vor Herzweh unterlaßen; 
An allen Freuden ließ ihn Minne ſiechen. 
Aufſtehn lernt ein Kind am Stuhl; 
erſt aber muß es hin zu ihm kriechen. 


87 Nun trag er hohe Minne! 
ſo muß er auch denken 
Den Sinn empor zu richten, 
und aller Falſchheit fern ab zu lenken 
Die Ehre in der Jugend wie im Alter; 
Eh mancher Fuͤrſt das lernte, 
man lehrte einen Bären eh den Pſalter. 


1. Sigune und Schionatulander. 459 


88 Schionatulander 
trug lang ſein Leid verborgen, 
Eh der werthe Gahmuret 
inne ward der verhohlnen Sorgen, 
Wie ſeinen nächſten Blutsfreund Kummer drückte: 
Sommer und Winter quält' er ſich, 
wie auch der Erde wechſelnd Kleid ſich ſchmückte. 


89 Die angeſtammte Schoͤnheit, 
ſein Anſtand, ſein Geſchicke, 
Sein Angeſicht, die lichte Haut, 
ſeiner Augen leuchtende Blicke, 
Die ſchied der Gram von ihrem lautern Glanze: 
Ihn zwang nicht halbe Neigung, 
die mächtge Liebe war es, die ganze. 


90 So ward auch Gahmuretens 
Herz einſt bedränget 
Von der Minne Feuer; 
oft hatt ihm ihre Flammenglut verſenget 
Die lautre Haut, bis all ihr Schein entſchwunden. 
Von der Minne Hülfe wuſt er wohl; 
er kannt auch ihre zwängenden Stunden. 


91 Wie liſtig ſei die Minne, 
ſie muß ſich entdecken, a 
Wer Augen hat und Minne kennt, 
dem kann ſich ihre Kraft nicht verſtecken. 
Sie iſt als Winkelmaaß auch ohne Tadel; 
Sie ſtickt und zeichnet wunderſchön, 
noch beßer als Stift oder Nadel. 


460 I. Sigune und Schionatulander. 


92 Gahmuret gewahrte 
den verborgnen Kummer, 
Der aus Graswaldan dem jungen 
Delfin die Freude nahm und den Schlummer. 
Er zog ihn auf das Feld beiſeit mit Fragen: 
„Wie hat Anfliſens Knabe ſich? 
Seine Trauer giebt mir kein Behagen. 


93 „Ich habe Theil an deinen 
Seufzern, deinen Thränen. 
Der roͤmiſche Kaiſer 
und der Großherr aller Sarazenen, 
All ihr Reichthum kann es mir nicht wehren, 
Was Dich in Kummer brachte, 5 
das muß auch Meine Freude verzehren.“ 


94 Wohl moͤchtet ihr nun ſchauen 
an Gahmuretens Miene, 
Könnt er nur, er hülfe 
gern dem jungen liebenden Delfine. 
Er ſprach: „O weh, wo iſt der Schein geblieben 
Deines lautern Angeſichtes? 
die Minne will ſich ſelbſt in dir betrüben. 


95 „Ich fpür an dir die Minne: 
die Spur iſt tief geſchlagen. 
Hehl Mir nicht deine Heimlichkeit, 
da wir ſo nahe Verwandtſchaft tragen. 
Wir ſind Ein Fleiſch und Blut durch rechte Sippe, 
Näher als von der Mutter, 
die da erwuchs aus der geſtohlnen Rippe. 


1. Sigune und Schionatulander. 461 


96 „Du Minnebronnen, friſches 
Reis der Minneblüthe! 
Wie muß mich nun dauern 
Anfliſe, die dich aus weiblicher Güte 
Mir lieh: als hätte dich ihr Schoß geboren, 
So hielt ſie dich an Kindesſtatt: 
ſtäts war dir ihre Gunſt unverloren. 


97 „Birgſt du mir deine Heimlichkeit, 
wie muß das beſchweren 
Mein Herz, das ſtäts dein Herz auch war; 
deine Treue kann es auch nicht ehren, 
Daß du mir ſo große Noth verhehleſt: 
Deiner Stäte trau ich es nicht zu, 
daß du ſo wankelmüthig dich verfehleſt.“ 


98 Der Knappe ſprach in Sorgen: 
„So will ich nur denken, 
Wie mir dein Frieden bleibe 
und mich dein Zorn nicht ferner dürfe kranken: 
Aus Zucht verbarg ich dir all meine Schmerzen. 
Nun nenn ich dir Sigunen: 
die hat es angethan meinem Herzen. 


99 „Meine Bürd erleichtern kannſt du, 
willſt dus nicht verſagen. 
Nun gedenke der Franzöſin: 
hab ich Sorge je für dich getragen, 
So nimm mich jetzt aus dieſer Noth, den kranken. 
Der Leu träumt im Schlafe 
nicht ſo ſchwer, als meine wachenden Gedanken. 


462 1. Sigune und Schionatulander. 


100 „Auch ſei gemahnt, ich habe 
Meer und Land durchſtrichen 
Dir zu Liebe, nicht aus Armut. 
Ich bin von Land und Leuten gewichen 
Und von Anfliſen, meiner werthen Frauen. 
Das komme mir nun Alles 
bei dir zu gut: laß deine Hülfe ſchauen. 


101 „Du magſt mich wohl erlöfen 
der ſchließenden Banden. 
Trag ich einſt ſelber Helm und Schild 
mit fürſtlicher Pracht in den Landen, 
Und ſoll mit tapfrer Hand da Preis erringen, 
Bis dahin ſei mein Vogt, auf daß 
dein Schirm mich ſchütze vor Sigunens Zwingen.“ 


102 „Ei, ſchwacher Knapp, wie muß ſo viel 
des Waldes noch verderben 
In Tioſten deine Hand, 
ſollſt du der Minne der Dücheſſ erwerben. 
Werthe Minne lohnt nur dem Verdienſte: 
Tapferm Armen wird ſie ehr 
als dem verzagten Reichen zum Gewinnſte. 


103 „Doch hör ich gerne, daß dein Herz 
ſo hoch dir ſteiget: 
Wo hat ein Baum die Aeſte 
wohl noch je ſo wonniglich verzweiget? 
Blüht ſchönre Blum auf Flur und Wieſengrunde? 
Hat dich mein Mühmchen bezwungen, 
o wohl dir der lieblichen Kunde! 


IJ. Sigune und Schionatulander. 


104 „Ihre Mutter Schoiſiane 
war dafür berufen, 
Daß Gott und feine Kunſt mit Fleiß 
ſie ſo ſchoͤn und wonniglich erſchufen: 
Schoiſianens Glanz, den ſonnenhellen, 
Den hat Sigune, Kiots Kind 
an ſich: das Urtheil hör ich Alle fällen. 


105 „Kiot, der in ſcharfer Noth 
ſtäts ſich Preis errungen, 
Der Fuͤrſt von Katelangen, 
eh ſeine Kraft Schoiſianens Tod bezwungen: 
Der beiden Tochter mag ich wahrhaft grüßen 
Siegerin Sigune, 
wo man zwiſchen Maiden wählt, den ſüßen. 


106 „Die dir hat obgeſiegt, nun ſollſt 
du Sieg an ihr erringen 
Mit dienſtlicher Treue. 
Ich will auch bald auf deine Seite bringen, 
Daß ſie dir beiſteht, ihre werthe Muhme. 
Durch Sigunens Glanz ſoll deine 
Farb erblühn gleich einer lichten Blume.“ 


107 Schionatulander 
begann da zu ſprechen: 
„So will mir deine Treue 
aller meiner Sorgen Bande brechen, 
Nun ich darf mit deinem Willen minnen, 
Sigunen, die mir lange 
Freude ſtahl und fröhliche Sinne.“ 


463 


464 1. Eigune und Schionatulander. 


108 Da durfte wohl der Hoffnung 
auf Hülfe ſich vermeßen 
Schionatulander. 
Nun laßt uns nicht der großen Noth vergeßen, 
Die Kiots und Schoiſianens Kind getragen, 
Bevor ſie gleichen Troſt empfieng: 
Die muſte aller Freude lang entſagen. 


109 Da von Katelangen 
die Fürſtin war bezwungen 
Von der ſtrengen Minne, 
mit Schmerzen allzulang hat ſie gerungen, 
Wie ſie es vor ihrer Muhme hehle. 
Die Königin ward inne 
mit Erſchrecken, was Sigunen fehle. 


110 Wie eine thauge Roſe 
naß bei der Rothe, 
So wurden ihr die Augen. 
Ihr Mund, ihr Angeſicht empfand die Noͤthe. 
Da konnte die Verſchämte nicht verſtecken 
Die Lieb in ihrem Herzen: 
das vergieng nach dem kindlichen Recken. 


111 Da ſprach zu ihr die Königin 
aus liebendem Herzen: 
„O weh mir, Schoiſianens Kind, 
ich trug bisher zu viel andre Schmerzen, 
Da von dem Anſchewein ich muſte ſcheiden: 
Nun wächſt in meinen Kummer 
ein neuer Dorn, da ich dich ſehe leiden. 


1. Sigune und Schionatulander. 465 


112 „An Land oder Leuten 
was iſt dir geſchehen? 
Oder will dir mein Troſt 
und anderer Verwandten entſtehen, 
Daß du keine Hülfe magſt erlangen? 
Wo blieb dein ſonnenhafter Glanz? 
weh, wer hat den geſtohlen deinen Wangen? 


113 „Verwaiſtes Kind, nun muſt du 
Waiſe mich erbarmen. 
Bei dreier Lande Kronen 
zähle man mich immer zu den Armen, 
Bis ichs erwirke, daß dein Kummer ſchwindet 
Und mein ſpähend Auge 
den wahren Grund deines Leides findet.“ — 


114 „So muß ich mit Sorgen 
all meine Angſt dir künden: 
Haſt du mich darum wenger lieb, N 
gewiſs, das hieße ſich an mir verfünden; 
Ich weiß mich ja nicht mehr davon zu ſcheiden: 
Bleibe mir gewogen, 
liebe Mutter, das geziemt uns beiden. 


115 „Gott ſoll dir lohnen: 
niemals hat dem Kinde 
Eine Mutter groͤßre Zärtlichkeit 
erboten, als ich an dir hier finde, 
Muſt ich gleich an Freuden jetzt erkranken. 
Hier war ich keine Waiſe: 
deiner weiblichen Gute will ichs danken. 


Parzival und Titurel. II. 30 


466 1. Sigune und Sch ionatulander. 


116 „Deines Rathes, deines 
Troſtes, deiner Hulden 
Bedarf ich miteinander, 
ſeit ich nach dem Freund muß Jammer dulden, 
Viel qualenvolle Noth; ſie iſt zu peinlich. 
Er knüpft mein ſchweifend Denken 
an ſeinen Strick; all mein Sinn iſt ihm heimlich: 


117 „Nach dem lieben Freunde 
iſt all mein Schauen 
Aus den Fenſtern auf die Straße, 
über Haid und nach den lichten Auen 
Vergebens, ich erſpäh ihn allzuſelten. 
Drum müßen meine Augen 
des Freundes Minne weinend theur entgelten. 


118 „So geh ich von dem Fenſter 
hinauf an die Zinnen 
Und ſchaue oſtwärts, weſtwaͤrts, 
ob ich Sein nicht Kunde mag gewinnen, 
Der mein Herz ſchon lange hat bezwungen; 
Man mag mich zu den alten 
Liebenden zählen, nicht zu den jungen. 


119 „Wenn ich dann auf wilder Flut 
im Nachen gleite, 
So ſpähen meine Blicke 
wohl über dreißig Meilen in die Weite, 
Ob ich ſolche Kunde möge finden, 
Die des Leids um meinen 
jungen klaren Freund mich konnt entbinden. 


IJ. Sigune und Schionatulander. 467 


120 „Wo blieb meine Freude? 
warum iſt geſchieden 
Aus meinem Herzen hoher Muth? 
Ach und Weh vertrieb unſern Frieden. 
Ich wollt es gern alleine für ihn leiden; 
Doch weiß ich, daß auch ihn zu mir | 2 
Verlangen zieht, muß er gleich mich meiden. 


121 „Weh mir, wie könnt er kommen? 
zu fern iſt mein Getreuer, 
Um den ich bald erkalte, 
bald lodre wie im kniſternden Feuer: 
So erglüht mich Schionatulander, 
Seine Minne giebt mir Hitze 
wie Agremontin dem Wurm Salamander.“ 


122 „O weh,“ ſprach die Königin, 
„zu kluge Red iſt dieſe: 
Bin ich an dir verrathen? 
Nun fürcht ich die Franzöſin, Anfliſe: 
Hat ſich vielleicht ihr Zorn an mir gerochen? 
All deine weislichen 
Worte ſind aus ihrem Munde geſprochen. 


123 „Schionatulander 
iſt ein Fürſt ohne Tadel. 
Doch nimmermehr erkühnen 
dürfte ſich ſein Reichthum und ſein Adel, 
Daß er fo jung an deine Minne dachte, 
Wenn der ſtolzen Königin 
Anfliſe Haß ſich nicht an mir rächte. 


468 1. Sigune und Schionatulander. 


124 „Sie hat dieß Kind erzogen, ſeit 
es von der Bruſt gekommen; 
Gab ihre Tücke nicht den Rath, 
durch den ſo weh dir ward und beklommen, 
So magſt du Ihm, er Dir viel Freud erwerben. 
Biſt du ihm hold, ſo laß darum | 
deinen jungen Leib nicht verderben. 


125 „Thus Ihm zu Lieb, laß wieder 
Klarheit offenbaren 
Augen, Kinn und Wange. 
Wie geziemt es alſo jungen Jahren, 
Wenn ſo lichter Haut der Schein erliſchet? 
Du haſt kurzen Freuden 
allzuviel der Sorgen beigemiſchet. 


126 „Hat der Delfin, der junge, 
viel Freude dir verderbet, 
Er kann dir Freuden auch verleihn. 
Lieb und Gutes viel auf ihn vererbet 
Hat fein Vater und die Delfinette 
Mahaude, ſeine Mutter, 
und die Königin feine Muhme Schoette. 


127 „Ich klage nur, du wurdeſt 
ihm lieb allzufruͤhe: 
Du willſt den Kummer erben, 
den Mahaude trug um den Delfin Gurzgrie. 
Ihre Augen ſahns zu allen Stunden, 
Wie er den Preis in manchem Land 
ſich erwarb, den Helm aufs Haupt gebunden. 


128 


129 


130 


131 


1. Sigune und Schionatulander. 469 


„Schionatulanders 

Preis wird hoch noch ſteigen: 
Er ſtammt von Leuten, die den Preis 

nie ſinken ließen, nicht einmal ſich neigen: 
Stäts wuchs er in die Breit und in die Länge. 
Nun ſorge, daß er Freud und Troſt 

und nicht Kummer über dich verhänge. 


„Wenn das Herz bei ſeinem Anblick 
in der Bruſt dir erlachte, 
Das nimmt mich nicht Wunder: 
wie ſchickt' er ſich ſo ſchoͤn, wenn ihn bedachte 
Der Schild, wie hielt er ſich im Feuerregen 
Der Funken, die den Helmen 
entſprühten von ſeines Schwertes Schlägen! 


„Kein Maler malt' ihn, wie er 

beim Lanzenſpiel geſeßen! 
An eines Mannes Antlitz 

war wohl nie ſo wenig vergeßen, 
Daß ein Weib ihn liebe, wenn ichs kenne. 
Sein Schein mag deine Augen 

erfreun: deine Minn ich ihm gönne.“ 


Da war Minn erlaubet, 
Herz an Herz geſchloßen. 
Ohne Wank der Minne 
war beider Herz zu minnen unverdroßen. 
„O wohl mir, Muhme,“ ſprach ſie mit frohem Sinne, 
„Daß ich Den von Graharz 
vor aller Welt mit deinem Urlaub minne!“ 


II. 
Gardevias. 


Inhalt. 


Schionatulander weilt mit Sigunen in dem Gezelt, das fie in einem 
Walde aufgeſchlagen haben, als ein lautjagender Bracke auf der Fährte eines 
angeſchoßenen Wildes das Dickicht durchbricht. Schionatulander fängt ihn 
des Schmuckes wegen und bringt ihn Sigunen. Der Hund hieß Gardevias, 
zu deutſch: hüte der Fährte, und war dem Pfalzgrafen Eckunat entſprungen, 
dem ihn ſeine Geliebte Klauditte von Kanedig, die Schweſter und Erbin jener 
Florie, für die Ilinot, Artus Sohn, im Kampfe gefallen war, erſt bei dieſer 
Jagd als einen „wildlichen“ Brief zugeſandt hatte, denn das köſtliche Halsband 
und das noch reicher geſchmückte zwölf Klafter lange Seil trug eine Schrift, deren 
Buchſtaben Edelſteine bildeten, die mit goldenen Nägeln auf den Strang ge: . 
nietet waren, und deren Inhalt nebſt elner ſittlichen Auslegung des Hunde⸗ 
namens die Geſchichte der beiden Liebenden war. Sigune lieſt die Aventüre, 
während Schionatulander draußen im Bach mit bloßen Beinen nach Fiſchen 
angelt. Auf die Fortſetzung begierig, löſt ſie das an der Zeltſtange befeſtigte 
Seil, als der Hund ausreißt, das Seil nach ſich zieht und durch das Zugloch 
(Winde) des Zeltes lautbellend auf die Fährte des Wildes entkommt. Ver⸗ 
gebens ſetzt ihm Schionatulander nach, Dornen und Stifte verwunden feine 
bloßen Beine, die noch bluten, als er ohne den Bracken in das Zelt tritt, wo 
er Sigunen findet, deren Hände das durchgeſtreifte Seil blutig geſchunden hat. 
Sie verlangt von ihm das Brackenſeil, an dem ſie die Aventüre zu Ende leſen 
will und erklärt, daß ſie ihren Beſitz an dieſe Bedingung knüpfe. Mit Schio⸗ 
natulanders Verſprechen, nicht zu raſten, bis er ihr das Brackenſeil wieder 
erworben habe, ſchließt das Bruchſtück. 


132 So lagen fie nicht lange, 
als aus dem Waldreviere 
Mit heller ſchoͤner Stimme 
auf blutger Fährte hinter wundem Thiere 
Ein Bracke kam hochlautend an mit Jagen. 
Der fand hier kurzen Aufenthalt: 
das muß ich lieber Freunde halb beklagen. 


133 Da ſo den Wald durchhallte 
der Stimme lautes Bellen, 
Schionatulander, * 
der von Jugend auf vor allen Schnellen 
War bekannt — nur Trevrezent der reine 
Lief und ſprang Jedem vor, 
den jemals trugen ritterliche Beine — 


134 Da gedacht er: „Wenn den Hund 
jemand mag erlaufen, 
Der habe ſchnelle Füße!“ 
Nun will er Ruh und Freude verkaufen 
Und ein ſtätes Trauern hier empfangen. 
Auf ſprang er nach der Stimme; 
den Bracken dacht er ſeinem Lieb zu langen. 


476 I. Gardevias. 


135 Daß in den weiten 
Wald nicht wollte kehren 
Das flüchtge Wild, ſondern her 
vor den Delfin, das wird ihm Sorge mehren: 
Langer Kummer ward ihm drum zu Theile. 
Er barg ſich hinter dichtem Strauch: 
ſieh, da kam er jagend an dem Seile, 


136 Des Fürften Bracke, eilends 
war er feinen Händen 
Entfahren auf die blutge Spur. 
Moͤcht ſie nimmer einen Hund mehr ſenden, 
Die ihn jüngſt dem Hochgemuthen ſandte, 
Dem er entſprang dem Jüngling zu, 
und dem damit viel hoher Freuden bannte. 


137 Da er ſo das Dickicht 
durchbrach auf der Faͤhrte, 
Mit arabſchem Gold geſtickt 
trug er am Hals ein Band von hohem Werthe: 
Da ſah man lichtes, koͤſtliches Geſteine 
Das wie die Sonne glänzte. 
Er fieng ſich da den Bracken nicht alleine; 


138 Was er mit dem Bracken 
fieng, will ich euch ſagen: 
Leid mit Noth gefuͤttert 
ward ihm da zu Theil ohne Zagen, 
Und immerdar groß Kriegen und groß Streiten. 
Das Brackenſeil ward ihm Beginn 
verlorner Freuden und betrübter Zeiten. 


II. Gardevias. 


139 Er trug den Hund im Arme 
Sigunen der klaren. 
Das Seil war wohl zwoͤlf Klafter lang, 
die von vierfarbgen Seidenborten waren, 
Grün, gelb, roth und braun, angeftüdet 
Stäts in Spannenlänge, 
die Näthe ſchoͤn und koͤſtlich geſchmücket. 


140 Darüber lagen Ringe 
mit Perlen lichten Scheines; 
Je zwiſchen den Ringen, 
ſpannenlang, ledig des Geſteines, 
Vierfarbge Blätter, wohl von Fingers Breite. 
Nehm ich den Hund an ſolch ein Seil, 
ſo bleibt es bei mir, ob Er entgleite. 


141 Wenn mans dem Bracken abnahm, 
zwiſchen den Ringen 
Sah man Buchſtaben, 
die rund umher an dem Seile giengen. 
Abentüre hört, wenn ihr gebietet: 
Mit goldnen Nägeln waren 
die Steine feſt an den Strang genietet. 


142 Die Schrift war von Smaragden 
mit Rubin verbündet, 
Demant, Granat und Chryſolith dazwiſchen. 
Das Seil war gut gehuͤndet, 
Auch war wohl nie ein Hund ſo gut geſeilet. 
Ich weiß wohl, ließt ihr mir die Wahl, 
welches ich wählte, unverweilet. 


477 


478 II. GSardevias. 


143 Auf grünem Sammet 
mit mailichem Scheine 
War des Halsbands Borte 
geſtickt, und mit mancherlei Geſteine 
Beſchlagen, deren Schrift ein Fräulein lehrte. 
Gardevias hieß der Hund, 
das heißt zu deutſch: hüte der Fährte. 


144 Die Herzogin Sigune 
las den Beginn der Maͤre: 
„Ein Brackennamen iſt das Wort, 
das den Werthen doch geziemend wäre: 
Mann und Weib, die ſchön der Fährte hüten, 
Hier wird es ihnen Gunſt der Welt 
und dort der himmliſche Lohn vergüten.“ 


145 Sie las am Halsband weiter, 
| noch nicht an dem Geile: 
„Wer immerdar der Fährte 
hütet, deſſen Preis iſt nimmer feile, 
Da er im lautern Herzen ſo erſtarkte, 
Daß ihn nie ein Aug erſieht 
auf dem wandelbaren, unſtaͤten Markte.“ 


146 Einem Fürſten wurden Brack und Seil 
zum Minnelohne 
Geſandt: das ſchenkt ihm eine 
junge Koͤnigin, ſie trug die Krone. 
Sigune ließ ſich von dem Seil beſcheiden, 
Wer der Fürſt war und die Königin; 
die Namen ſtanden deutlich da von beiden. 


II. Garde vias. 


147 Sie war von Kanedig entſtammt, 
die Schweſter von Florien, 
Die Ilinot dem Britten 
Herz und Sinn und ſich ſelbſt verliehen; 
Was ſie nur hatte, außer e Minne: 
Sie hatt ihn auferzogen, 
er war ihr lieb vor jeglichem Gewinne. 


148 Er muſt auch unterm Helm für fie 
ſein Leben enden. 
Verböt es höfſche Zucht mir nicht, 
fo möcht ich wohl fluchen feinen Händen, 
Der den Stoß nach ſeinem Herzen führte; 
Florie ſtarb an derſelben Tjoſt, 
ob nie ein ſpitzes Eiſen ſie berührte. 


149 Sie ließ einer Schweſter 
die Krone zu eigen. 
Klauditte hieß dieſelbe Magd; 
ihre reine Güte mochte nicht verſchweigen 
Des Fremden Lob, noch deſſen, der ſie kannte: 
Drum drang in manches Land ihr Preis, 
den ihr auch der Neid nicht entwandte. 


150 Die Herzogin las von der Magd 
die Schrift an dem Seile. 
Ihre Fürſten wuͤnſchten, 
daß ſie ihnen einen Herrn ertheile. 
Da berief ſie einen Hof gen Beuframunde. 
Reich und Arm zog dahin: 


da ſollte ſie ihn waͤhlen gleich zur Stunde. 


479 


480 II. Gardevias. 


151 Duͤk Eckunaten 
de Salvaſchflorien, 
Den trug ſie laͤngſt im Herzen; 
auch kor ſie ihn, ihm ward ihr Reich verliehen. 
Ihre Krone überflog da ſein Gemuͤthe, 
Der ſich vor allen Fürften 
ſtäts beflißen, wie er der Faͤhrte huͤte. 


152 Sie zwang ſeine Jugend 
und das Recht in ihrem Lande: 
Da ihr die Wahl gegeben war, 
ſo wählte dann die Jungfrau ſonder Schande. 
Wollt ihr zu deutſch des Herzogs Namen kennen? 
Von den wilden Blumen, 
alſo hoͤrt ich Eckunaten nennen. 


153 Da er von der Wilde hieß, 
fie ſchickt' ihm in die Wilde 
Dieſen wildlichen Brief, 
den Bracken, der durch Wald und Gefilde 
Der Fährte wahrte, wie ein Bracke ſollte. 
Die Schrift beſagt' auch, daß ſie ſelbſt 
weiblicher Fährte hüten wollte. 


154 Schionatulander 
mit einer Federangel 
Fieng Aſchen und Forellen, 
während ſie las, dazu der Freude Mangel, 
Denn ſelten ward ihm Freude mehr zu Theile. 
Sigun entwickelte die Schur, 
daß fie die Schrift zu Ende läſ am Seile. 


u. Gardevias. 481 


155 An die Zeltſtange 
war es feſtgebunden. 
Ihr Entwickeln iſt mir leid: 
hätte ſie ſich des nicht unterwunden! 
Gardevias litts mit Widerſtreben; 
Als ſie nach ſeiner Speiſe rief, 
denn ſie wollt ihm zu eßen geben. 


156 Zwei Jungfrauen ſprangen 
vor das Zelt in Eile. 
O weh den blanken Händen 
der Herzogin: litten die vom Seile, 
Ich that es nicht, es thats der Steine Härte. 
Gardevias zuckte 
und entſprang auf des Jagdwildes Fährte. 


157 Er war auch Eckunaten 
entwiſcht in gleicher Weiſe. 
Sie rief den Jungfrauen: 
als ſie nahten mit des Bracken Speiſe, 
Zu dem Zelte trugen ſie die balde. 
Der Bracke war derweil entichlüpft 
durch das Zugloch, man hört ihn ſchon im Walde. 


158 Er riß halt das Zugloch 
zum Theil aus den Pfählen. 
Als er wiederfand die friſche 
rothe Fährte, wollt ers nicht hehlen, 
Er jagte oͤffentlich und nicht verborgen. 
Das entgalt des werthen 
Gurzgri Sohn mit mancherlei Sorgen. 
a 31 


Parzival und Titurel. II. 


482 u. Gardevias. f 


159 Schionatulander 
die großen wie die kleinen 
Fiſche mit der Angel fieng, 
wie er da ſtand mit bloßen, blanken Beinen 
Im lautern ſchnellen Bach, der Kühle wegen. 
Da hörte er Gardevias 
Stimme: ſie erſcholl zur Qual dem Degen. 


160 Er warf die Angel aus der Hand 
und ſetzte mit Eile 
Ueber Strünke wie durch Dornen; 
doch naht' er nicht dem Bracken noch dem Seile. 
Wegloſes Dickicht hielt ihn weit zurücke; 
Schon ſpürt' er weder Wild noch Hund; | 
auch nahm ihm das Gehör des Windes Tücke. 


161 Seine bloßen Beine wurden 
zerkratzt von den Dornen, 
Auch verwundeten ihm Stifte 
die blanken Füße hinten und vornen. 
Er war noch müder als das Wild der Fährte; 
Er ließ ſie waſchen, eh er trat 
in das Zelt. Da fand er Sigunen, die Werthe, 


162 Grau in den Händen 
wie von Froſt bereifet, 
Wie eines Lanzenbrechers Hand, 
wenn vom Gegenſtoß hindurchgeſtreifet 
Der Schaft im Saus die bloße Haut geſchunden: 
So von dem durchgezognen Seil 
war die Hand der Herzogin voll Wunden. 


II. Gardevias. 483 


163 Sie ſah ſeine Wunden 
an Händen und an Füßen. 
Sie beklagte Ihn, er Sie. 
Nun wird ſich dieſe Märe bald entſüßen, 
Da die Herzogin mit ihm zu ſprechen 
Begann von der Schrift am Seil: 
Der Verluſt wird manchen Sper zerbrechen. 


164 Da ſprach er: „Wer hätte 
wohl je ein Seil beſchrieben? 
Franzöſiſche Liebesbücher 
giebt es viel: mir iſt die Kunſt nicht geblieben, 
Sonſt laͤſ ich wahrlich lieber doch darinne. 
Sigune, ſüße Magd, die Schrift 
an dem Seile ſchlag dir aus dem Sinne.“ 


165 Sie ſprach: „Aventüre 
fand ich an dem Strange, 
Leſ ich die nicht zu Ende, 
ſo widert mir mein Land zu Katelange: 
Wieviel mir Jemand Reichthum bieten konnte, 
Gern wollt ich drauf verzichten, 
wenn er mir die Schrift zu leſen gönnte. 


166 „Das ſprech ich, werther Freund, nicht Dir 
noch Jemand zu Leide; 
Doch wieviel der Jahre 
wir noch ſo jung zuſammen lebten beide, 
Eh dein Dienſt der Minne Lohn begehrte, 
Schaff er mir das Seil zuvor, 
daran Gardevias hütet der Fährte.“ 


29 


484 lu. Gardevias. 


Mia 


167 Er ſprach: „So will ich gerne 
dir das Seil erwerben. 
Wenn es Kampf erringen kann, 
ſo will ich an Leib und Preis verderben, 
Oder ich bring es wieder dir zu Handen: 
Sei gnädig, ſuͤße Magd und halt 
mein Herz nicht ſo lang in deinen Banden.“ 


168 „Gnad und was nur immer 
eine Magd darf gönnen 
Ihrem Freund, gewähr ich dir 
und Niemand ſoll mich dran verhindern koͤnnen, 
Wenn du um das Seil dich willſt bemühen, 
Das der Bracke nach ſich zog, 
Da ihn meine Hand ließ entfliehen.“ 


169 „So will ich nimmer raſten 8 
noch ruhn, bis ichs erringe. 
Du bieteſt reichen Sold, ich kann 
es kaum erwarten, bis ich es bringe, 
Und deine Minne ſoll zum Lohn erhalten. 
Ich will es ſuchen nah und fern: 
mögen Glück und Minne freundlich walten!“ 


170 So wuſten ſie mit Worten 
Troſt ſich zu ſpenden 
Und mit gutem Willen. 
Beginn des Leids, wie ſchrecklich ſollt' es enden! 
Wohl noch erfährt der Junge wie der Greiſe, 
Der muthige Gelober, 
wie es ſtieg und ſank mit ſeinem Preiſe. 


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Erläuterungen. 


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II. Anmerkungen zum Parzival. 


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Andere Hälfte. 


431, 29. Bol. zu 253, 25 und Einl. 6. 25. 

436, 5. Vgl. zu 253, 10 — 14. 

453, 1—10. Hier will nun Wolfram fein 241, 5 gegebenes Verſprechen, 
über Monſalväſche zu ſeiner Zeit das Nöthige zu melden, erfüllen. Zugleich 
erklärt ſich aus dieſer Stelle das räthſelartige Gleichniſs von dem Bogen 
241, 10. 

453, 23. Vgl. Einl. 9. 10. 

434, 1—3. Im Wartburgkriege ein jenen Strophen im Thüringer 
Herrenton, die in der Jen. Handſchrift fehlen) wird von dem Zauberer Zabulon 
von Babylon geſagt, er ſei ein Heide vaterhalb und ein Jude von der Mut⸗ 
ter Art, und der erſte geweſen, der ſich der Aſtronomie unterwunden habe, 
was entweder eine Reminiscenz aus dieſer Stelle oder eine verwandte 
Sage iſt. 

455, 2— 22. Vgl. Einl. 6. 9. 

459, 25. Das iſt noch jetzt am Karfreitag Gebrauch der Kirche. 

470, 3. Vgl. Einl. 9. 23. N 

471, 15. Dieß widerruft hernach Trevrezent 798. S. Einl. 6. 10. 

473, 22. Das hier erwähnte Gralspferd Gringuljet hat Lähelein nach 
339, 26—340, 6 vgl. mit 261, 27 feinem Bruder Orilus geſchenkt, der es 
am Plimizöl dem Gawan gab. Vgl. auch 540, 28-544, 2. Daher ſtanden 
ſich hei dem Zweikampfe Parzivals mit Gawan zwei Gralsroſſe gegenüber. 
S. 679, 23. 

496, 21. Aglei iſt Aquileja. Die meiſten andern hier genannten Oert⸗ 
lichkeiten wißen wir nicht nachzuweiſen; Friaul, Steier und die Drau find 
bekannt, aber weder der Rohas noch die Greian. Einige ſind auch fabelhaft, 
wie die Berge zu Agremontin und Famorgan. Mit einem feurigen Ritter 
496, 12 hat auch Feirefiß gekämpft 812, 20. 

499, 7. Ithers Gemalin Lamire ſcheint alſo Gahmurets Schweſter. 
Eine andere Schweſter, Fleurdamur, iſt oben 420, 6 als Gemalin Kingri⸗ 
find und Mutter Vergulachts und Antikoniens erwähnt. Doch iſt wahrſchein⸗ 
licher Kingriſin ein jüngerer Bruder Gahmurets. 

503, 14. Gawans und Vergulachts Verwandtſchaft erklärt ſich aus 
dem Briefe Gahmurets an Belakane, nach welchem Mazadan der gemein⸗ 
ſchaftliche Stammvater Gandeins und des Artus war. Gandein war nach 
420, 8 Vergulachts Großvater und Artus bekanntlich Gawans Mutterbruder. 

504, 25. Anſpielung auf Heinrich von Veldecks Eneit (875% ff.) wo 
Kamille, die Tochter des Turnus, die Trojaner durch perſönliche Tapfer⸗ 
keit beſiegen hilft. 


488 Anmerkungen. 


563, 8. S. Einl. 5. 23. 

563, 9—11. Dieſe Anſpielung auf die Plünderung Griechenlands und 
Konſtantinopels bei Gelegenheit des Kreuzzuges von 1203 beſtätigt nur was 
wir ſchon wuſten, daß der Parzival vor dieſem Jahre nicht gedichtet iſt. 

573, 14. Kahenis iſt Triſtans Freund und Geſelle. Während dieſer bei 
Iſolden lag, ſollte jenem eine ihrer Jungfrauen nächtliche Geſellſchaft leiſten; 
das erwähnte Kopfkiſſen bewirkte aber, daß er die Zeit verſchllef und am 
Morgen noch dazu verſpottet wurde. 

583, 8— 584, 1. Lanzelots Abenteuer auf der Schwertbrücke und fein 
Kampf mit Meljakanz iſt ſchon zu 387, 2—8 beſprochen. Was Garell, ein 
Ritter der Tafelrunde, mit dem Löwen und dem Meger bei der Marmor: 
ſäule für ein Abenteuer beſtand, wißen wir nicht. Die Furt Ligweis Prelljus 
werden wir bald (600, 12. 602, 6) näher kennen lernen; Erecks Kampf mit 
Mabonagrein um Schoidelakurt haben wir fchon erwähnt, und Iweins 
(Jwans, Iwanets) Waßerguß auf den Stein der Aventüre iſt uns aus 
Hartmanns gleichnamigem Meiſterwerke bekannt. Im Walde Briziljan, 
den wir auch im Parzival kennen gelernt haben, hieng neben einem Brunnen 
ein koſtbares Becken. Goß man damit Waßer auf den Stein, fo erhob fich 
ein furchtbares Gewitter, das den Wald verwüſtete, das Wild und die 
Vögel erſchlug; wenn der Sturm ſich gelegt hatte, erfchlen der Herr des 
Brunnens und Landes, Rechenſchaft für den Schaden zu fordern, welcher 
durch den Waßerguß verurſacht worden. Dieß Abenteuer beſtand Iwein, 
beſiegte den Herrn des Brunnens und vermälte ſich hernach durch Lunetens 
Vermittlung mit der Wittwe des Erſchlagenen. Vgl. zu 253, 10—14. 

586, 27. Sürdamur lernen wir 712, 8 als Schweſter Gawans kennen. 
Sie und ihr Geliebter, der Griechenkaiſer Alexander, hatten ihre eigene 
Sage, auf die ſchon der wälſche Gaſt anſpielt. In dem Romane von 
Cliget (Verfaßer Chretien von Troyes), iſt dieſer Held der Sohn Alexanders 
und Sürdamurs, deren Liebesgeſchichte gleichfalls darin enthalten iſt. Hist. 
lit. 15, 209. 

589, 8. Vgl. 503, 25. Kamille, die in dem dort erwähnten Kampfe 
gefallen war, läßt Heinrich von Veldeck in einem prächtigen Sarge bei: 
ſetzen (0308 413). 

663, 17. Anſpielung auf das Wappen des ſeit 1172 mit England ver⸗ 
einigten Irlands. . 

736, 10. Der Name iſt vielleicht aus Agathodämon entftellt. Auf: 
fallend, daß ası, S das Eridemon auch unter den argen Schlangen vor⸗ 
kommt, und 683, 20 Ecidemonis eine Stadt oder Landſchaft bedeutet. 

748, 17. Wer nicht bloß den Mythus vom Gral, auch das ganze 
Detail unſerer Sage aus dem Morgenlande ableitet, den ſollte doch ſtutzig 
machen, daß ſie gleich den andern Gedichten dieſer Zeit mit dem Morgen⸗ 
lande ſo wenig Bekanntſchaft verräth, indem ihr Jupiter und Juno für 
Götter der Sarazenen und Indier gelten. 

761, 28. Witſant, ein ehemas ſehr beſuchter Hafen bei Kalais. 

782, 1—12. Aus den hier vorkommenden arabiſchen Namen der ſieben 
Planeten, mit Einrechnung des Monds und der Sonne, ſolgert Görres 
mit Unrecht den arabiſchen Urſprung unferer Sage, da die Kenntniſs dieſer 

Namen wohl ohne ſie nach Nordſpanien, ihrer wahrſcheinlichen Heimat, 


Anmerkungen. 489 


gelangen konnte. Arabiſch und heldniſch waren damals zuſammenfallende 
Begriffe, und fo ſchien es zum Koſtüm zu gehören, der aus Indien ſtam— 
menden Heidin Kondrie arabiſche Worte in den Mund zu legen. 

795, 9. Dieſe Frage, welche die Geneſung des Anfortas zur Folge hat, 
geſchieht zur Erfüllung des Orakels, welche die Schrift des Grals 483, 
20—28 gegeben hat, wonach die Geneſung des Anfortas von der Frage Par: 
zivals abhängig fein ſollte. Unbegreiflich iſt, wie ITmmermann Reiſejournal 
S. 365 ſchreiben mochte: „Die Frage, die Parzival thun ſoll, um den 
Jammer in Monſalvas zu heben und die er nicht thut, iſt ein ſonderbarer 
Moment. Die gewöhnlichen Auffaßungen von Durchbildung zum Religiöſen 
durch Suchen und Schmerz reichen hier nicht aus. Der Gral, der nie 
irrende, hat ein Orakel gegeben, welches gleichwohl nicht erfüllt wird, denn 
als der erwählte König ſpäter zum Heiligthum gelangt, und die Geneſung 
des Anfortas bewirkt, hat er ja längſt den Grund des Leides erfahren.‘ 
Das Orakel wird erfüllt, denn die Frage geſchieht und bewirkt die Ge— 
neſung, auch iſt Parzival, obgleich er jetzt langft den Grund des Leides 
erfahren hat, nicht gewarnt worden; noch 795, 15 hütet ſich Anfortas ihn 
zu warnen. Daß die Frage, obgleich ſie für Parzival keiner Antwort mehr 
bedarf, dennoch geſchehen muß, beweiſt im Gegentheil, daß der Gral auf 
die buchſtäbliche Erfüllung ſeines Orakels mit unerbittlicher Strenge hält. 
Immermann miſcht aber eine andere hierhin gar nicht gehörige Seite ein, 
nämlich Parzivals Durchbildung zum Religiöſen durch Suchen und Schmerz, 
welche Auffaßung allerdings hier ausreicht. Als aber Parzival zur Erlöſung 
des Anfortas dieſe Frage thut, iſt ſeine eigene innere Geſchichte längſt zu 
Ende; auch hat ihn nach Kondriens Meldung 781, 16 die Schrift des Grals 
fhon zum Herrn des Gralsreiches berufen. St. Marte verfällt, indem er 
Immermann zu widerlegen ſucht, in lauter Irrthümer. 


795, 50. In der Legende vom h. Silveſter, welche nach Wolframs. 


Zeit Konrad von Würzburg bearbeitete (ed. Wilhelm Grimm Gött. 1831), 
ſtreitet der Pabſt Silveſter vor dem Kaiſer Konſtantin, den er von dem Aus— 
ſatze geheilt hat, mit den Juden über den Vorzug des chriſtlichen oder jüdi— 
ſchen Glaubens. Ein Jude raunt einem Stier den Namen ſeines Gottes 
ins Ohr, und augenblicklich fällt das Thier todt zur Erde nieder. Silveſter 
aber macht, was der Jude nicht konnte, den Stier durch Anrufung Chriſti 
wieder lebendig, durch welches Wunder die Juden ſich überwunden bekennen, 
und die Taufe empfangen. Dieſe Legende würde Wolfram ſchwerlich hier 
angezogen haben, wenn ſie nicht in der Heilung Conſtantins durch Silveſter 
ein näher verwandtes Moment enthielte. Hartmanns armen Heinrich, der 
doch vor dem Iwein gedichtet iſt, muß Wolſram nicht gekannt haben, ſonſt 
hätte er wohl hier ſeiner gedacht. 

826, 29. Ereck, den wir ſchon mehrfach befprochen haben, hatte feiner 
Enite im Zorn über den von ihr erduldeten Vorwurf des Vorliegens (vgl. 
zu 134, 1) Schweigen auferlegt, welches ſie nur brach, um ihn vor 
dringender Gefahr zu warnen und gleichwohl darüber hart von ihm ange⸗ 
laßen wird. 


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